Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

iPhone 4 - where form meets function. And duct tape. Foto: CC   https://www.flickr.com/photos/jronaldlee/4801102319/APA, dpa und nahezu alle gleich- und zugeschalteten Medien berichteten über die iPhone 4 Antennen-Pressekonferenz, Steve Jobs habe dort verlautet:

„Nach internen Daten des Apple Partners AT&T sei im Vergleich zum Vorgängermodell iPhone 3GS die Rate der Verbindungsabbrüche um ein Prozent gestiegen“

Auch wenn dieser Satz erschütternde 7.150 Google-Treffer bringt (jetzt 7.151), das hat Steve Jobs nicht gesagt. Er sagte: Im Vergleich zum Vorgängermodell 3GS gäbe es beim iPhone 4 weniger als einen zusätzlichen Verbindungsabbruch, pro hundert Gesprächen.

Das klingt recht ähnlich und auch beruhigend wenig. Verdächtig ist hier eigentlich nur die seltsam umständliche Form der Formulierung, die bei einem Rhetorik-Genie wie Steve Jobs stutzig machen sollte. Zu Recht…

Offizielle Zahlen liegen zwar nicht vor, aber Branchen-Insidern zufolge brach beim iPhone 3GS ca. ein Gespräch von hundert ab. Wenn da nun, wie Apple selbst einräumte, knapp eines hinzukommt, dann läge eine Verdoppelung(!) der Verbindungsabbrüche beim iPhone 4 vor — oder eine Steigerung um satte 100 (in Worten: einhundert) Prozent!

Einen Schaden von (vermutlich) plus 100 Prozent auf plus 1 Prozentpunkt kleinzureden, ohne zu lügen und so, dass es die Menschen und Medien tatsächlich schlucken, so ein PR-Genie würde sich wohl auch ein nicht näher genannter Ölkonzern derzeit sehnlichst wünschen.

(Foto: CC James Lee)

Das Wappentier von Österreich ist bekanntermaßen der Adler. Bei jenem „Österreich“, für das täglich sinnlos Bäume sterben, dürfte es hingegen der Geier sein. Über unserem privaten Leben kreisend, nur auf einen günstigen Augenblick wartend, um es genussvoll, öffentlich auszuweiden.

Wo „Krone“ und „Heute“ aufhören, fängt „Österreich“ erst an. Wie sonst wäre eine Geschichte — inzwischen sogar Artikelserie — erklärbar, die in ihrer Schamlosigkeit, Menschenverachtung und Pietätlosigkeit neue Tiefpunkte auf der nach unten offenen Skala des Gossenjournalismus in Österreich setzt (gemeint sind Blatt und Land).

In Wien wurde eine Frau getötet, ihre Leiche zerteilt und in Müllcontainern versteckt. Der mutmaßliche Täter erklärte gegenüber der Polizei, das Messer sei während eines sexuellen Rollenspiels abgerutscht, der Tod ein Unfall, die Verschleierungstaten danach im Schock geschehen.

Das ist im wesentlichen die Nachricht. Vielleicht noch Stellungnahmen der Behörde und des Anwalts, später der Bericht über den Prozess und dessen Ausgang. Eventuell noch Erklärungsversuche zu Tat und Motiv durch befähigte Personen. Mehr geht uns nichts an. Mehr muss keiner wissen.

„Österreich“ hingegen…

Die kaputte Welt... (Österreich, 6.7.2010)

  • zeigt sechs unverpixelte Fotos der Getöteten. (Quelle: „Privat“ — und merkt den Widerspruch nicht.)
  • schreibt vom Titel bis ins Blattinnere stets von „Sex-Mord“ und „Mordopfer“ (womit sich nebenbei auch die Unschuldsvermutung erledigt hätte).
  • titelt pietätvoll: „Die kaputte Welt des Mordopfers“. (Wer läse das nicht gern über einen verlorenen Freund/Verwandten?)
  • spekuliert wild: „Irgendetwas muss in der Jugend der jungen Frau passiert sein: Ein Missbrauch, eine Verletzung […]”
  • diagnostiziert ein „Alkohol- und Borderline-Problem“ (breitet also ganz bewusst und schamlos Eskapaden aus, die laut „Österreichs“ eigener Einschätzung auf einer Erkrankung beruhen könnten).
  • verbreitet Gerüchte über die Mutter der Getöteten („sie war Prostituierte“), die das Opfer laut einer angeblichen Freundin gerüchteweise mal verbreitet haben soll.
  • berichtet über angebliche oder tatsächliche (es geht uns nichts an!) Suizidversuche.
  • lässt über persönliche Facebook-Inhalte (in Text und Bild), bis hin zu einem sog. Pornovideo, „das ÖSTERREICH vorliegt“ (und vermutlich in Kürze auf der Homepage zu sehen sein wird) kein Tat-irrelevantes, privates Detail aus, dessen die Redaktion habhaft werden konnte.
  • benutzt ein Verbrechen als Vorwand, um das gesamte Leben eines Menschen in den Dreck zu schreiben und darin endgültig auszulöschen.

Und das war jetzt nur, wie „Österreich“ über das Opfer(!) berichtet hat…

Update Nov. 2010: Auf unser Betreiben verurteilte der „Österreichische Medienrat“ am 11. Nov. per OTS-Aussendung diese Form der Berichterstattung.

Update Mai. 2011: „Österreich“ und andere Medien berichten nach wie vor ohne Rücksicht auf den Persönlichkeitsschutz über den Fall.

Bevor uns das Sommerloch schluckt und mit etwas Regen nachspült, ein paar Lesetipps:

  • News networks giving a greater voice to viewers because the social web is so popular are like a chef on the Titanic who, seeing the looming iceberg and fleeing customers, figures ice is the future and starts making snow cones.„Tangst“ und „Textaphrenie“ gehen unter SMS-Vieltippern um, glaubt man den Viel-, Ver- und Abtippern bei APA, Kurier, Standard, Futurzone et al. Einzig die traditionell APA-fernere Krone scheint das skeptischer zu sehen („ausgemachter Blödsinn“) — und hat Recht. Die ganze Story hat Anatol Stefanowitsch mit übermenschlichemjournalistischem Rechercheaufwand (eine E-Mail an die vorgebliche Forscherin) hier zusammengetragen. (Via BILDblog).
  • Blogger wissen es halt meist besser als die Journalisten. Ob wir’s allerdings auch besser machen, wenn wir die Chance dazu kriegen, daran darf gezweifelt werden. Die „Scroll-Edition“ (PDF), ein WELT KOMPAKT-Experiment mit Bloggern als Redakteuren, ist jedenfalls grandios gescheitert. „Blogger sind auch nur Menschen„, sagt dazu die Redaktion. „Blogger sind keine Journalisten“ und im gedruckten Wort trete die „Belanglosigkeit des Webs“ halt erst richtig zutage, meinen hingegen Blogger. Eine Übersicht über die verschiedenen Reaktionen, positiv wie negativ, hat die ZEIT in ihrer Blogschau zur Scroll-Edition gesammelt.
  • Grandios gelungen hingegen dürfte ein anderes Zeitungs-Zukunfts-Experiment sein: Das Fontblog hat die iPad-Version von WIRED mit der gedruckten Ausgabe verglichen und scheint zu Recht tief beeindruckt — kein Vergleich zum Verriss der SPIEGEL-App, einige Wochen zuvor. (Via EnlargeYourPen)
  • Grandios daneben — und längst vom Lauf der Dinge Lügen gestraft — schließlich noch die Erklärungen des deutschen Bundestrainers zu angeblich genetischen Vorteilen der Afrikaner und die unkritische Rezeption solcher Aussagen in den Medien, findet zumindest „Blogkow“.
  • Ja, und falls auf Kobuk grad mal nix läuft, können wir immer einen kurzweiligen Abstecher zu nömix empfehlen.

(Foto: CC xkcd)

Großartige Medienkritik zweier Studenten, über die Fernsehkritik.tv berichtet:

Text: „Hartz IV TV – Gegen Niveaulosigkeit im Nachmittags-TV“. Live auf Sendung beim WM-Spiel Kamerun gegen die Niederlande.

Vol.at hat ein paar Handyfotos von einer jungen Frau, die sich erdreistet als Verkäuferin zu arbeiten, aus der untersten Schublade gezogen.

Danke an Johannes M. für den gehaltvollen Tip zum geschmacklosen Artikel!

Grafik: kabarett.at

Durch das Ableben von Hans Dichand ist ein besonderers Medienereignis untergegangen: Der Beschluss des neuen ORF-Gesetzes (PDF), das auch die Einstellung der ORF Futurezone mit sich bringt.

Dazu ein paar Stimmen aus der Blogosphäre:

Beate Firlinger tritt in einem offenen Email an Medien-Staatssekretär Ostermayer für den Weiterbestand der Futurezone ein:

Die zahlreichen Argumente, die [gegen eine Einstellung] sprechen, sind Ihnen sicher bekannt. Ich möchte sie hier nicht wiederholen, nur darauf hinweisen, dass aus meiner bescheidenen Sicht die Vereinbarung zwischen ORF und VÖZ eine Form des Protektionismus darstellt, der nicht im Sinne zukunftsfähiger öffentlich-rechtlicher Online-Angebote des ORF agiert.

Martin Blumenau hält die Entscheidung ebenfalls für einen Fehler:

(..) Zudem versagt sich das Unternehmen (wie das einer der diesbezüglichen Vordenker formulierte) auch nur die Möglichkeit des Nachdenkens über den nächsten Schritt, also der demnächst aufschlagenden 3.0-Revolution. Das wird noch gravierende Probleme nach sich ziehen. Ein Gesetz ist allerdings nur für ein paar Jahre gültig, ehe es novelliert oder ersetzt wird – der Tod hingegen währt für immer.

In ihrem Blog KoopTech beschreibt Christiane Schulzki-Haddouti die Einstellung der Futurezone als Bauernopfer gegenüber dem Verband Österreichischer Zeitungsherausgeber im Streit um einen geschätzten Werbekuchen von 5 Mio €. Sie kritisiert:

Möglicherweise weiß ORF-Verhandlungsführer Grasl aber gar nicht, was er damit aufgegeben hat. Nämlich neben heise.de die einzige zuverlässige konstante Quelle zur europäischen Netzpolitik im deutschsprachigen Raum.

Ritchie Pettauer sieht das anders und stellt die Qualität der Fuzo in Frage:

Ich kann ein­fach nicht mit gutem Gewissen dafür ein­tre­ten, dass mit mei­nem Steuergeld eine Redaktion finan­ziert wird, die zum Großteil Meldungen wie “Lange Wartezeiten für iPhone 4 — Rekordandrang ver­zö­gert Auslieferung” von den Primärquellen ab– und umschreibt.

Mittlerweile hat sich mit „Retten wir die Futurezone“ und auf Facebook eine Initiative gebildet, die den ORF auffordert, Marke, Domain und Inhalte der Community zu übergeben, damit eine Weiterführung möglich wird.

Stellen Sie sich vor: Sie lesen in „Heute“ folgende Schlagzeile:

Sie wissen also schon mal, dass es sich um eine 32-jährige Österreicherin handeln muss, die offensichtlich ein Kind entführt hat. Das passende Bild unter der Schlagzeile lässt vermuten, dass diese Person mollig bis dick ist und dunkle Haare hat:

Zusätzlich dazu veröffentlicht „Heute“ im selben Artikel, dass es sich um eine „Elisabeth Sch.“ handelt, die eine Wohnung in Kössen, einem 4000-Seelen-Dorf in Tirol, hat.

Im § 7a des Österreichischen Mediengesetzes steht dazu Folgendes:

Werden in einem Medium der Name, das Bild oder andere Angaben veröffentlicht, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität einer Person zu führen, die (..) einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist oder wegen einer solchen verurteilt wurde, und werden hiedurch schutzwürdige Interessen dieser Person verletzt, (..) so hat der Betroffene gegen den Medieninhaber Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Kränkung.

Wer sich kurz Zeit nimmt und ein wenig googelt, hat schnell heraus gefunden, wieviele Elisabeths mit „Sch“ beginnendem Nachnamen es in Kössen gibt: Es sind mindestens sechs, leicht inklusive Anschrift und Telefonnummern auffindbar. Das alles innerhalb von wenigen Klicks für JEDEN! ersichtlich, dem Internet sei Dank.

Und jetzt stellen Sie sich vor, sie würden sich – aus welchen bizarren Gründen auch immer – an dieser Person rächen wollen. Glauben Sie, sie könnten dies mit Hilfe der Informationen im „Heute“-Artikel und beschränkten Internetkenntnissen bewerkstelligen? Glauben Sie, es wäre Ihnen möglich, herauszufinden, wer diese Frau Sch. ist, wo sie genau wohnt, wo sie arbeitet, vielleicht sogar wer ihre Familie ist? Bedenken Sie ihre Rachegefühle, ihren Hass! Wer könnte Sie schon aufhalten?

Oder was wäre, wenn Sie eine dieser Elisabeth Sch’s aus Kössen wären. Vielleicht sind Sie auch etwas mollig.

Und jetzt überdenken Sie nocheinmal die Rolle von „Heute“ und dem Schöpfer dieses Artikels, Claus Kramsl. Hätte er geschrieben „Elisabeth S.“ wären es immerhin neun Personentreffer mit Anschrift und Telefonnummer gewesen. Bei einer „Elisabeth S. aus dem Bezirk Kitzbühel“ (in dem Kössen liegt) wären es bereits 54 Treffer gewesen. Die Erweiterung auf Tirol hätte gar 415 Treffer erbracht. Niemand hätte nachvollziehen können, um wen es sich genau handeln könnte.

Die eigentliche Identität von Elisabeth Sch. hat „Heute“ nicht veröffentlicht, aber was ist mit den „andere Angaben“ , die (laut Mediengesetz) „geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität einer Person zu führen“?

Eine Frage, Herr Kramsl: Würden Sie einen Täter, der zufälligerweise wie Sie Claus K. heißt und aus Ihrem Heimatort stammt, auch so beschreiben?

Lieber Peter Pelinka,

In „Heute“ vom Dienstag, den 22.6.10 vergleichen Sie in ihrer Kolumne „Im Brennpunkt“ die Wiederwahl H.C. Straches mit 99,1% zum FPÖ-Parteichef mit nordkoreanischen Verhältnissen:

99,1 Prozent der Delegierten haben ihn gewählt und über seine Tiraden gegen alle ausländischen Gegner und inländischen Verräter gejubelt. Im Austria Center, aber sonst ganz wie daheim in Pjönjang. Das Ergebnis mutet ein wenig nordkoreanisch an? Gar nicht. Vor zwei Jahren waren es gar 99,3 Prozent gewesen.

Dass solche Wahlergebnisse in der österreichischen Politik so wie in wahrscheinlich jeder anderen Demokratie der Welt keine Seltenheit darstellen, darüber verlieren sie kein Wort: So wurde Werner Faymann erst vor kurzem mit 93,8 % zum Parteichef der SPÖ wiedergewählt, Eva Glawischnig Anfang 2009 mit 97,4% zur Bundesprecherin der Grünen.

Außerdem machen Sie in der selben Kolumne Kim Ir-sen alias Kim Il-sung zum aktuellen nordkoreanischen Diktator. Nur ist dieser bereits 1994 verstorben. Momentaner militärischer Anführer und damit Diktator Nordkoreas ist, wie auch auch Ihr „News“ schreibt,  seit seinem Tod sein Sohn Kim Jong-Il.

Vielleicht war der Onlineredaktion von Heute.at der erste Artikel zu diesem Vorfall nicht skandalös genug, und so schrieb man eben – zeitgleich – einen zweiten:

Die Beinahe-Katastrophe von Tirol: […] Weil das zweite Triebwerk auszufallen und das zurückgekehrte Flugzeug über Innsbruck abzustürzen drohte, wurden sämtliche Feuerwehren alarmiert!

Dass weder eine Absturzgefahr noch eine Katastrophe drohte, kann man auch bei den Kollegen vor Ort nachlesen.

Die Illustration war ebenfalls fishy.

Die Abschiebung der Zogajs ist in Österreich zu einem heißen politischen Thema geworden. Heiß wird einem jedoch auch beim Lesen dieses DerStandard.at -Artikels aufgrund von ungeschickt platzierten Werbungen, die in diesem Kontext einfach nur bösartig wirken.

Herzlichen Dank an Georg R. für den Hinweis!