In den letzten Wochen hat die Kronen Zeitung eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die suggerieren, dass Milliarden an EU-Geldern an „fragwürdige“ Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fließen – und das angeblich „ohne Kontrolle“. Doch hinter der Berichterstattung steckt eine Kampagne, die mehr auf Stimmungsmache als auf sachliche Kritik setzt.
Es ist Freitag, der 25. Juli. In der Kronen Zeitung heißt es selbstbewusst: „Nachdem die ‚Krone‘ Ungereimtheiten bei EU-Milliardenförderungen für NGOs aufgezeigt hat, geht es Schlag auf Schlag: Strafanzeigen in Luxemburg, München und Wien.“ Am selben Tag lädt die FPÖ zu einer Pressekonferenz. Das Thema: „Steuergeschenke für Klima-Lobbyisten – es reicht!“.
Die Krone wird darüber nicht berichten – sie muss es auch nicht. Denn was die FPÖ dort sagt, hat die Zeitung längst geschrieben; in der aktuellen Ausgabe und auf ihren Print- und Onlineseiten der vergangenen Wochen.
Insgesamt bringt die Krone im Juli acht Geschichten zu den vermeintlichen „Ungereimtheiten“ der NGO-Förderpolitik. Dabei zeigen sich Muster, die typisch für Kampagnenjournalismus sind: einseitige Quellenauswahl, emotionale Sprache, wiederholte Stereotype und ein klar erkennbares Ziel: zivilgesellschaftliche Organisationen zu delegitimieren.
Worum geht es überhaupt?
Im Kern geht es um die Frage, welche NGOs von der EU Geld bekommen und ob dieses Geld sinnvoll investiert ist. Dabei gibt es immer wieder Kritik an mangelnder EU-Transparenz oder Lobbyismus. Der Europäische Rechnungshof befand etwa in einem Bericht Anfang April, dass die Vergabe von Geldern an NGOs nicht transparent genug sei und die „Einhaltung der EU-Werte“ nicht proaktiv kontrolliert werden würde.
Die EU-Kommission reagierte in der Vergangenheit auch schon öfter und hat zum Beispiel im Frühjahr 2024 ihre Förderrichtlinien verschärft, um keine Lobby-Arbeit mehr zu unterstützen.
Die Kritik hat also einen berechtigten Kern. Allerdings gibt es auch immer wieder ideologisch motivierte Zwischenrufe. Dazu gehört zum Beispiel der Vorwurf, dass Klima-NGOs von der EU-Kommission bezahlt worden seien, um für den Green Deal zu lobbyieren. Im Juni will die deutsche „Welt am Sonntag“ entsprechende „Geheim-Verträge“ aufgedeckt haben. Belege für solche Verträge gibt es nicht.
Am 19. Juni gründete die Europäische Volkspartei schließlich zusammen mit der rechten und der rechtsextremen Fraktion im EU-Parlament eine Arbeitsgruppe im Haushaltskontrollausschuss, mit dem Ziel, alle NGO-Verträge zu prüfen.
Vor diesem Hintergrund wurde also in der Krone im vergangenen Monat eine Artikel-Reihe veröffentlicht. Es geht darin aber nicht um sachliche Kritik, sondern um Stimmungsmache. Aber der Reihe nach.
Am 1. Juli bringt die Krone als Titelgeschichte: „Hier versickern die EU-Millionen – Österreichische Organisationen kassieren ohne Kontrolle“. Sie wärmt darin die „Welt“-Vorwürfe auf und geht auf den EU-Rechnungshofbericht ein. Vor allem aber landete sie einen vermeintlichen Coup: Sie habe die „NGOs-Liste [sic] für Österreich“ aufgedeckt, behauptet sie. Weil die Öffentlichkeit nämlich nicht erfahren dürfe, welche Summen an welche Organisationen geflossen sind.
Das klingt brisant, ist aber falsch. Diese Zahlen sind für jede Person mit Internetzugang einsehbar. Und sie alleine belegen ja nicht, dass irgendwo Geld „versickert“, wie es die Schlagzeile suggeriert. Wir haben deshalb auch schon hier über diese Titelgeschichte geschrieben.
Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: Der Artikel war nur der Auftakt einer Kampagne, in der mit selektiven und zugespitzten Berichten Stimmung gegen NGOs gemacht werden soll. Eine Krone-Kampagne, die sich an folgenden, typischen Merkmalen erkennen lässt:
Wiederholte, einseitige und abwertende Berichterstattung
In der Artikelserie wiederholt die Krone immer wieder die Behauptung, EU-Gelder würden „ohne Kontrolle“ oder gar „freihändig“ vergeben. Die Krone bezieht sich dabei auf den Rechnungshof-Bericht. Dessen Kritik ist zwar ernst, ein Fehlverhalten oder missbräuchlicher Umgang mit Steuergeldern wurde aber nicht festgestellt. Das Krone-Narrativ „EU-Milliarden werden ohne Kontrolle an fragwürdige NGOs vergeben“ unterstützt er also nicht. Trotzdem wird dieses in der Krone-„Frage der Woche“ in einem Artikel vom 25. Juli sogar zu Abstimmung gebracht.
Der Rechnungshof hat außerdem das Fördersystem als Ganzes kritisiert, und nicht die NGOs selbst delegitimiert. Genau das macht nun die Kronen Zeitung – mit Nachdruck.
Bezeichnend dafür ist dieser Absatz in derselben Ausgabe:
In Österreich und weltweit kassierten fragwürdige Verbände ohne viel Aufwand Fördergeld. Unter anderem für Waldwanderungen in Serbien, für einen Wrestling-Club in Gambia, für Geschäftsfrauen in Stöckelschuhen oder für Tennis- und Bowlingclubs. Transgender-Vereine wurden von Argentinien bis Afghanistan gefördert, ebenso Vereine gegen Islamophobie.
Ständig werden NGOs als „fragwürdig“, „skurril“, „hinterfragenswert“ oder „absurd“ bezeichnet – ohne zu begründen, warum sie das sein sollen. Die abwertenden Begriffe sind Teil der Kampagne. Dadurch wird pauschal zivilgesellschaftliches Engagement verunglimpft, obwohl gerade diese Organisationen der Zivilgesellschaft eine Stimme in wichtigen politischen Entscheidungsprozessen verleihen. Eine Tatsache, die in der Krone-Berichterstattung unerwähnt bleibt.
Einige der Organisationen haben es dem Blatt besonders angetan: den gambischen Wrestling-Klub, den maltesischen Bowling-Verein oder den „zentralasiatischen Lesbenverband“ pickt die Krone immer wieder heraus. Hier hört die Rechercheleistung der Krone aber auch schon wieder auf – wofür konkret diese NGOs Geld bekommen haben und was sie daraus gemacht haben, erklärt sie nicht. Genau das wäre die Aufgabe von gutem Journalismus.
Die Krone macht sich hingegen erst gar nicht die Mühe, herauszufinden, was hinter den Organisationen steckt. In Serbien werden zum Beispiel nicht „Geschäftsfrauen in Stöckelschuhen“ gefördert, auch wenn sich der Verein „Business on High Heels“ nennt. Die Organisation unterstützt serbische Frauen in der Selbstständigkeit und hat im Rahmen des „Einstein“ Projekts Geld erhalten.
Den „Europäisch-Zentralasiatischen Lesbenverband“ erwähnt die Krone fünfmal. Kein einziges Mal erklärt sie, was er eigentlich macht. Die Organisation setzt sich unter anderem für die Prävention von Gewalt gegen queere Frauen ein.
Wiederholt ist auch die Rede von einer „geheimen“ Liste, die die Krone aufgedeckt haben will. Sie will damit Krone-Plus-Abonnent:innen gewinnen, denn nur sie können sich die „brisante Liste, die plötzlich zeigt, wie Nichtregierungsorganisationen mit EU-Geldern unterstützt werden“, ansehen.
Aber, wie gesagt: Alle Fördernehmer und Summen sind der EU Transparenzdatenbank zu entnehmen – ganz ohne Krone-Abo.
Einseitig ist auch die Quellen-Wahl. Die Krone stützt sich hauptsächlich auf Aussagen und Reaktionen der FPÖ. Den Artikel „NGO-System gehört dringend reformiert“ kann sie zum Beispiel nur schreiben, weil sich FPÖ-General Michael Schnedlitz über den zuvor von der Krone veröffentlichten Artikel „ärgert“. Die Gelegenheit nutzt sie dann, um erneut auf „Vereinigungen, die sich um Belange wichtiger und unwichtiger Natur kümmern“, also NGOs, hinzuweisen.
In diesem Artikel gibt es aber immerhin eine Stellungnahme der Hilfsorganisation CARE. Dank der Förderungen können lebenswichtige Maßnahmen getroffen werden, heißt es. Die Mittel seien außerdem transparent aufgelistet.
Nur in einem weiteren Artikel sind Gegenpositionen zu hören: „FPÖ-Kritik an NGOs: Jetzt kontern SPÖ und Grüne“.
Über andere Reaktionen von NGOs macht man sich hingegen eher lustig. Nachdem die Organisation SOS Mitmensch den Krone-Artikel vom 1. Juli als Teil einer „Anti-NGO-Kampagne“ kritisiert hat, macht die Krone deren Sprecher Alexander Pollak als „Retter der Zentralasiatischen Lesben“ zum „Kasperl der Woche“.
Verzahnung mit politischen Akteur:innen
Es ist kein Zufall, dass Stimmen von FPÖ-Funktionär:innen besonders prominent zitiert werden – und zwar in jedem einzelnen Artikel der Serie. Ihre Wortmeldungen liefern den inhaltlichen Anker für die gesamte Berichterstattung.
Dabei verwenden die Partei und die Zeitung dieselben Begriffe: Im Artikel „FPÖ ortet Skandal bei NGO-Finanzierung“ spricht die FPÖ-Europaabgeordnete Petra Steger von den „absurdesten Projekten“, die die EU fördert. Exemplarisch nennt sie Initiativen im LGBT-Bereich und im Klimaschutz.
Eine Woche später titelt die Krone, „vieles auf Liste“ sei „einfach absurd“. In einem anderen Artikel verweist sie auf die „stets laut aufschreienden NGOs, die sich der Migrations- und Klimapolitik verschrieben haben“.
Es entsteht eine Symbiose: Die FPÖ liefert die Stichworte, die Kronen Zeitung verbreitet sie. Den freiheitlichen Generalsekretär Schnedlitz zitiert die Krone beispielsweise beim Zitieren der Krone: „Die lange Liste in der ,Krone‘ zeigt, dass für derartige Zwecke das Geld scheinbar unbegrenzt vorhanden ist.“
Auch in einer Anzeige des Europäischen Steuerzahlerbunds (TAE) – „in Zusammenarbeit mit dem FPÖ-EU-Abgeordneten Roman Haider“ – stützt man sich auf „zahlreiche beunruhigende Medienberichte“. Im Gegenzug beruft sich die Krone auf diese Anzeige und stellt sie als Folge der von ihr „aufgedeckten Ungereimtheiten“ dar.
Derzeit wird die Beschwerde übrigens von der Münchner Staatsanwaltschaft und der Europäischen Staatsanwaltschaft geprüft – es ist unklar, ob sie überhaupt weiter verfolgt wird. Dasselbe gilt übrigens für eine von der FPÖ eingebrachte Anzeige bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien. Ein Detail, das die Krone vorsorglich nicht erwähnt.
Kampagne, aber stolz darauf
Die Kronen Zeitung ist sich ihrer Sache jedenfalls sicher:
Der Aufschrei von einigen aufgekratzten NGO-Vertretern war groß, Attacken auf die „Krone“ blieben nicht aus. Gar so, als ob sich einige ertappt gefühlt hätten. Dabei wurde lediglich gezeigt, was alle angehen sollte: nämlich der Umgang mit Steuergeld.
Die Krone sieht sich als Opfer einer „Sprachregelung von einer ‚rechten Angriffswelle‘“ und fragt sich: „Warum soll nicht transparent gemacht werden, was transparent sein muss?“
Das ist ein Scheinargument, denn niemand spricht sich gegen mehr Transparenz aus. Außerdem hat die Krone eben nicht einfach „transparent gemacht, was transparent sein muss“: Sie hat bereits öffentliche Zahlen skandalisiert und einzelne NGOs ohne weiter Begründung als nicht förderungswürdig dargestellt. Das hat nichts mit Information zutun, das ist Stimmungsmache.
So etwas beherrscht das Blatt – und darauf ist es stolz. Die Kritik von Pollak nimmt sie zum Anlass, um auf ihre Vorreiterrrolle bei „erfolgreichen Kampagnen“ hinzuweisen: „Wir erinnern uns an Hainburg, Temelín, Zwentendorf, die Stimme Österreichs. Starkmachen für die Schwachen, lautete und lautet die Devise. Nicht für die Starken.“
Wer die Schwachen sind, denen es hilft, wenn zivilgesellschaftliche Organisationen von der größten Zeitung des Landes lächerlich gemacht werden – das bleibt unbeantwortet.
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