Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Die APA schreibt von einem neuen Rekordhoch des Goldpreises und alle schreiben ab. Seit 2001 steigt der Goldpreis, worüber sich die Medien immer wieder aufs Neue erstaunen. So wurde auch am 6.10. brav vom neuesten Rekordhoch berichtet. Ein Blick auf Wikipedia zeigt, dass der Goldpreis 1980 schon um einiges höher war als heute. Die Grafik wurde mit inflationsbereinigten Zahlen erstellt – was die einzig sinnvolle Art ist, Preisentwicklungen über längere Zeiträume zu vergleichen. Von einem Rekord ist also keine Rede. Inflationsbereinigt war die Feinunze Gold 1980 an der New York Commododities Exchange schon 2312,94 US-Dollar wert, das sind satte 58,9% mehr als der vielfach als Rekordhoch berichtete Stand von 1364,60 US-Dollar vom 7.10.2010.

(Grafik: Wikipedia, gemeinfrei)

Dass Morgenstund nicht immer Gold im Mund hat, sei vor allem den FrühaufsteherInnen unter den JournalistInnen verziehen. Am 28. Oktober titelte DerStandard.at um 06:12 Uhr in der Rubrik „Inland“:

„Gehaltserhöhung für Beamte um mindestens 1,03 Prozent“.

Darüber hätten sich vor allem besser verdienende BeamtInnen gefreut,  für die es mit der Gehaltserhöhung prozentuell ein wenig schlechter aussieht, wie auf DerStandard.at ergänzt wurde:

„Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes erhalten ab 1. Jänner sozial gestaffelt eine Gehaltserhöhung zwischen 0,85 und 2,09 Prozent. Im Durchschnitt beträgt die Erhöhung 1,03 Prozent“.

Im Durchschnitt braucht man um diese Uhrzeit wahrscheinlich mindestens zwei Kaffee, um zu erkennen, dass hier die Mindest-Gehaltserhöhung mit der Durchschnitts-Gehalterhöhung gleich ist. Daher auch alle Nachsicht der Redaktion, die den Titel nach zwei Stunden auf „Beamte bekommen 115 Millionen mehr“ korrigierte.

Danke Wolfgang P. für den Hinweis!

„Heute“ und Heute.at befassen sich mit der angeblich niedrigen Zufriedenheit heimischer Lehrlinge und beziehen sich dabei auf die neueste Handelsumfrage der GPA-djp Bundesjugendabteilung. Abgesehen davon, dass sich die Studie nicht um alle Lehrlinge, sondern hauptsächlich um Handelslehrlinge dreht, sind die genannten Zahlen über weite Strecken falsch.

Es beginnt schon in der zweiten Zeile des Artikels:

Fast 70 % der Lehrlinge müssen zum Teil unbezahlte Überstunden leisten, ihr Lohn ist vielen zu gering.

Laut der Studie haben 70% der befragten Lehrlinge (insgesamt 1531 retournierte Fragebögen) schon Überstunden leisten müssen. Dies deutet jedoch nicht auf den Regelfall hin.

85 % der Lehrlinge haben keine Chance die Reifeprüfung zu absolvieren.

Laut Studie können jedoch nur 24,7% der Befragten nicht an der Berufsmatura teilnehmen.

Sie werden in ihrer Arbeit zu viel gefordert, 69 % leisten Überstunden, 42% sogar freiwillig – zum Teil ohne Bezahlung.

Ganz so stimmen diese Zahlen nicht, 70% der Befragten haben schon einmal Überstunden leisten müssen und davon 41,7% freiwillig. Kurz nachgerechnet leisten somit 29,2 % der befragten Lehrlinge freiwillig Überstunden.

Denn fast jeder zweite Lehrling hat Angst, seine Stelle zu verlieren, obwohl 55% der Befragten angaben, nicht den Wunschberuf zu lernen.

Insgesamt haben 22,9% der befragten Lehrlinge, und somit nicht jeder zweite, Angst ihre Lehrstelle zu verlieren und nicht 55% sondern 45,7% der Befragten lernen nicht in ihrem Wunschberuf.

Ganz so hoffnungslos schaut die Zukunft unserer Lehrlinge doch nicht aus.

Viel Ausdauer und vor allem Zeit brauchen die WienerInnen, wenn es laut der „Heute“ ums Pendeln geht: 

27 Minuten sitzen die Wiener durchschnittlich in den Öffis auf dem Weg zur Arbeit, so eine aktuelle Studie. Hin und retour ergibt das satte 270 Stunden pro Monat oder 10 Tage pro Jahr – Fahrten in der Freizeit nicht mitgerechnet.

"Heute" am 22. Oktober 2010, S. 15

„Heute“ lässt die WienerInnen somit 56 Prozent des Tages in Öffis verbringen: 270 Stunden im Monat sind bei 20 Arbeitstagen im Monat 13,5 Stunden reiner Arbeitsweg pro Tag.

Rechnet man mit 223 Arbeitstagen pro Jahr, so ergibt eine tägliche Arbeitsfahrt von 54 Minuten hin und retour 200 Stunden oder 8,36 Tage Fahrzeit im Jahr – also deutlich weniger als die monatliche Fahrzeit laut „Heute“.

Um welche „aktuelle“ Studie es sich handelt, war nicht in Erfahrung zu bringen.

Mehr als 3000 SMS senden und empfangen Jugendliche im Monat- also etwa 100 am Tag. Zu diesem Ergebnis kommt eine Experten-Studie.

Dieses interessante Ergebnis war in der Rubrik „Österreich Heute“ in „Heute“ vom 19.10. zu lesen. Die Tageszeitung beruft sich dabei jedoch keienswegs auf das SMS-Nutzungsverhalten von österreichischen Jugendlichen. Die zitierte Studie von Nielson Wire hat nämlich lediglich Daten von U.S-Jugendlichen erhoben und ausgewertet.

Vielleicht sind die Jugendlichen hierzulande jenen in den USA ja ähnlich, könnte man sich bei „Heute“ gedacht haben. Blöd nur, dass am 27.9. der örtliche Mobilfunkbetreiber tele.ring die Ergebnisse einer heimischen SMS-Studie veröffentlich hat. Demnach liegt der Durchschnitt bei den Österreichern zwischen 14 und 27 bei lediglich 15,3 SMS täglich. Der „Heavy User“, also jeder Zehnte, verschickt 30 SMS pro Tag und damit immernoch deutlich weniger als „Heute“ berichtet.

Immerhin bringt „Heute“ die Ergebnisse der überraschenden Studie, wenn auch in der falschen Rubrik. Ganz so überraschend ist die Nielson Wire Studie aber eigentlich gar nicht. Denn schon im April veröffentlichte Pew Internet eine Studie, deren Ergebnisse sich inhaltlich mit jenen der Nielson Wire Studie fast gänzlich decken. So steht bereits dort, dass jeder dritte US-Jugendliche am Tag über 100 SMS sendet. Der Unterschied zur Nielson Wire Studie: Hier spricht man von gesendeten und empfangenen SMS.

Anscheinend hat ATV aus Rücksicht auf den Alkoholpegel der in der Reportage „Branntweiner und Beisln“ gefilmten Gäste und Wirte beschlossen, diese irgendwie zu anonymisieren. Beim Pensionisten Walter M., der davon träumt, Futologie und Beidlmatik zu studieren, mag die Abkürzung des Nachnamens ja noch einen gewissen Zweck erfüllen. Diese Einblendung sieht jedoch mehr nach kleinem Logikrätsel für die Zuseher aus:

(Screenshot der Sendung vom 18.10.2010)

Die Medien waren sich uneinig, in welcher Tiefe die Kumpel eingeschlossen waren. Sie haben sich nicht nur untereinander widersprochen- auch innerhalb eines Mediums gab es keine einheitlichen Nennungen.

Am 12.10 berichtet der Online-Ableger von „Österreich“, die Bergleute seien in einer Tiefe von mehr als 600 Metern eingeschlossen. Einen Tag später, am 13.10 um 08:46 Uhr waren es exakt 620 Meter. Bereits am Abend des selben Tages war der Schutzraum jedoch in 700 Meter Tiefe.

Die Tageszeitung „Heute“ berichtet am 12.10 über einen 700 Meter tiefen Schutzraum. Am 13.10 waren es exakt 622 Meter. Am nächsten Tag 624 Meter. Kurios ist auch, dass „Heute“ berichtet, 29 Angehörige der Kumpel würden insgesamt 8,8 Millionen Euro fordern. Krone.at berichtete zwei Wochen zuvor von 27 Angehörigen, die insgesamt 27 Millionen Dollar fordern würden. Das entspricht einem Wechselkurs von 1:3.

Auch bei den „Qualitätsmedien“ wurden enorme Höhenunterschiede beobachtet. Derstandard.at ist sich am 11.10 sicher, die Kumpel seien in einer Tiefe von 624 Meter eingeschlossen. Allerdings steht schon auf dem Fotocredit, dass die Kumpel in 700 Meter festsitzen würden. Einen Tag darauf fällt der Schutzraum dann offiziell auf 700 Meter ab. Schließlich klettert der Raum am 13.10 jedoch wieder auf 622 Meter. Am 14.10 einigte man sich auf über 600 Meter Tiefe.

Beim ORF konnte man die Bewegungen des Schutzraums quasi im Minutentakt verfolgen. Hannelore Veit berichtet in einer ZiB-Special um 20:15 von 620 Meter Tiefe.  Gegen Mitternacht wusste ihr Kollege Roman Rafreider in der ZiB 24, dass die Kumpel in 622 Meter Tiefe festsitzen würden.

Die New York Times rechnete sich übrigends eine Tiefe von knapp einer halben Meile aus, was etwas weniger als 800 Metern entspricht.

Eine knifflige Situation für Journalisten, keine Frage. Was tut man da am besten? Man kann etwa dem Beispiel von Armin Wolf in der ZiB 2 folgen. Obwohl Chile knapp elf Minuten- der insgesamt 28 Minuten langen Sendung- gewidmet wurden, kam es zu keiner Nennung bezüglich der Tiefe. Frei nach dem Motto also: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal…“

Stefan wundert sich auf Twitter:

Wir sind ja einiges gewohnt, seit die SN die DDR wiederauferstehen ließen. Doch was „Der Standard“ in seiner Wochenendausgabe präsentiert, schlägt tatsächlich alles.

Hier die Highlights, basierend auf Stefans sehenswerter “Musterlösung”:

  • „51 Menschen/m²“, das hält nicht nur Stefan für ziemlich eng.
  • „25 Mio. Arbeitslose Weltweit [sic!]“ — die Zahl zu klein, ein Wort zu groß.
  • Österreich (Nr. 27) wurde mal schnell ins Schwarze Meer versenkt.
  • Ganz Griechenland (Nr. 26) kommt nach Österreich — Pröll und Fekter freuen sich.
  • Anquilla“ [sic!]
  • Faröer“ [sic!]
  • Lichtenstein“ [sic!]
  • Monako“ [sic!]
  • Die Schweiz ist in der Lebenserwartungsgrafik der Männer heller als Schweden, obwohl die Erwartung in der Schweiz höher ist.
  • Italien hat ebenso die falsche Farbe.
  • Wenn Männer in der Schweiz 79,8 Jahre alt werden und Frauen 84,6 Jahre, dann ist eine durchschnittliche Erwartung von 80,85 nur möglich, wenn es in der Schweiz sehr wenig Frauen gibt, wirklich sehr wenig.

Wer noch einen Fehler findet und in den Kommentaren postet, bekommt ein Kobuk-Abo auf Lebenszeit.

(Mit Dank an @Stefan_Ferras und @noniq.)

Update aus den Kommentaren

  • Es wurde auf verschiedene Quellen und da noch aus unterschiedlichen Jahren zurückgegriffen, woraus sich zwangsläufig heftige Inkonsistenzen und Widersprüche ergeben.
  • Zypern (für Geografie-Größen wie mich: in den kleinen Karten, ganz unten rechts) ist in der Tabelle der männlichen Lebenserwartung auch falsch eingefärbt.
  • Unter den kleinen Karten steht „Durchschnittsalter, Top-5“. Korrekter wäre „Lebenserwartung, Top-5“.
  • In der Karte der weiblichen Lebenserwartung steht ganz klein: „Lebenserwartung der Männer […]“
  • Cayman Inseln [sic!]
  • Zentral- und Lateinamerika werden gesondert angeführt. Ersteres ist aber per Definition Teil von Letzterem, korrekt wäre daher Süd- statt Lateinamerika.
  • Andorra und San Marino fehlen in den Top-5-Listen Europas.
  • Statt Macao (Nr. 1) wurde die Insel Hainan eingefärbt.

Update — Stellungnahme des „Standard“

Eben hat uns folgende Stellungnahme des Standard-Leserbeauftragten und Chefs vom Dienst, Otto Ranftl, erreicht:

Sehr geehrter Herr Kirchmeyr

Die Antwort auf Ihre Frage ist leider ganz einfach, aber unbefriedigend: Zum Schluss ist die Zeit zu kurz geworden. Es handelt sich um eine aufwändige Doppelseitengrafik, deren Herstellung einige Zeit gedauert hat – schließlich war aber nicht mehr genug Zeit, die Dinge noch einmal zu überschlafen und dann neuerlich zu kontrollieren. Wenn die Kontrolle schon Teil der Herstellung ist zeigt sich, dass die Betroffenen nicht mehr die notwendige Fehlersensibilität aufbringen können.

Ich werde die gröbsten Irrtümer in Errata richtigstellen.

Mit der Bitte um Nachsicht.

Otto Ranftl
Leserbeauftragter, Chef vom Dienst

Letztes Kapitel: Erratum des „Standard“

Wie versprochen, geht Otto Ranftl im Erratum der morgigen Ausgabe auf alle wesentlichen Fehler ein. Mehr noch: Obwohl für den Print nicht mehr verwertbar, hat man sich dennoch entschieden, die Grafik noch mal zu überarbeiten und die korrigierte Version interessierten Lesern als PDF zur Verfügung zu stellen. Die Datei kann mit freundlicher Genehmigung auch direkt bei uns heruntergeladen werden (3,7 MB).

Und ja, ein paar Kleinigkeiten sind von dem Monster geblieben, aber kein großer Kobuk mehr. Das Interessanteste sind jetzt tatsächlich wieder die Fakten und die sind durchaus auch eine genauere Betrachtung wert.

Kobuk-Tipp #17
Passend gewählte Metaphern können Ihrer Story zusätzlich Sprengkraft verleihen:

Ein 16-Jähriger aus Kuchl (Salzburg) hat seit mehr als einem Jahr eine Granate in seinem Zimmer aufbewahrt. […] Gestern flog sein Versteck schließlich auf.

„Heute“ und Heute.at warnten letzten Freitag pünktlich zum Start ins Wochenende:

Laut Statistik passieren vor dem Wochenende die meisten Unfälle mit Personenschaden. Österreichweit sind das 6398 an jedem Freitag – das bedeutet alle vier Minuten ein Crash. Die meisten „Treffer“ gibt es übrigens zwischen 14 und 15 Uhr!

Kurz nachrechnet: 6398 Crashes, alle vier Minuten einer – ein Freitag dauert also 25.592 Minuten, rund 427 Stunden. Ein Blick in das Basic Fact Sheet für Unfallkennzahlen des Verkehrsministeriums weiß hier etwas zu beruhigen: Es waren rund 6400 Unfälle an allen Freitagen des Jahres 2009 zusammen, nicht an jedem.

Woher die 4-Minuten-Taktung stammt, bleibt leider genauso im Unklaren (richtig wäre: alle 12 Minuten) wie die „meisten Treffer“ zwischen 14 und 15 Uhr, denn die fanden zwischen 17 und 18 Uhr statt. Ein Faktum stimmt immerhin in dem Artikel: Freitag.

Update (by HF): Kobuk-Leser „CD“ hat in den Kommentaren das Rätsel gelöst, wie die „Heute“-Redaktion auf „alle vier Minuten ein Crash“ kommt: 6398/(60*24) = 4,4. Nur.. das wären vier Unfälle pro Minute, nicht vier Minuten pro Unfall. In wievielen Details ein einzelner Artikel falsch sein kann, ist immer wieder ein Erlebnis. Oder wie die Amerikaner sagen würden: *facepalm*.