In zahlreichen Medien ist zu lesen, dass Österreichs Luftraum „unüberwacht“ sei. Das hat faktisch nie gestimmt. Das Verteidigungsministerium dementierte die Berichte allerdings nicht – und hat dafür offenbar Gründe.
„Luftraum über Österreich seit Freitag ungeschützt“, berichtet die Kronen Zeitung am 17. November. Und weiter: „Seit Freitagnachmittag kann am Himmel über Österreich theoretisch jeder machen, was er will.“ Man meint einen neuen Missstand beim österreichischen Bundesheer aufgedeckt zu haben.
Zahlreiche Medien übernahmen die Geschichte, mal reißerischer, mal weniger. Die Kernbotschaft vermittelten sie jedenfalls allesamt: Der Luftraum über Österreich sei ungeschützt. Neben Heute und Oe24 verbreiteten auch Der Standard, Kurier und der ORF die Schreckensnachricht.
Dabei hätte schon ein bisschen Recherche gereicht, um erstens die Fakten zu ermitteln und zweitens den Spin zu riechen, der hier offenbar verbreitet wurde.
Doch der Reihe nach. Mit „Luftraum ungeschützt“ ist gemeint, dass am 16. und 17. November die Eurofighter nicht starten konnten. Der Grund dafür ist ein Überstundenabbau bei Fluglotsen.
Luftraum war nie ungeschützt
Die Eurofighter sind das Herzstück der Luftabwehr, doch laut der Homepages des österreichischen Verteidigungsministeriums besteht die österreichische Luftraumüberwachung längst nicht nur aus dem Einsatz von Eurofightern. Sie setzt sich aus der sogenannten aktiven und der passiven Luftraumüberwachung zusammen. „Dabei bildet das Luftraumbeobachtungs- und Führungssystem „Goldhaube“ die passive Komponente der Überwachung. Als aktive Komponente kommen die Düsenjets des Überwachungsgeschwaders sowie die bodengestützten Systeme der Fliegerabwehrtruppe zum Einsatz“, heißt es. Diese Informationen kommen in den Medienberichten nicht vor.
Jetzt könnte man annehmen, dass das Bundesheer die Berichte dementieren würde. Es macht schließlich kein gutes Bild, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, Österreichs Luftraum sei „völlig ungeschützt“. Doch Dementis gab es nicht, im Gegenteil. In den diversen Berichten kommen sowohl Experten des Bundesheeres als auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner zu Wort, die das Narrativ des „ungeschützten Luftraums“ zwar nicht explizit bestätigen, aber auch nicht widersprechen. Vielmehr sagen sie sinngemäß, dass die Personalnot ein ziemlich großes Problem sei.
Und hier wird es interessant. Denn der Sprecher des Bundesheeres schreibt zu dem Fall nur Folgendes auf X:
„Das BMLV [Bundesministerium für Landesverfassung, Anm.] steht mit seinen Fluglotsen in direkter Konkurrenz mit der zivilen Luftfahrt. Diese verdienen aber das 2,5 fache eines Fluglotsen beim #Bundesheer. Wir versuchen daher, mit Sonderverträgen oder Zulagen dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Das BMKÖS [Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport, Anm.] muss dem aber zustimmen.“
Heißt also: Das Verteidigungsministerium hätte gerne mehr Budget, um mehr Fluglotsen beschäftigen zu können. Gerade wird eine neue Regierung verhandelt – und damit auch ein neue Budgetpolitik. Vielleicht kommen da Berichte, laut denen es ganz, ganz furchtbar um Österreichs Luftraum steht, also nicht ganz ungelegen? Man bräuchte dafür nur ein paar Medien, die eine solche Nachricht ohne viel Differenzierung schlucken und veröffentlichen.
Das ist natürlich nur eine These. Die andere Option ist, dass an besagtem Wochenende des 16. und 17. Novembers die anderen Komponenten der Luftraumüberwachung ebenfalls nicht einsatzfähig waren und Österreichs Luftraum daher tatsächlich völlig ungeschützt war.
Danach gefragt, antwortet uns der Sprecher der Verteidigungsministeriums, Michael Bauer: „Von der Einschränkung der Luftraumüberwachung war am besagten Wochenende nur die aktive Luftraumüberwachung, das heißt die Eurofighter, betroffen. Die passive Luftraumüberwachung, das ist das System Goldhaube, war und ist uneingeschränkt verfügbar.“
Richtig wäre also gewesen, der Luftraum sei „schwächer geschützt“. „Völlig ungeschützt“ hat zu keinem Zeitpunkt gestimmt.
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In vielen österreichischen Onlinemedien erscheint regelmäßig Werbung für illegale Online-Casinos. Dazu kommt noch Werbung für legales Glücksspiel, die oft nicht als solche zu erkennen ist. Unsere Recherche zeigt: Das sind keine Einzelfälle, sondern hat System.
Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt dutzende Pressereisen organisiert und bezahlt. Über 480 Berichte in allen großen Printredaktionen sind dazu erschienen. Eine Auswertung von Kobuk zeigt, dass in nur 17,5 Prozent der Artikel transparent gemacht wird, wer diese Reise eigentlich bezahlt hat. Ein klarer Verstoß gegen den Ethikkodex des österreichischen Presserates.
Pressereisen sind so eine Sache. Bei vielen Journalist:innen sind sie beliebt – man kommt zur Abwechslung mal raus aus dem Büro und kann sich niederschwellig ein eigenes Bild von einem Ort oder einem Event machen. Wenn Politiker:innen die Reise bezahlen, dann bekommen Journalist:innen außerdem oft wertvolle Gelegenheiten, sich mit ihnen und ihren engsten Mitarbeiter:innen besser bekannt zu machen. Kontakte, die im kleinen Österreich Gold wert sein können.
Politiker:innen finanzieren solche Reisen freilich nicht ohne Hintergedanken. Sie wollen von der Berichterstattung in irgendeiner Weise profitieren. Dafür haben sie auch viele Hebel in der Hand: Sie organisieren die Reise und damit auch den Ablauf – und haben so einen großen Einfluss darauf, wer, wann, was zu sehen bekommt. Es wäre illusorisch zu glauben, dass Journalist:innen auf solchen Reisen völlig frei berichten können. Dennoch stehen die Reisen quasi an der Tagesordnung – von Hanoi bis München.
Heute-Chefredakteur Christian Nusser sieht seine Zeitung zu unrecht an den Pranger gestellt. Auch andere Medien haben in den vergangenen Jahren ungewöhnlich viel Inseraten-Geld vom Finanzministerium bekommen. Hat er damit Recht? Die Kurzfassung: Er hat jedenfalls nicht völlig unrecht.
Inserate aus der öffentlichen Hand sind in Österreich so eine Sache. Die Regierung kann über die Ministerien praktisch unbegrenzt viel Steuergeld an Medien überweisen. Es gibt keine Gesetze, die etwa den Rahmen, den Zweck, oder eine verpflichtende Evaluierung über die Wirksamkeit solcher Werbeausgaben festlegen. Und sagen wir mal so: Nicht nur wir bei Kobuk hatten in den letzten Jahren immer wieder die Vermutung, dass mit diesen Geldern wohlwollende Berichterstattung gekauft wird; oder umgekehrt: Dass PolitikerInnen niedergeschrieben werden, wenn sie zu wenig bezahlen.
Seit vergangener Woche steht die Zeitung „Heute“ und ihre Herausgeberin Eva Dichand im Fokus dieses Verdachts. Der Falter hat die Causa hier und hier sehr lesenswert zusammen gefasst. Wir erinnern uns: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Thomas Schmid und Wolfgang Fellners OE24, weil dort über das „Beinschab-Tool“ mutmaßlich gefälschte Umfragen publiziert wurden. Als „Belohnung“, so der Verdacht, öffnete das Finanzministerium den Geldhahn und ließ Inseratengelder in die Kassen der Fellners fließen. Soweit, so bekannt.
Der Falter schreibt nun über den neuen Vorwurf der Staatsanwälte: „Damit der Deal, den die Türkisen mit Fellners Österreich-Gruppe mutmaßlich geschlossen haben, um Kurz mit frisierten Umfragen zu pushen, nicht auffliegt, wurden auch die Blätter der Dichands fett bedient.“
Diese Grafik aus dem Standard illustriert den Vorwurf sehr gut:
Welches Medium hat heutzutage schon Zeit zu recherchieren? Vor allem, wenn ein Bericht über eine vertrauensvolle Quelle wie eine Nachrichtenagentur kommt. Tja. Eine fehlerhafte Meldung der deutschen Presseagentur DPA wurde von zahlreiche Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz oftmals wortgleich übernommen und hat sich so verbreitet. In Österreich zum Beispiel von Der Standard, Orf.at, oe24 und motor.at, eine Plattform von Kurier. Aber der Reihe nach:
In all den Artikeln geht es um den Anteil von Elektroautos an Neuwagen in der EU. Der Fehler liegt im Satz „Auch Plug-in-Hybride legten leicht auf 22,6 Prozent zu.“
Die Meldung bezieht sich auf eine Statistik der European Automobile Manufacturer’s Association (ACEA). Dort liest man allerdings, dass Plug-in-Hybride lediglich 8,5 Prozent der neugekauften Autos ausmachen. Und mehr noch: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist der Anteil der Plug-in-Hybriden nicht gestiegen, sondern im Gegenteil sogar um 6 Prozent gefallen.
Der Fehler liegt darin, dass in den Berichten die Zahlen zu Hybride- und Plug-In-Hybride verwechselt worden sind. Der Unterschied ist keineswegs irrelevant: Plug-In-Hybride können – wie der Name schon sagt – mit einem Ladekabel aufgeladen werden. Bei einem Hybrid-Fahrzeug dient der Elektromotor eher zur Unterstützung des Verbrennungsmotors, weshalb sie meistens nicht als Elektroautos eingestuft werden und auch die entsprechenden Förderungen nicht bekommen.
Wie kommt es nun dazu, dass dieser Fehler durch die deutschsprachige Medienlandschaft kursiert, ohne dass es jemandem auffällt? Offensichtlich hat die Redaktion der deutschen Presseagentur die Zahl falsch abgeschrieben. Die österreichische Presseagentur APA hat den Bericht direkt übernommen, woraufhin die österreichischen Medien den fehlerhaften Bericht ebenfalls weiterverbreitet haben. Auch in Deutschland haben Medien wie Zeit.de, Frankfurt Allgemeine Zeitung, Merkur.de, RP Online, EU-Info.de und Westdeutsche Zeitung innerhalb von Stunden die fehlerhafte Statistik publiziert; in der Schweiz findet man sie auf Volksblatt und Nau.ch.
Sämtliche Medien hätten diesen Fehler erkennen und korrigieren können, wenn sie sich die Grafik der Original-Quelle angeschaut hätten. Ein Aufwand von nicht einmal einer Minute. Augenscheinlich ist aber auch das schon zu viel verlangt. Zumindest bei den meisten. Denn, ein kleiner Lichtblick in diesem Stille-Post-Spiel, in der blind voneinander abgeschrieben wird: Der Standard hat als einziges Medium den Bericht ausgebessert und das auch transparent ausgewiesen.
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.
Das hätte sich selbst Jan Böhmermann kaum träumen lassen. In seinem Österreich-Special hatte er er noch gemeint, dass unser Kanzler zu viel Einfluss auf den ORF nehme – und keine acht Tage später überträgt genau dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk live in seiner TVthek den Bundestag der Jungen ÖVP, wo sich die Nachwuchshoffnungen der Partei präsentieren. Über zwei Stunden am Stück, ohne jede journalistische Störung.
Ich hab mir das mal hier für euch angesehen und ein kleines „Best-of“ zusammengeschnitten. Eigentlich sind Parteisender ja nicht unser Revier, aber wo der ORF hingeht, folgen auch wir. Und so komprimiert gab’s dann ja vielleicht doch ein paar aufschlussreiche Momente, die sich in der mehrstündigen Hochglanzinszenierung sonst verspielt hätten:
Höhepunkt dieser ORF-Übertragung war übrigens die Wahl einer neuen JVP-Bundesobfrau. Sie nannte im Vorfeld tatsächlich den Eurovision Song Contest als Vorbild für die aufwendig durchgestylte Veranstaltung. Zumindest was die realpolitische Relevanz betrifft, dürfte der Vergleich durchaus zutreffen. Und auch den ESC-affinen ORF scheint man damit überzeugt zu haben, bzw. Thomas Prantner, den Chef von ORF Online. Der, so hört man gerüchteweise, auch Chef von ORF Offline werden möchte. Die Generalintendantenwahl steht im August an, die Kanzlerpartei verfügt über die entscheidende Mehrheit im Stiftungsrat und für den Reichweiten-Push des türkisen „Song Contests“ gibt’s von der Jury ja womöglich ein paar Extrapunkte.
Im ORF Redakteursrat hingegen denkt man eher an Disqualifizierung: Bei dieser Übertragung habe es sich mangels Relevanz um keine journalistische Entscheidung gehandelt und der Eindruck politischer Wunscherfüllung im Vorfeld der Generalintendantenwahl schade der Glaubwürdigkeit. ORF-Chef Wrabetz legte nach und ordnete an, dass künftig ausschließlich die ORF 2-Chefredaktion über derartige Übertragungen zu entscheiden habe.
Vielleicht hätte man bei der Gelegenheit auch bestimmen sollen, wer die zweistündige Rekord-Belangsendung wieder aus der TVthek entfernen darf? Denn sie ist dort immer noch bis Samstag abrufbar. Als virtuelles Omen, welche Art von ORF uns demnächst blühen könnte.
Was ist unabhängige Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen? Nicht: Die Politik-Doku-Reihe „Baumeister der Republik“ auf ORF III. Das Format glorifiziert in seiner jüngsten Folge zwei ehemalige steirische Landespolitiker. Gegner kommen keine zu Wort. Dafür viele Freunde und ÖVP-nahe Experten. Nicht das erste Mal, dass die Doku-Reihe so Altpolitiker historisch verklärt.
„Josef Krainer versteht die Sprache des Volkes. Und das Volk ihn.“
So tönte es im Oktober 2020 nicht etwa auf einem ÖVP-Parteisender über den ehemaligen steirischen Landeshauptmann Josef Krainer senior, sondern auf ORF III. Im Rahmen der Dokumentationsreihe „Baumeister der Republik“ werden da nämlich „Die Krainers. Eine steirische Dynastie“ portraitiert: Josef Krainer senior (steirischer ÖVP-Landeshauptmann 1948-71) und sein Sohn Josef Krainer junior (steirischer ÖVP-Landeshauptmann 1981-96).
„Sein Verständnis der Macht ist ebenso einfach wie seine Prinzipien“ stimmt die Off-Moderation an und der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) setzt fort: „Schau den Leuten in die Augen, wenn du mit ihnen redest, schau den Leuten aufs Maul, aber rede ihnen nicht nach dem Mund.“
Ein Grundsatz, den die Dokumentation gegenüber ihren Porträtierten auch beherzigen könnte, es aber nicht tut.
„Josef Krainer führt die Steiermark (…) zu Prosperität und Wohlstand und steht dabei für Stabilität und Optimismus. (…) Josef Krainer junior (…) findet einen vom Vater aufbereiteten Boden vor.“
Das berichtet die Erzählstimme über die Nachkriegszeit. Mit keinem Wort wird erwähnt, mit welchen internationalen Mitteln die Steiermark da wiederaufgebaut wurde, beispielsweise jenen aus dem Marshallplan. Nein, nein, das waren alles genuin Krainer’sche Errungenschaften. Denn, so die Off-Stimme: „Es sind Vater und Sohn, die zu Wegbereitern für die moderne Steiermark werden. Zwei Ausnahmepolitiker vom selben Schlag (…) – eine steirische Dynastie“. Als wären Dynastien eine tolle Sache, und nicht etwas, das man demokratiepolitisch hinterfragen kann.
In der Doku kommen zahlreiche Fans zu Wort: „Volksverbunden, wie kaum ein anderer“ (Arnold Schwarzenegger), „immer herzlich, sehr humorvoll“ (Gerald Schöpfer, steirischer Ex-ÖVP-Landesrat) werden die Krainers da genannt. Und: „Es wäre die Steiermark in der Entwicklung wahrscheinlich überhaupt nicht zu erkennen, hätte es nicht diese beiden Menschen Krainer gegeben“ (Waltraud Klasnic, Nachfolgerin, steirische ÖVP-Landeshauptfrau 1996-2005). Kritische Stimmen von politischen Gegnern sucht man vergebens.
Der Schauspieler Cornelius Obonya, der auch in anderen Folgen der „Baumeister der Republik“ den Erzähler gibt, beschreibt, wie Josef Krainer senior „mitten unter den Menschen“ im Wirtshaus Wein getrunken und „sich so ganz nebenbei die Nöte und Sorgen der Menschen angehört“ hat. Auch bei sich daheim habe er die Steirer empfangen: „Sein Haus war für alle offen. Immer.“
Doch Krainer senior soll nicht nur volksverbunden, politisch geschickt gegenüber der Bundes-ÖVP, sondern auch international orientiert gewesen sein. So weiß die Off-Stimme:
„Als 1969 die britische Königin Elizabeth (…) in die Steiermark kommt, wird sie weltgewandt von Josef Krainer empfangen. Für viele sogar ein Besuch auf Augenhöhe: der steirische Landesfürst empfängt die Queen.“
Ein österreichischer Landespolitiker auf Augenhöhe mit der Queen also. Und überhaupt: Fürst? Als wäre Österreich nicht bereits seit 1918 eine Republik.
Krainer pflegt zu dieser Zeit auch Kontakte zum jugoslawischen Staatschef Tito, „da kommen möglicherweise auch zwei sehr ähnliche Typen aufeinander zu“, sagt Historiker Dieter-Anton Binder (Mitglied im katholischen, traditionell ÖVP-nahen Kartellverband). Warum ORFIII den Landeshauptmann eines international mäßig bedeutenden österreichischen Bundeslandes in eine Reihe mit weltweit bekannten historischen Figuren des 20. Jahrhunderts stellt, bleibt offen.
Nach diesen größenwahnsinnig anmutenden Vergleichen ist es nur logisch, dass der Doku-Erzähler Obonya auch aus einer Erinnerungstafel an Josef Krainer senior zitiert: „Er starb in der freien Weite des steirischen Landes, dem er entstammte und dem er –siebenmal zum Landeshauptmann gewählt– über 24 Jahre mit allen Kräften seines Herzens und Geistes diente. Als Landesvater bleibt er unvergessen.“ Ok, Boomer.
Josef „Joschi“ Krainer junior, dem die zweite Hälfte der Dokumentation gewidmet ist, schließt in den Augen von ORFIII an die Herrlichkeit seines Vaters an. „Er gilt als strategisches und organisatorisches Ausnahmetalent. Als moderner Intellektueller“, schwärmt die Off-Stimme.
Dabei gäbe es durchaus Kritisches über Josef Krainer junior zu berichten. So hat er während seiner Amtszeit einem Historiker und ehemaligen SS-Obersturmbannführer das Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark verliehen. In der Doku kommt das aber nicht vor.
Dass Josef Krainer junior bei der Landtagswahl 1995 mit einem Minus von 8 Prozentpunkten eine saftige Niederlange einfährt und zurücktritt, wird im Film zwar angedeutet, aber die Off-Stimme beschwichtigt: „Josef Krainer junior geht aus freien Stücken, frei von Wehmut und Bitterkeit.“ Die lobendenden Abschlussworte über Josef Krainer junior leitet in der Dokumentation Krainers ehemaligen Sekretärin Anneliese Weixler ein: „Er ist immer am Heiligen Abend zu mir nachhause gekommen. (…) Das war für mich immer der schönste Moment des Jahres.“ Krainer als Heilsbringer? Das passt tatsächlich in das Gesamtbild der Dokumentation. Eine bemerkenswert unkritischen Mythisierung zweier steirischer Landeshauptmänner.
Aufmerksamen Medienkonsumenten ist die Doku-Reihe „Baumeister der Republik“ bereits im März 2019 mit ihrer Folge über Franz Dinghofer (1873-1956), deutschnationaler Politiker in der Zwischenkriegszeit, aufgefallen. Wie zahlreiche Zeitungen (darunter Die Presse, Der Standard, Kurier, Süddeutsche Zeitung) berichteten, hatte die Dokumentation die nicht ganz unwesentliche Information, dass Dinghofer NSDAP-Mitglied war, ausgelassen, und auch sonst ein freundliches Bild des deutschnationalen Dinghofer gezeichnet. Das Mauthausen Komitee hatte die Sache ins Rollen gebracht und Dinghofers NSDAP-Mitgliedschaft nachgewiesen.
Auch damals kamen fast nur freundliche Stimmen zu Wort. So etwa der FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt, der Dinghofer als „Patriot“ bezeichnet, die erzkonservative NÖN-Herausgeberin Gudula Walterskirchen, die sich wundert, warum Dinghofer „da irgendwie aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden“ ist, und zahlreiche FPÖ-Politiker, darunter HC Strache.
Die Off-Erzählung verortet Dinghofers „politisches Vermächtnis in der Mitte“. Laut der Doku war Dinghofer ein „Demokrat“, ein „Mann der Kompromisse“ und ein „pragmatischer, aber wertbewusster Politiker“. Wie gesagt: Der Mann war NSDAP-Mitglied.
Die FPÖ veranstaltete im Februar 2019 eine Premiere des Films im Parlament. Auf Einladung der damaligen dritten Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller (FPÖ) und des damaligen FPÖ-Vizekanzlers HC Strache stellte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz die Dokumentation vor: „Der ORF versteht sich als elektronisches Gedächtnis dieses Landes. (…) Dieses zu bewahren, zu vervollständigen, ist ein öffentlich-rechtlicher Kernauftrag, den wir gerne und umfassend (…) erfüllen“, sagte Wrabetz.
Leidet dieses Gedächtnis möglicherweise an einer selektiven Amnesie, bei der positive Informationen hervorgehoben und unangenehme schlichtweg vergessen werden?
Der Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.
Dem ORF wird regelmäßig politische Manipulation unterstellt, meist zu Unrecht, wie auch die Seethaler-Studie eindrucksvoll zeigte. Doch gestern Abend ging in Tirol Heute ein tatsächlich höchst manipulativer Beitrag auf Sendung: Es wurde der Eindruck erweckt, der Tiroler FPÖ-Spitzenkandidat Markus Abwerzger würde den Nazi-Äußerungen eines älteren Sympathisanten zustimmen. In der Zib13 erfolgte zwar eine Richtigstellung in der Sache, jedoch völlig frei eines Fehlereingeständnisses seitens des ORF.
Im Tirol Heute-Beitrag ist der FPÖ-Sympathisant zu hören, wie er sich unter anderem darüber beschwert, dass man nicht mehr „Stinkende Juden“ sagen dürfe, ohne als Nazi zu gelten. FPÖ-Spitzenkandidat Abwerzger steht nickend neben ihm, eine weitere Reaktion Abwerzgers fällt dem Schnitt zum Opfer. Der Beitrag endet dann mit der Abmoderation „Landtagswahlkampf auf Hochtouren“:
„Die stinkenden Juden – heute darfst das nicht sagen, da bist sofort ein Nazi“ – Markus Abwerzger, FPÖ-Spitzenkandidat steht daneben und nickt. (Via @florianklenk) pic.twitter.com/Y0bUECW25K
— Helge Fahrnberger (@Helge) February 9, 2018
Nach Protesten Abwerzgers auf Twitter sendete der ORF heute in der ZIB13 auch den herausgeschnittenen Teil, in dem zu hören ist, wie er dem Sympathisanten mehrmals mit „Das soll man auch nicht sagen“ widerspricht. Der neben ihm stehende FPÖ-Klubchef Rudi Federspiel sagt zudem „Jeder Mensch hat seine Würde, jeder Mensch hat seine Rechte“. Auch körpersprachlich ist keine Zustimmung mehr zu erkennen:
So ist's also weitergegangen: "Das soll man aber nicht sagen, das darf man nicht sagen." – "Jeder Mensch hat seine Würde." pic.twitter.com/i0QHEppykv
— «MM» (@bikearea) February 10, 2018
Nun wird Abwerzger zwar die Gelegenheit gegeben, dem Eindruck der Zustimmung zu den antisemitischen Äußerungen zu widersprechen, und es sind nun auch die herausgeschnittenen Teile zu sehen, aber im Beitrag, den wieder die selbe Redakteurin gestalten durfte, fehlt jegliche Entschuldigung oder Selbstkritik des ORF.
Die schwere Manipulation des Vortrages bleibt unbenannt. Auch Herr Abwerzger kommt mit keiner Kritik am ORF zu Wort. (Ob er diesen in dem Gespräch kritisiert hat, wie ich annehmen würde, habe ich auf Twitter gefragt.)
Zum manipulativen Schnitt kommt also noch unterirdisches ORF-Fehlermanagement. Angesichts der bereits aufgeheizten „Lügenpresse“- und „Staatsfunk“-Stimmung eine kaum vertrauensbildende Vorgangsweise.
Jedes gute Gerücht aus dem Wirtshaus steht irgendwann in der Zeitung, hieß es früher. Heute könnte man sagen: Jedes gute virale Video aus dem Internet landet irgendwann in den Fernsehnachrichten. Zu dem Schluss kann kommen, wer gestern Abend „Wien Heute“, die Lokalnachrichten des ORF, geschaut hat. Da wurde eine seit mindestens zwei Monaten im Internet kursierende Verkehrscam-Aufzeichnung eines Schlepper-LKW-Unfalls als Nachricht verkauft:
Und wie bei jedem guten Gerücht, legt jeder, der es weitererzählt, ein bisschen nach. In der Gerüchteabteilung der Wiener ORF-Nachrichten ist dies ein Unfall-Soundtrack, den man über den Unfall legt, der im Original ohne Sound aufgenommenen wurde. Bumm, zack, klesch.
Das Video dürfte auf Youtube erstmals am 12. September von einem „Murat O.“ hochgeladen worden sein. Interessant, dass dessen Account und alle seine Videos wenige Stunden nach Ausstrahlung von Wien Heute „wegen wiederholten Urheberrechtsverletzungen“ gesperrt wurden. Das Video ist jedoch derzeit noch einige weitere Male auf Youtube zu finden, unter anderem hier, hochgeladen am 15. September.
Über die Aufnahme schrieb man noch brav „Quelle: Youtube“. Ungefähr so genau wie „Quelle: Fernsehen“ und nur knapp besser als „Quelle: Internet“. Die Stelle der Verkehrscam an der Wiener Außenringautobahn dürfte man allerdings in Eigenleistung recherchiert haben.
Das ist nicht viel, aber immerhin etwas.
Auch die Größten machen Fehler. Am 7. April berichtete die Zeit im Bild, dass in Island gerade ein Vulkan ausbrechen würde (noch bis 14. April hier zu sehen). Das Problem dabei: Diesen Vulkanausbruch gibt es gar nicht.
Hier das Transkript der ZIB-Meldung:
In Island speit ein Vulkan seit einigen Tagen große Lavamassen aus. Der Vulkan ist schon seit Ende des vergangenen Jahres aktiv, jetzt allerdings wird der Lavaausstoß immer stärker. Die Umgebung wurde bereits für Menschen gesperrt.
Die Bilder sind zwar echt, aber schon ziemlich alt. Dasselbe Bildmaterial wurde schon im November 2014 auf Youtube veröffentlicht.
Das isländische meteorologische Büro berichtete bereits im Februar, dass der besagte Ausbruch zu Ende sei. Die seismischen Aktivitäten nehmen beständig ab. Auch das angesprochene Sperrgebiet wurde verkleinert. Seitdem ist es still geworden um den Vulkan. So still, dass ein Vulkan-Blog sogar sagt, die momentan ungewöhnlich geringe Aktivität sei glatt eine Schlagzeile wert.
Der ORF war mit dem Fehler übrigens nicht alleine. Ein kleiner Lokalsender aus den USA übernahm die Meldung auch und spielt damit in der selben Liga wie Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunk.
Danke Claudia Zettel für den Hinweis auf Twitter.
Update – so dürfte es zu diesem Fehler gekommen sein
Von Teilnehmern der heutigen Frühsitzung des ZIB-Teams ist zu erfahren, wie es zu dieser Falschmeldung gekommen sein dürfte. (Chefredakteur Fritz Dittelbacher sei „ziemlich angefressen“ gewesen.)
Der Fehler sei auf Druck des Chefs vom Dienst, einen Fehler des Monitoring-Teams sowie einen Redakteur, der diese Meldung eigentlich nicht machen wollte (und dann den Fehler nicht merkte), zurückzuführen.
Spannend ist dabei der letzte Teil, denn das Redakteursstatut des ORF sieht eindeutig vor, dass Redakteure nicht angehalten werden dürfen, einen Beitrag zu verfassen, den sie inhaltlich nicht vertreten können. Und: „Aus einer gerechtfertigten Weigerung darf kein Nachteil erwachsen.“
Genau das sei dem Vernehmen nach seit einigen Jahren nicht mehr gelebte Praxis. Die Redaktion müsse, so ein Redaktionsmitglied, regelmäßig Sendungsblöcke mit Stories geringer Relevanz und unter Zeitdruck auffüllen, wobei die inhaltliche Latte explizit „nicht hoch gelegt“ sei, nach dem Motto „Füll einfach auf!“. Wer sich weigere, dem werde Arbeitsverweigerung nachgesagt. Dem Druck könne man kaum widerstehen.
Zitat: „Mich wundert, dass nicht mehr passiert. Viele Geschichten sind irrelevant, haben einen falschen Drall oder sind, wie das aktuelle Beispiel, sogar schlichtweg falsch.“
(Update von Helge Fahrnberger)
Update II – Stellungnahme des ORF
Der ‚Ressortleiter Ausland‘, Andreas Pfeifer, schickt uns folgende Stellungnahme:
Die ZIB hat in einer Blockmeldung behauptet, dass ein isländischer Vulkan, der derzeit nicht aktiv ist, derzeit aktiv ist. War das falsch ? Ja, das war falsch. Was war der Grund? Das Bildmaterial ist kurz vor der Sendung eingelangt, in der Eile ist es misslungen, zwischen aktuellen und archivierten Bildern geflissentlich zu unterscheiden. Die ZIB bedauert, ich bedauere auch.
Ihr Blog behauptet, dass dieser Vorfall strukturelle Hintergründe habe: Druckausübung auf Redakteure, niedrig gelegte Latten für zu sendende Informationen, Angst vor dem Eindruck von Arbeitsverweigerung. Ist das richtig ? Nein, das ist auch falsch. Weil nicht geschehen. Weil es eine Mythenbildung betreibt, die sich weder von diesem Vorfall noch von unserem Redaktionsalltag und Redaktionsethos ableiten lässt. Weil es lächerlich ist, anzunehmen, dass ORF-Redakteure zu vulkanologischen Falschmeldungen gezwungen werden.
Ich bedaure auch die Falschmeldung Ihres Blogs – und bitte Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen.Mit freundlichen Grüßen
Andreas Pfeifer
Allerdings wurde nicht behauptet, dass „ORF-Redakteure zu vulkanologischen Falschmeldungen gezwungen“ werden. Natürlich ist der Beitrag ein Fehler der beteiligten Journalisten. Unsere Gesprächspartner in der ZIB-Redaktion sind jedoch offenbar der Ansicht, dass dieser Fehler auch mit den Arbeitsbedingungen in der Redaktion zusammenhängt.