In fast jeder zweiten Ausgabe der Kronen Zeitung ist 2020 zumindest ein Negativ-Artikel über Afghan:innen erschienen. In „Österreich“ war das in mehr als jeder fünften Ausgabe der Fall. Über Tschetschen:innen gibt es zwar weniger negative Texte, dafür hat 2020 weder die Krone, noch „Österreich“, und auch Der Standard und Die Presse keinen einzigen positiven Artikel über sie veröffentlicht. Missverhältnisse, die die Realität grob verzerren und Vorurteile verfestigen können.
In 44,6% der Ausgaben der Kronen Zeitung ist 2020 zumindest ein Negativ-Artikel über Afghan:innen erschienen, also an fast jedem zweiten Tag. Insgesamt sind es 247 Artikel über Mord, Körperverletzung, illegale Grenzüberschreitungen, Drogen- und Sexualdelikte von Afghan:innen, jeden davon haben über zwei Millionen Kronen-Zeitung-Leser:innen zu Gesicht bekommen.
Wie österreichische Printmedien 2020 über Afghan:innen berichteten:
Ein Großteil der Berichte sind Einzelfälle, die meist keinen Raum für Unschuldsvermutungen zulassen. Diese unausgewogene Berichterstattung in der Kronen Zeitung macht Afghan:innen zu gefährlichen, aggressiven und kriminellen Menschen. In solchen Artikeln wird die Herkunft der Tatverdächtigen oft schon im Teaser oder im Titel genannt. Bei den anderen Beteiligten – hier ein „junger Mann“ und „zwei Frauen“ – verzichtet die Krone hingegen auf die Herkunftsbezeichnung. Diese ist offenbar nur für den mutmaßlichen Täter relevant.
Auffallend ist auch, dass in vielen Berichten die Tatgründe keine große Rolle spielen. Afghan:innen handeln scheinbar aus nicht erkennbaren Motiven. Sie sind „laut“, „aggressiv“ oder „uneinsichtig“ und drehen ohne ersichtlichen Grund „einfach durch„. In 83 der 247 Negativ-Artikel geht es um Körperverletzung oder Mord, am zweithäufigsten werden Afghan:innen als Sexualstraftäter und illegale Einwanderer genannt.
Diese Art der Berichterstattung ist darauf ausgelegt, zu schockieren und die mutmaßliche Gewaltbereitschaft einer Bevölkerungsgruppe anhand einzelner Fälle darzustellen, ohne auf gesellschaftliche Hintergründe und Probleme einzugehen, die zu solchen Vorfällen führen. Wie auch diese Beispiele zeigen:
Positive Berichte findet man nur selten. Nur in knapp 4,3% der 359 Krone-Ausgaben werden Afghan:innen 2020 in einem positiven Kontext erwähnt. Auffallend ist, dass sich die Positiv-Berichterstattung oft auf ihre Integrationsfähigkeit beschränkt – wie jener Artikel über Elias Zafari, der abgeschoben wurde, obwohl er als gut integriert galt. Positive Geschichten über die 43.654 in Österreich lebenden Menschen aus Afghanistan, die nichts mit deren Integration zu tun haben, sind hingegen Mangelware.
Auch „Österreich“ berichtet unverhältnismäßig viel Negatives
Ähnlich, wenn auch bei weitem nicht so drastisch, war die Berichterstattung von „Österreich“ bis inklusive November 2020. Hier sind es „nur“ 22,5% der Ausgaben, in denen 2020 ein negatives Bild von Afghan:innen gezeichnet wurde – was im Vergleich mit der tatsächlichen Kriminalität aber dennoch ein Übermaß ist. Dazu später mehr.
Generell beschreibt auch „Österreich“ diese Menschen oft pauschal als gewalttätig und gefährlich. Außerdem wird, genau wie in der Krone, zum Großteil über negative Einzelfälle berichtet. Nur sehr selten erfahren die Leser:innen etwas über die Hintergründe und etwaige Probleme in den Communities.
Wie österreichische Printmedien 2020 über Tschetschen:innen berichteten:
Ein bisschen besser sieht es bei der Berichterstattung über Tschetschen:innen aus. Über sie gibt es 2020 „nur“ in etwa jeder fünften Ausgabe der Krone einen Negativ-Artikel (21,4%), in „Österreich“ waren es 14,6% der Ausgaben. Die Tonalität der Berichterstattung ist jener über Afghan:innen sehr ähnlich: Meistens geht es um Kriminalität, ohne einer Einordnung der dahinterliegenden Gründe und Probleme.
In diesem Bericht der Kronen Zeitung schaffen es Tschetschenen sogar in den Titel, obwohl nicht geklärt wurde, ob die Täter tatsächlich tschetschenischer Herkunft waren. Ob die Boulevardzeitung Vorurteile und Stereotype so bewusst verstärkt, sei dahingestellt.
Ab und zu kommen sogar beide Gruppen gemeinsam als Gewalttäter vor. In diesem Artikel wird eine vermeintliche Schlägerei zwischen Tschetschenen und Afghanen in der Krone als „Bandenkrieg“ und in „Österreich“ sogar als „Ethno-Bandenkrieg“ beschrieben. Es handle sich hierbei um „zwei verfeindete Ethnien„, wie „Österreich“ schreibt:
„Wir“ gegen „die Anderen“
Sieht man von der fragwürdigen Häufigkeit ab, in der diese Form der Berichterstattung auftritt, trägt auch die Sprache in den Boulevardblättern ihren Teil zur Bildung negativ besetzter Stereotype bei. In den meisten Artikeln werden Menschen mit Migrationshintergrund auf ihre vermeintliche Herkunft oder ihren Aufenthaltsstatus reduziert. Sie werden als Eindringlinge abgestempelt. Es wird häufig das Bild „Wir“ gegen „die Anderen“ erzeugt. Dass diese Einteilung im Boulevard mittlerweile ganz beiläufig passiert, zeigt dieser Artikel der Kronen Zeitung, in dem es eigentlich um die Festnahme von drei verdächtigen Schleppern gehen sollte:
Dennoch macht die Krone darauf aufmerksam, dass die „Illegalen“ – in diesem Fall geflüchtete Afghanen – „zu uns“ geschleust werden. Somit werden Menschen, die auf der Flucht sind, schon im ersten Satz als gefährliche Eindringlinge beschrieben, die nicht hierhergehören. Außerdem entsteht der Eindruck, sie wären eine Bedrohung für „unser“ Österreich. Auch, dass „ihre afghanischen Kunden“ von den Schleppern „chauffiert“ werden, trägt zur Verharmlosung der Schicksale dieser Menschen bei und lässt vergessen, dass es sich um Personen handelt, die ihr Zuhause meist unter lebensgefährlichen Umständen verlassen mussten.
Die Bildsprache ist häufig ebenfalls fernab von vorurteilsfrei. Der Einsatz von Bildern wie diesem widerspricht wohl nicht nur Punkt 7.1 des österreichischen Pressekodexes, laut dem Pauschalverunglimpfungen von Personengruppen unter allen Umständen zu vermeiden sind, sondern schafft negativ besetzte Stereotypen und Vorurteile gegenüber People of Color (POC) im Bewusstsein der Leser:innen, wie etwa die Zeitungswissenschaftlerin Samira El Ouassil schreibt.
Qualitätsmedien weitaus realitätsnäher
Anders die Darstellung in sogenannten Qualitätsmedien: Die Presse und Der Standard berichteten 2020 wesentlich seltener negativ über Afghan:innen. Die Presse in 9,4% und Der Standard sogar nur in 5,3% der Ausgaben. Auffallend ist, dass auch in der negativen Berichterstattung eher auf Hintergründe, Statistiken und Entwicklungen eingegangen wird als auf negative Einzelfälle. Durch die positiven und neutralen Berichte entsteht insgesamt jedenfalls ein wesentlich ausgeglicheneres Bild über den Alltag dieser Bevölkerungsgruppen in Österreich. Außerdem kommen in beiden Zeitungen Betroffene öfter selbst zu Wort und erzählen aus ihrem Leben oder über ihre Flucht. Es sei jedoch erwähnt, dass auch in der Presse ebenso wie im Standard 2020 kein einziger positiver Artikel über Tschetschen:innen erschienen ist.
Der größte Unterschied zwischen den negativen Berichten in Boulevard- und in Qualitätsmedien ist, wie berichtet wird. In diesen Auszügen eines Standard-Artikels geht es beispielsweise um die hohe Arbeitslosigkeit von Geflüchteten. Dabei wird über die Hintergründe berichtet und die Situation analysiert. Vermeintlich einfache Antworten werden mit Zahlen und Fakten relativiert, außerdem kommen Expert:innen zu Wort. Das sowohl Der Standard als auch Die Presse bei diesen Themen mehr Wert auf Hintergrundberichterstattung legen, ist augenscheinlich.
Die permanente und systematische Negativ-Berichterstattung, die in der Krone keineswegs nur 2020 stattfand, ist nicht nur journalistisch fraglich – sie steht auch in keinem Verhältnis zur Kriminalitätsstatistik.
Ein Vergleich mit der Kriminalstatistik
Nur 2,05% aller Tatverdächtigen in Österreich kommen aus Afghanistan. Unter allen ausländischen Tatverdächtigen machen Afghan:innen 5,1% aus. Wenn man diesen Prozentsatz nun mit der Anzahl der in Österreich lebenden Afghan:innen vergleicht, zeigt sich, dass maximal 14,3% der 43.654 in Österreich lebenden Afghan:innen als Tatverdächtige gelistet wurden. Dem gegenüber stehen knapp 86%, die sich nichts zu Schulden kommen haben lassen. Dass die Anzahl der Tatverdächtigen in absoluten Zahlen vermutlich niedriger ist, liegt nahe, weil ein und dieselbe Person für verschiedene Vergehen mehrfach gezählt werden kann.
Ein Vergleich der Kriminalstatistik 2019 mit der Berichterstattung der Kronen Zeitung über Afghan:innen:
Nun sind 14,3% nicht wenig und es ist definitiv ein Wert, um den es einen Diskurs geben sollte. Allerdings rechtfertigt er keinesfalls die Anzahl und die Art der Berichterstattung im Boulevard über einzelne Vergehen.
Wenn eine Bevölkerungsgruppe besonders häufig Straftaten begeht, sich besonders viele Arbeitslose unter ihr befinden oder sie anderweitig statistisch auffällig wird, ist klar, dass jedes journalistische Medium darüber berichten muss. Allerdings macht es einen gravierenden Unterschied, ob die Berichterstattung die Hintergründe erklärt, Expert:innen einbindet und auch der betroffenen Bevölkerungsgruppe Gehör schenkt. Oder ob scheinbar wahllos über negative Einzelfälle berichtet wird, und so nachweislich Vorurteile, Stereotypen und Feindbilder geschaffen werden.
Vorurteile bleiben Vorurteile
Wie die Journalistin Nina Horazcek und der Rechtswissenschafter Sebastian Wiese in ihrem Buch „Gegen Vorurteile“ schreiben, hat der hohe Prozentsatz ausländischer Tatverdächtiger in der Kriminalitätsstatistik mehrere Gründe.
Vor allem Menschen, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben, greifen häufiger zu kriminellen Mitteln als andere. Auch Alter, Geschlecht, Wohnort und sozialer Status sind Faktoren, die Einfluss auf die Kriminalitätsanfälligkeit von Menschen haben. Viele dieser Faktoren sind bei Menschen aus Afghanistan und Tschetschenien überrepräsentiert.
Wer also über die Kriminalität einer Bevölkerungsgruppe berichtet und diese Faktoren dabei nie thematisiert, wie vor allem die Krone Zeitung und „Österreich“ dies bei Afghan:innen und Tschetschen:innen tun, trägt maßgeblich dazu bei, dass sich Vorurteile und Stereotypen über Bevölkerungsgruppen in den Köpfen der Gesellschaft festsetzen. Dabei geht es weniger darum, dass ein einzelner Negativ-Artikel faktisch falsch ist, sondern darum, dass in der Summe der Berichterstattung ein völlig verzerrtes und unvollständiges Bild der Wirklichkeit vermittelt wird.
DerStandard.TV hat einen Videobericht über diese Recherche gemacht. Hier das Video:
Wenige Tage vor der wichtigsten Wahl des Jahres, der Wiener Landtagswahl, bringt die Kronen Zeitung eine Coverstory, der es an jeglicher Substanz fehlt und die auf faktisch falschen und irreführenden Zahlen basiert.
Zur Beurteilung der Corona-Lage kann man eine ganze Reihe an Daten heranziehen. Die Zahl der Tests insgesamt, den Anteil der positiven Tests, die Zahl der positiven Fälle, auf welche Altersgruppen sich die Fälle verteilen, wie viel Zeit vom Erstverdacht bis zum Testergebnis vergeht, wie gut die Infektionsketten nachverfolgt werden können, wie viele Menschen in Krankenhäusern behandelt werden und wie sich die Lage dort entwickelt. Und und und.
Wer ein so vernichtendes und pauschales Urteil am Cover der auflagenstarken Wien- und Burgenlandausgabe fällt, der hat sich sicherlich mit mehreren dieser Zahlen befasst, richtig? Na gut, sagen wir zumindest mit einigen – oder jedenfalls mit mehr als nur einer einzigen, richtig?
Weil was wäre das sonst für ein Journalismus?
Machen wir es kurz: Die Krone begründet ihr Urteil im Blattinneren tatsächlich mit nur einer einzigen Zahl. „Lediglich erschreckende 17,2 Prozent“ der aktuellen Fälle seien in Wien Clustern zuzuordnen, schreibt das Boulevardblatt. Sprich: Bei mehr als 4 von 5 Infektionen würden die Behörden nicht wissen, wie sich das Virus verbreitet hat. Das wäre tatsächlich beunruhigend. Allein: Diese Zahl stimmt nicht.
Die Krone gibt als Quelle ihrer Zahl die Ages an – jene Behörde, die in Österreich Cluster auswertet und daher den besten Einblick hat. Auch die Ampel-Kommission des Bundes greift auf die Daten der Ages zurück. Am gleichen Tag, an dem die Krone dieses Cover druckte, veröffentlichte die Ampel-Kommission ihre aktuellen „Indikatoren zur Risikoeinstufung“ (Excel file). Und siehe da – es zeigt sich ein ganz anderes Bild:
Wien gelingt es demnach nicht bei 17,2 Prozent der Infektionen die Quelle zu finden, sondern aktuell bei 61 Prozent. Damit ist die Bundeshauptstadt zwar Schlusslicht aller Bundesländer, der Abstand zur Steiermark, Salzburg, Niederösterreich und Oberösterreich ist aber überschaubar. Wenn diese eine Zahl also entscheiden soll, ob die Kontrolle über Corona verloren wurde (was lächerlich ist – eine einzige Zahl wird diese Frage nie beantworten können), dann müssten auf dem Cover noch ein paar Bundesländer mehr stehen.
Davon abgesehen, ist die Aufklärungsquote in Wien im Vergleich zur Woche davor von 51 Prozent auf 61 Prozent gestiegen. Wien hat die Kontrolle also nicht verloren, sondern (in diesem Punkt) zuletzt wieder Boden gut gemacht.
Wie kommt es nun zu so einem Cover? Ironischerweise gibt die Online-Ausgabe des Artikels zwischen den Zeilen ein paar Hinweise darauf. Dort kann man nämlich herauslesen, dass die Zahlen aus dem ÖVP-geführten Innenministerium stammen. Wie Kobuk in Erfahrung bringen konnte, dürfte es sich bei den 17,2 Prozent um einen Tageswert handeln, der dem Krisenstab von der Ages übermittelt wurde. Die Ages selbst weist darauf hin, dass Tageswerte beispielsweise wegen der Datenübermittlung stark schwanken und die Kommunikation solcher Daten daher sinnlos und „nicht zielführend“ ist – nur kommt es eben darauf an, welches Ziel man verfolgt.
Was hier also geschehen ist, ist dass aus ÖVP-Kreisen ein nichtssagender Wert an die Krone gespielt wurde, um gegen die Wiener-SPÖ wenige Tage vor dem Wahlsonntag Stimmung zu machen. Die Krone macht sich hier somit mindestens zum Erfüllungsgehilfen, wenn nicht gar zum Mittäter im Wahlkampf-Hick-Hack.
Der Boulevard-Journalist Richard Schmitt hat eine Klage wegen Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung gegen mich angestrengt und rechtskräftig verloren. Konkret ging es um einen Tweet, in dem ich auf einen Kobuk-Artikel über eine Arbeit Schmitts verlinkte – und dazu schrieb:
Wenn Richard Schmitt was schreibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht stimmt, recht hoch. Wenn’s um Verkehr geht, steigt sie gegen 100%.
Das klagte Schmitt. Und zwang meine Anwältin Maria Windhager und mich somit, vor Gericht den Beweis anzutreten, dass diese Aussage im Kern wahr ist. Was folgte, war ein langes Verfahren vor dem Handelsgericht Wien, mit über vier Stunden Verhandlung sowie über 70 Seiten schriftlicher Auseinandersetzung. (Alle Details zum Urteil am Ende des Artikels.)
Das Spannende daran: Es entstand eine umfangreiche Sammlung der journalistischen Höchstleistungen des Richard Schmitt, quasi ein Best Of. Und da das nicht in Gerichtsdokumenten verschwinden soll, folgt hier die Zusammenfassung.
Exkurs: Wer ist Richard Schmitt?
Im Zuge eines Versuchs, einen Vergleich zu schließen – siehe Berichterstattung, einigten wir uns auf folgende Formulierung eines Tweets, den ich absetzen hätte sollen:
Ich habe den Tweet gelöscht, er war zu hart formuliert. Mir war in dem Tweet wichtig aufzuzeigen, dass Richard Schmitt zu tendenziöser Berichterstattung neigt, besonders b. Thema Verkehr, sowie Fakten manipulativ einsetzt.
Die Formulierung „..Fakten manipulativ einsetzt“ war der Vorschlag der Gegenseite (!), wir hatten „..pflegt einen schlampigen Umgang mit Fakten“ vorgeschlagen.
So viel zu Richard Schmitts Selbstverständnis als Journalist.
Best of Richard Schmitt – 18 Fälle
Dies sind die wichtigsten Fälle, die wir dem Gericht zur Untermauerung der im Tweet getätigten Aussage vorgelegt haben, chronologisch sortiert. Es ist ein bisschen eine willkürliche Auswahl – es hätte noch einige Beispiele dieser Art mehr gegeben – aber sie geben einen guten Einblick in die Denk- und Arbeitswelt des Richard Schmitt. Und: Sorry, das wird lang.
1. „Degradierung“ von Natascha Kampusch zum Objekt, 2007
In seiner Zeit als Chefredakteur der Zeitung „Heute“ wurde diese verurteilt, weil in drei Artikeln der höchstpersönliche Lebensbereich des Entführungsopfers Natascha Kampusch verletzt wurde.
Der OGH spricht in seiner Urteilsbegründung von einer „realitätsverzerrend zum Objekt einer klischeehaften Spekulation über ihre ‚erste Liebe‘ degradierenden medialen Darstellung“. Gegenüber dem „Standard“ rechtfertigte sich Richard Schmitt damals damit, dass die Story „dezent“ gewesen sei. „Noch dazu bei so einer netten Geschichte.“
Nach dem Urteil des OGH wurde die Kampagne gegen Natascha Kampusch aber noch intensiviert, indem aus den vertraulichen Akten zitiert wurde, in denen Inhalte aufgezeichnet waren, die Natascha Kampusch nach ihrer Befreiung einem Arzt und einer Polizistin anvertraut hatte. Ein Staatsanwalt sprach damals von „einer Schweinerei der Sonderklasse“. Frau Kampusch selbst sprach entsetzt über dieses Vorgehen von einem „Tiefpunkt des Journalismus“. (Siehe „Falter“ Nr. 17 / 2008)
2. Negativpreis Rosa Koffer, 2012
Das Frauennetzwerk Medien verlieh Richard Schmitt 2012 den Negativpreis „Rosa Koffer“ – ein Upgrade vom „Rosa Handtaschl“ extra für ihn – wegen einer beispiellos frauenfeindliche Kampagne: Richard Schmitt habe es sich als Redakteur der „Kronen Zeitung“ anscheinend zur persönlichen Aufgabe gemacht hat, die Wiener Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin Renate Brauner „abzuschießen“.
3. Die vermeintlich versickerte Milliarde, 2012
2012 veröffentlichte Richard Schmitt in der „Krone“ einen Artikel mit dem Titel „Eine Milliarde ist versickert“ samt einer Tabelle „Das ABC der teuersten Skandale in Wien“. Doch war diese vermeintliche Milliarde an in der Stadt Wien versickerten Geldern lediglich eine Behauptung der ÖVP Wien, die Schmitt offenbar ungeprüft übernahm. Viele der Zahlen halten einer genauen Betrachtungen nicht stand.
Richard Schmitt rechtfertigt im Zuge des Verfahrens so:
Es wird ausgeführt, dass der Kläger lediglich eine von der ÖVP erstellte Auflistung zitiert hat. Es wird in diesem Artikel unmissverständlich darauf hingewiesen, dass es sich um eine Auflistung der ÖVP handle, sodass schon aufgrund dieses Hinweises keine Täuschung der Leser und somit eine unwahre Berichterstattung vorliegen kann.
Wir haben den Fall damals im Artikel Wiener Skandale – Krone druckt falsche Parteipropaganda einer Überprüfung unterzogen.
4. Das Märchen mit der gekündigten Kindergartenpädagogin, 2015
In einem Artikel vom 22. August 2015 mit dem Titel „Im Kindergarten. Pädagogin erklärt Kindern Weihnachten – gekündigt“ behauptet Schmitt, dass die Angestellte eines Kindergartens der Stadt Wien gekündigt worden wäre, weil sie „über Christus geredet“ oder das „Weihnachtsfest erklärt“ habe. Der Artikel stellt in einer Zwischenüberschrift die Suggestivfrage: „Verbot in Kindergärten, über Christus zu reden?“
Als dieser Vorwurf damals auch von HC Strache im Rahmen der TV-Elefantenrunde zur Wien Wahl 2015 wiederholt wurde, besorgte ich mir die vierseitige Niederschrift der zuständigen Magistratsabteilung und veröffentlichte sie hier auf Kobuk: Das Krone-Weihnachtsmärchen mit der gekündigten Pädagogin.
Das Protokoll zeichnet das Bild einer Kindergartenpädagogin, die Kolleginnen und Kollegen zu religiösen und politischen Themen mit Broschüren der „Kaiser Karl Gebetsliga“ zu missionieren versuchte, das praktizierte Konzept gendersensibler Pädagogik oder auch Aktivitäten wie das „Gespensterfest“ nicht mit ihrer Rolle als Christin vereinbaren konnte und sich allgemein unkooperativ verhielt. Dem Protokoll ist allerdings nicht zu entnehmen, dass die Pädagogin gekündigt worden wäre.
Richard Schmitts Rechtfertigung vor Gericht:
Es wird darauf verwiesen, dass dieser Artikel richtig recherchiert wurde. Dem Kläger wurde der Sachverhalt genau so von der betroffenen gekündigten Lehrerin erzählt.
Dass hier die Unwahrheit verbreitet wird, wurde selbst von der Zeit im Bild 2 festgestellt, die aufgrund der Wiederholung dieser Behauptung durch Heinz-Christian Strache, die Aussage einem Faktencheck unterzog. Unter Berufung auf die von Kobuk.at veröffentlichte Niederschrift und weitere Recherchen kamen auch die Redakteurinnen und Redakteure der Zib2 zum Schluss, dass die Behauptung „nicht richtig“ ist.
5. Schmitts Fahrradpropaganda, 2015
Ein schönes Beispiel für Richard Schmitts „manipulativen Umgang mit Fakten“ (Eigenzuschreibung) lieferte er in seiner Krone-Kolumne „Wiener Melange“ am 30. August 2015. Hier behauptete er, der Radanteil in Wien sei „um bloß 2 % auf 7 % gestiegen, die Zahl der Radunfälle nahm aber im gleichen Zeitraum deutlich zu.“
Lesenswert dazu die Urteilsbegründung des Richters:
„Durch die Beifügung des Wortes ‚bloß‘ zu den nominell kleinen Zahlen von fünf und sieben wird dem durchschnittlichen Leser des Boulevardmediums Kronen Zeitung die tatsächliche Relation verschleiert. Eine Steigerung von 5 auf 7 Prozentpunkte beträgt 40 %, was beim Thema wie der Verkehrsmittelwahl, die sich in der Vergangenheit nicht sprunghaft veränderte, in einem Zeitraum von vier Jahren einen erheblichen Zuwachs bedeutet. Zum Vergleich: Eine 40 %ige Zunahme des Autoverkehrsanteils binnen vier Jahren wäre wohl eine Veränderung, die für Wien kaum verkraftbar wäre.
Die Zahl der Radunfälle ist in den letzten drei Jahren vor Erscheinen des Artikels vergleichsweise konstant geblieben. Trotz eines zwischenzeitigen Anstieges von 2013 auf 2014 lagen beide Werte unter jenem für 2012.
Der vom Kläger erweckte Eindruck ist daher falsch; der Fahrradverkehr ist in den Jahren vor dem Erscheinen des Artikels nicht gefährlicher, sondern im Gegenteil sicherer geworden.“
6. Das falsche Kindergartenfoto, 2015
Am 15. Oktober 2015 veröffentlichte Schmitt in seiner Kolumne „Wiener Melange“ ein Foto einer „Krone“-Leserin. Das Foto zeigt eine vollverschleierte Frau neben einer Kindergruppe auf dem Wiener Naschmarkt.
Er schreibt dazu, dass es sich bei der vollverschleierten Frau um eine Kindergartenpädagogin aus einem Kindergarten in der Arnethgasse in Wien Ottakring handle, die sich mit einer Gruppe an Kindern aus diesem Kindergarten auf einem Ausflug am Wiener Naschmarkt befinde.
Die Behauptung, die Frau wäre Pädagogin in besagtem Kindergarten, wiederholt er fünf Tage später im Artikel „Islamischer Kindergarten vor Sperre“. Wie jedoch ein Artikel aus der Wochenzeitung „Falter“ vom 21. Oktober zeigt, war die Behauptung falsch:
Es offenbart sich ein (von dem Redakteur mittlerweile eingestandener) Recherchefehler […] Sowohl die MA 11 als auch der Kindergarten widerlegen, dass die Verschleierte in dem von der Krone genannten Kindergarten arbeitet.
Der „Falter“ schildert, dass ein Lokalaugenschein genügt hätte, um auszuschließen, dass es sich bei der abgebildeten Frau um eine Kindergartenpädagogin aus diesem Kindergarten handelt.
7. Die Recherche-Meisterleistung mit der roten Welle, 2016
In einer Kolumne vom 13. Oktober 2016 behauptet Schmitt, die Stadt Wien würde Autofahrer mit bewussten roten Wellen “sekkieren”. Als Beleg führt er einen Leserbrief sowie einen eigenen Test (!) an. Experten kommen nicht zu Wort. Auch eine Stellungnahme der Stadt wurde nicht eingeholt.
8. Die vermeintlichen Blitz-Kurse für Zuwanderer, 2016
Ein weiteres Beispiel für die verzerrte Darstellung von Migrationsthemen liefert Schmitt in seiner Kolumne vom 27. Oktober 2016. Er behauptet, dass „zugewanderte Afghanen, Iraker, Nigerianer etc. (noch dazu ohne Deutschkenntnisse)“ einen „Blitz- Kurs“ besuchen könnten, welcher nur 200 Tage dauere und dieser mit acht Jahren Schulausbildung gleichzusetzen ist.
Dazu schreibt der Richter in der Urteilsbegründung:
„Dem durchschnittlich verständigen Leser der Kronen Zeitung wird durch den oben zitierten Text der Eindruck vermittelt, es gäbe Sonderregelungen, die Migranten einen im Vergleich zu Österreichern erheblich vereinfachten Zugang zum Pflichtschulabschluss ermöglichten, insbesondere, dass ihre Ausbildung 200 Tage statt acht Jahren dauern würde und keine Prüfung erforderlich wäre. (..) Die vom Kläger suggerierte Bevorzugung von Migranten hält einer Überprüfung anhand der gesetzlichen Bestimmungen nicht stand.“
9. Die „wahren“ Kosten der Asylkrise, 2016
Am 28. August 2016 veröffentlichte Schmitt einen doppelseitigen „Im Brennpunkt“- Artikel mit dem Titel „Die wahren Kosten der Asylkrise“ und dem Aufmacher: „So viel kostet die Asylkrise wirklich“.
Zunächst schreibt er, dass aktuell 35.000 Menschen, aufgrund positiver Asylbescheide die bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen würden. Jeder dieser 35.000 Personen würde so sie Mindestsicherung beziehen, also € 837,76 pro Monat erhalten. „Jeder der 35.000 Migranten, die bereits im Mindestsicherungssystem sind, erhält 837,76 € pro Monat.“
Der Richter dazu in seiner Urteilsbegründung:
„Der im Artikel genannte Betrag ist ein Höchstbetrag, der bei weitem nicht für alle Beziehern zur Anwendung kommt und auf den das jeweilige Eigeneinkommen anzurechnen ist. Auch bei Aufwendung minimaler journalistischer Sorgfalt wäre es dem Kläger daher möglich gewesen, zu erheben, dass die von ihm vorgenommene Multiplikation des Höchstbetrages mit der von ihm genannten Zahl der Migranten im Mindestsicherungssystem keine sinnvolle Berechnungsmethode zur Ermittlung der tatsächlichen Ausgaben darstellen kann.“
Schmitt rechtfertigt sich so:
Es wird vorgebracht, dass dem Kläger die Höhe der Mindestsicherung vom zuständigen Magistrat mitgeteilt wurde und er diese einfach nur weitergeleitet hat, sodass hier kein Recherchefehler vorliegt. Sollte dem Kläger von der Magistratsabteilung eine unrichtige Zahlung genannt worden sein, so ist ihm dies nicht vorwerfbar.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich die falschen Behauptungen unter dem Titel „Die wahren Kosten der Asylkrise“ finden.
10. Nur 100 studierende Asylwerber, 2016
In einem Artikel vom 31. März 2016 mit dem Titel „Von 111.026 Flüchtlingen studieren nur 100“ behauptet Schmitt, dass von 111.026 Personen, die seit Sommer 2015 als Asylwerberinnen und Asylwerber nach Österreich kamen, nunmehr lediglich 100 studieren würden.
- Er bezieht sich dabei auf ein Schreiben der Universitätsverwaltung einer nicht näher benannten Wiener Universität. Für die Zahl an Asylwerbenden wird eine bundesweite Zahl herangezogen, für die Zahl der Studierenden lediglich Angaben einer Universität.
- Weiters besteht die herangezogenen Personengruppe zu einem nicht unwesentlichen Teil aus minderjährigen Personen (37 % der Asylwerber von 2015 sind minderjährig), von welchen (noch) kein Studium an einer Universität erwartet werden kann.
- Zu berücksichtigen wären auch jene Personen, die bereits ein Studium abgeschlossen haben oder andere Berufsausbildungen abgeschlossen haben.
- Dazu nimmt eine Nostrifizierung von Zeugnissen etc. durchaus längere Zeit in Anspruch, bevor man zur Inskription berechtigt ist.
Die Replik Richard Schmitts fiel so aus:
Es wird ausgeführt, dass hier der Kläger die journalistische Sorgfalt jedenfalls befolgt hat und ihm nichts vorzuwerfen ist, zumal ihm diese Zahl von der Universität Wien genannt wurde. Der Kläger hat mit der Pressestelle der Universität Wien Kontakt aufgenommen und wurde ihm dabei mitgeteilt, dass nur 100 studieren würden.
Siehe auch den Kobuk-Artikel Zahlenspiel der Krone lässt Flüchtlinge dumm aussehen.
11. Gratisfrühstück für Drogensüchtige, 2016
Sie spritzen kein Opium? Nehmen kein LSD? Dann haben Sie, liebe Leser, leider keinen Anspruch auf ein vom Wiener Steuerzahler finanziertes Gratisfrühstück.
Das schrieb Schmitt in einem heftigen Kommentar über Betreuungsangebote von Wiener Drogenberatungs- und -behandlungseinrichtungen. Lesenswert dazu der Offene Brief von KlientInnen und MitarbeiterInnen dieser Einrichtungen:
Menschenverachtend. Letztklassig. Widerwärtig. Abstoßend. Richard Schmitt, Kronen Zeitung.
12. Maschinengewehre auf der Donauinsel, 2017
Im Juni 2017 war auf Krone.at, dessen Chefredakteur Richard Schmitt war, zu lesen, die Polizei hätte kurz vor dem Donauinselfest auf der Donauinsel zwei Maschinengewehre und eine Faustfeuerwaffe gefunden. Nichts davon stimmte, wie die Polizei mitteilte:
Berichte über einen angebl. Waffenfund im Vorfeld des #dif17 können wir definitiv nicht bestätigen. Wir hatten keine derartige Amtshandlung.
— POLIZEI WIEN (@LPDWien) June 23, 2017
Schmitt rechtfertigte sich damit, dass er den Artikel nicht verfasst habe, wie er auch bei anderen Gelegenheiten die Annahme von sich wies, er trüge Verantwortung für Artikel, die in Medien erschienen waren, für die er verantwortlich zeichnete.
Der Richter dazu in der Urteilsbegründung:
Die Frage, wie weit die Verantwortung des Klägers für Artikel zu bemessen ist, die nicht von ihm verfasst wurden, jedoch unter seiner Leitung als Chefredakteur publiziert wurden, kann dahingestellt bleiben, weil bereits die von ihm geschriebenen Artikel die Äußerung des Beklagten rechtfertigen.
13. Wieder ein falsches Kindergartenfoto, 2017
Am 25. Juni 2017 veröffentlichte Schmitt unter dem Titel „Kopftuch: Bei Kindern Alltag“ eine weitere Islamkindergarten-Story, wieder mit falschen Fotos. Dies führt in der Folge zu einer Rüge durch den Presserat sowie einer rechtskräftigen Verurteilung durch das Handelsgericht.
14. Die Stadt Wien verschweigt die Mohammeds, 2017
2017 veröffentlichte Schmitt sowohl in der Printausgabe der „Kronenzeitung“ als auch auf „Krone.at“ den Artikel „Mohammad bereits auf Platz fünf der Kindernamen!“, dies würde die Stadt Wien aber verschweigen.
Richter Exner dazu in seiner Urteilsbegründung:
„Der Artikel vermittelt dem durchschnittlich verständigen Leser der Kronen Zeitung den Eindruck, dass die Stadt Wien bewusst verschweigen würde, dass der Vorname Mohammad bereits der fünftbeliebteste für Neugeborene wäre.
(Ausführliche Begründung:)
Warum die Stadt Wien nur eine der beiden Statistiken an die Medien versendet, kann viele Gründe haben. Der Vorwurf der Verschleierungsabsicht erscheint jedoch angesichts der Untauglichkeit des Versuchs der Täuschung redlicher Journalisten unhaltbar, ist doch mit einem Blick auf die nicht zusammengefasste Statistik sofort erkennbar, dass unter den Bubennamen Mohammad in unterschiedlichen Schreibweisen mehrfach in den vorderen Rängen aufscheint. Zudem ist die vermisste Statistik seit Jahren im Internet abrufbar. Ein Verschweigen wäre selbst gegenüber einem Journalisten, der nicht recherchiert, sondern die übermittelte Statistik bloß oberflächlich betrachtet, unmöglich.
Die vom Kläger vermittelte Aufregung über einen aufgedeckten Missstand lässt bei genauerer Betrachtung jedes Substrat vermissen.“
15. „Radler verletzen 74 Fußgeher“, 2018
Der Stein des Anstoßes, der Kobuk-Artikel, der Richard Schmitt so in Rage brachte, dass er den Rechtsweg einschlug.
Wenn der @RichardSchmitt2 was schreibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht stimmt, recht hoch. Wenn's um Verkehr geht, steigt sie gegen 100%. #kobuk https://t.co/LJ1WEdncrF
— Helge Fahrnberger (@Helge) July 9, 2018
Die richterliche Beurteilung liest sich so:
„Der gesamte Artikel handelt von der Gefahr, die von Radfahrern ausgeht. Durch die übergangslose Aneinanderreihung der oben festgestellten Sätze gewinnt der durchschnittlich verständige Leser der Kronen Zeitung den Eindruck, die elf Verkehrstoten seien auf Unfälle von Fußgängern mit Fahrrädern zurückzuführen. Der Satz davor und der Satz danach handeln ausdrücklich von Radfahrern, nur der entscheidende Satz dazwischen nicht. Nur bei besonders sorgfältigem Lesen und Kenntnis der Verkehrstotenstatistik könnte auffallen, dass der mittlere Satz einen Themenbruch darstellt.
Eine derartige Aufmerksamkeit kann dem durchschnittlichen Konsumenten dieses Boulevardmediums nicht unterstellt werden, der von ihm wahrgenommene Inhalt ist falsch.“
16. Die vermeintliche Spur nach Wien, 2018
In einem Artikel vom 29. September 2018 unter dem Titel „Journalistenmord: Spur nach Wien“ wird in der „Kronen Zeitung“ über den Mord an dem slowakischen Journalisten Jan Kuciak berichtet.
Darin heißt es wörtlich: „Slowakische Auftragskiller erhielten spezielles Training mit halbautomatischen Waffen auf einem Schießplatz in Wien- Stammersdorf.“ Tatverdächte aus dem Mordfall Jan Kuciak sollen also in Wien ausgebildet worden sein.
Die „Kronen Zeitung“ selbst sah sich zwei Tage später, am 30.09.2018, gezwungen eine Richtigstellung vorzunehmen: In dem Artikel mit dem Titel „Wir trainieren keine Mörder!“ wird festgestellt, dass Tatverdächte in der Causa Jan Kuciak niemals in Wien an einem Waffentraining teilgenommen haben, sondern vielmehr in Polen. Das tags zuvor verleumdete österreichische Schulungsunternehmen bekam ausführlich Platz zur Selbstdarstellung.
Glaubwürdigen Quellen zufolge stammt die relevante Falschinformation von Richard Schmitt, er wurde intern entsprechend gerügt. Er selbst verantwortet sich so:
Es wird darauf verwiesen, dass der Kläger für diesen Artikel lediglich die Hintergrundinformation über die Ausbildungsstätte von einem Konkurrenzunternehmen in der Slowakei erhalten und diese weitergegeben hat. Verfasst wurde der genannte Artikel von Frau Martina Prewein und Herrn Christoph Budin.
17. Fälschung eines Demo-Fotos, 2018
Der Artikel Schmitts „Grünen-Politiker in Salzburger Gipfel-Randale“ vom 21. September 2018 veranlasste den Österreichischen Presserat zur Rüge aufgrund eines Verstoßes gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse. Hintergrund war ein manipuliertes Lichtbild, das den damaligen MEP Michel Reimon so darstellt, als wäre Reimon Teil einer gewaltbereiten Demonstration.
Unpackbar: die krone photoshopped sich ihr weltbild zurecht.
nicht zum ersten mal.
demonstrationsbilder besonders gern. https://t.co/pnbzmTlfYu pic.twitter.com/nwNEKN7CuW— Matthias Cremer (@MatthiasCremer) September 21, 2018
Der 2. Senat des Presserats merkte dazu an:
Anscheinend wollten die Redakteure den Grünen- Politiker gezielt mit vermummten und gewaltbereiten Demonstranten in Verbindung bringen.
Schmitt selbst bezeichnete die Bildfälschung als „Collage“.
18. Stimmungsmache mit Messer-Migranten, 2018
Am 04.11.2018 behauptete Richard Schmitt im sowohl auf „Krone.at“ als auch im Print verbreiteten Artikel “GRENZSTURM DROHT – Experten zu ‚Krone‘: ‘Jetzt kommen ganz andere‘”, in Bosnien “hoffen mehr als 20.000 Migranten auf die Chance eines Durchbruchs nach Mitteleuropa. Sie sind bewaffnet, fast alle haben ein Messer“.
Trotz eines Faktenchecks der ARD beim UNHCR, wonach in Bosnien im Jahr 2018 insgesamt 20.000 Migranten registriert wurden, sich aber nie gleichzeitig dort aufhielten, ist der Artikel bis heute unverändert online.
Der Presserat sprach eine Rüge in mehreren Punkten aus.
Das Urteil
Das HG Wien als Erstinstanz hat die Klage Schmitts am 31. August 2020 zur Gänze abgewiesen, das Oberlandesgericht Wien hat dieses Urteil in zweiter Instanz nach einer Berufung Schmitts bestätigt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Der Richter der Erstinstanz, Rat Jürgen Exner, begründete sein Urteil im Wesentlichen damit, dass durchschnittliche Twitter-UserInnen meinen Tweet als Äußerung einer negativen Meinung über Schmitt verstehen.
Zwar sei der Tweet nach seinem Wortlaut grundsätzlich eine Tatsachenbehauptung, allerdings sei für durchschnittliche LeserInnen leicht erkennbar, dass es sich um eine stilistische Übertreibung zwecks persönlicher Kritik an den Publikationen von Richard Schmitt handle; niemand würde ernsthaft davon ausgehen, dass Schmitt zu 100% Falsches publiziere.
In meinem Tweet werde daher ein Werturteil geäußert, für das es eine ausreichende Tatsachengrundlage gebe:
Die festgestellten Unrichtigkeiten mögen nur einen Bruchteil des journalistischen Werkes des Klägers betreffen, reichen jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts aus, um im Zusammenhalt mit der zugestandenen tendenziösen Berichterstattung die vom Beklagten geäußerte Kritik zu rechtfertigen.
Auch für das OLG lag „weder ein Wertungsexzess vor, noch werden die Grenzen zulässiger Kritik überschritten“. Der Kritik liege „ein ausreichendes Tatsachensubstrat zugrunde“.
Die Spende
Als die Klage bekannt wurde und wir einen Rechtshilfetopf einrichteten, kam innerhalb kurzer Zeit die unglaubliche Summe von €13.195 an Spenden zusammen. Eine wunderbare Welle der Solidarität. Herzlichen Dank an alle!
Diese Summe habe ich (abzüglich Nebenkosten), am 2. Juni 2021 als Spende dem Verein Reporter ohne Grenzen Österreich überwiesen.
Ich bin sehr froh, dass ich nicht auf den – inhaltlich bereits ausverhandelten – Vergleich eingegangen bin, denn Schmitt wollte, dass ich die halben Gerichtskosten sowie die Kosten meiner Rechtsvertretung tragen solle. Das war für mich nicht akzeptabel, immerhin habe ich die Spenden nicht erhalten, um schnell den Schwanz einzuziehen, sondern um mich gegen diese Einschüchterungsklage wehren zu können.
Die Spendenempfängerin Reporter ohne Grenzen fand der Richter angesichts Richard Schmitts notorischem Faible für Migrationsthemen übrigens recht lustig.
Gefällt dir der Artikel? Wenn du möchtest, dass wir auch in Zukunft solche Recherchen veröffentlichen können, kannst du uns gerne unterstützen. Hier erfährst du alle Hintergründe.
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Anhang: Die Gerichtsdokumente
Klage Schmitt
Klagsbeantwortung Fahrnberger
Vorbereitender Schriftsatz Schmitt
Vorbereitender Schriftsatz Fahrnberger
Aufgetragener Schriftsatz Fahrnberger
Aufgetragene Replik Schmitt
Urteil des Handelsgerichts Wien
Berufung Schmitt
Berufungsbeantwortung Fahrnberger
Urteil des Oberlandesgerichts Wien (rechtskräftig)
Ausländische Straftäter, vorzüglich aus dem osteuropäischen oder arabischen Raum, haben deutlich höhere Chancen in der Kronen Zeitung zu landen als Österreicher. Eine Spurensuche.
Laut Kriminalstatistik waren im Jahr 2017 fast zwei von drei (60,9%) aller angezeigten Personen Österreicher. Fast 40 Prozent waren Ausländer, wobei hier Touristen und alle anderen, die nur kurz im Land sind, mitgerechnet werden.
Wir wollten wissen, wie das Verhältnis zwischen inländischen und ausländischen Tatverdächtigen in den Berichten der Kronen Zeitung aussieht. Wie oft bringt die Krone bei unterschiedlichen Delikten Fälle, in denen die Täter Ausländer sind? Und wie groß ist dem gegenüber ihr Anteil in der offiziellen Statistik?
Wir haben 324 Berichte der Kronen Zeitung aus dem Jahr 2017 untersucht, in denen es um verschiedene Kriminalfälle ging. In 188 dieser Artikel waren die Tatverdächtigen ausländischer Herkunft, das entspricht fast 60 Prozent aller Berichte. Lediglich 76 Artikel drehten sich um österreichische Tatverdächtige, in den übrigen 60 wurde keine Herkunft explizit genannt.
Aber nicht nur wie oft, sondern auch wie – mit welchen Bezeichnungen, Sprachbildern und Zuschreibungen ausländische Kriminelle im Vergleich zu österreichischen vorkommen, ist durchaus bemerkenswert. Das dominierende Bild in der Kronen Zeitung: Osteuropäer, Afrikaner und Geflüchtete – vor allem Afghanen, Syrer und Iraker – sind nicht nur kriminell, sondern besonders „brutal“, „aggressiv“ und handeln aus niederen oder gar keinen erkennbaren Motiven. Bei inländischen Tatverdächtigen waren solche Zuschreibungen selten zu finden.
Die Realität der Krone 2017 und die Realität der Anzeigenstatistik:
Quelle: Eigene Erhebung, Sicherheitsbericht 2017 des BMI.
Wenn die Kronen Zeitung etwa über Sexualdelikte schreibt, dann sind in 89 Prozent der Berichte die Verdächtigen Ausländer. Ihr Anteil laut Statistik liegt hingegen bei nur 40 Prozent. Bei Artikeln zu Morden, Einbrüchen, Diebstählen und Raub ist dieses Missverhältnis zwar deutlich kleiner, aber wie die Krone berichtet, ist auch hier mitunter problematisch. Aber schauen wir uns einige der einzelnen Delikte im Detail an:
1. Wo sind die heimischen Dealer?
Bei Berichten über Drogen vermittelt die Krone das Bild, dass Dealer fast ausschließlich aus Afrika, Afghanistan und Osteuropa kommen. Österreicher sind eher selten in der Rolle der Tatverdächtigen, obwohl sie laut Statistik 63,2% der Tatverdächtigen ausmachen. Und obwohl deutsche Staatsbürger im Ranking der fremden Tatverdächtigen nach dem Suchtmittelgesetz den vierten Platz besetzen, haben wir für das Jahr 2017 keinen einzigen Artikel in der Krone über einen deutschen Drogendealer gefunden.
Das Verhältnis von ausländischen zu inländischen Drogendealern wird in der Krone auf den Kopf gestellt: Laut Kriminalstatistik waren 2017 zwei von drei Dealern Österreicher. In der Krone sind jedoch zwei von drei Dealern Ausländer:
- Von 46 ausgewerteten Artikeln im Bereich Suchtmittelkriminalität mit eindeutiger Herkunftsbezeichung sind in 30 Artikeln die Tatverdächtigen Nicht-Österreicher sind, das entspricht 65%.
- In 16 Artikeln über Drogenkriminalität kommen die Tatverdächtigen aus Österreich.
- In 4 weiteren Artikeln gibt es keine Herkunftsbezeichnung.
Zudem gibt es immer wieder sprachliche Unterschiede: Während bei österreichischen Tätern oft auf die Hintergründe einer Tat eingegangen wird und man eher Einzelfälle beschreibt, pauschalisiert die Krone die Straftaten von Ausländern und schreibt ihnen negative Eigenschaften wie Brutalität und Aggressivität zu.
So heißt es in einem Artikel zu einem Dealer aus Marokko „… wenig überraschend im Dunstkreis der Nordafrikanerszene“.
Wo hingegen die Krone bei österreichischen Tätern ein nachvollziehbares Motiv in den Vordergrund rückt: „Lehrling besserte mageres Gehalt mit Drogenhandel auf.“
(Für vollständigen Artikel Bild anklicken)
In dem folgenden Fall aus Tirol geht es um einen 38-jährigen Langzeitarbeitslosen, der mit dem Dealen seine Sucht finanziert:
(Für vollständigen Artikel Bild anklicken)
Bei ausländischen Dealern zeigen die angegebenen Gründe eher, was für einen hedonistischen Lebensstil sie führen – Foto inklusive. Drei Mal erwähnt die Kronen Zeitung im folgenden Artikel, dass der Dealer einen S-Klasse Mercedes fährt:
2. Wo sind die heimischen Sexualverbrecher?
2017 wurden 2.501 Tatverdächtige wegen Vergewaltigung, sexueller Missbrauch oder sexuelle Belästigung, angezeigt. Davon waren 1.007 Ausländer, was 40% der Tatverdächtigen entspricht.
Die Kronen Zeitung vermittelt jedoch ein verzerrtes Bild von Sexualkriminalität: In 34 von 38 Artikeln mit eindeutiger Herkunftsbezeichnung waren die Tatverdächtigen Nicht-Österreicher, was 89% ausmacht, also mehr als doppelt so viele als in der Statistik des Innenministeriums. (Aus weiteren 22 untersuchten Artikeln war die Herkunftsbezeichnung nicht eindeutig ablesbar.)
Sieht man sich die Berichte genauer an merkt man, dass die Krone auch sprachlich einen Unterschied zwischen Inländern und Ausländern macht. So steht etwa bei ausländischen Tätern die Brutalität im Vordergrund:
Mit der Verurteilung ihres Peinigers ist […] ein Albtraum zu Ende gegangen. Er schlug, trat, fesselte und vergewaltigte seine Freundin […] immer wieder bestialisch.
(Für vollständigen Artikel Bild anklicken)
Außerdem werden bei ausländischen Tätern Erklärungen oder Begründungen für ihre Straftat meist in Zweifel gezogen.
Bursch redete sich auf psychische Probleme und Drogen aus
(Für vollständigen Artikel Bild anklicken)
Wenn es sich jedoch um Inländer handelt, sieht die Berichterstattung anders aus. Hier werden manchmal sogar die Aussagen des Opfers in Zweifel gezogen. Aus einem potenziellen Vergewaltigungsfall wird dann kurzerhand „Wilder Sex im Prater“.
Sie behauptet, […] vergewaltigt worden zu sein.
3. Tragödien, psychische Probleme und Brutalität
Während sich Morde sowohl in der Krone-Berichterstattung als auch in der Anzeigenstatistik etwa zu gleichen Teilen auf österreichische und ausländische Tatverdächtige verteilen, fiel uns bei der Recherche auf, dass besonders österreichischen Tatverdächtigen und Tatverdächtigen ohne explizite Herkunftsbezeichnung oft eine psychische Erkrankung zugeschrieben wird:
4. Viele pauschale Verurteilungen
Ob man die Herkunft in der Kriminalberichterstattung nennen soll oder nicht, sorgt immer immer wieder für Diskussionen. Im Ehrenkodex für die österreichische Presse gibt es dazu keine Empfehlung, während das deutsche Pendant darauf verweist, dass “die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens” führen sollte. Deswegen steht man Herkunftsbezeichnungen eher kritisch gegenüber, da dadurch Vorurteile gegenüber Minderheit geschürt werden könnten. Wenn eine Bevölkerungsgruppe überdurchschnittlich oft kriminell wird, ist es natürlich auch die Aufgabe von Journalisten, das zu berichten und die Hintergründe zu erklären. Es gibt aber einen Unterschied, ob man ein gesellschaftliches Phänomen beschreibt, erklärt und einordnet, oder ob man mit der Berichterstattung Feindbilder schafft bzw. letztlich ein völlig verzerrtes Bild der Realität vermittelt.
Wir wollten von der Kronen Zeitung gerne wissen, warum sie mehr über ausländische als über österreichische Täter berichtet, haben aber leider keine Antwort auf unsere Anfrage bekommen.
Co-Autorin: Souha Khemiri
Exkurs: Methodik und Rohdaten
Wir haben uns mit einer großen Zahl an Schlagworten, wie „Dealer“, „Dieb“, „Mord“, etc im Onlinemanager der APA einen Überblick über die Kriminalberichterstattung der Kronen Zeitung in ganz Österreich verschafft. Im nächsten Schritt haben wir Artikel zu Einbrüchen, Diebstählen und Raub, Mord und Totschlag sowie Drogen- und Sexualdelikten ausgewertet und uns dabei angesehen, ob die Nationalität der Täter – egal ob Österreicher oder Ausländer – genannt wurde, wo im Text die Herkunftsbezeichnungen zu finden waren (Überschrift, Lead oder Fließtext) und ob auch andere Medien über die Straftaten berichtet haben.
Diese Ergebnisse haben wir mit der Kriminalstatistik 2017 verglichen, um zu sehen, ob es in manchen Bereichen eine verzerrte Berichterstattung gibt. Da wir uns sehr spezifische Straftaten angesehen haben, die ausgewählt wurden, weil sie oft für Diskussionen sorgen und sehr polarisierend sind, waren nur die Zahlen bestimmter Delikte für die statistische Auswertung relevant. Für die Grafik haben wir die statistischen Daten mit unserer Auswertung verglichen, wobei wir alle Beiträge ohne explizite Herkunftsnennung abgezogen haben.
Bezeichnungen wie „der gebürtige Inder“ oder der „türkischstämmige Vater“ haben wir mit Berichten anderer Medien verglichen, um zu klären, ob die Tatverdächtigen die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, um möglichst genau und fehlerfrei auszuwerten. Bei Tätergruppen, die sowohl Österreicher als auch Ausländer umfasst haben, wurde der Artikel je nach Mehrheitsverhältnis zu den inländischen oder ausländischen Tatverdächtigen gezählt.
Update: In der ersten Version dieses Artikels war der Anteil der ausländischen Sexualstraftäter in der Krone statt mit 89% mit 68% ausgewiesen, da Tatverdächtige mit unklaren Angaben zur Staatsbürgerschaft versehentlich als Österreicher gerechnet wurden. Sie werden nun in der Berechnung nicht berücksichtigt.
Verbot von Heilkräutern, Ende der freiwilligen Feuerwehr, nie mehr knusprige Pommes, schenkt man der Kronen Zeitung Glauben, so gibt es wenig, was nicht bereits der EU-Regulierungswut zum Opfer gefallen ist.
Ich habe mir die Berichterstattung der Krone im Jahr 2018 genau angesehen und sieben große Kampagnen identifiziert, in denen die EU regulierungswütiger dargestellt wurde, als sie eigentlich ist.
Vor allem im Zusammenhang mit neuen Regulierungsvorhaben ist es laut Krone meist die EU, die uns etwas wegnehmen, verbieten oder streichen will. Eine Differenzierung, wer eigentlich die EU ist, unterbleibt meist. Die Krone framed die EU negativ und geht kaum auf konkreten Vorgänge in den EU-Organen ein. Die jeweilige Gegenseite kommt nicht zu Wort.
1. Der EU-Angriff auf unsere Bioprodukte
Die Krone schreibt: „Die EU plant [… ] zugunsten der großen Agrarkonzerne einen Anschlag auf Österreich als weltweites Bioland Nummer 1.“ Für den Leser wirkt das, als würde die Europäische Union durch ein neues Gesetzesvorhaben die österreichischen Standards bei Bio-Lebensmitteln gefährden. In Wirklichkeit ist es aber nicht „die EU“, die den besagten „Angriff auf unsere Bioprodukte“ plant. Änderungsantrag 361, von dem die Kronen Zeitung schreibt, war nämlich nicht „von der EU“, sondern von vier deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments eingebracht worden, und das nicht im Plenum, sondern nur im Landwirtschaftsausschuss.
Deren Argumente für den besagten Änderungsantrag, mit dem verhindert werden soll, dass Handelsketten den Herstellern höhere als die gesetzlichen Umwelt- und Tierschutznormen vorschreiben können, kommen in dem Krone-Bericht allerdings nicht vor. Dieser Artikel der Tiroler Tageszeitung beispielsweise nennt diese Argumente:
Dadurch sollen kleine Produzenten entlastet werden, die oft zu Dumpingpreisen Waren für die Eigenmarken der Handelsketten produzieren und dabei deren hohe – sprich teure – Standards garantieren müssen – oder aus dem Regal fliegen.
In der Krone kommen lediglich die Gegner dieses Antrages zu Wort, nämlich Umweltschützer und Supermarkt-Ketten. Der Lebensmittelhändler Spar, der zu einem der wichtigsten Werbekunden der Kronen Zeitung zählt, kommt in beiden Berichten mit Bildern und Zitaten vor.
Weiterführende Informationen:
Die neue Richtlinie soll vor allem die faire Behandlung von kleineren Akteuren in der Lebensmittelversorgungskette sicherstellen, also Bauern und kleinere Betriebe (nicht hingegen „große Agrarkonzerne“), die große Handelsketten beliefern, vor unfairen Geschäftspraktiken schützen. Das wird auch durch die Folgenabschätzung zum Richtlinienvorschlag so festgehalten. Dieses Richtlinienvorhaben hat nun vor kurzem den Landwirtschaftsausschuss des EU-Parlaments passiert, wo Änderungsantrag 361 eingebracht wurde, den die Kronen Zeitung als „EU-Angriff auf Bio“ bezeichnet. Dass der Änderungsvorschlag nicht von der EU-Kommission ausging, sondern von vier deutschen CDU/CSU-Abgeordneten eingebracht wurde, erkennt man als Leser nicht sofort. Erst viel weiter unten im Bericht schreibt die Kronen Zeitung von den „vier bayrischen CSU-Abgeordneten“, die den Antrag einbrachten – per se schon eine Ungenauigkeit, denn drei der vier Antragsteller sind in Wirklichkeit CDU-Abgeordnete und stammen auch nicht aus Bayern, sondern aus Baden-Württemberg, Sachsen und Niedersachsen.
Außerdem schreibt die Krone:
„geht der besagte Änderungsantrag 361 beim Landwirtschaftssausschuss […] durch, würde das bedeuten, dass Supermarktketten bei ihren Eigenmarken nicht mehr erhöhte Forderungen an die Produzenten stellen können“
Auch diese Aussage ist so nicht richtig: Ein Änderungsantrag einzelner Abgeordneter muss zunächst im Ausschuss beschlossen werden. Der Entwurf des Ausschusses für sämtliche Änderungen der Richtlinie findet sich hier. Nachdem der Gesetzesentwurf im Ausschuss beschlossen wurde, muss anschließend im Plenum des EU-Parlaments über ihn abgestimmt und er danach vom Rat bestätigt werden, der ebenfalls Änderungsvorschläge einbringen kann.Vom Ausschuss zur fertigen Richtlinie ist es also noch ein weiter Weg.
2. Die EU lässt Tier-Mord zu
Die Kronen Zeitung suggeriert, dass die EU nichts unternehme, um den Vogelschutz in Europa zu gewährleisten. Auch hier wird deutlich: Die Kronen Zeitung wirft alle Akteure in der EU in einen Topf und erklärt die reißerische Headline nicht weiter. Erst im Abschlusssatz des Berichts kommt ein FP-Europamandatar zu Wort, der „Brüssel“ unterstellt, dem Vogelfang „tatenlos“ zuzusehen. Unklar bleibt, worin die Untätigkeit der EU eigentlich besteht. Ein Hinweis darauf, dass erst im Juni 2018 der EuGH entschieden hat, dass Malta durch exzessiven Vogelfang gegen die genannte europäische Vogelschutzrichtlinie verstoßen hat, also sehr wohl bereits ein „Tätigwerden“ seitens „der EU“ stattgefunden hat.
Weiterführende Informationen:
Zwar informiert Birdlife Österreich in einer Presseaussendung, dass der illegale Vogelfang vor allem im Mittelmeerraum für Zugvögel tatsächlich eine Bedrohung darstellt. Der Krone-Bericht erweckt jedoch den Anschein, dass die Einhaltung der oben erwähnten Vogelschutzgesetze von der EU nicht überwacht und dem illegalen Vogelfang nicht entgegengetreten wird. Dabei lässt der Krone-Bericht die bereits oben genannte Entscheidung des EuGH unerwähnt, wonach Malta durch exzessiven Vogelfang gegen die genannte Richtlinie verstoßen hat. Konsequenz einer solchen Entscheidung des EuGH ist, dass der entsprechende Mitgliedsstaat zunächst nationale Maßnahmen ergreifen muss, um dem Urteilsspruch zu entsprechen. Tut der Mitgliedsstaat das nicht, kann der EuGH in weiterer Folge auch Strafen gegen den Mitgliedsstaat verhängen.
3. Die EU will Grenzkontrollen verbieten
Die Krone erweckt den Eindruck, dass sich die Europäische Union unberechtigterweise in die Grenzpolitik der Mitgliedsstaaten einmische. Was die Headline allerdings nicht transportiert: Österreich ist freiwillig dem grenzkontrollfreien Schengen-Raum beigetreten, die Kontrollen an der österreichischen Grenze wurden 2015 als vorübergehende Maßnahme anlässlich der vermehrten Migration in die EU eingeführt. „Brüssel“ will uns also nichts verbieten, stattdessen geht es um eine Aufforderung der Europäischen Kommission an Österreich zum vertragsgemäßen Zustand zurückzukehren – der die Österreichische Regierung im Übrigen nicht gefolgt ist.
Außerdem auffällig: Einer der Berichte ist mit einem Foto aus 2015 bebildert, das eine große Zahl Flüchtlinge beim Passieren der griechisch-mazedonische Grenze zeigt. Durch das Foto wird beim Leser das Bild der „Flüchtlingsströme“ geweckt, obwohl die Anzahl der Asylanträge seit 2015 massiv gesunken ist (2015 gab es fünfmal so viele Asylanträge als 2018).
Weiterführende Informationen:
4. Der EU-Anschlag auf unser Trinkwasser
Zwischen Juni und Oktober habe ich sieben Krone-Artikel (Print und online, weitere in den Regionalausgaben) zur EU-Trinkwasserrichtlinie gefunden. Sie alle haben gemeinsam: Die EU wird durchwegs negativ geframed. Einerseits kritisiert die Kronen Zeitung mehrfach unter Verwendung von drastischem Wording („Unserem Trinkwasser droht ein Anschlag durch die EU“), dass durch die reformierte Richtlinie eine kostenmäßige Mehrbelastung für Trinkwasserversorger zu erwarten sei. Andererseits hebt sie besonders hervor, dass durch die Gesetzesänderung auf EU-Ebene heimische Gastronomen verpflichtet würden, in Gaststätten gratis Trinkwasser auszuschenken. Eine solche Verpflichtung ist in der Richtlinie jedoch nicht vorgesehen.
Was aus der Krone-Berichterstattung allerdings nicht hervorgeht: Die Neufassung der Richtlinie ist Ergebnis der Europäischen Bürgerinitiative „Right2Water“ und zielt auf einen EU-weit verbesserten Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser ab.
Argumente für die durch die Richtlinie initiierten Änderungen werden in der Krone-Kampagne wenig bis gar nicht genannt, stattdessen kommen jene ausführlich zu Wort, die den Richtlinienvorschlag kritisieren. Und: auch bei diesem Beispiel wird „die EU“ pauschal als Aggressor dargestellt, eine Differenzierung der handelnden Akteure auf EU-Ebene sowie der Inhalte der kritisierten Rechtsvorschriften bleibt aus.
Weiterführende Informationen:
Die Kronenzeitung macht allerdings vor allem Stimmung mit der Behauptung, dass der Richtlinienentwurf vorschreibe, dass „sämtliche heimischen Gastronomen zukünftig für Leitungswasser nichts mehr verlangen dürfen“. Untersucht man den Richtlinienentwurf nach einer solchen Bestimmung, wird man nicht fündig. Stattdessen findet man Artikel 13, der vorsieht, dass die Mitgliedsstaaten erforderliche Maßnahmen zu ergreifen haben, um den Zugang zum Wasser für alle zu verbessern. Dazu zählt laut Richtlinienentwurf auch die „Förderung der kostenlosen Bereitstellung solchen Wassers in Restaurants, Kantinen und im Rahmen von Verpflegungsdienstleistungen“.
Konkrete Maßnahmen zu ergreifen bleibt aber in jedem Fall der Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten vorbehalten. Eine umfassende – und vor allem ausgewogene – Berichterstattung zum Diskussionsthema „Wasser“ liefern der Standard hier und die Presse hier.
5. Die EU gegen Rasentraktoren und Golfwagerl
Die Krone schreibt:
Brüssel strebt […] eine Haftpflichtversicherung für Rasenmähertraktoren und Golfwagerl an – selbst wenn sie nur auf Privatgrund gefahren werden!
Dadurch entsteht der Eindruck, dass durch eine neue EU-Richtlinie Mehrbelastungen in Form von neuen Versicherungspflichten auf die ÖsterreicherInnen zukommen. Die Krone setzt aber auch hier wieder auf unvollständige Darstellungen um die EU negativ zu framen:
Große Veränderungen kommen durch den neuen Richtlinienvorschlag nämlich gar nicht auf uns zu. Dieser konkretisiert nämlich, was ohnehin schon EuGH-Rechtsprechung ist – und will im übrigen den Versicherungsschutz von Opfern von Kraftfahrzeugunfällen verbessern. Diese Hintergrundinformationen unterschlägt die Kronen Zeitung allerdings.
Weiterführende Informationen:
Das ist aber nur zum Teil zutreffend: Ein genauer Vergleich der „alten“ Richtlinie und des neuen Entwurfs ergibt, dass die Begriffsdefinition der Fahrzeuge, die der Versicherungspflicht unterfallen (und somit der Anwendungsbereich der Richtlinie), gar nicht erweitert wurde, wie die Kommission auch in den FAQs zum Richtlinienentwurf erläutert. Erweitert wurde die Regelung nur dahingehend, dass nun eine Definition der „Verwendung eines Fahrzeuges“ eingefügt wurde, die auch die Verwendung auf privatem Grund miteinbezieht. Dadurch soll in der neuen Richtlinie berücksichtigt werden, was ohnehin schon der Rechtsprechung des EuGH entspricht.
6. Die EU will unseren Bauern Millionen streichen
Die Krone schreibt:
Die EU will unseren Bauern 80 Millionen Euro streichen […] stattdessen sollen XXL-Agrargabriken gefördert werden
Während stimmt, dass das EU-Budget für die Agrarpolitik in den nächsten Jahren gekürzt werden soll, ist eine Förderung von „XXL- Agrarfabriken“, wie sie die Kronen Zeitung behauptet, im neuen Budgetvorschlag nicht vorgesehen. Im Gegenteil – geplant ist die Deckelung von Direktzahlungen in der Landwirtschaft, um kleine und mittlere Betriebe sowie Junglandwirte anstatt großer Agrarbetriebe zu unterstützen.
Mit weiteren Informationen geizt die Krone. Die Bauernzeitung, das Organ des österreichischen Bauernbundes, zählt die „wichtigsten inhaltlichen Eckpunkte des Kommissionsvorschlags“ auf:
- Mehr Flexibilität für die Mitgliedsstaaten
- Obergrenzen, Vorrang kleiner und mittlerer Betriebe sowie von Junglandwirten
- Größere Ambitionen beim Umwelt- und Klimaschutz
- Stärkere Nutzung von Kenntnissen und Innovation
Details dazu erfährt man in der Krone nicht. Dafür ist der Artikel mit einem Foto der Bundesministerin während eines „Einsatzes“ für unsere Bauern illustriert:
Das Foto sieht nicht nur aus wie ein Werbefoto, es ist auch eines: Auf der Website des Bauernbundes ist es mit den Foto-Credits „ÖVP/David Gollner“ versehen. Siehe auch „Die Zeitungen sind voller Foto-Propaganda von Kurz und Kern„.
Weiterführende Informationen:
7. Die EU bestraft Bauern für Almauftriebe
Die Krone schreibt:
Während internationale Agro-Konzerne von der EU mittels dubioser Freihandelsabkommen […] mit Millionen gefüttert werden, kennt Brüssel bei unseren Bergbauern keine Gnade: Nur weil sie ein oder maximal drei Kühe zu viel auf die Alm getrieben haben, werden sie jetzt hart bestraft!
Auch hier wird „die EU“ von der Kronen Zeitung wieder einmal als maßregelnde Akteurin dargestellt, die „uns“ bestraft. Die Krone arbeitet allerdings mit verdrehten Tatsachen: Statt einer Strafe durch die EU ging es um eine Rückzahlung von irrtümlich ausbezahlten Förderungen – was nur bei sehr genauer Lektüre der beiden Berichte herauszulesen ist. Und: die Gegenseite kommt nicht zu Wort, stattdessen wird einseitig mit blumigen Formulierungen („die saftige Alm“) Stimmungsmache für österreichische Bauern als „offensichtliche Opfer der Brüsseler Agrar-Bürokratie“ betrieben.
Weiterführende Informationen:
Hier kann zwar die nachträgliche Verpflichtung zur Rückzahlung und das Berechnungssystem zugegebenermaßen kritisiert werden – die Headline „EU bestraft unsere Bauern“ erscheint aber angesichts der Tatsachen doch etwas überzogen.
Fazit
Bei aller Kritik, die an Gesetzesvorhaben auf Europäischer Ebene geübt werden kann (und sollte), zeigen diese Beispiele deutlich, wie die Kronen Zeitung mit immer denselben Frames negative Stimmung gegen die Europäische Union oder gegen„Brüssel“ macht.
Dabei bleibt meist unerwähnt, dass Österreich als Mitgliedsstaat der EU in allen EU-Organisationen vertreten ist, Entscheidungsprozesse mitgestaltet und vor allem für deren endgültige Umsetzung in österreichische Gesetze maßgeblich verantwortlich ist.
Die Salzburger Krone schrieb im vergangenen Jahr monatelang gegen einen geplanten Windpark an. Mit einseitigen Informationen, verzerrten Fakten und Verunglimpfungen der Gegenseite. Die Kampagne endete schlagartig, als der Chefredakteur in Pension ging, was möglicherweise kein Zufall war.
Über Windräder kann man sich schon mal streiten. Groß sind sie, ja. Und auch nicht wirklich schön. Wenn sie so mitten im Salzburger Lungau stehen würden, dann könnten sie schon manchen ein Dorn im Auge sein, diese hunderte Meter hohen Monster. Auf der anderen Seite hat so ein Windrad auch seine Vorteile. Die ressourcenschonende Energieproduktion zum Beispiel, oder dass der Bau so eines Windradparks einige Arbeitsplätze schafft.
Acht Stück hätte die Lungauwind GmbH gerne errichtet, in Salzburg, auf dem Fanningberg in Weißpriach, einem Skigebiet. Sie musste das aber Projekt stoppen. Der Grund: Man wollte die Bevölkerung nicht spalten – zu viel war schon über die Windräder gestritten worden.
Die Posse um den Fanningberg
Woran das wohl liegen kann? Immerhin gibt es einige Windparks in Österreich, etwa in Bruck an der Leitha, wo 2000 mit Bürgerbeteiligung Windräder errichtet wurden, oder den Tauernwindpark, der lange Zeit den Rang als höchstgelegener Windpark Europas hatte. Auch wenn es immer wieder Kritik an Windradprojekten gibt– die Kritik an Fanningberg hatte ein völlig anderes Ausmaß.
Denn weder in Bruck an der Leitha, noch in den Niederen Tauern fuhr die Krone eine derart exzessive Kampagne gegen den Bau der Windräder. Zum Vergleich: Ganze zwölf Texte widmete die Krone damals der Errichtung des Tauernwindparks. Lesebriefe eingeschlossen veröffentlichte die Krone im vergangenen Jahr hingegen 210 Texte über Windräder – der weitaus größte Teil betraf den Windpark im Lungau.
Sind Windräder vielleicht einfach interessanter geworden über die Jahre? Wenn, dann nur für die Krone. Laut einer Auswertung der APA widmete der Kurier dem Thema Windräder in der selben Zeit 70 Texte, bei Österreich waren es 29 und bei Heute gar nur neun. Selbst die lokalen Salzburger Nachrichten beschäftigten sich nicht einmal in halb so vielen Texten mit dem Thema, wie die Krone.
Der Startschuss für die Kampagne fällt am 16. Juni 2018 mit einer Doppelseite. „Was in Salzburg droht“ prangt am Titel. Bilder der Idylle und eines massiven Windrades verdeutlichen, welche Monster im Anmarsch sind. Und wer Schuld ist? Die Grünen. Diese seien „eine Gefahr“. Hier handelt es sich wohlgemerkt um keinen Kommentar, sondern um einen scheinbar neutralen Bericht.
Am 22. Juli dann folgt der erste Leserbrief – ein beliebtes Mittel der Krone, um eine öffentliche Meinung darzustellen, die so vielleicht nicht unbedingt die tatsächliche Meinung der Menschen abbildet.
In dem Leserbrief ist ironischerweise die Rede von einer Kampagne der Windradinitiatioren. Dankenswerterweise wird auch gleich angeführt, was denn so eine Kampagne kennzeichnet. Vier Dinge seien das, nämlich:
- Die Bevölkerung wird nur einseitig informiert (einzig von den Windkraftbetreibern und –befürwortern).
- Wichtige (negative) Fakten werden zurückgehalten.
- Kritiker kommen nicht zu Wort, werden ignoriert oder gar unter Druck gesetzt.
- Alle Beteiligten am Projekt werden mit dem Versprechen eines regelrechten „Geldregens“ geködert.
Lassen Sie uns gemeinsam prüfen, ob denn die Krone ihre eigenen Anforderungen einer Kampagne erfüllt. Ich habe sämtliche zum Windpark im Lungau in der Krone erschienenen Texte analysiert und geprüft, wie ausgewogen, wie groß, wie angsteinflößend das Boulevardblatt berichtet.
Das Ding mit den Titelseiten
Die Titelseite einer Zeitung hat eine klare Funktion: Auf den ersten Blick zu zeigen, was die wichtigsten Nachrichten an diesem Tag sind. Blätterte man die Krone im Zeitraum von August bis November durch, wurde klar: Windräder bewegen die Welt. Immerhin auf neun Titelseiten erwähnt die Krone die Windräder.
Mal sind es nur Zweizeiler, mal riesige Bilder, doch sie alle haben gemein: Ihre Aussage ist, dass keiner die Windräder haben will.
Im Blattinneren findet sich ein Konvolut an mehr oder weniger ausgewogenen Berichten, ganze Doppelseiten sind voll mit Stimmen von Wirten, deren Geschäft verübelt wird, von Kämpfern gegen den Windrad-Wahnsinn und von Argumenten gegen den geplanten Park. Seitenweise argumentieren Alpenvereine gegen die Zerstörung der Idylle, werden Bilder von Vögel gezeigt, die den Monstern zum Opfer fallen würden, und Titel wie „Salzburg braucht keine riesigen Windräder“ veröffentlicht. Nicht zu kurz kommen dabei selbstverständlich die Grünen, die an allem Übel schuld sein sollen.
Der Chef selbst schreibt
Bei der Lektüre des facettenreichen Verrisses fällt eine Sache auf: Viele der Texte sind vom damaligen Chefredakteur der Salzburger Krone, Hans Peter Hasenöhrl, höchstpersönlich geschrieben. Auch mit Kommentaren geizt er nicht, Mitte Oktober etwa vergleicht er das drohende Windradungeheuer mit einer Erdbebenkatastrophe und einer Hitzewelle und betet den Lesern vor: „Herr, bewahre den Lungau vor den Windrädern“.
Ende September dann ruft er auf, Salzburg vor den Grünen zu schützen, weil sie – was sonst – mit ihrem Öko-Strom alle in Gefahr bringen.
Ganz Salzburg hasst Windräder
Doch was wäre die Krone, würde sie nur die Meinung ihres Chefredakteurs wiederspiegeln? Selbstverständlich steht doch sicher ganz Salzburg hinter ihm, oder nicht? Diesen Eindruck erweckt das Blatt jedenfalls, in dem alle paar Tage wütende Leserbriefe gedruckt werden. Von Windrädern als „Störfaktor“ ist da etwa die Rede, oder von einem „Verbrechen an der Natur und den Bergen“. Ja, ganze Gedichte widmen die Krone-Leser dem Thema – wohlgemerkt, diese drei Beispiele wurde in nur einer Woche veröffentlicht. Dutzende weitere Beispiele lassen sich in der Salzburger Krone finden.
Sieht so die Meinung der Salzburger aus? Wer nur die Krone liest, könnte das denken. Wäre da nicht eine repräsentative Umfrage unter 800 Salzburgerinnen und Salzburgern über 16 Jahren, in der sich 93 Prozent der gefragten für Windräder aussprechen.
Wie ist das mit der Einseitigkeit?
Zurück also zu den Merkmalen einer Kampagne: Die einseitige Information, die Fakten, die zurückgehalten werden, die Kritiker, die nicht zu Wort kommen und falsche Versprechungen. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Doch halt, eine Sache darf man der Krone nicht unterschlagen. Sie hat sehr wohl Stimmen von Lesern veröffentlicht, die Windkraft gegenüber positiv eingestellt sind. Nämlich exakt eine.
„Windräder sind schirch“
Was also ist der Grund für eine dermaßen breit aufgestellte Kampagne? Sind es finanzkräftige Inseratenkunden, in deren Interesse die Krone Salzburg schon einmal eine massive Kampagne fuhr, wie das Beispiel Spar zeigt? Oder gibt es eine viel einfachere Erklärung?
Möchte man Franz Baksa, einem der Geschäftsführer der Lungauwind GmbH glauben, so ist der Grund erschreckend simpel: Hans Peter Hasenöhrl mag keine Windräder. „Er vertritt persönlich die Meinung, Windräder sind schirch“, sagt Baksa. Er habe versucht, mit Hasenöhrl Kontakt aufzunehmen, sei aber leider nicht zu ihm durchgedrungen. Die Lungauwind GmbH legte jedenfalls schlussendlich die Widmung zurück, und das Projekt auf Eis, bis sich die Stimmung in der Region vielleicht wieder ändert. „Wie wollten endlich raus aus den Medien“, sagt Baska, „sonst hätten wir keine Ruhe mehr gehabt.“ Laut Baksa verbreitete die Krone zahlreiche Unwahrheiten gegen das Projekt, rechtlich dagegen vorgehen wolle er jedoch nicht: „Was bringt’s denn?“, fragt Baksa, „Die Krone schreibt, wovon sie glaubt, dass die Mehrheit es denkt. Und dann übernehmen die Krone-Leser diese Meinung.“
Die dünnen Nerven der Politik
Könnte es vielleicht sein, dass Windräder am Fanningberg tatsächlich fehl am Platz sind? Projektentwickler, die Windräder bauen müssen, müssten diverse Kriterien prüfen. Sie müssen den Vogelzug beobachten, Schallemissionsberechnungen durchführen und Abstandregeln überprüfen. Ob der geplante Windpark am Fanningberg diesen Kriterien entspricht, kann ich als Laie in Windradfragen freilich nicht beantworten.
Es gibt aber jemanden in Salzburg, dessen Meinung zu dieser Kampagne spannend zu hören ist: Franz Kok. Der ist nämlich nicht nur Politikwissenschafter an der Universität Salzburg, sondern war dazu lange Zeit im Windrad-Business – er war Gesellschafter zweier Windkraft-Unternehmen von deinen eines in Konkurs ging und ein anderes sich in Liquidation befindet. Und er ist Teil der Berichterstattung in der Krone: Weil er sich einst für einen Platz auf der Grünen Liste bei der letzten Nationalratswahl bewarb, ihn aber nicht bekam, ist Kok laut Krone mitten in der Grünen Verschwörung, die das Skigebiet zerstören will.
Er sagt: „Wir haben in Salzburg noch keine Erfahrung mit Windenergie, das öffnet Tür und Tor für Veto-Player“, und meint damit, dass komplexe Genehmigungsverfahren und eine Politik, die kurz vor der nächsten Gemeinderatswahl dünne Nerven hat, dazu führen, dass mediale Kampagnen noch stärker einschlagen als ohnehin schon. Dazu komme, dass die Tourismusindustrie der Politik im Nacken sitze und sich darum sorge, ob Windräder in einem Skigebiet ein schlechtes Image für die Region bringen würden. Laut Kok gebe es außerdem einen interessanten Schnittpunkt: Chefredakteur Hasenöhrls Abneigung gegen Windräder und seine Abneigung gegen die Salzburger Grünen – die einzigen, die realpolitisch den Ausbau der Windkraft in Salzburg forcieren würden. Auch Franz Kok sagt, er hätte Hasenöhrl mehrmals das Gespräch angeboten. Erfolglos.
Was der Chefredakteur dazu sagt
Aber kann das wirklich stimmen? Hat hier tatsächlich ein Chefredakteur seine publizistische Macht missbraucht und sein persönliches Ästhetikempfinden als Berichterstattung verkauft? Kobuk hat Hans Peter Hasenöhrl kontaktiert und ihn mit den Vorwürfen konfrontiert. Wir wollten von ihm wissen, was der Grund für die ungewöhnlich vielen negativen Berichte war, warum es in vergleichbaren Fällen diese Art der Berichterstattung nicht gab, warum die Gegenseite so selten zu Wort kam, ob er auf die Gesprächsangebote von Baska und Kok einging und wie er die Berichterstattung zu den Windrädern rückblickend sieht. Er antwortet schriftlich und schreibt: „Persönliche Befindlichkeiten spielen in der Krone keine Rolle. Ich habe weder was gegen Windräder noch gegen Flusskraftwerke, es sei denn (…) Naturlandschaften werden zerstört.“ Andere Windparks „in der unendlichen Weite von St. Pölten“ fände er gut, außerdem wäre nicht nur die Krone, sondern auch der Alpenverein gegen das Projekt. Weder von Kok, noch von Baksa seien schriftliche Stellungnahmen bei der Krone eingelangt.
Doch der Windrad-Spuk nahm ohnehin im November sein Ende. Nämlich dann, als Hans Peter Hasenöhrl in Pension ging. Seitdem erschien keine Titel- oder Doppelseite, kein Kommentar, kein Artikel oder Leserbrief mehr zu dem Thema. Der letzte Text dazu war, wie sollte es anders sein: Ein Leserbrief, in dem Hans Peter Hasenöhrls Einsatz gegen die Windräder gelobt wird.
Von über mehr als 100 Sex-Attacken berichteten alleine Österreichs größte Medien im vergangenen Jahr. Dabei ging es um so genannte „Sex-Unholde“, „Sex-Strolche“, „Sex-Richter“, „Sex-Opas“. Aber wer sind diese Leute? Ist ein Sex-Lehrer also einfach ein professioneller Ausbildner? Kostet ein Sex-Opa einfach seinen Lebensabend aus? Und welchen Lausbubenstreich hat sich wohl ein Sex-Strolch schon wieder erlaubt? Tatsache ist, dass all diese Begriffe Vergewaltiger bezeichnen oder Menschen, die im Verdacht stehen, jemanden sexuell belästigt oder missbraucht zu haben – zumindest auf den bunten Seiten des österreichischen Boulevards.
Gang und gäbe ist aber der Begriff „Sex-Attacke“. Das Wort muss als Synonym für so ziemlich alles herhalten, was irgendwie mit sexueller Gewalt zu tun hat. Vor allem in „Österreich“ und der „Kronen Zeitung“ wimmelt es von „Sex-Attacken“. Alleine in der gedruckten Ausgabe von „Österreich“ kam das Wort im Jahr 2018 38-mal vor, in der Print-Krone 29-mal. Die seltsame Wortschöpfung ist aber keine Eigenheit des Boulevards. Auch Regionalmedien, die „Presse“ und sogar etwa APA bedienen sich des bequemen Wortes „Sex-Attacke“.
Fehlende Differenzierung
Bequem deshalb, weil es alles bedeuten kann: von belästigenden Aussagen über Berührungen bis hin zur Vergewaltigung. Hier liegt das erste Problem des Begriffs: Er wirft alle Taten in einen Topf. Denn auch wenn alle Übergriffe – egal ob verbal oder physisch – furchtbar sind, müssen sie unterscheidbar bleiben. Wie wenig das Wort „Sex-Attacke“ aussagt, zeigt eine Auswertung aller Vorkommen des Wortes im Jahr 2018.
Gewalt ist nicht einvernehmlich
Mit dem Begriff verletzen Medien aber nicht nur einen journalistischen Grundsatz – nämlich den der Genauigkeit – sondern verharmlosen auch sexuelle Gewalt. Denn Sprache schafft bis zu einem bestimmten Grad auch Realität. Das Wort „Vergewaltigung“ enthält das Wort „Gewalt“ bereits, „Sex“ suggeriert hingegen Einvernehmlichkeit. Damit wird Gewalt heruntergespielt oder sogar verniedlicht. Dass der Begriff „Sex“ für gewaltsame Handlungen zu neutral ist, stellte auch der Presserat schon einmal fest.
Dazu kommt, dass „Sex-“ als Vorwort auch in anderen, positiven oder zumindest gewaltfreien Zusammenhängen verwendet wird. „Österreich“ schreibt etwa von „Sex-Stars“, „Sex-Ehepaaren“ oder „Sex-Unfällen“. Sogar „Sex-Attacke“ kommt einmal in einem Kontext vor, der nichts mit sexueller Gewalt zu tun hat:
In Clown-Schminke, knappen Röcken und mit viel nackter Haut machten drei sexy Clowns die Wiener City unsicher. Hinter der Sex-Attacke steckt die Stripperin und Agenturchefin Stella von Sydney, die zumindest den Männern die Angst vor Clowns nehmen wollte
.
„Solche Bezeichnungen verhöhnen die Betroffenen, den TäterInnen signalisiert man, es sei ‚alles halb so wild.‘ Und wir, als Gesellschaft, bekommen das Gefühl, es sei eh irgendwie nur ein Kavaliersdelikt“, sagt Maria Mayrhofer vom Verein Aufstehn, der Ende 2017 eine Unterschriftenaktion gegen die verharmlosende Sprache gestartet hat. Bis dato haben über 4.200 Menschen die Aktion unterstützt.
„Sex“ beruhe auf Konsens, sagt Mayrhofer, alles andere sei ein Übergriff, eine Belästigung, eine Vergewaltigung oder ein Missbrauch. „Das Strafgesetzbuch kennt in der jeweiligen Situation die richtigen Bezeichnungen.“ Gerade bei Berichten über sexuelle Gewalt würden Medien oft die Unschuld der Betroffenen in Frage stellen, indem sie klischeehafte Ausdrücke verwenden, die auf das Aussehen der Opfer verweisen oder mit Ausreden die Schuld der TäterInnen relativieren. Das nennt man Victim Blaming.
Vergewaltigung ist kein Sex
Bleibt nur die Frage: Warum machen Medien es trotzdem? Anfragen an „Krone“ und „Österreich“ blieben unbeantwortet. „Wir befinden uns derzeit in einem Prozess der redaktionellen Neuausrichtung“, lässt Heute.at-Chefredakteurin Jacqueline Büchi per E-Mail wissen. Der Ausdruck “Sex-Attacke” werde nicht mehr verwendet, auch „ähnliche Boulevard-Komposita“ werde man auf Heute.at künftig „deutlich seltener“ lesen. Print-Chef Christian Nusser hält den Begriff „Sex-Täter“ für falsch, „Heute“ habe deshalb schon vor „geraumer Zeit“ die Entscheidung getroffen, den Begriff nicht mehr zu verwenden.
Wolfgang Höllrigl, ehemaliger Chefreporter bei „Heute“ und inzwischen in Pension hat hingegen eine andere Meinung zu dem Begriff Er sprach im Jänner bei der „Aufmacher Medienrunde“ offen über die Wortwahl in der Berichterstattung bei Sexualdelikten. Er begründet das häufige Vorkommen von „Sex-Attacke“ mit dem begrenzen Platz im Zeitungslayout. „Wenn du zwei Mal 18 Anschläge hast, ist Sex-Attacke schon ziemlich gut“, antwortete er auf eine Frage aus dem Publikum. Ob er den Begriff als verharmlosend empfindet? „Diese Sensoren habe ich nicht so.“ Dass das Wort verallgemeinernd ist, gab er allerdings selbst zu – das sei für ihn allerdings nichts negatives. „Sex-Attacke ist einfach alles“, sagte Höllrigl.
Dass „Sex-Attacken“-freie Berichterstattung auch auf engstem Raum funktionieren kann, zeigen allerdings etliche Beispiele, auch aus der „Krone“ und „Österreich“. Möglicherweise auch deshalb, weil das Wort „Vergewaltigung“ gar nicht so viel mehr Platz im kostbaren Print-Layout braucht als „Sex-Attacke“, nämlich gerade einmal um drei Zeichen mehr.
Auch der Verein Aufstehn hat 2017 eine E-Mail an alle Chefredakteure von Österreichs Medien gesendet. Manche Zeitungen hätten sich daraufhin in Artikeln kritisch mit dem Thema auseinandergesetzt, andere hätten auch zugesichert, sich mit der Problematik intern auseinanderzusetzen, erzählt Mayrhofer.
Was sie als Alternative zu den „Sex“-Begriffen vorschlägt? „Die Medien müssen die Dinge beim Namen nennen“, sagt Mayrhofer. Auch wenn in der Titelzeile wenig Platz ist.
Der Presserat ist der gerüchteweise zahnlose Kopf der freiwilligen Selbstkontrolle von Printmedien in Österreich. Für diesen Freitag lädt er zu seinem Rückblick auf das Jahr 2018. Grund genug, sich anzusehen, welche unmittelbare Wirkung seine Entscheidungen bei den betroffenen Medien zeigten. (Spoiler: es gibt noch Luft nach oben.)
Nachfolgend alle im letzten Jahr festgestellten Verstöße gegen den journalistischen Ehrenkodex, wo vom Presserat zumindest eine freiwillige Veröffentlichung der Entscheidung im jeweiligen Medium gefordert wurde.
Gelb: es gab zumindest eine wahrnehmbare Reaktion (außer Löschungen, die niemand mehr mitbekommt)
Rot: der Presserat wurde mehr oder weniger ignoriert
(Der erste Link verweist stets auf das PDF des Presserats mit Falldarstellung und Entscheidung)
23.01.2018 – Krone: Vorwürfe gegen das Grazer „Forum Stadtpark“, es gäbe Verbindung zu Vandalismus bei Protesten gegen das Murkraftwerk, ohne den Beschuldigten eine Stellungnahme zu ermöglichen
Reaktion: Keine. Artikel steht unverändert online.
25.01.2018 – Krone: Berichterstattung über Suizid eines kroatischen Generals („Starker Abgang wie einst von Göring“)
Reaktion: Keine
01.02.2018 – News: Überschießende Berichterstattung über Suizid eines 11-jährigen Asylwerbers
Reaktion: Erwähnung der Entscheidung im Editorial. Zudem hob der Senat bereits in seiner Entscheidung positiv hervor, dass in der Folgeausgabe ein Essay zum Thema „sensible Medienberichterstattung über Suizide“ veröffentlicht wurde.
08.03.2018 – Österreich: Bericht über „Hausverbot für Nikolo“ nicht ausreichend recherchiert – erforderliche Stellungnahme erst in Folgeartikel nachgereicht
Reaktion: Keine
08.03.2018 – OÖN: „Marchtrenker feiert Ende seiner Ehe mit Scheidungsparty für 350 Gäste“ — Berichterstattung über (zu) private Details einer Scheidung
Reaktion: Da es sich um ein Schiedsverfahren aufgrund der Beschwerde einer direkt betroffenen Partei handelte, musste in diesem Fall die Entscheidung nach den Vorgaben des Presserats veröffentlicht werden. Zudem wurde der Online-Artikel entfernt.
20.03.2018 – Krone: Falsche Zahlen zu straffälligen Asylwerbenden („45,9% der kriminellen Ausländer sind Asylwerber“)
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel ohne Berichtigung gelöscht.
03.04.2018 – Wochenblick: In einer Artikelserie über Migration in Schweden wurde das Land dargestellt, „als wäre es auf dem Weg in den Untergang“ — die Leser wurden von der Autorin „auf geradezu systematische Art und Weise getäuscht“
Reaktion: Mehrere Bildschirmseiten lange Erwiderungen von Chefredakteur und Autorin (Archivlinks), in denen dem Presserat u.a. unlautere (Konkurrenz-)Motive unterstellt werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den detaillierten Kritikpunkten des Presserats erfolgte nicht, trotz Beteuerung, die Autorin habe in einem Kommentar „ausführlich sämtliche Anschuldigungen widerlegt“.
08.05.2018 – Krone: Veröffentlichung des unverpixelten Bildes eines Mordopfers verstößt gegen Ehrenkodex — Persönlichkeitssphäre ist auch über den Tod hinaus zu wahren
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel gelöscht.
13.06.2018 – Krone: Unverpixeltes Foto von Mordopfer
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Privates Facebook-Foto aus Artikel gelöscht.
26.06.2018 – Österreich /14.09.2018 – Krone, Heute: Detaillierte Berichterstattung über Suizid von DJ Avicii erhöht Gefahr von Nachahmung
Reaktion (alle drei Medien): Keine. Alle Artikel mit den Details des Suizids stehen unverändert online.
Zeit für einen leichteren Zwischengang: Hier die abgewiesene Beschwerde der „Gräfin vom Naschmarkt“, samt Feststellung des Presserats: „Vernichtende Restaurankritik [ist] kein Ethikverstoß“
Reaktion: Severin Corti unter seinem Artikel für den selbstlosen Einsatz danken.
03.07.2018 – OÖN, Trend: Video von Ikea in redaktionellem Online-Artikel nicht ausreichend gekennzeichnet
Reaktion: OÖN veröffentlichen die Entscheidung und räumen ein: „[Das] Video […] hätte mit dem Wort ‚Quelle: Ikea‘ versehen werden müssen. Wir entschuldigen uns dafür.“ Im Originalartikel bleibt es dennoch ungekennzeichnet.
Der Trend löscht das Video aus dem Artikel. Keine Erwähnung der Entscheidung.
09.10.2018 – Wochenblick: SPÖ und ÖGB wird Gewaltbereitschaft unterstellt und zu Unrecht vorgeworfen, strafbare Handlungen bis hin zu Körperverletzungen und Mord gutzuheißen.
Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)
24.10.2018 – Zur Zeit: Diffamierung von Roma und Sinti als „Zigeuner“ und ethnische Zuordnung einer schweren Straftat ohne Beleg
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel steht unverändert online.
24.10.2018 – Österreich: Veröffentlichung zahlreicher Fotos von ermordeten Frauen stellt Persönlichkeitsverletzung dar
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. „Österreich“ verpixelt nun aber meist die Augen minimal, was die Erkennbarkeit der Opfer jedoch nur unwesentlich einschränkt.
11.12.2018 – alles roger: Artikel über „Österreich-Netzwerk“ von George Soros nicht ausreichend recherchiert, persönlichkeitsverletzend und diskriminierend
Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)
Resümee
Dass sich die üblichen Verdächtigen eher wenig um Verurteilungen durch den Presserat kümmern und diese in manchen jeann… journalistischen Parallelwelten sogar als Ritterschlag gehandelt werden, überrascht nicht weiter. Wenn aber sogar grenzwertige Suizidbeschreibungen bei den größten Boulevardmedien des Landes trotz Presseratsurteil unverändert online bleiben, dann wird die Grenze zwischen freiwilliger Selbstkontrolle und -aufgabe fließend.
Die Kronen Zeitung beherrscht das Kunststück, ihre Leser mit „fast“ korrekten Fakten gezielt in die Irre zu führen. Hier ein klassisches Beispiel:
Steiler Anstieg bei Abschiebungen […] 8254 Personen außer Landes gebracht […] 42 Prozent strafrechtlich verurteilt […] fast jeder zweite Aslywerber […]
Viele, die das schnell lesen, werden glauben, es seien über 8.000 Asylwerber abgeschoben worden und 42 Prozent davon waren vorbestraft. Allein, das stimmt nicht …
Die „Abschiebungen“
Laut Innenministerium wurden nicht 8.254 Asylwerber abgeschoben, sondern 2.909 Fremde, zuzüglich 1.754 Dublinüberstellungen in andere EU-Länder. Der Rest sind, anders als die Überschrift suggeriert, freiwillige Ausreisen. Dem Artikel kann man das nur entnehmen, wenn man ihn sehr aufmerksam liest, seine Überschrift ignoriert und bei den Detailzahlen nicht aussteigt.
Und nicht alle Abgeschobenen sind Asylwerber, wie der fettgedruckte Artikelvorspann suggeriert. Unter den 2.909 Fremden befinden sich auch viele straffällige Europäer und ähnliche asylferne Fälle, was uns zum nächsten Punkt führt …
Die „42 Prozent“
Alarmierend falsch ist diese „Krone“-Behauptung:
Alarmierend: […] fast jeder zweite Asylwerber, der Österreich verlassen muss, wurde zuvor wegen einer begangenen Straftat verurteilt
Denn dieser Prozentwert enthält laut Auskunft des Ministeriums auch alle Nicht-Asylwerber, die abgeschoben wurden. Und um z.B. als Europäer aus Österreich abgeschoben zu werden, muss man in der Regel schon was angestellt haben (die letzte aussagekräftige Statistik dazu stammt aus der Zeit, bevor 2014 das BFA übernommen hat, und deutet auf über 70 Prozent Straftäter unter den abgeschobenen Nicht-Asylwerbern hin). Das heißt, hier wurden Asylwerber mit einer überwiegend kriminellen Personengruppe zusammengefasst, was den Prozentwert der Vorbestraften zwingend nach oben treibt.
Auf der anderen Seite wurden aber jene Asylwerber, die diesen Wert deutlich gesenkt hätten, nicht in die Rechnung einbezogen: Nämlich alle, die nach Aufforderung das Land freiwillig verlassen haben und die naturgemäß deutlich weniger mit dem Gesetz in Konflikt kamen.
Ein korrekter Prozentwert, statt den 42,8 der „Krone“, lässt sich im Nachhinein leider nicht berechnen, weil das Innenministerium laut eigener Aussage keine Abschiebestatistik führt, in der Asylwerber und andere Fremde gesondert aufscheinen. Das heißt auch, jeder Medienbericht, der eine konkrete Zahl von Asylwerbern nennt, die in ihre Heimat abgeschoben wurden, ist falsch — weil das Ministerium hier immer Asylwerber und andere Fremde vermischt.
Und noch ein Trick?
Getrickst wurde aber möglicherweise auch noch an anderer Stelle: So beziehen sich alle Abschiebezahlen auf Jänner bis August, aber der Anteil der Vorbestraften auf ein weitaus engeres Zeitfenster von Mai bis August. Das könnte erfassungstechnische Gründe haben, legt aber auch den Verdacht einer willkürlichen statistischen „Optimierung“ nahe, um den Innenminister in der Kronen Zeitung dann wie folgt zu zitieren:
„Behauptungen, die Behörden würden vor allem ‚gut integrierte Personen‘ abschieben, sind damit ja wohl widerlegt“, erklärt Innenminister Herbert Kickl.
Diese Widerlegung wäre noch überzeugender, wenn die Unbescholtenen nicht in der Mehrheit wären, aber die „Krone“ ist seither geradezu besoffen von dieser etwas dubiosen Statistik des Ministers. Sie berichtete nicht nur am 9. September, sondern brachte die gleiche Story exakt eine Woche darauf erneut:
Und in der Printversion noch mal deutlich zugespitzt:
Hälfte der Illegalen vor Rückführung kriminell
Bis Ende August mussten 8254 Illegale Österreich verlassen — fast die Hälfte von ihnen hatte davor eine Straftat begangen
„Kriminell“ ist hier vor allem die großzügige Aufrundung und wie sehr der Kronen Zeitung schon alles egal ist: Freiwillig Ausgereiste (auf die sich die höchst zweifelhafte Vorstrafenstatistik gar nicht bezieht), europäische und sonstige Straftäter, Asylwerber, ein Achtmonatszeitraum und ein viermonatiger — hier wurde alles in einen Topf geworfen und fleißig umgerührt, um beim Leser den von „Krone“ und Politik gewünschten Eindruck zu erzeugen.
Inzwischen sind wieder sieben Tage vergangen, wir sind schon gespannt auf das überfällige wöchentliche Update.
Dass fremde Menschen sich ein Krankenhauszimmer teilen müssen, ist für die Erste-Klasse-Patienten in der Wiener Muthgasse offenbar so unvorstellbar, dass sie heute tatsächlich diesen Schocker titeln:
Was war geschehen? Ein Säugling mit Mutter und eine siebenjährige Patientin mit ihrem Vater teilten sich dasselbe Krankenhauszimmer. Zur Wahrung der Privatsphäre wurden mehrere Paravents zwischen den Betten aufgestellt. Die Mutter wollte aber dennoch unbedingt ohne den Mann im Raum stillen. Dieser allerdings wollte seine kranke Tochter nicht verlassen, bevor sie eingeschlafen war.
Nach erfolglosen Interventionen verließ die Mutter „genervt die Klinik“ und irgendwer informierte wohl die Kronen Zeitung über den Skandal, dass sie ein Mehrbettzimmer mit anderen Menschen teilen musste. Wie das zur Geschichte werden konnte, bleibt ein Rätsel — wobei, Moment — über dem Titel steht noch was:
„Kultur-Aufreger“
Ach ja, der fremde Vater war Syrer — aber das hatte sicher keinen Einfluss auf den „Newswert“ dieser „Story“.
Mit Dank an Alexander R. für den Hinweis