Mit der Schlagzeile, der wichtigsten Geschichte des Tages, präsentiert sich eine Printtageszeitung nach außen. Kobuk hat 15 Wochen lang die ersten Seiten der sieben wichtigsten Tageszeitungen in Österreich analysiert. Rund 65% der Titelgeschichten stammten aus männlicher Feder.
Früher, vor Hauszustellungen und E-Paper-Downloads, war der Zeitungsverkauf ein lautes Geschäft. Zeitungsverkäufer, im angloamerikanischen Raum auch Newsboys genannt, priesen die Blätter an, indem sie die wichtigste Geschichte durch die Straßen riefen. Die wichtigste Geschichte, das war meistens jene in dicken Lettern auf der Titelseite. Mittlerweile werden Tageszeitungen zwar nicht mehr auf der Straße beworben – dennoch dient die Front Page einer Zeitung bis heute als Aushängeschild. Und bis heute werden die Titelgeschichten in Österreich zum Großteil von Männern geschrieben.
15 Wochen lang hat Kobuk die Titelseiten der sieben wichtigsten nationalen sowie regionalen österreichischen Tageszeitungen untersucht (Wien-Ausgaben, Anm.). Das sind: „der Standard“, „die Presse“, „Kurier,“ „Kronen Zeitung“, „Oberösterreichische Nachrichten“, „Salzburger Nachrichten“ und „Kleine Zeitung“. Von den insgesamt 881 Titelgeschichten wurden rund 2/3 aller Artikel von Männern verfasst, 1/3 von Frauen. Im Detail heißt das: Vom. 25. September 2023 bis zum 14. Jänner 2024 waren rund 65% (in ganzen Zahlen 576) Titelgeschichten von Männern und rund 35% (in ganzen Zahlen 305) Titelgeschichten von Frauen.
Ein ähnliches Ungleichgewicht hat eine Kobuk-Analyse vergangenes Jahr in Kommentaren und Meinungselementen ergeben. Auch dort waren rund zwei Drittel aller Texte von Männern.
Zurück zu den Cover-Stories: Besonders ausgeprägt ist das Ungleichverhältnis bei den „Oberösterreichische Nachrichten“. Im oberösterreichischen Regionalmedium fanden sich nur rund 24% Titelgeschichten aus Frauenhand – und 76% aus männlicher Feder. Was bei den „Oberösterreichischen Nachrichten“ außerdem auffällt: Bei keinem anderen untersuchten Medium fanden sich derart viele Artikel ohne Kürzel bzw. ohne Namen der Autorinnen oder Autoren.
Am ausgewogensten druckten in den vergangenen knapp vier Monaten wohl „die Presse“ und „der Standard“ ab. Rund 43% aller Titelgeschichten waren bei „die Presse“ mit einem weiblichen Namen versehen. Für das ausgeglichene Geschlechterverhältnis sorgten zum einen viele von Frauen verfasste Wirtschaftstexte und eine weibliche Nahost-Korrespondentin. Zum anderen führten aber insbesondere bei den Sonntagsausgaben Journalistinnen das Wort. Von den 17 untersuchten Top-Geschichten der „Die Presse am Sonntag“-Ausgaben waren 16 von Frauen. Insgesamt waren im Untersuchungszeitraum 26 weibliche (Co)-Autorinnen an der ersten Seite der „Presse“ beteiligt.
Recht ähnlich verhält es sich auch beim rosa Blatt: Rund 42% aller Titelgeschichten wurden von mehr als 30 Frauen (mit)verfasst. Aufgrund der Schwerpunktthemen der letzten Monate – der Krieg in Nahost und die Signa-Insolvenz – schafften es Texte der Israel-Korrespondentin Maria Sterkl, der Nahost-Expertin Gudrun Harrer und der Wirtschaftsjournalistin Renate Graber besonders häufig auf die Titelseite des „Standard“. Von Maria Sterkl allein wurden 13 Titelgeschichten abgedruckt, von Renate Graber zwölf.
Insgesamt lässt sich also durchaus ein Unterschied zwischen nationalen Qualitätsmedien – gemeint sind „der Standard“ und „die Presse“ – und dem Boulevard, wie etwa der „Kronen Zeitung“, erkennen. Während die beiden Qualitätsblätter im Geschlechterverhältnis eindeutig über dem Durchschnitt liegen, reiht sich die „Krone“ darunter ein.
Auffällig ist bei der „Kronen Zeitung“ allerdings ein statistischer Ausreißer vom 1.November. Die Themenseiten zum katholischen Feiertag „Allerheiligen“ haben insgesamt elf Journalistinnen und nur drei Journalisten geschrieben.
Als nächstes wollten wir sehen, wie es bei einzelnen Ressorts aussieht, konkret Innenpolitik und Außenpolitik – also klassische Männerdomänen. Ein besonders drastisches Bild zeichnet die Kobuk-Analyse im Außenpolitikressort der „ÖÖN“ – nur vier Prozent der außenpolitischen Titelgeschichten stammten von Frauen. In ganzen Zahlen war bei 13 Titelgeschichten nur eine Frau als Co-Autorin beteiligt. Auch beim „Kurier“ liegt die Quote der von Frauen verfassten Titelgeschichten mit 24% eindeutig unter dem Schnitt. An den 31 Außenpolitikgeschichten auf der ersten Seite arbeiteten nur rund 7 Frauen, dafür rund 23 Männer. Eine Ausnahme: Beim „Standard“ wurden im Beobachtungszeitraum mehr Top-Außenpolitikgeschichten von weiblicher als von männlicher Hand verfasst.
Insgesamt ein Stück ausgeprägter zeigt sich das Ungleichverhältnis der Geschlechter im Ressort der Innenpolitik. In drei von sieben untersuchten Tageszeitungen wurden in den vergangenen 15 Monaten weniger als 30% aller Titelgeschichten von Frauen (mit)verfasst.
Wenn es Innenpolitik-Journalistinnen mit ihren Geschichten auf die erste Seite schafften, dann nicht selten mit Bildungsthemen. In „die Presse“ beschäftigten sich im Untersuchungszeitraum sogar ausschließlich Journalistinnen mit Bildungstitelgeschichten, etwa zur Pisa-Studie oder der Ausbildung von Lehrpersonen. Am 11. Jänner titelten vier von sieben Tageszeitungen mit der Reform der Lehrerinnenbildung – bei allen Geschichten waren Frauen beteiligt.
Anders beim „Kurier“, dort stammten alle Bildungsgeschichten aus Männerhand. Zwar nahmen sich Frauen in dem Blatt auch innenpolitischer Themen an. Es konnte aber durchaus vorkommen, dass diese weiblich „umgedeutet“ wurden. In einem „Kurier“-Artikel zum geleakten Kanzler-Video, das der Bezeichnung „Kanzlermenü“ übrigens zum Wort des Jahres verholfen hatte, stellten Journalistinnen zum Beispiel Rezeptalternativen zum Happy Meal vor.
Legt man den Fokus auf das Chronik-Ressort, in dem sich je nach Blatt lokale Nachrichten genauso wie unterhaltsame Themen aber auch die sogenannte Blutchronik finden, hatten in zwei österreichischen Tageszeitungen – zumindest im 15-wöchigen Beobachtungszeitraum – Journalistinnen mehr Raum als in anderen Ressorts. An zwölf Tagen haben Frauen an den chronikalen Titelgeschichten der „Kleinen Zeitung“ mitgeschrieben, an zwölf Tagen waren es auch Männer. Führten Journalistinnen allein das Wort, ist in der Chronik der „Kleinen Zeitung“ aber ein Hang zu weiblich konnotierten Themen erkennbar: Dann wurde mit dem steirischen Veranstaltungskalender für 2024, Heldinnen der Pflege, dem Steirerball in der Hofburg oder dem Frühstart in den Advent getitelt.
Chronikgeschichten schaffen es bei der „Presse“ zwar grundsätzlich recht selten auf die erste Seite. Wenn, dann aber größtenteils von Frauen. In den knapp vier Monaten stammten sieben chronikale Titelgeschichten von Frauen und eine von einem Mann. Das erklärt auch die hohe prozentuelle Diskrepanz: Demnach wurden 88% aller Geschichten in diesem Ressort im untersuchten Zeitraum von Frauen geschrieben. Insgesamt lassen sich aber nicht alle Titelgeschichten eindeutig einem bestimmten Ressort zuordnen.
Wie kommt es nun zu diesem Ungleichgewicht? Den Daten des Österreichischen Journalismusreport aus dem Jahr 2020 zufolge arbeiten in Österreichs Redaktionen etwa gleich viele Männer wie Frauen. Männer leiten aber in der Regel die Ressorts und sind weniger oft in Teilzeitanstellungen als Frauen. Eine mögliche Erklärung: Journalisten hätten als Ressortleiter zum einen angeblich mehr Erfahrung, um Titelgeschichten zu schreiben. Zum anderen hätten sie als Vollzeitjournalisten auch schlichtweg mehr Zeit.
Auf Kobuk-Anfrage mit der Bitte um Stellungnahme reagierte nur „Kurier“-Chefredakteurin Martina Salomon. Gelebte Praxis beim „Kurier“ sei laut Salomon, dass „die beste Geschichte Aufmacher wird, wer immer sie recherchiert und geschrieben hat“. Im Redaktionsalltag hätte das Thema weniger Bedeutung. Alle anderen Medien haben auf unsere Anfrage nicht reagiert.
Und dennoch: Von 112 analysierten Tagen gibt es keinen, an dem unter allen Titelgeschichten der wichtigsten sieben Tageszeitungen Österreichs ein weiblicher Name steht.
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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien. Die Autorin ist Redakteurin beim Standard, wo dieser Artikel in verkürzter Form ebenfalls erscheint.
Zur Methode:
Bis auf wenige Ausnahmen sind die meisten Titelseiten österreichischer Tageszeitungen sehr kleinteilig aufgebaut. Das heißt, eine Titelseite hat nicht nur einen Textaufmacher – die wichtigste Geschichte mit den größten Buchstaben – sondern auch einen Bildaufmacher. Sowohl der Text- als auch der Bildaufmacher verweisen auf eine oder mehrere Geschichten im Blatt, die von einer oder mehreren Personen geschrieben wurde. Bei großen Themen und Wochenendausgaben sind Text- und Bildaufmacher oft ident. Diese Analyse konzentrierte sich vorwiegend auf den Textaufmacher, d.h. auf die größte Schlagzeile bzw. die fetteste Schrift am Titelblatt.
Prinzipiell wurde ein Punkt pro geschriebenen Artikel vergeben. Oftmals arbeiten aber mehrere Journalistinnen und Journalisten an einem Artikel. In solchen Fällen wurde durch die Anzahl der am Artikel beteiligten Personen dividiert. Das erklärt auch die Kommastellen.
Die Zuteilung der Titelgeschichten zu den einzelnen Ressorts ist, wie im Text erwähnt, nicht immer eindeutig. Da „der Standard“ ein übergreifendes Chronik- und Innenpolitik-Ressort führt, decken sich die Zahlen der beiden Ressorts in der Grafik. Insgesamt sind die separaten Zahlen der veröffentlichten chronikalen Titelgeschichten im „Standard“ im Untersuchungszeitraum nicht signifikant. Nur eine von einem Mann verfasste chronikale Geschichte hat es auf die Titelseite geschafft. Auf die restlichen vier chronikalen Artikel wurde im Rahmen der Themenpakete rund um den Krieg in Nahost verwiesen. Hier ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen.
Diverse Personen konnten in der Analyse nicht berücksichtigt werden. Die Namen der Journalistinnen und Journalisten wurden entweder weiblich oder männlich gelesen.
Beispiel „Die Presse“:
Beispiel „Der Standard“:
Beispiel „Kleine Zeitung“:
Beispiel „Kurier“:
Beispiel „Kronen Zeitung“:
Beispiel „Salzburger Nachrichten“:
Beispiel „Oberösterreichische Nachrichten“:
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