Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

In der Zeit im Bild – am 18. Juli um 13 Uhr (Beitrag in der ORF TVthek eine Woche abrufbar) – wurden bei einem Bild, zur Ankündigung eines Beitrags, die Logos zweier Konkurrenzsender einfach wegretuschiert. Die Schriftzüge der Privatsender befanden sich auf den gut sichtbaren Mikrofonen. Im Beitrag selbst waren die Logos anschließend wieder deutlich erkennbar.

orf_logos_nichtretuschiert

Auf Anfrage von Kobuk schickte uns Markus Wibmer von der ORF-Pressestelle folgende Stellungnahme:

„Der ORF bedauert – gerade im Licht der Diskussion vor wenigen Tagen –, dass es durch die individuelle Fehlleistung eines Mitarbeiters zu diesem Fehler gekommen ist. Aufgrund des sehr engen Zeitkorsetts konnte das Hintergrundbild inhaltlich-redaktionell nicht mehr kontrolliert werden. Es wurden jedoch mittlerweile Vorkehrungen getroffen, zukünftig solche Fehler auszuschließen.“

Dies ist nicht der erste Vorfall dieser Art: Vor kurzem wurde aus einem Foto auf ORF.at, welches bei der Zwischenlandung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien aufgenommen wurde, das Logo des Radiosenders 88.6 wegretuschiert. Laut ORF-On-Geschäftsführer Karl Pachner war das „redaktionelle Linie“ – die Firmenlogos könnten schließlich vom eigentlichen Bildinhalt ablenken. Für ORF.at wurde diese Vorgabe schließlich aufgehoben. Bis zur ZIB-Redaktion haben sich die neuen Regeln aber wohl noch nicht herumgesprochen.

Mit einer Extraportion Öffentlichkeitsarbeit von McDonalds ist in den letzten Wochen wohl die „Heute“-Redaktion versorgt worden. In vier Ausgaben fallen besonders schmeichelhafte und werbliche Berichte über den Fast-Food-Giganten auf. Hat dessen Kommunikationsabteilung einen besonders guten Draht in die „Heute“-Redaktion?

Nicht nur über die neue Burger-Kreation eines Wieners (21.6.), sondern auch über die Änderungen im Happy-Meal-Menü (26.6.) wird fleißig berichtet.

Dem nicht genug, folgt die hungrige „Heute“-Redaktion auch der Einladung von McDonalds, die „Geheimküche“ zu zeigen. Die Journalistin „enthüllt“ hier einiges über den dortigen Gourmet-Koch:

In dieser kleinen Version einer McDonald’s-Küche kreierte der 2-Hauben-Koch Gerhard Fuchs aus Ried (OÖ) bereits die McWraps (ein Welterfolg), die McNoodles und die McSalads.

Mit viel Liebe testet er dafür Zutaten und erschafft neue McProdukte.

 

Der ganze Artikel liest sich wie ein PR-Text. Haben die Veröffentlichungen mit Anzeigeninvestitionen von McDonalds zu tun?

Was mir noch aufgefallen ist: „Heute“ berichtet in der Ausgabe von 25.6. von einem Bankräuber, der in Simmering festgenommen wurde. Sogar bei Storys zu Banküberfällen kommt McDonalds also wohlwollend inkl. hübschem Marketing-Bildchen vor. 25_6

 

Da bleibt auf die Frage „Willkommen bei McDonalds, Ihre Bestellung, bitte?“ nur zu sagen: Mehr unabhängigen Journalismus bitte!

Ganz unverfroren mischt die  „Bezirkszeitung Hietzing“ (E-Paper) redaktionellen Inhalt mit Werbung, und das gleich zwei Mal auf einer Doppelseite!

Auf Seite 20 des Wochenblatts gibt ein Gastronom praktische Ratschläge für das perfekte Steak. Bilder des „gemütlichen Schanigartens“ – seines Lokals – krönen die Tipps vom Profi. Direkt darunter springt einem die Anzeige für selbiges Lokal ins Auge.

Doch damit nicht genug: Auf der nächsten Seite lobt die Bezirkszeitung das exotische Flair eines griechischen Restaurants in höchsten Tönen. Direkt daneben ist nicht nur eine Werbeeinschaltung des Restaurants, sondern das Ganze ist auch noch mit einem Gutschein garniert. Ein Traum!

Danke für den anonymen Hinweis!

Uwe Frers ist Gründer des Hotelbuchungsportals Escapio. Der folgende Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog.

Am Wochenende war ich bei Mama in Bayern. Sie ist 79 und hat von Computern, iPhones oder dem Internet keine Ahnung. Bei frischem Erdbeerkuchen und Filterkaffee mit Sahne wird sie plötzlich ernst und erklärt mir: “Uwe, stell Dir vor, diese Hotelkritiken im Internet sind gefälscht. Kam diese Woche im Fernsehen. Da müsst ihr ganz arg aufpassen.” Ihr Wissen über die offensichtlich kriminellen Methoden der Online-Reiseindustrie hatte meine Mama aus einem Bericht in der Nachrichtensendung “heute” vom ZDF am 4. Juli.

ZDF-hotelbewertungen

Wie kam es zu dem Fernsehbericht? Die Geschichte basiert auf einer Studie von Prof. Dr. Roland Conrady der FH Worms (PDF) vom Februar 2012. Im Rahmen der Studie haben drei Studenten 330 deutsche Hotels über ihre Erfahrungen mit Hotelbewertungen befragt. Eine eigenwillige Interpretation der Ergebnisse wurde 2012 bereits dankbar von überregionalen Medien publiziert, wie zum Beispiel Spiegel Online am 9. März 2012 “Online-Portale: Großer Teil der Hotelbewertungen ist manipuliert” oder die NZZ am 4. Mai 2012: “Hotel-Bewertungen im Internet: Fluch oder Segen?“. Als Akteur in der Branche der Online-Hotelvermittler überraschen mich einige Details sowohl bei der Studie als auch bei der Berichterstattung sehr deutlich.

Wer wurde wie befragt? Ausschließlich Hotels. Zum Beispiel wurde unter der Kategorie “Ihre Erfahrung mit gefälschten Bewertungen” gefagt, ob das Hotel bereits unangemessen bewertet wurde. 55% geben keine negativen Erfahrungen an, 32% der Hotels berichten von “Nicht angemessenen negativen Bewertungen über das eigene Haus”. Aber was versteht ein Hotel konkret unter “Nicht angemessenen Bewertungen”?

Wer oder was sind Hotelbewertungsportale? Die Studie wirft hier diverse höchst unterschiedliche Akteure in einen Topf:

  • Allgemeine Bewertungsportale wie Qype oder Ciao. Hier lassen sich verschiedenste Produkte, Dienstleistungen oder Unternehmen bewerten. Diese Portale sind nicht auf Hotelbewertungen spezialisiert. Sie haben keine eigenen Prüfteams, die sich nur mit Hotelbewertungen befassen. Bewertet werden kann ohne Nachweis einer Hotelbuchung:
  • Hotelbewertungsportale wie Holidaycheck oder Tripadvisor: Diese Portale haben sich auf Hotelbewertungen spezialisiert und besitzen eigene Prüfteams sowie Software Algorithmen für die Qualitätskontrolle der eingehenden Inhalte. Zudem können angemeldete Hotels Hotelbewertungen kommentieren. Bewertet werden kann ohne Nachweis einer Hotelbuchung, durch Partnerschaften mit Hotelbuchungsportalen gibt es aber “trusted reviews”, bei denen der Verfasser der Hotelbewertung auch sicher das Hotel gebucht hat.
  • Hotelbuchunsportale wie Booking.com, HRS oder Hotel.de. Hier können nur Reisende ein Hotel bewerten, die über dieses Portal das entsprechende Hotel gebucht haben. Die Mengen sind beeindruckend, alleine HRS verfügt über mehr als 3 Millionen Hotelbewertungen.

Warum ist diese Unterscheidung so wichtig? Während bei allgemeinen Bewertungsportalen theoretisch systematisch gefälschte Bewertung abgegeben werden kann, wird dies bei Hotelbewertungsportalen sehr schwer, bei Hotelbuchungsportalen fast unmöglich. Auffällig ist auch das Fehlen der Dickschiffe der Online-Pauschalreise-Vermittlung wie Opodo, Weg.de oder Lastminute.de. Diese und weitere 100 Anbieter haben über den Technologie-Dienstleiter Traveltainment zusammen knapp eine Millionen Hotelbewertungen eingesammelt (730.000 bis Februar 2012, ca. 200.000 kommen pro Jahr hinzu), die ebenfalls an eine Buchung gekoppelt und damit systematisch nicht zu fälschen sind. Da sich die Studie nur mit Deutschen Hotels beschäftigt, bleiben die Hotelbewertungen dieser Portale unberücksichtigt, obwohl Sie mehrere Millionen Hotelübernachtungen pro Jahr vermitteln.

Summiert man die im Netz erhältlichen deutschsprachigen Hotelbewertungen zusammen, wurde der größte Teil annähernd fäschungssicher über Hotelbuchungsportale generiert, auf Platz 2 folgen professionell agierende Hotelbewertungsportale und am Ende die allgemeinen Bewertungsportale.

Wie werden die Ergebnisse in der Studie interpretiert? Wie vorab schon erwähnt, werden bei “Ihre Erfahrung mit gefälschten Bewertungen” Hotels gefagt, ob das Hotel bereits unangemessen bewertet wurde. 55% geben keine negativen Erfahrungen an, 32% der Hotels berichten unter anderem von “Nicht angemessenen negativen Bewertungen über das eigene Haus”. Daraus wird in der Studie folgendes Resume gezogen: “Fast die Hälfte der Hoteliers: Erfahrungen mit gefälschten Bewertungen” (Chart 28 – pdf). Die Schlussfolgerung von “nicht angemessenen Bewertungen” aus der Sicht eines Hoteliers zur “Fälschung” erschließt sich mir nicht. Die Hotels wurden in der Studie auch gefragt, wer denn wohl die gefälschten Bewertungen geschrieben hätte (Chart 29 – pdf). 27% der Hotels geben an, dass das Wettbewerber waren, 9% sagen, dies käme von dafür beauftragten Agenturen. Moment mal, woher wissen die Hotels das denn?

Wie wird die Studie in den Medien interpretiert? Aus dem Zitat von Prof. Dr. Conrady “Wir haben festgestellt, dass tatsächlich eine Reihe von Fälschungen beobachtet werden können oder sehr sehr einseitige extrem positive oder sehr negative Darstellungen. In der Summe gehen wir davon aus, das ungefähr bei einem Drittel der Beurteilungen Vorsicht angebracht ist, weil es sich entweder um stark irreführende Beurteilungen oder sogar Fälschungen handelt” (im Video ab Sekunde 47) wird online die Überschrift: “Jede dritte Hotelbewertung ist gefälscht”. Es versteht sich zudem von selbst, dass eine Verlinkung auf die online publizierten Studienergebnisse fehlt.

Mein persönliches Fazit: Wie so oft liegt die Tücke im Detail. Insofern würde ich mir von etablierten Medien wie dem ZDF wünschen, das Vertrauen der Verbraucher in das Medium Internet nicht durch eine einseitige und zudem fahrlässig verkürzte Darstellung zu gefährden. Eine ergänzende kritische Analyse der Studienergebnisse durch Branchenkenner hätte eine differenzierte Sicht auf das Thema ergeben. Und das sollte das Ziel einer jeden Medienberichterstattung sein, zumindest beim öffentlich rechtlichen Rundfunk.

Last but not least: Der Erdbeerkuchen meiner Mama war sehr groß, wir waren alleine auf der Terrasse und hatten viel Zeit. Insofern weiß sie jetzt, dass Hotelbewertungen sicher nicht zu einem Drittel gefälscht sind.

NEWS.at hat am Montag einen bemerkenswert kritischen Artikel über Raiffeisen veröffentlicht. Wenige Stunden später war dieser aber nicht mehr auffindbar. Der Autor bestätigte uns gegenüber nur, dass der Artikel online war, wollte jedoch keine weitere Stellungnahme abgeben. Laut einem Verlagsinsider, der ungenannt bleiben möchte, wurde der Artikel nach einer Intervention der NEWS-Verlagsleitung bei der Chefredaktion entfernt. Der NEWS-Verlag steht zu 25,3 % im Eigentum von Raiffeisen/Kurier.

Machtfaktor Raiffeisen

Wie konnte aus einer kleinen Selbsthilfegruppe verarmter Landwirte die mächtigste und größte Firmengruppe des Landes werden? Dieser Frage gingen die Autoren Lutz Holzinger und Clemens Staudinger in ihrem „Schwarzbuch Raiffeisen“ nach und trugen dabei akribisch Informationen über den Großkonzern zusammen, die diesen nicht immer im besten Licht darstellen. NEWS.AT sprach mit den Autoren über ihr Buch und Raiffeisen.

In dem Beitrag (hier eine gerettete Textversion) wurden die Machtstrukturen von Raiffeisen beleuchtet. Quasi-Monopole zum Nachteil von Produzenten und Konsumenten, öffentlich kaum beachteter Einfluss auf bekannte Unternehmen, Verflechtungen mit Medien und Politik. Bis hin zu Tricks, die der Bank eine sagenhafte Steuerquote von tlw. nur 1 % bescheren, indem sie die Steuerzahler für Expansionsverluste im Ausland mitzahlen lässt.

Vom neuen Raiffeisen-Chef Erwin Hameseder ist übrigens im Monatsmagazin „Datum“ dieses Zitat überliefert:

Ein Eingreifen direkt bei den Redakteuren gibt es bei mir nicht, das hat auch Christian Konrad nicht gemacht. Ich spreche mit den Führungspersonen, also Herausgebern und Chefredakteuren. Die gehen dann damit um.

 

Update:

Die APA hat sich der Sache angenommen und auch Axel Bogocz, den Geschäftsführer von News-Verlag und News.at, erreicht (hier der Artikel in der „Presse“). Der Artikel sei gelöscht worden, weil er „unseren journalistischen Standards nicht genügt“ habe:

Wenn man den Autoren von ‚Schwarzbuch Raiffeisen‘ so viel Platz für ihre Thesen zum Unternehmen Raiffeisen einräumt, gebietet es die journalistische Fairness, auch einmal die Standpunkte der Raiffeisen dazu zu hören.

Warum man der Raiffeisen nicht in einem zweiten Interview Möglichkeit gegeben hat, ihren Standpunkten Gehör zu verschaffen, anstatt das erste Interview zu löschen, erläuterte Bogocz nicht. Warum sich statt der Chefredaktion die Verlagsleitung um die Einhaltung journalistischer Standards kümmert, ebensowenig. Falter-Chefredakteur Florian Klenk dazu auf Twitter:

 

Scheinbar exklusiv verkündet die Kronen-Zeitung am Titelblatt, was allen anderen entgangen ist: einen „dramatischen Anstieg der Raubüberfälle“ und „alarmierende Zahlen“. Die Wahrheit sieht allerdings anders aus. Und woher die Krone ihre Zahlen hat, weiß nicht einmal die Polizei.

Das Kleinformat bezieht sich im Blattinneren auf den etwas ungewöhnlich Zeitraum zwischen September 2012 und März 2013. Im Artikel räumt man ein, dass österreichweit die Zahl der Raubüberfälle zurückging. „Weniger beruhigend“ sei jedoch der genaue Blick auf die Statistik:

Um auf „700 Prozent Anstieg“ zu kommen, leistet sich die Krone einen besonderen Kunstgriff: Von weit über tausend Raubüberfällen in Österreich wird just eine Auswahl genommen, wo im Vorjahreszeitraum genau ein einziger Überfall verzeichnet wurde, nämlich Trafiken in Niederösterreich. Ausgehend von diesem einen Fall löst jede weitere Anzeige natürlich eine prozentuelle Explosion aus. Der Anstieg auf acht Überfälle gleicht dann den atemberaubenden 700 Prozent. Übrigens: 2009 erwischte es zwölf Trafiken in Niederösterreich (siehe pdf, S. 156).

Dasselbe gilt auch für andere Zahlen der Krone, etwa Raubüberfällen in Wohnungen. Besonders in Wien ein angeblich dramatisches Problem:

Obwohl die Gesamtzahl an Rauben in Wien gesunken ist, schlugen Täter in Wohnungen und Häuser 21-mal öfter zu als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

21-mal öfter? Also ein Plus von 2.100 Prozent? Nein, natürlich nicht. Die Krone meint einen Anstieg von 45 auf 66 Anzeigen, ein Plus von 21. Im Jahr 2011 waren es 92 (pdf, S. 240).

Fraglich ist aber auch, wie sinnvoll es ist, Bundesländer einzeln zu betrachten. Räuber, die in einem Bundesland kein günstiges Ziel finden, gehen womöglich schlicht in ein anderes. Daher lohnt es sich, landesweite Zahlen heranzuziehen. Ein „dramatischer Anstieg“ sieht anders aus.


Zwei Dinge kann man hingegen mit Sicherheit sagen: 1. Raubüberfälle wird es weiterhin geben. 2. In Summe wurden sie in den letzten Jahren weniger:



(Achtung: 2012 ist noch ohne Bundesländer. Details siehe Auswahlmenü)

Die hier verglichenen Zahlen hinken allerdings. Die Krone bezieht sich auf Halbjahreswerte (September bis März), ich verwende die öffentlich zugänglichen Ganzjahresdaten aus den Kriminalberichten*. Es gibt in Österreich nur eine Stelle, die aus erster Hand Auskunft über die Zahl der Raubüberfälle geben kann – und zwar die Polizei. Was sagen also die Gesetzeshüter dazu?

„Zu den Zahlen in der Kronenzeitung gibt das Bundeskriminalamt keine Stellungnahme ab- diese sind nicht nachvollziehbar und stammen nicht von offizieller Seite„, so Pressesprecher Mario Hejl auf Nachfrage. Thomas Keiblinger von der Landesdirektion Wien ergänzt: „Aussagen zu Zahlen von 2013 sind nicht seriös. Diese Zahlen liegen noch gar nicht vor.“

* Zusatz

Der Kriminalbericht für 2012 ist zwar schon fertig, aber noch nicht öffentlich. Auf mehrfache Anfrage verweigerte die Polzei ohne Begründung die Einsicht in das Dokument. Lediglich die im Artikel verwendeten Zahlen für 2012 gab man freundlicherweise aus dem Bericht bekannt. Eine Kollegin, die dieses Thema ebenfalls bearbeiten wollte, hatte weniger Glück. Sie bekam gar keine Zahlen. Wem diese Gutsherrenart fragwürdig vorkommt, der möge hier unterschrieben

Die Gratiszeitung „Österreich“ stempelt in der Ausgabe vom 15. Mai einen psychisch kranken Mann, der noch dazu Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, als „Gemeinde-Bau-Ekel“ ab. Und das natürlich boulevardwirksam auf dem Titelblatt und im Artikel auf Seite 8.

Nicht einmal Menschen mit (psychischer) Behinderung sind also vor vorverurteilender Berichterstattung gefeit. Die Redakteure bezeichnen das Mordopfer als „Gemeindebau-Ekel“, im Artikel sogar als „Gemeindebau-Schreck“. Sie bezichtigen ihn auch des Drogenmissbrauchs:

Laut Anrainer dürfte Frühpensionist Andreas T., der alleine wohnte, ein Drogenproblem gehabt haben.

Außerdem informiert die Redaktion über sein Schizophrenie-Leiden.

Den „ekelhaften“ Eindruck des Opfers komplettiert die Gratiszeitung noch mit dieser Aussage des Nachbarns:

„Wenn er wieder einen Schub hatte, hat er alle angepöbelt.“

Fest steht: das Opfer kann sich nicht mehr verteidigen. Der psychisch kranke Mann, der weder absichtlich noch mutwillig zum „Gemeindebau-Schreck“ wird, kommt im Artikel beinahe schlechter weg als der 16-jährige Täter. Dieser wird nur kurz als „Straßengangster“ bezeichnet.

Das Traurige daran ist aber, dass uns diese pietätlose Arbeitsweise bekannt vorkommt.

In der Printausgabe vom 19. April hat die Tageszeitung Österreich Richter gespielt und einen Verdächtigen an den Pranger gestellt. Das Blatt glaubte bereits zu wissen, wer die Gift-Briefe an US-Präsident Obama und einen Senator geschickt hatte. Nur wenige Tage später stellte sich jedoch heraus, dass der Mann unschuldig ist.

Mit Schlagzeilen wie „Elvis wollte Obama töten“ verurteilte das Blatt einen Elvis-Imitator als Gift-Brief-Attentäter. „Österreich“ veröffentlichte auch online Screenshots und Fotos aus dem Facebook Profil des Verdächtigen. In der Printausgabe auf auf Seite 3 hieß es etwa:

Er war Elvis-Imitator und Obama-Hasser(…) Er verschickte drei Briefe mit Rizin-Gift (…) Der irre Täter ist ein Elvis-Imitator

Die erhoffte Sensationsmeldung blieb jedoch aus. Wie einige Tage später nämlich bekannt wurde, ließen die Ermittler alle Vorwürfe gegen den Verdächtigen fallen und der Mann kam frei. „Die letzte Woche war ein Alptraum“, sagte er laut Medienberichten nach seiner Freilassung.

Auch wenn es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass der Mann hierzulande sein Recht für die erlittenen Kränkung gelten machen wird, so dreht sich der wahre King wegen dieses Fauxpas mit Sicherheit mindestens drei Mal im Grab um.

Vielen Dank an Philipp Schmidt für den Hinweis auf Twitter

Wieder einmal beschleicht uns das Gefühl, dass „Österreich“ mit redaktionellen Artikeln eigentlich etwas bewerben will. Und das nicht nur einmal, sondern gleich fünf Mal infolge!

Zur Eröffnung des Wiener Einkaufszentrums „The Mall“ hat es sich die Gratiszeitung offenbar zum Ziel gemacht, ihren Lesern fünf Tage lang von Eröffnungsangeboten und Gewinnspielen zu erzählen. Alle Ausgaben vom Montag, dem 22.4., bis zum Freitag, dem 25.4., berichten über die Eröffnung. In keinem der Artikel befindet sich ein Hinweis auf eine entgeltliche Einschaltung.

Fünf Berichte innerhalb von fünf Tagen

Eine Kostprobe: Der Leser erfährt von „nationalen und internationalen Marken“ und „tollen Eröffnungsangeboten“. „Weiters gibt es 10.000 Sofortgewinne beim Glücksrad“, „und überall warten Schnäppchen.“ Sieht so journalistische Distanz aus?

Das Einkaufscenter und seine Geschäfte rührten in dieser Woche auch heftig in der Werbetrommel. In der Mittwochsausgabe vom 22.4. findet sich am Cover eine ganzseitige Anzeige zur Eröffnung, eine Beilage von Mediamarkt, und zwei Inserate bzw. ein als Werbung gekennzeichneter Artikel von Interspar – jeweils für ihre Filialen in „The Mall“.

Etwas bekannt kommt uns diese Strategie schon vor: Bereits 2011 berichtete die Gratiszeitung in ähnlicher Weise über eine Mediamarkt-Eröffnung in Stadlau .

Kreativität am Arbeitsplatz wird geschätzt. Etwas zu erfinderisch waren allerdings die Redakteure der Gratiszeitung „Österreich“. Sie bastelten sich eine Exklusivstory, die eigentlich gar keine ist.

Das Blatt berichtet vom dramatisch steigenden Spritpreis, der in den nächsten Jahren auf 2 € pro Liter steigen soll. Die heimische Regierung habe sogar vor, den Preis auf 2,4 € zu erhöhen.

Diese brisanten Informationen entnimmt man einem „Geheimdokument“, zu dem „Österreich“ scheinbar exklusiven Zugang genießt:

Aus einem geheimen Dokument, das ÖSTERREICH vorliegt, geht hervor: SPÖ und ÖVP haben sich offenbar klammheimlich geeinigt. Sie wollen die Mineralölsteuer (MöST) anheben.

Prompt folgt ein Auszug aus dem vermeintlichen Geheimdokument:

Tatsächlich ist dieses „Geheimdokument“ der Energie Strategie Österreich (pdf) aber seit 2010 öffentlich zugänglich – „Österreichs“ weltexklusives Geheimzitat steht dort auf Seite 136. Wirtschaftsminister Mitterlehner und Umweltminister Berlakovic stellten das Papier vor über drei Jahren bei einer Pressekonferenz vor. Der Standard, die Presse und andere berichteten noch am gleichen Tag.

Wir bedanken uns für den anonymen Hinweis.