Wir recherchieren nach,
damit ihr nicht müsst.

Nachricht (Journalismus)
„Die Nachricht ist eine journalistische Darstellungsform und teilt eine Neuigkeit mit […].“

Boulevardisierung
„[…] Die Auswahl der Nachrichten orientiert sich […] nicht mehr ausschließlich an journalistischen Aktualitätskriterien […].“

Update: Da habe ich ORF.at Unrecht getan, ein ganz wenig. Denn diese Boulevard-Meldung ohne Newswert wurde ihm offenbar — man höre und staune — von der APA als Nachricht verkauft. Und der Standard hat da natürlich auch zugeschlagen.

Meuchelt der Onkel seine Nichten,
wird sofort sie groß berichten.
Asylanten, Dealer, Kriminelle,
auf Seite 1, da rollt die Welle.
Nicht beim kleinsten Fehler der EU,
drückt gnädig sie ein Auge zu.
Doch dass Gottes Haus zur Hölle wenden,
Priester, die dort unsre Kinder schänden,
(ein Horror, der sich täglich mehrt)
ist der „Krone“ kaum die Rede wert.

Wotan Mirfl

 

Am interessantesten sind in der Krone ja oft jene Themen, über die sie nicht berichtet. Oder auffallend leise, für ein Boulevard-Blatt ihres Charakters.

(Schlagzeilen von 10. bis 15.3.)

Hier zum Vergleich die Titelseiten anderer Medien im selben Zeitraum:

Selbst in den zahlreichen kleinen News-Kästchen der Krone-Titelseiten wurde das Thema totgeschwiegen (jdf. in den OÖ-Ausgaben). Lediglich im Blattinneren gab es so etwas wie eine Kathpress-Minimalabdeckung der Nachrichtenlage: Nahezu ausschließlich O-Töne von Kirchenvertretern, sonst kaum ein kritisches Wort. Und ein Brief von Jeannée an die „Liebe Kirche“, in dem er bedauerte — nein, nicht die missbrauchten Kinder — sondern, dass die…

schwarzen Priester- und Klosterbrüderschafe, […] den Philistern, Selbstgerechten, Puristen und Kirchenhassern nun scharfe Munition im Überfluss liefern für ihr heiß ersehntes Armageddon … die große Abrechnung, das finale Gefecht, die Mutter aller Schlachten kontra Kreuz und Glauben.

(Das Krone-Blog — nicht verwandt mit dem Blatt — hat sich des Themas ebenfalls angenommen.)

Das Meinungsforschungsinstitut IMAS veröffentlichte jüngst einen „Report“ unter dem zurückhaltend seriösen Titel „Hilferuf nach mehr Sicherheit“, der speziell vom Boulevard dankbar aufgegriffen wurde.

So schlagzeilte die OÖ-Ausgabe von „Heute“:

Stoppt endlich die Kriminalitätswelle
[…]
Dramatisch: Jeder 2. Linzer traut sich nachts nicht mehr auf die Straße


Man muss sich das bildlich vor Augen führen: Jeder zweite Linzer geht nachts nicht mehr aus dem Haus. Die anderen Hauptstädte liegen da ähnlich, am Land ist’s ein bisserl besser und in Wien am allerschlimmsten. Insgesamt sind es wohl bereits Millionen Österreicher, die sich nach Sonnenuntergang nicht mehr ins Theater trauen, ins Lieblingscafé ums Eck oder auch nur ihren Hund gassi führen, weil sie Angst haben, Opfer eines Verbrechens zu werden. Das ist die erschütternde Realität in Österreich 2010.

Wenn wir „Heute“ glauben.

Stefan Niggemeier geht im BildBlog der kuriosen Frage nach, warum die BILD den natürlichen Tod eines (bislang) namenlosen unter 4000 Bewerbern für eine Castingshow Stefan Raabs als Meldung des Tages auf den Titel hebt. Lesenswert.

Ausriss: BildBlog.

Der Medienbeobachter Max Kossatz hat 24h lang ORF1 geschaut und auf seinem Blog ein paar interessante Findings dazu veröffentlicht. So sendet ORF1 mehr Werbung als Nachrichten. 52% des Tages, also ganze zwölfeinhalb Stunden sind mit US-Serien voll. Rechnet man die deutschen Telenovelas dazu, kommt man gar auf 14 Stunden.

Max hat diese 24h auf aufschlussreiche fünf Minuten komprimiert:

Ich bin froh, keinen Fernseher zu besitzen und diesen Leuchtturm des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags nicht mit meinen Gebühren finanzieren zu müssen.

Die APA — und somit auch nahezu alle angeschlossenen Newsredaktionen des Landes — berichtete zum großartigen Oscar-Erfolg von Christoph Waltz:

18 internationale Auszeichnungen hat der Vater von vier Kindern seither für die Rolle erhalten

Bildzitat von https://www.picturedesk.com/de/infografik.htmlDas ist eine kleine Ehrabschneidung. Die renommierte Internet Movie Database listet nämlich bereits 27 Ehrungen, samt Oscar. Übereinstimmend zählen auch internationale Medien „nearly 30 awards“ in diesem Zusammenhang.

Lediglich wenn man in der deutschen Wikipedia in Waltz‘ Preisliste (die aber klar als „Auswahl“ gekennzeichnet ist) die Zeilen mit den Basterds zählt, kommt man genau auf … Bingo!

Aber das ist sicher nur Zufall, denn eine professionelle Nachrichtenagentur zählt nicht auf Wikipedia.

______________
(Bildzitat: APA)

Du bist Krone-Redakteur und feierst große Party. Die Stimmung ist ausgelassen. Du unterhältst dich prächtig und fühlst dich richtig wohl im Kreise deiner Freunde und Kollegen. Dummerweise haben sie beschlossen, dir für deine Verfehlungen eine Abreibung zu verpassen. Du wirst in einen Nebenraum gebracht, die Tür wird versperrt und so musst du dort den Rest des Abends verbringen, während nebenan die Feier munter weitergeht.

Und weil du in deinem 10 m²-Gefängnis vielleicht sogar nen Fernseher, ein Bett und eine schöne Aussicht aus dem Fenster hast, wissen auf der Party alle: „Das ist ja gar keine Strafe für dich. Du hast es da so schön, du würdest auch freiwillig drin bleiben (vielleicht sollten wir dich besser in den Keller, zu den Ratten…?)“.

Ja — alles was hinkt, ist ein Vergleich. Doch wie sonst soll man dem gemeinen Krone-Redakteur und -Leser eine nur ansatzweise Vorstellung vermitteln, was Gefängnis bedeutet? Dass die Strafe nicht in möglichst menschenunwürdigen Haftbedingungen besteht, sondern in der Isolation vom Leben da draußen. Im Entzug der Freiheit. Der Freiheit, zu gehen, wohin man will. Zu sehen und zu spüren, jene, die man liebt. Zu tun und zu lassen, was man gedenkt. Und das nicht an einem einzigen, launigen Party-Abend, sondern über Monate, oft Jahre hinweg.

Keine Sorge, wir wollen jetzt nicht sozialromantisch das Leid verklären, von Menschen, die nur ihre gerechte Strafe erfahren — aber vielleicht doch einen kleinen Ausgleich schaffen und einen etwas entzerrten Blick auf Beschreibungen wie jene in der letzten Sonntags-Krone:

Luxus hinter Gittern
Willkommen im schönsten Gefängnis der Welt. „Hier in Leoben bleibt man freiwillig“, sagen die Täter. Ihre Opfer müssen meist viel mehr leiden.

[…] die Justizanstalt Leoben in der Steiermark sieht nicht aus wie ein Gefängnis, sie sieht aus wie ein Vier-Sterne-Wellnesshotel mit Wohlfühlcharakter. Hier spielen Kinderschänder gegeneinander Tischfußball, hier borgen sich Drogendealer in der Bibliothek Bildbände aus, hier genießen Serienvergewaltiger auf der Sonnenterrasse ein bisschen die Frühlingsluft.

Quelle: https://www.krone.at/krone/S32/object_id__188802/hxcms/index.html

Man hat entweder viel richtig oder viel falsch gemacht, wenn die ganze Welt nach Leoben blickt. Wenn selbst Brasilien ein Fernsehteam in die Steiermark schickt. Wenn das „Times Magazine“ die edle Architektur lobt. Wenn Georgier im Internet mit den Fotos Kriminelle anwerben: „In Leoben bleibt man freiwillig, da bricht man nicht aus.“

Quelle: https://www.krone.at/krone/S32/object_id__188802/hxcms/index.html

Ob kinderschändende, serienvergewaltigende Drogendealer zur repräsentativen Stammbelegung der JVA Leoben gehören, die vorwiegend für U-Häftlinge und Kleinkriminelle konzipiert wurde, wissen wir nicht. Aber das „Luxus“-Gefängnis erregt die Krone offenbar so sehr, dass sie es, dreieinhalb Jahre nach ihrem ersten Bericht, nun aufs Neue ins Blatt hebt. Ohne neue Erkenntnisse zwar, aber dafür groß auf einer Doppelseite aufgemacht, als „Die Reportage“.

Am 25.08.06 waren es allerdings noch nicht „die Täter“, denen in den Mund gelegt wurde, hier bliebe man freiwillig. Auch gab’s noch keine dubiosen „Georgier im Internet“, die angeblich Kriminelle mit zufällig den gleichen Worten werben. Damals schrieb die Krone dieses Zitat noch einer harmlosen georgischen Website zu, die die JVA ironisch mit einem Hotel verglichen haben soll. Wie übrigens auch einige andere Websites und Foren es weltweit taten — aber das soll nicht unseren angstschweren Blick auf die finsteren Georgier trüben.

Als kleinere Seitenfüller der Reportage dienen zwei weitere Anstalten, die etwas arg bemüht auch ihr Luxus-Fett abkriegen. Vielleicht um eine Art System im österreichischen Luxus-Strafvollzug zu belegen. So wird das „Landl“ in der Wiener Josefstadt zum „Gourmet-Paradies“ erkoren. Steht da wirklich, wörtlich so! Weil es Menüs für unterschiedliche Bedürfnisse anbietet. Unter uns, das tun auch andere Haftanstalten, Graz-Karlau zum Beispiel. Auch wenn also im „Landl“ der ultimative Gaumenkitzel lockt, warten wir vor dem Bankraub lieber noch das Urteil der Haute Cuisine ab. Manchmal sagt eine Haube mehr als eine Krone.

Ja, und die Justizanstalt Favoriten, in der Drogensüchtige entwöhnt werden, bei notorischer Überbelegung, aber laut Krone immerhin „offenen Türen“ (des öfteren auch Pulsadern, aber das passte wohl nicht in „Die Reportage“), die ist sicher auch ein bislang schwer verkannter Hort des Luxus, in den man sich gerne zurückzieht um sich von seinen Raubzügen zu erholen.

Quelle: https://www.krone.at/krone/S32/object_id__188802/hxcms/index.html

Er möchte dennoch „keinen Tag eingesperrt sein“, darf ein JVA-Beamter aus Leoben den Luxus-Spuk dann doch noch etwas relativieren — in der ihm gewährten Zweifragen-Interviewzelle.

Die treffendste Antwort hätte aber ohnehin schon das von der Krone angeführte, leider nicht weiter berücksichtigte, Times Magazine in seinem lesenswerten Artikel gegeben:

Jeder [der die Bilder aus Leoben sieht] sagt — so oder ähnlich: „Ich glaube, Verbrechen lohnt sich doch.“ […] Oder: „Vielleicht sollte ich nach Österreich ziehen und ein paar Banken ausrauben.“ Das ist eine absolut nachvollziehbare Reaktion, dennoch aber auch töricht und falsch — in etwa so vernünftig, als würde man einen neuen Spitalstrakt betrachten und sagen: „Wow, ich wünschte ich hätte Krebs.“

Laut Times komme der menschlichere Strafvollzug übrigens auch jenen sehr zugute, die dort — manchmal tatsächlich lebenslang — ihren harten Dienst versehen. Und vielleicht sollten wir auch nicht vergessen, dass „die“ fast alle irgendwann wieder raus kommen. Wetten, auch der Krone-Autor wünschte sich — wenn’s unvermeidbar wäre — als Nachbar lieber einen „Ehemaligen“ aus dem Musterstrafvollzug, als aus dem Kerker seiner Träume?

Schließen wir mit Fjodor Dostojewski den Kreis zum Titel der Geschichte:

«Den Grad der Zivilisiertheit einer Gesellschaft kann man beurteilen, wenn man in ihre Gefängnisse schaut.»

Luxus hinter Gittern

Wenn die Tage im Frühling kürzer werden ist das natürlich eine Story. Und so berichtet auch „Heute“, das Beben in Chile habe die Tage um 1,26 Millionstel Sekunden verkürzt. 2004, nach dem Tsunami-Beben, seien es sogar ca. acht Millionstel Sekunden gewesen.

Dennoch gäbe es in Zukunft…

Kein Mittagessen im Mondschein
Um diese Verkürzungen auszugleichen, wird in der Silvesternacht alle paar Jahre eine Sekunde eingefügt, die sogenannte Schaltsekunde. Ein Mittagessen im Mondschein wird es in Zukunft also nicht geben.

Doch!

PS: Falls die Astrophysiker in der „Heute“-Redaktion Sie jetzt auch verwirrt haben, „netto“ dreht sich die Erde trotz Erdbeben nach wie vor jedes Jahr etwas langsamer. Und um die daraus resultierende Verlängerung der Erdtage auszugleichen, ergeben Schaltsekunden natürlich weiterhin Sinn.

(Foto: cc Robbert van der Steeg)

„Ein NATO-Zerstörer hat vor der somalischen Küste ein größeres Piratenschiff versenkt“, berichtet oe24.at.

Nicht dass oe24 es explizit behauptet hätte, aber bei der Illustration handelt es sich tatsächlich um ein „größeres Piratenschiff“ — wenngleich etwas unfreiwillig. Erst wurde der 20.000 Tonnen-Tanker „Parmoni“ im Jänner vor Somalia gekapert und nun — nicht weniger willkürlich — von der oe24-Bildredaktion.

Von dem Boot, das die NATO versenkt hat, steht uns leider kein Foto zur Verfügung, aber es dürfte sich eher um etwas in dieser Größenordnung handeln.

Update: oe24 hat den Artikel  mittlerweile neu illustriert. Und weil diese Piraten eh alle gleich aussehen, hat man dazu einfach ein Bild vom 18.12.2009 genommen.

17. Feb: pleaserobme.com geht online. Die Seite nimmt das mangelnde Sicherheitsbewusstsein vieler Internetuser aufs Korn und listet den Twitter-Status von Menschen, die gerade nicht zu Hause sind. Es handelt sich dabei um User des standortbezogenen Dienstes Foursquare, dessen Twitter-Statusnachrichten („left home“, „checked in“) diesbezüglich hervorragend auszuwerten sind.

18. Feb: Eine britische Online-Preisvergleichsseite für Versicherungen warnt im Rahmen ihrer Pressearbeit, dass Twittern Einbrecher anlocken könnte. Man verweist dabei auf pleaserobme.com und zitiert den eigenen Bereichsleiter Darren Black:

In Zukunft könnten Versicherungen die Zahlung verweigern, falls sie das Verhalten des Kunden für fahrlässig halten. (Hervorhebungen von uns)

19. Feb: Der britische Telegraph berichtet in der Folge

Das Benutzen von Facebook oder Twitter könnte Ihre Versicherungsprämie um 10 % erhöhen.

Der Artikel bezieht sich auf die Pressemitteilung der Preisagentur und ein Interview mit Darren Black, in dem er sagt:

Es würde mich nicht wundern, falls Versicherungen die Teilnahme an sozialen Netzwerken in der Risikobewertung eines Kunden berücksichtigen würden. Bei Leuten, die diese Seiten nutzen, könnten die Prämien um bis zu 10 % steigen.

23. Feb: Die Computerzeitschrift PC-Pro recherchiert nach und vermeldet

Versicherer bestreiten Prämienerhöhung wegen Twitter

[…] Auf Nachfrage, ob er Versicherungen kenne, die Kunden für Nachlässigkeiten in sozialen Netzwerken bestrafen würden, erklärte Darren Black, dass sein Kommentar im Interview eine reine Spekulation über mögliche zukünftige Trends gewesen sei und die Nutzung von Facebook oder Twitter derzeit niemandem in die Prämie eingerechnet würde.

26. Feb: Die Kronen Zeitung schafft Fakten

Ob eine offen stehende Haustüre oder ein Urlaubseintrag auf Facebook — das macht für britische Versicherungen keinen Unterschied. […] Folge: Sie zahlen im Schadensfall nicht.

[…] So zahlen bereits in England eifrige Nutzer von Facebook, Xing, Twitter und Co. zehn Prozent höhere Gebühren bei Hausrats- und Diebstahlversicherungen.

[…] Experten entwickelten eine Seite (aus Sicherheitsgründen wird sie in der „Krone“ nicht veröffentlicht), auf der eindeutige „Einbruchs-Einladungen“ von sämtlichen [sic!] Netzwerken Europas gefiltert werden.

[…] Und dem nicht genug: Die Nachrichten werden mit Meldungen aus „Ortsnetzwerken“ verknüpft. Damit Diebe genau wissen, wer wann sein Haus verlässt.

Aus Sicherheitsgründen verlinken wir an dieser Stelle nicht auf die dzt. 802 Google-News-Treffer zu pleaserobme.com. Und weiß zufällig jemand, was genau ein „Ortsnetzwerk“ ist?

Oh, danach hätten wir jetzt besser nicht gegoogelt, denn unter den spärlichen Treffern findet sich auch die mutmaßliche Quelle (24. Feb) dieser Krone-Titelstory.

Bildblog – übernehmen Sie! 😉