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und schauen fern.

Kategorie: z Medien

Der Presserat ist der gerüchteweise zahnlose Kopf der freiwilligen Selbstkontrolle von Printmedien in Österreich. Für diesen Freitag lädt er zu seinem Rückblick auf das Jahr 2018. Grund genug, sich anzusehen, welche unmittelbare Wirkung seine Entscheidungen bei den betroffenen Medien zeigten. (Spoiler: es gibt noch Luft nach oben.)

Nachfolgend alle im letzten Jahr festgestellten Verstöße gegen den journalistischen Ehrenkodex, wo vom Presserat zumindest eine freiwillige Veröffentlichung der Entscheidung im jeweiligen Medium gefordert wurde.

Grün: das Medium ist der Aufforderung anstandslos gefolgt
Gelb: es gab zumindest eine wahrnehmbare Reaktion (außer Löschungen, die niemand mehr mitbekommt)
Rot: der Presserat wurde mehr oder weniger ignoriert

(Der erste Link verweist stets auf das PDF des Presserats mit Falldarstellung und Entscheidung)


23.01.2018 – Krone:  Vorwürfe gegen das Grazer „Forum Stadtpark“, es gäbe Verbindung zu Vandalismus bei Protesten gegen das Murkraftwerk, ohne den Beschuldigten eine Stellungnahme zu ermöglichen

Reaktion: Keine. Artikel steht unverändert online.


25.01.2018 – Krone: Berichterstattung über Suizid eines kroatischen Generals („Starker Abgang wie einst von Göring“)

Reaktion: Keine


01.02.2018 – News: Überschießende Berichterstattung über Suizid eines 11-jährigen Asylwerbers

Reaktion: Erwähnung der Entscheidung im Editorial. Zudem hob der Senat bereits in seiner Entscheidung positiv hervor, dass in der Folgeausgabe ein Essay zum Thema „sensible Medienberichterstattung über Suizide“ veröffentlicht wurde.


08.03.2018 – Österreich: Bericht über „Hausverbot für Nikolo“ nicht ausreichend recherchiert – erforderliche Stellungnahme erst in Folgeartikel nachgereicht

Reaktion: Keine


08.03.2018 – OÖN: „Marchtrenker feiert Ende seiner Ehe mit Scheidungsparty für 350 Gäste“ — Berichterstattung über (zu) private Details einer Scheidung

Reaktion: Da es sich um ein Schiedsverfahren aufgrund der Beschwerde einer direkt betroffenen Partei handelte, musste in diesem Fall die Entscheidung nach den Vorgaben des Presserats veröffentlicht werden. Zudem wurde der Online-Artikel entfernt.


20.03.2018 – Krone: Falsche Zahlen zu straffälligen Asylwerbenden („45,9% der kriminellen Ausländer sind Asylwerber“)

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel ohne Berichtigung gelöscht.


03.04.2018 – Wochenblick: In einer Artikelserie über Migration in Schweden wurde das Land dargestellt, „als wäre es auf  dem Weg in den Untergang“ — die Leser wurden von der Autorin „auf geradezu systematische Art und Weise getäuscht“

Reaktion: Mehrere Bildschirmseiten lange Erwiderungen von Chefredakteur und Autorin (Archivlinks), in denen dem Presserat u.a. unlautere (Konkurrenz-)Motive unterstellt werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den detaillierten Kritikpunkten des Presserats erfolgte nicht, trotz Beteuerung, die Autorin habe in einem Kommentar „ausführlich sämtliche Anschuldigungen widerlegt“.


08.05.2018 – Krone: Veröffentlichung des unverpixelten Bildes eines Mordopfers verstößt gegen Ehrenkodex — Persönlichkeitssphäre ist auch über den Tod hinaus zu wahren

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel gelöscht.


13.06.2018 – Krone: Unverpixeltes Foto von Mordopfer

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Privates Facebook-Foto aus Artikel gelöscht.


26.06.2018 – Österreich /14.09.2018 – Krone, Heute: Detaillierte Berichterstattung über Suizid von DJ Avicii erhöht Gefahr von Nachahmung

Reaktion (alle drei Medien): Keine. Alle Artikel mit den Details des Suizids stehen unverändert online.


Zeit für einen leichteren Zwischengang: Hier die abgewiesene Beschwerde der „Gräfin vom Naschmarkt“, samt Feststellung des Presserats: „Vernichtende Restaurankritik [ist] kein Ethikverstoß“

Reaktion: Severin Corti unter seinem Artikel für den selbstlosen Einsatz danken.


03.07.2018 – OÖN, Trend: Video von Ikea in redaktionellem Online-Artikel nicht ausreichend gekennzeichnet

Reaktion: OÖN veröffentlichen die Entscheidung und räumen ein: „[Das] Video […] hätte mit dem Wort ‚Quelle: Ikea‘ versehen werden müssen. Wir entschuldigen uns dafür.“ Im Originalartikel bleibt es dennoch ungekennzeichnet.

Der Trend löscht das Video aus dem Artikel. Keine Erwähnung der Entscheidung.


09.10.2018 – Wochenblick: SPÖ und ÖGB wird Gewaltbereitschaft unterstellt und zu Unrecht vorgeworfen, strafbare Handlungen bis hin zu Körperverletzungen und Mord gutzuheißen.

Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)


24.10.2018 – Zur Zeit: Diffamierung von Roma und Sinti als „Zigeuner“ und ethnische Zuordnung einer schweren Straftat ohne Beleg

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel steht unverändert online.


24.10.2018 – Österreich: Veröffentlichung zahlreicher Fotos von ermordeten Frauen stellt Persönlichkeitsverletzung dar

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. „Österreich“ verpixelt nun aber meist die Augen minimal, was die Erkennbarkeit der Opfer jedoch nur unwesentlich einschränkt.


11.12.2018 – alles roger: Artikel über „Österreich-Netzwerk“ von George Soros nicht ausreichend recherchiert, persönlichkeitsverletzend und diskriminierend

Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)


Resümee

Dass sich die üblichen Verdächtigen eher wenig um Verurteilungen durch den Presserat kümmern und diese in manchen jeann… journalistischen Parallelwelten sogar als Ritterschlag gehandelt werden, überrascht nicht weiter. Wenn aber sogar grenzwertige Suizidbeschreibungen bei den größten Boulevardmedien des Landes trotz Presseratsurteil unverändert online bleiben, dann wird die Grenze zwischen freiwilliger Selbstkontrolle und -aufgabe fließend.

Es regnet, es schneit, es hagelt, es scheint die Sonne – so, oder zumindest so ähnlich neutral stellt man sich die Wetterberichterstattung vor. Doch Österreich illustriert Wetterberichte fast immer mit Bikinibildern.

Von den 37 Ausgaben von Österreich vom 1. Mai bis zum 10. Juni, die ich mir angesehen habe, enthielten 13 sexualisierte Wetterberichte – also mehr als ein Drittel. Vier Mal schmückte eine knapp bekleidete Frau sogar das Titelblatt.

Interessant dabei war, dass die Häufigkeit der Bikinibilder mit der Temperatursteigerung zunahm. Vom 1. bis zum 31. Mai wurden sechs Bikinibildern in Zusammenhang mit dem Wetterbericht abgebildet. In den ersten zehn Junitagen waren es bereits sieben – drei davon auf dem Titelblatt.

Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser beim Baden

In diesen 37 Ausgaben wurde übrigens genau ein oberkörperfreier Mann im Rahmen der Wetterberichterstattung gezeigt: Der Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser am 26. Mai  – von Sexualisierung hier aber keine Spur.

Dass der Wetterbericht die meiste Zeit eher unspannend ist, ist wohl nicht zu leugnen. Es bleibt die Frage, ob es deshalb nötig ist, das Wetter mit Bikinibildern zu illustrieren und somit unnötig zu sexualisieren.

„Fast 38.000 Beamte im Dienst verletzt“, diese schockierende Zahl titelte die Kronen Zeitung am Freitag. Und das ist allein schon deshalb erstaunlich, weil das um 8.000 Polizisten mehr sind, als es in ganz Österreich gibt.

Tief im Blattinneren löst sich dann für aufmerksame „Krone“-Leser des Rätsels erster Teil: die beiden Redakteure haben schlicht alle verletzten Polizisten bis zurück ins Jahr 2000 (!) addiert — ebenso gut hätten sie bis Metternich gehen können, aber das wäre wohl doch zu sehr aufgefallen:

Das Aufsummieren über eine willkürliche Anzahl Jahre ist statistisch eine eher nutzlose Übung, hat aber den Vorteil, dass es zu einer beeindruckenden Zahl führt, die auch praktischerweise immer nur steigen kann. Der Kronen Zeitung gefällt dieser Trick so gut, dass sie ihn nun regelmäßig bringt. Hier, vor vier Monaten, der selbe Polizeialarm, die gleiche Grafik, nur Beipacktext und Zahlen unterscheiden sich:

Kobuk-Basteltipp: Grafik ausschneiden und sammeln. Am Ende des Jahres geht sich vielleicht ein Daumenkino aus.

Der Täuschung zweiter Teil

Wer nun dem Rest der Schlagzeile vertraut und glaubt, dass diese 38.000 dann immerhin „im Dienst“ Opfer von „Gewalt gegen Polizisten“ geworden seien, geht der „Krone“ erneut auf den Leim. Denn diese Zahl enthält zur Hälfte auch all jene Beamten, die sich im Dienst ganz „normal“ verletzt haben oder wie es im Februar die Oberösterreich-„Krone“ noch fast häretisch formulierte:

Hälfte ist selbst schuld

[…] Dabei geht die Gefahr aber in kaum 50 Prozent von irgendwelchen bösen Buben aus, mit denen die Beamten sich herumschlagen müssen. Öfter verletzen sie sich beim Sport oder im Dienstalltag.

 

Was bleibt von der Schlagzeile?

Wenn man die Kampagnen-Hysterie abzieht, bleiben von den 38.000 Übergriffen auf der Titelseite ca. 1.100 im letzten Jahr. Knapp 90 Prozent davon waren leichte Verletzungen und ca. jeden dritten Tag wurde ein Polizist wegen einer Amtshandlung schwer verletzt.

Und ja, die absolute Zahl steigt. Das könnte zum Teil aber auch strukturelle Gründe haben:

 

Was macht die Kronen Zeitung hier?

Was wir in der „Krone“ zum Thema Polizei lesen, ist kein Journalismus. Es ist die ungefilterte Position des Innenministeriums, der Polizeigewerkschaft und einer Redaktion, die von exklusiven Geschichten aus diesen Quellen lebt. Eine andere Seite kommt — trotz Doppelseite — nicht vor.

Am Ende dieses Weges werden wir wie selbstverständlich „wissen“, welche Maßnahmen nun absolut nötig, ja längst an der Zeit seien. Und dass es angesichts der Nachrichtenlage geradezu absurd wäre, diese Pläne infrage zu stellen.

Für welche Pläne das Triumvirat aus „Krone“, Kanzler, Vizekanzler hier gerade den Boden bereitet, ist auch kein großes Rätsel mehr:

„… daher braucht es ein Ende der Täter-Opfer-Umkehr.“

„Krone“ gegen „Falter“, das ist ein bisschen wie Simmering gegen Kapfenberg – nur die Fouls sind brutaler. So hat letzten Freitag der „Falter“ eine Geschichte veröffentlicht, die für weltweites Aufsehen sorgte. Da kam auch die Kronen Zeitung nicht am linken „Bolschewiken-Blattl“, wie sie den „Falter“ gerne nennt, vorbei — vorerst jedenfalls …

Hier ein Screenshot der ersten Meldung auf krone.at:

Elf Mal wird der „Falter“ superkorrekt als Story- und Bildquelle erwähnt. Aber am nächsten Morgen, als die Printausgabe der „Krone“ auf die Straße kommt, hat sich die Online-Meldung plötzlich (ohne redaktionellen Hinweis auf eine Überarbeitung) deutlich verändert:

Kein Wort mehr vom „Falter“ (nur einige Leserpostings sind noch Zeugen seiner vergangenen Existenz), dafür gleich nach dem ersten Absatz dieser überraschende neue Hinweis:

Der „Krone“ liegen die Aufnahmen vor – alle Details finden Sie hier.

Der Link führt auf einen Artikel, der noch mal beschreibt, was im Video zu sehen ist. Nur mit einem feinen Unterschied — als Video- und Fotoquelle steht hier nun zwölf Mal: „Krone“. Und diesen fliegenden Copyright-Übergang verdankt sie, will man ihr glauben [wir wollen, siehe Update ganz unten], einem verblüffenden Fund in der eigenen Redaktion:

Gerade noch rechtzeitig vor dem Andruck ist den Blattmachern also eingefallen, dass auch die „Krone“ das Falter-Video von einem „Whistleblower“ zugeschickt bekommen hat. Was ihnen praktischerweise die Verlegenheit erspart, in „ihrem“ Printaufmacher auch nur ein einziges Mal auf die unliebsame Konkurrenz zu verweisen. Wobei, ganz stimmt das nicht, der „Falter“ läuft jetzt unter „anderen Medien“:

Wie konnte die „Krone“-Redaktion das mit dem Whistleblower nur vergessen? Und warum hat sie diesen publizistischen Knüller, der ihr weltweit Beachtung eingebracht hätte, nicht sofort selbst verwertet?

Nun, der „Falter“-Chef und Autor besagter Geschichte hat da auf Twitter so seine eigene Theorie:

 

Update 6. Mai 2018:
Die „Krone“ hat das Video laut „Falter“ auch vom Whistleblower erhalten und „die Story schlicht verschlafen“. Aber zumindest beim Verwischen der „Falter“-Spuren war sie dann hellwach.

„Als Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum führt Wien das Ranking einer Städte-Studie an. Jeder achtzigste bewohnte Haushalt in der Bundeshauptstadt wurde bereits einmal von einem Einbrecher geknackt.“

Mit diesen beiden Sätzen beginnt ein Artikel der Gratis-Zeitung „Heute“ vom 21. November 2017 zum Thema „Wo die Kriminellen in Wien zuschlagen“. Begibt man sich nun auf die Suche nach der erwähnten Studie – zu der es keine Quellenangabe im Text gibt – wird man doch relativ schnell stutzig, denn die Studie scheint nicht auffindbar.

Man stößt allerdings auf einen Beitrag des Onlineportals trend.at vom 15.08.2012, in dem es heißt:

„Als Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum führt Wien das Ranking der Städte-Studie an. Jeder achtzigste bewohnte Haushalt in der Bundeshauptstadt wurde bereits einmal von einem Einbrecher geknackt.“

Wort für Wort ident mit dem Artikel aus „Heute“. Der Artikel von trend.at bezieht sich auf eine Studie des Online-Portals geld.de aus dem Jahr 2011, die allerdings inzwischen nicht mehr auffindbar ist. Jedoch erfährt man aus einem Artikel der Presse, dass die Zahlen, die der Studie zu Grunde liegen, aus dem Jahr 2009 stammen.

Heute schreibt also nicht nur von trend.at ab, sondern bezieht sich auch auf acht Jahre alte Zahlen.

Kann man nun aber noch immer behaupten, dass Wien die Einbrecher-Hochburg des deutschsprachigen Raumes wäre? Diese Frage kann ganz klar mit NEIN beantwortet werden. Der Vergleich mit beispielsweise Hannover macht sicher:

Im Jahr 2016 gab es in Wien laut Statistik Austria insgesamt 901.900 Privathaushalte, dem gegenüber stehen 6.173 Einbruchsdiebstähle in Wohnungen und Wohnhäuser. Daraus ergibt sich, dass in Wien 2016 in etwa jeden 146. Haushalt eingebrochen wurde, was einen deutlichen Rückgang gegenüber der Zahlen aus dem Jahr 2009 darstellt. Zum Vergleich: in Hannover wurde im Jahr 2016 etwa in jeden 101. Privathaushalt eingebrochen, was einen deutlich höheren Wert als jenen des selben Jahres in Wien darstellt. Das Beispiel Hannover soll nur beweisen, dass Wien nicht die „Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum“ ist und soll nicht heißen, dass diese nun Hannover wäre.

Über die Gründe wieso hier dermaßen schlampig gearbeitet wurde, kann man nur mutmaßen. Betrachtet man die Seite, auf der der Artikel erschien jedoch als Ganzes, beschleicht einen ein Verdacht. Gleich drei Inserate zum Thema Einbruchsprävention scheinen direkt unter besagtem Artikel auf. Ein Schelm, wer böses denkt.

Da wundert es auch nicht, dass „Heute“ verschweigt, dass die Einbrüche in Wien weniger werden (PDF S. 72).

Roland Düringer protestiert in einem Facebook-Video „aufs Schärfste gegen die empörend falsche Berichterstattung“ über die Nummer 1 auf seiner Liste „Gilt“, Günther Lassi. Rudi Fussi, der die Liste mit seiner PR-Firma berät, schreibt auf Twitter vom „Ausdruck einer massiven Medienkrise in Österreich“. Stimmt das? Eine Spurensuche.

Tatsächlich hat Günther Lassi auf seiner mittlerweile abgedrehten Website (die sich weiterhin im Archiv der Wayback Machine findet) die antisemitische Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ als PDF zum Download angeboten. Und tatsächlich findet sich an anderer Stelle seiner Website auch Wilhelm Reichs Buch „Die Massenpsychologie des Faschismus“. An wiederum anderer Stelle bot Lassi den Text „Esoterische Ufologie und ihre rechtsextreme Schlagseite“ zum Download an, in dem die Protokolle der Weisen von Zion in einem halben Absatz behandelt und als „rassistisch“, „lebensverachtend“ und „unmenschlich“ bezeichnet werden.

Düringer argumentiert daher, Medien hätten zu Unrecht behauptet, Lassi sei Antisemit, und sie würden ihn „vorführen“. Und tatsächlich hat kein Medium in der Berichterstattung erwähnt, dass Lassi neben dem antisemitischen Text auch zwei Texte veröffentlicht hat, die man als antifaschistisch bezeichnen kann. Düringers Frustration über das Licht, in dem Lassi medial erscheint, ist also verständlich.

Eine „empörend falsche Berichterstattung“ kann man den Medien jedoch nicht vorwerfen:

  1. Entgegen Düringers Behauptung, hat, soweit ich sehen kann, kein Medium Lassi als Antisemiten bezeichnet. Die ZIB1 berichtete am Dienstag wahrheitsgemäß, Lassi „sorgt mit antisemitischem Posting für Aufregung“ und „hatte zur antisemitischen Hetzschrift verlinkt“. Die Oberösterreichischen Nachrichten sprachen vom Publizieren eines antisemitischen Pamphlets, der Standard vom Verlinken antisemitischer Inhalte, die APA-Meldung zur Angelegenheit von einem „Link zum antisemitischen Pamphlet“ und Heute, die als erstes über die Sache berichtet hatten, schrieben wahrheitsgemäß „Spitzenkandidat verbreitet Antisemitismus“. Lediglich Puls4 betitelt auf seiner Website den entsprechenden Nachrichtenbeitrag mit „Antisemitischer Spitzenkandidat?“, im Beitrag kam aber auch das nicht vor. Medien haben also faktentreu berichtet. Zumindest wenn man von der kleinen Unkorrektheit absieht, dass die meisten Medien von einer Verlinkung berichteten, das Pamphlet aber in Wirklichkeit als PDF auf der Seite selbst hochgeladen worden war.
  2. Auch der Nachrichtenwert ist gegeben: Wenn die Nummer eins der Bundesliste einer bundesweit zum Nationalrat kandidierenden Liste auf seiner Website einen antisemitischen Text veröffentlicht, ist das wohl berichtenswert.
  3. Entgegen der Darstellung Düringers waren die beiden antifaschistischen Texte nicht im gleichen Kontext veröffentlicht wie der antisemitische, sondern an anderer Stelle der Website. Kein Medium hat also eine Relativierung oder Einordnung des Pamphlets unterschlagen, eine solche gab es nicht.

Für die „massive Medienkrise“ müsste man sich also andere Beispiele suchen.

„Österreich“ dramatisiert die Zahlen der Kriminalstatistik 2016 maßlos und verbreitet (wieder einmal) Panik.

„Die Kriminalität in Österreich steigt. Ganz extrem sogar bei Gewaltdelikten“ – so  steht es im ersten Absatz des Artikels. Der Anstieg der Gewaltkriminalität von 6,9 Prozent stimmt zwar, doch das Boulevardblatt verschweigt zwei wichtige Punkte:

Erstens ist die Entwicklung der Gewaltkriminalität viel weniger dramatisch als von „Österreich“ behauptet. Oder sieht so ein „ganz extremer“ Anstieg aus?

Zweitens gab es im Jänner 2016 einige Neuerungen im Strafrecht (beispielsweise eine Verschärfung der Gesetze bei sexueller Belästigung), wodurch mehr Anzeigen in der Statistik landen.

Zudem: Wenn für „Österreich“ die 6,9 Prozent Anstieg der Gewaltkriminalität schon „extrem“ ist, warum erwähnt die Redaktion mit keinem Wort den Anstieg der Cyber-Kriminalität? Hier verzeichnet die Statistik immerhin einen Zuwachs von 30,9 Prozent! Womöglich ja deshalb, weil Gewaltkriminalität ganz andere, viel furchterregendere Bilder im Kopf auslöst, als sperrige Begriffe wie „Cyber-Kriminalität“.

 

„Österreich“ schreibt außerdem von einem „Schock: Alle 90 Minuten wird eingebrochen“. Wir haben nachgerechnet. Nicht alle 90, sondern sogar alle 40 Minuten wird eingebrochen. Doch die Zahl der Einbrüche ging vergangenes Jahr deutlich zurück, um 16,4 Prozent. 2016 gab es damit die wenigsten Einbrüche der vergangenen  10 Jahre. Die Boulevardzeitung erwähnt das nur nebenbei, dabei gab es doch letztes Jahr laut „Österreich“ noch das Problem der „explodierenden“ Einbrüche. Wo bleibt denn jetzt der große Artikel zu den implodierenden Einbrüchen?

Die sinkenden KFZ-Diebstähle (-10,0 Prozent) passen scheinbar ebenso nicht in das gewünschte Bild der „Österreich“-Redaktion und werden komplett verschwiegen. Der ganze Artikel gibt einem also das Gefühl, dass man sich in Österreich nicht mehr sicher fühlen kann. Aber: Laut Global Peace Index 2016 ist Österreich auf Platz 3 der sichersten Länder weltweit!

Dass „Österreich“ gerne Panik um steigende (oder in ihren Worten: „explodierende“) Kriminalität verbreitet, wissen wir ja mittlerweile. Daher zur Erinnerung hier die Entwicklung der Gesamtkriminalität:

Heute, Österreich und die Krone berichteten über die gestiegenen Gefahren für AMS-Mitarbeiter, übertreiben dabei maßlos und vergleichen Äpfel mit Birnen. Um 163 Prozent sollen die Angriffe auf AMS Mitarbeiter laut den Boulevardblättern gestiegen sein. 163 Prozent – das klingt nach einem schlimmen Skandal: Nach „Horror-Statistik“ und „Telefon-Terror“.

horrorstatistikTatsächlich sind die Berichte aber kompletter Blödsinn. Das sieht man, wenn man sich die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage ansieht, aus der die Zahlen stammen.

Die Übergriffe werden hier in zwei Kategorien geteilt: Jene an der Telefon-Hotline und jene in den Geschäftstellen.

An der Hotline stiegen die verbalen Übergriffe in Wien tatsächlich von 82 auf 450 an – ein Plus von etwa 450 Prozent. Eine Fußnote an dieser Stelle verrät jedoch, dass Wien im Jahr 2015 die Erfassungsmethodik änderte. Und genau deshalb ist es Unfug die Zahlen miteinander zu vergleichen.

163Bis 2014 wurden nur dann Zahlen erhoben wenn ein Mitarbeiter sich bedroht oder persönlich beleidigt fühlte und dies von sich aus meldete. Ab 2015 ordnete das AMS an, über jeden Übergriff Statistik zu führen. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, wirklich jeden Vorfall zu dokumentieren, unabhängig von den persönlichen Empfindungen, wie ein Sprecher des AMS auf Rückfrage erklärt. Dadurch tauchen in der Statistik zwar viel mehr Fälle auf, es lassen sich jedoch keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie sich der Alltag für die Mitarbeiter im vergangenen Jahr tatsächlich verändert hat.

In der zweiten Kategorie, den Geschäftstellen, sind die Angriffe in Wien um 40 Prozent gestiegen, auf 260 Fälle. Gemeint ist aber nicht nur körperliche Gewalt, sondern etwa auch mündliche und schriftliche Beschimpfungen. Eine Fußnote verrät auch hier, dass 137 dieser schriftlichen Angriffe nur eine Geschäftsstelle betrafen und „zum überwiegenden Teil einer Person zuzuordnen sind.“ Auch dieser Anstieg ist also kaum aussagekräftig. Die Krone und Heute erwähnen diese Person sogar, allerdings nur im direkten Zusammenhang mit den Angriffen, nicht jedoch bei der Interpretation des behaupteten Gesamtanstiegs.

Generell lassen sich von so kleinen Zahlen kaum handfeste Trends ableiten, wie genau solche Beispiele zeigen. Denn wenn eine einzige Person die Statistik derart verfälschen kann, wo bleibt dann die Relevanz?

Schon seit Jahren zirkulieren Theorien über die Identität des Gründers der digitalen Währung Bitcoin. Am 2. Mai behauptete die BBC, ihn gefunden zu haben. Ein Australier namens Craig Steven Wright habe sich ihnen, dem GQ und The Economist als der lange anonyme Erfinder offenbart. Schon früh gab es ernste Gründe anzunehmen, dass der Australier ein Hochstapler ist – oder zumindest zu zweifeln. Viele Medien glaubten die Geschichte trotzdem. In Österreich besonders prominent: Der Standard.

bitcoin

Wohlgemerkt hat der Standard zumindest in einem dieser Artikel leise Zweifel geäußert. Im Portrait des Kopf des Tages steht: „Vorsicht ist angebracht, hat sich doch schon manche Enthüllung über den Herrn des Internetgelds als peinlicher Flop erwiesen.“ Liest man aber beide Artikel durch, wird klar, dass das Blatt in Summe der BBC zu sehr vertraute.

Die BBC selbst titelte zunächst: „Craig Wright revealed as Bitcoin creator Satoshi Nakamoto“ und schreibt von „technical proof to back up his claim“. Jedoch wurde der angebliche Beweis – Wright entschlüsselte eine Nachricht mit einer Signatur des anonymen Erfinders – wenige Stunden nach der Publikation von Usern der Bitcoin-Community als haltlos bezeichnet. Wright hatte lediglich eine frühere, öffentlich zugängliche Signatur wieder verwendet.

beide

BCC vorher & nachher

Die BBC änderte daraufhin zwar ihre Überschrift in „Australian Craig Wright claims to be Bitcoin creator“, sah sich aber nicht veranlasst, sonstige Hinweise darauf zu geben, dass sie womöglich falsche Informationen verbreitet hatten. Ein Tweet der „BBC Breaking News“ mit einem Video von Wright als Erfinder ist noch immer öffentlich.

Der Standard ist aber bei weitem nicht das einzige Medium, das die BBC-Meldung ohne kritische Gegenrecherche übernahm. Online berichtete beispielsweise auch der Kurier: „Craig Steven Wright ist der Erfinder der Bitcoins.“ Aber auch ein armenischer Radiosender und der SRF brachten diese Nachricht. Nicht einmal das PC Magazin äußerte Zweifel über den Wahrheitsgehalt ihrer Nachricht – und diese Liste könnte man zweifellos noch fortsetzen. Selbst auf Wikipedia war in der Nacht von 2. auf 3. Mai zu lesen, die Identität des Internetgigantens sei endlich geklärt. Mittlerweile wird Wright wieder nur als einer von mehreren möglichen Erfindern angeführt.

Andere Medien waren da vorsichtiger und nahmen die „Enthüllung“ als Anlass für eine kritische Recherche. Die Zeit etwa schreibt über die Zweifel, die auf Reddit laut wurden, die Financial Times hinterfragt recht deutlich, ob es sich tatsächlich um Satoshi Nakamoto handelt. Und Die Tagesschau lässt zumindest in ihrer Überschrift „‚Satoshi Nakamoto‘ ist offenbar Australier“ Luft für Zweifel.

Craig Wright ist übrigens nicht der erste, der irrtümlich für „Mr. Bitcoin“ gehalten wird. Schon 2014 wurde beispielsweise der Amerikaner Dorian Satoshi Nakamoto nach einer Newsweek-Reportage für den echten Erfinder gehalten.

Das Gratisblatt „Österreich“ behauptet, in Klagenfurt würden sich Flüchtlinge gezielt vor Autos werfen, um anschließend Schmerzengeld zu fordern. Das Klagenfurter Bezirksgericht weiß davon aber nichts.
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In dem Artikel vom 21. März ist die Rede von einer „irren Serie“, in der bereits zum vierten Mal ein junger Flüchtling absichtlich vor ein Auto gesprungen sein soll. Die Polizei hat da aber ganz andere Infos: Zwar gab es im März einige Fälle, in denen Menschen vor Autos liefen. Markus Dexl von der Landespolizeidirektion Kärnten sagt dazu aber: „Ein Zusammenhang zwischen diesen Fällen lässt sich nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht herstellen.“

Außerdem weiß man nur in einem Fall sicher, dass es um einen Flüchtling geht. Von den anderen ist die Identität nicht bekannt, sie fallen aber offenbar in die Kategorie des „südländischen Typus“. Da jedenfalls nur von diesem einen Asylwerber die Identität bekannt ist, könnte also auch nur er vor Gericht Schmerzengeld fordern. Beim Bezirksgericht Klagenfurt sind zur Zeit allerdings keine derartigen Klagen anhängig, wie Richterin Martina Löbel auf Nachfrage erklärt.

„Österreich“ schreibt: „Es wird spekuliert, dass die ‚Opfer‘ zu Schmerzengeld kommen möchten.“ „Es wird spekuliert“ ist eine raffinierte Formulierung, denn so vermeidet das Boulevardblatt zu benennen, wer da eigentlich spekuliert. Offenbar nämlich zuerst die Kronen Zeitung in einem Artikel vom 7. März, und jetzt vor allem es selbst. Markus Dexl von der Landespolizeidirektion Kärnten meint dazu: „Seitens der Polizei wurde diese Spekulation nie in den Raum gestellt. Die zuständigen Polizeiinspektionen haben die Anzeigen entgegengenommen und die Ermittlungen, wie gesetzlich vorgesehen, eingeleitet.“

Update: Die Kärntner Kronen Zeitung berichtete als erstes von den Vorfällen und stellte die Spekulationen in den Raum. Vielen Dank an unsere Leser, die uns darauf aufmerksam gemacht haben.