Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Der Exxpress steht dem Klimawandel, nun ja, skeptisch gegenüber. Das haben wir unter anderem schon hier aufgeschrieben. Nachdem der neue Sachstandsbericht zum Klimawandel erschienen ist, hat es uns daher nicht überrascht, dass einer der Exxpress-Autoren gleich loszog, um diesen zu relativieren:

Screenshot des Exxpress-Artikels „Panikmache: Österreich erwärmt sich schneller als die Erde – doch der Grund ist banal“ mit dem Label "Irreführend"

„Panikmache: Österreich erwärmt sich schneller als die Erde – doch der Grund ist banal“ lautet also der Titel dieses als Analyse getarnten Kommentars.

Der Artikel ist deshalb interessant, weil der Autor darin mit korrekten Fakten arbeitet – daraus jedoch irreführende Schlüsse zieht und ein verzerrtes Gesamtbild vermittelt. Was ist also dran an der „Panikmache“?

In den Stunden und Tagen nach dem Amoklauf in Graz zeigten einige Medien eine besonders unrühmliche Seite – geprägt von Spekulationen, verstörenden Bildern und unangebrachten Besuchen.

Am Dienstag erschütterte ein Amoklauf an einer Grazer Schule das ganze Land. Während Einsatzkräfte versuchten, die Lage unter Kontrolle zu bringen und Angehörige betreut wurden, übertrafen sich viele Medien in medienethischen Verfehlungen: Sie spekulierten über Motive, zeigten Aufnahmen der Opfer und veröffentlichten identifizierendes Material. Ein Überblick über die schwerwiegendsten Verstöße gegen journalistische Sorgfaltspflichten der letzten beiden Tage.

Klicks über alles – das Problem mit dem Opferschutz

Screenshots von Berichten, die mit Videos Clickbaits generieren wollen. Dazu gehören Kronen Zeitung, Auf1, Exxpress und Servus TV.

Glaubt man den Schlagzeilen, ist die „Gen Z“ eine besonders kuriose Generation: Sie freut sich mehr für ihre Haustiere als für ihre Partner und ist sogar zu ängstlich, um auswärts zu essen. Unsere Analyse zeigt: Oft sind Gen Z-Meldungen substanzlos – mit aufgebauschten Umfrageergebnissen und fragwürdigen Quellen.

„Hat die Gen Z Angst davor, im Restaurant eine Bestellung aufzugeben?“ Das fragte Ende 2023 Der Standard online. Die kuriose Schlagzeile bezog sich auf eine Umfrage einer britischen Restaurantkette, wonach sich viele Menschen beim auswärts Essen überfordert fühlen – aus Sorge, das Falsche zu bestellen. Die New York Post kommentierte diese sogenannte „Speisekartenangst“ süffisant: „Add dining out to the growing list of things Gen Z can’t do like the rest of us.“ Das Problem an der Geschichte: Sie ist belangloser Clickbait – und damit in guter Gesellschaft, wenn es um Artikel über die Generation Z geht.

Die Umfrage wird nämlich überinterpretiert: Zwar fühlten sich mehr Angehörige der Gen Z unwohl im Lokal als ältere Generationen. Doch insgesamt gab die Mehrheit der Befragten an, „menu anxiety“ zu haben – unabhängig vom Alter. Die Quellenlage ist undurchsichtig: In keinem Medium, das die Meldung aufnahm, hat Kobuk einen Link zur Umfrage gefunden. Wie seriös die Umfrage ist, bleibt damit unklar. Und wenn wir schon von Quellen sprechen: Als weiteren „Beleg“ für die Relevanz der Speisekartenangst mussten auf derstandard.at Anekdoten aus dem Diskussionsportal Reddit herhalten.

Das ist kein Einzelfall. Wenn Medien Artikel über vermeintliche Eigenschaften einer Generation schreiben, sind diese oft Clickbait mit mangelhafter Quellenlage. Wir haben uns durch den Dschungel der Generationen-Berichterstattung geschlagen und dutzende solcher Artikel gelesen. Die junge „Generation Z“ (Jahrgang 1995 bis 2009) steht besonders im Fokus. Kaum ein Lebensbereich wird ausgespart, der sich nicht an den angeblichen Eigenarten der Gen Z aufhängen lässt – vom Schlaf- und Datingverhalten bis hin zur Arbeitsmoral.

Bildcollage mit Screenshots aus Medienberichten über die Generation Z

Dünne Quellenlage

Viele der Artikel haben keinerlei journalistisches Gewicht.

Österreichs Medien sind voll mit PR-Fotos aus dem Österreichischen Bundeskanzleramt. Sie vermitteln uns Bilder unserer Politiker*innen, die nicht die Realität widerspiegeln. 

Unsere Politker*innen sind super. Sie sind sympathisch, sie erklären uns die Welt, sie haben die Krisen im Griff. Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man in Österreich eine Tageszeitung aufschlägt. Von den Bildern strahlen sie uns entgegen, adrett und kompetent.

 Foto Propaganda Medien

„Österreichische Kinder verlernen deutsche Sprache“ titelt die Gratiszeitung Heute am 29. März. In der Sub-Headline heißt es weiter: „In vielen Kindergärten kommen deutsch-sprechende Kinder laut einer Studie unter die Räder.“ Ein „Kindergarten-Schock“ sei das. Angeblich, berichtet Heute weiter, würden laut einer aktuellen Studie österreichische Kinder in Kindergärten mit mehrheitlich nicht-deutschsprachigen Kindern vergessen, wie man Deutsch spricht.

Das Problem dabei: Die besagte Studie lässt diesen Schluss überhaupt nicht zu.

"Heute" missbraucht Kindergarten-Studie

Eine Gruppe homophober Schläger verprügelt systematisch junge Männer. Die Gruppe tarnt ihre Hassverbrechen und behauptet, sie würde Pädophile jagen. Medien tappen in die Falle: Sie übernehmen das Framing der Kriminellen viel zu unkritisch und verzerren so, worum es bei den Straftaten wirklich geht. Denn keines der Opfer war tatsächlich pädophil.

„Razzien: Polizei geht gegen Pädophilen-Jäger vor“, berichtet die Kronen Zeitung am Morgen des 21. März 2025. „Laut ‘Krone’-Infos handelt es sich um eine Aktion gegen die sogenannte ‘Pedo-Hunter-Szene’, die Selbstjustiz gegen Kinderschänder vornimmt“, heißt es weiter. Im nächsten Satz zitiert die Krone einen Beamten der Landespolizeidirektion Steiermark, der von Straftaten „unter dem Deckmantel der Selbstjustiz“ und einem „Hate-Crime-Delikt gegen eine bestimmte Personengruppe“ spricht.

Der „Deckmantel der Selbstjustiz“, den die Polizei später wiederholen wird, ist wichtig. Das bedeutet nämlich, dass die Täter Selbstjustiz lediglich als Vorwand nutzten, um ihre eigentlichen kriminellen oder ideologischen Motive zu verdecken. Den Tätern ging es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Hass. Kein einziges Opfer ist der pädophilen Szene zuzuordnen, stellt die Polizei Freitagmittag klar. Und die Täter seien sich dessen „sehr wohl bewusst“ gewesen, betont der stellvertretende Landespolizeidirektor Joachim Huber.

Die Krone überarbeitet ihren Artikel, nennt die Täter im Titel nun „Dating-Jäger” und die Opfer „mutmaßliche Kinderschänder”. Aber reicht das?

Zwei Screenshots von Krone.at; Links der Bericht mit dem falschen Titel "Razzien: Polizei geht gegen Pädophilen-Jäger vor“. Rechts der aktualisierte Bericht mit dem Titel: "Razzien: Polizei geht gegen 'Dating-Jäger' vor"

Wo Worte fehlen, sprechen Bilder – doch nicht immer sind es die richtigen. Eine Analyse von Symbol- und Stockbildern in Kronen Zeitung, Heute und Der Standard zeigt, wie stark stereotype Darstellungen von Frauen das mediale Bild prägen: Fast alle sind jung, weiß, hübsch und schlank.

Frauen mit Schals, Frauen, die sich den Kopf halten und das Gesicht schmerzhaft verziehen, Frauen, die sich schnäuzen: Diese Bilder aus den Gesundheits-Rubriken von Kronen Zeitung und Heute lassen glauben, nur weiße Frauen mittleren Alters werden krank.

Diese Bilder aus den Gesundheits-Rubriken von Kronen Zeitung und Heute lassen glauben, nur weiße Frauen mittleren Alters werden krank.

Zeitungen haben es nicht immer leicht. Um in der Branche vorne mitzuspielen, muss man schnell sein und kann keinen Diskurs auslassen. Über 100 Artikel pro Tag in Print und auf der Website sind in vielen Redaktionen Normalzustand. Und wenn man als eifrige News-Journalistin dann auch noch schnell einen Artikel über ein sperriges Thema wie Aktienfonds, den Arbeitsmarkt oder Datenschutz schreiben muss, kann das passende Bild dazu zu finden, zum Problem werden. Genau hier kommen häufig Stockbilder zum Einsatz.

„Festnahme nach Mordverdacht“ lautet die Polizeimeldung am Morgen des 19. Februar. Keine fünf Stunden später hat die Gratiszeitung Oe24 schon ihr eigenes Bild konstruiert:

Oe24-Headline: Mord im Prater: Junger Liebhaber erschlug Katzen-Mama (47)

„Beide sind aus Wien und trotz des großen Altersunterschiedes offenbar ein Liebespaar“, spekuliert Oe24 wild drauflos. Zeitgleich stellt die Polizei fest: „In welchem Verhältnis die beiden stehen, ist noch Gegenstand der laufenden Ermittlungen.“

Doch nicht nur mit Oe24 geht die Fantasie durch. Auch die Krone titelt „Frau in Liebesnest getötet“, spricht von ihr als „die ältere Sexpartnerin“ und dem Täter als „ihre nicht mal halb so alte Turtelei“. Auf Heute.at ist man sich ebenso sicher, das Opfer sei die „Liebhaberin“.

Die Plattform AUF1 berichtet oft über die Folgen der Pandemie – frei von Fakten und voller Verschwörungstheorien. Der Verein dahinter definiert sich als gemeinnützig. Will er das weiter sein, muss er sich künftig an journalistische Regeln halten

Mit strengem und direktem Blick in die Kamera berichtet der Moderator bei den Nachrichten AUF1 am 26. Februar von einem massiven Anstieg des gefährlichen „Turbo-Krebs“. Immer mehr junge Menschen sollen seit der Einführung der Corona-Impfung daran erkranken. Dass der Arzt, auf den sich AUF1 als Quelle beruft, längst keine Zulassung mehr hat, bleibt dabei unerwähnt – ein Detail, das nicht nur irreführend, sondern auch gefährlich ist. Doch genau solche fragwürdigen Behauptungen sind bei AUF1 Teil der täglichen Berichterstattung.

Vor genau fünf Jahren begann die Pandemie. Die ersten beiden positiv auf den Corona-Virus getesteten Personen in Österreich wurden entdeckt, wenige Tage später erklärte die WHO Corona zur Pandemie, die Regierung beschloss den ersten Lockdown ab 16. März 2020. Es war eine belastende Zeit, die viele Menschen inzwischen verdrängt oder einfach hinter sich gelassen haben. Für das AUF1-Publikum ist Corona und die Folgen nach wie vor ein „heißes“ Thema. 

Montag bis Freitag erscheint täglich um 18 Uhr die Sendung “Nachrichten AUF1” mit einer Länge von circa 15 bis 20 Minuten. Und fast immer wird folgendes thematisiert: Corona, die fehlende Corona-Aufarbeitung und angebliche Todesimpfungen. Eine Inhaltsanalyse von vierzig Nachrichtensendungen im Zeitraum vom 28. Oktober bis zum 20. Dezember 2024 auf AUF1 zeigt: Nur viermal waren Corona oder Impfungen kein Thema.

Die Gratiszeitung Heute gibt freiheitlichen Aufreger-Geschichten viel Raum, übernimmt gerne FPÖ-Sprech und pflegt sogar einen gewissen Kickl-Kult. Warum?

„‚Hören Sie genau zu‘ – FPÖ-Chef Kickl sagt jetzt ALLES“ verspricht Heute.at vergangenen Donnerstag. Blau-schwarz ist am Vortag offiziell gescheitert. Und wer es nicht zur Primetime in der ZIB verfolgt hat, kann nun Kickls „45 Minuten Klartext“ im Wortlaut auf dem Onlineauftritt der Gratiszeitung nachlesen. Dabei wurde die Kickl-Rede schon Mittwochabend unter dem Titel „FPÖ-Chef packt aus“ in großen Teilen für Heute-Leser transkribiert.

Zwei Headlines auf Heute.at zur Kickl-Rede nach dem Scheitern der blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen.

Freiheitliche Botschaften bekommen im Heute-Universum viel Raum. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht aus einer Presseaussendung oder einem Social-Media-Posting der Freiheitlichen ein Bericht gemacht wird. Mit den journalistischen Kriterien Relevanz und Richtigkeit nimmt es die Online-First-Redaktion von Heute, seit Oktober 2023 geführt von Chefredakteur Clemens Oistric (33), dabei nicht immer so genau. Das ergab eine Kobuk-Auswertung von Geschichten und Kommentaren über die FPÖ rund um die Nationalratswahl 2024. Diese Anbiederung bringt dem Blatt aus seiner Sicht einige Vorteile: Exklusive Sager, mehr Klicks und eine Zweitverwertung in FPÖ-nahen Kanälen.