Ingrid Brodnig und Martin Gantner haben sich für den FALTER auf Spurensuche zum Tatort Schauplatz begeben. Mit der unaufgeregten journalistischen Distanz und Übersicht, die ein Wochenmagazin im besten Fall ermöglicht. Den lesenswerten Artikel gibt es auch online auf Brodnigs Blog.
Die Kronen Zeitung berichtete jüngst über diesen zu Herzen gehenden Fall später Gerechtigkeit:
Enkel fand flüchtigen Mörder seines Opas
[…] Clem Pellet hat den Mörder seines Großvaters 38 Jahre nach dessen Flucht aus der Haft im US-Staat Arizona wiedergefunden. Der inzwischen 78-jährige Frank Dryman muss jetzt lebenslang hinter Gitter.
Schöne Geschichte. Leider nur halb so spannend, wenn man sie in einer seriösen Zeitung oder Agenturmeldung nachliest. Der Mörder war nämlich keineswegs „aus der Haft“ geflohen. Er hatte knapp 15 Jahre abgesessen und befand sich bereits mehrere Jahre in Freiheit, auf Bewährung. Eines Tages tauchte er dann unter, womit er sich erneut straffällig machte. Was übrigens auch krone.at einige Tage vor dem Printartikel noch wusste.
Ob der Mann nun erneut auf Bewährung frei kommt oder zurück ins Gefängnis, wird voraussichtlich erst im Mai entschieden. Dass er „jetzt lebenslang hinter Gitter“ muss, ist daher eine weitere frei erfundene Zuspitzung für den Boulevard.
Die Krone erzählt weiter:
[…] Der Privatdetektiv stieß […] auf ein Alias von Dryman — Victor Houston. Einen Mann mit diesem Namen und dem richtigen Alter gab’s nur in Arizona City. Der Detektiv verständigte die Polizei, die Houston anhand von Fingerabdrücken als Dryman identifizierte und festnahm.
Diese Version der Geschichte deckt sich ebenfalls mit keiner verfügbaren Quelle und dürfte daher auch frei erfunden sein.
Medien vor Ort berichten, der Detektiv verfolgte die Spur von Drymans Sozialversicherungsnummer bis zur Hochzeitskapelle des Städtchens Arizona City. Dort fragte er „Victor Houston“, den Inhaber der Kapelle, nach „Frank Valentine“ (einem früheren Alias des Flüchtigen). Bei der Befragung fielen dem Ermittler an „Houstons“ Händen Tatoos auf, die zwar verändert worden waren, aber jenen von Dryman ähnelten. Auch das Alter des Mannes schien in etwa zu passen. Die hinzugezogene Polizei fand die Fingerabdrücke „Houstons“ zwar überraschenderweise nicht in der nationalen Datenbank, aber die Übereinstimmungen mehrerer Tatoos am Körper waren erdrückend. Nach kurzem Verhör gestand er daher seine wahre Identität.
Das ist schon irgendwie erstaunlich. Die Krone bekommt eine Agenturmeldung. Gibt diese in ihrer Online-Ausgabe korrekt wieder. Lässt sie dann einige Tage in der Redaktion abliegen. Und erzählt in der gedruckten Ausgabe die Geschichte dann so, als wäre sie bereits einige Generationen mündlich ums Lagerfeuer gegangen.
Aber vielleicht ist das ja das Geheimnis einer „guten“ Krone-Story…?
Ein wegen Totschlags verurteilter Amerikaner hatte derartige Angst vor Vergeltung durch die Familie des Opfers, dass er wenige Tage nach seiner Entlassung versuchte, wieder zurück in(!) das Gefängnis einzubrechen. Er kletterte den Zaun hoch, scheiterte aber an den scharfen Klingen des Drahtes und wurde mit erheblichen Schnittverletzungen festgenommen. Ein US-Richter erfüllte nun seinen Wunsch nach Sicherheit hinter Gittern und verurteilte den Mann für den misslungenen Einbruchsversuch zu sagenhaften 15 Jahren Haft. Das zumindest berichtet krone.at.
Verrückt, nicht? Aber einer Justiz, die alten Damen Millionen Schadenersatz für verschütteten heißen Kaffee zuspricht (auch ziemlicher Unsinn übrigens), ist doch alles zuzutrauen…
Naja, es gäbe da schon ein paar unwesentliche Details, die krone.at nicht wusste, oder für nicht weiter erwähnenswert hielt:
- Der Mann war einen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingegangen. Da man ihm den Mord nicht mit Sicherheit nachweisen konnte, bot man ihm an, auf Schuldig zu plädieren und dafür mit einer deutlich reduzierten Bewährungsstrafe wegen Totschlags davonzukommen.
- Der Einbruchsversuch, samt Widerstand gegen die Staatsgewalt, wurde vom Richter als Verstoß gegen die Bewährung gesehen. Warum das Urteil auch dafür immer noch vergleichsweise hart ausfiel, darüber lässt sich nur mutmaßen. (Vielleicht war dem Richter ja der ursprüngliche Deal ein Dorn im Auge und er sah nun eine Gelegenheit, das zu korrigieren?)
- Das Urteil ist ohnehin noch nicht rechtskräftig, da noch fast einen Monat lang Einspruch eingelegt werden kann.
Auch andere, mehr oder weniger seriöse internationale Medien haben über diesen Fall berichtet. Selbst die angesehene Associated Press (AP) konnte nicht widerstehen, etwas zu sensationell „Ex-Häftling bekommt 15 Jahre für Gefängniseinbruch“ schlagzuzeilen. Aber zumindest auf die Verletzung der Bewährung hat sie dann gleich im ersten Satz ihrer Meldung hingewiesen.
Getoppt wird die Akkuratesse der Krone-Bericherstattung nur noch von der Stille-Post Nachrichten-Community ShortNews.de — dort heißt es zu dem Fall:
„Ein 25-Jähriger wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, da er versuchte, an Silvester in sein Gefängnis einzubrechen […]“
Nun, eigentlich war es August, als Sylvester versuchte…
13.111 [Asyl-]Verfahren wurden abgeschlossen, davon 3151 positiv, 19.764 negativ.
(Die Presse, 24.3.2010, S. 11)
Dass da vorher noch keiner drauf gekommen ist. Na gut, jetzt lachen wir noch…
Die Krone-Schlagzeile des Tages:

Drei Kinder und keine Arbeit: Verzweifelter Vater als Bankräuber!
800 Euro Arbeitslose, Schulden und drei hungrige Kinder — ein Kärntner Familienvater wusste nicht mehr weiter und beging einen Doppelbankraub!
To: [email protected], [email protected], [email protected]
Subject: Abokündigung!
IHR FEINEN GUTMENSCHEN IN EUREM POLITISCHEN KORREKTHEITSWAHN FINDET DOCH IMMER IRGEND EINE EINE ENTSCHULDIGUNG FÜR DIE SCHLIMMSTEN STRAFTÄTER – UND WER BITTE DENKT AN DIE OPER!?!!! ES RIECHT! ICH KÜNDIGE HIERMIT MEIN ABO!!!
Franz W. Polter
Krone-Autor Michael P. hat ein seltsames Verhältnis zu Resozialisierungseinrichtungen. Die eine Woche schreibt er sie in den Himmel, preist in schillernsten Farben den „Luxus hinter Gittern„. Die andere Woche schreibt er sie zur Hölle auf Erden herbei. Beide Male fabriziert er hanebüchenen Unsinn.
Ausgangspunkt war diesmal die Entscheidung des Landesgerichts Eisenstadt, einen 14-jährigen Straftäter in ein Internat für schwer erziehbare Jugendliche in den USA zu schicken — „The Glen Mills Schools“ in Pennsylvania.
Diese Einrichtung versteht sich nicht als „Boot Camp“, sondern verfolgt den Ansatz der Peer-Education. Den Jugendlichen werden keine zweifelhaften Autoritäten vorgesetzt, die mit Druck, militärischem Drill und Repression arbeiten. Vielmehr wirft man sie in eine Art „Gang“ Gleichaltriger. Allerdings eine mit gesellschaftlich erwünschten Normen und Werten. Die Problemkinder bekommen hier eine Ausbildung, müssen gemeinsame Ziele erreichen, lernen in Gruppengesprächen Konfliktsituationen zu meistern und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Bei entsprechenden Fortschritten ist ein Aufstieg in der Hierarchie mit entsprechenden Privilegien möglich. Bei Rückfall in unerwünschte Verhaltensmuster folgt sozialer Abstieg in der Gruppe und im Erziehungsprogramm.
Soviel ganz grob zum nicht völlig unumstrittenen Glen Mills-Konzept.
Weitere Einblicke gibt es hier oder in diesem Video.
Und so hat die Kronen Zeitung am Sonntag ihren (tlw.) zahlenden Lesern die Geschichte erzählt:
[…] Strafzellen, Isolationshaft und täglicher Drill […]
In den Staaten heißen sie „amerikanische Gulags“ […] Jetzt hat auch die österreichische Justiz diese Besserungs-Camps für sich entdeckt.
„Sir, yes Sir“ — das bleibt vielleicht der einzige Satz, den der 14-jährige […] risikolos sagen darf.
[…] Die Zeit hinter Gittern [in Österreich] wird dem Schwererziehbaren […] wie das Paradies vorkommen, zumindest im Vergleich zum Tagesablauf in „Boot Camps“ […]
Denn die Camps sind in vielen Punkten schlimmer als die Armee. Die Jugendlichen werden rund um die Uhr angebrüllt, oft herrscht Redeverbot, es gibt Isolationshaft und Fußketten.
[…] durch die harten Züchtigungsmethoden verlieren die Insassen schnell die Nerven, erleiden Kreislaufzusammenbrüche. 30 Teenager sind seit 1980 in elf Staaten bereits ums Leben gekommen.
PS: oe24.at vergaloppiert sich in seiner Meldung weniger tief ins Reich der Fantasie, steuert aber wie gewohnt das schönste Symbolbild bei… Nein, der „Burgenländer kommt [nicht] in diese amerikanische Umerziehungsanstalt [in North Carolina]“.
Richard Schnabl weist unter berliner-journalisten.com auf das Cover der aus München stammenden, deutschen Klatsch-Illustrierten BUNTE hin. Dort wird der österreichische Schauspieler Christoph Waltz als „Unser Star“ bezeichnet. Möglicherweise hat die Redaktion den Film Inglorious Bastards Inglourious Basterds für eine Dokumentation gehalten. In diesem hat Waltz für seine Rolle als SS-Standartenführers Hans Landa den Oscar als bester Nebendarsteller erhalten.

Als weiterer Faux-Pas wurde statt dem Oscar die Goldene Spectra abgedruckt.
Nachricht (Journalismus)
„Die Nachricht ist eine journalistische Darstellungsform und teilt eine Neuigkeit mit […].“
Boulevardisierung
„[…] Die Auswahl der Nachrichten orientiert sich […] nicht mehr ausschließlich an journalistischen Aktualitätskriterien […].“
Update: Da habe ich ORF.at Unrecht getan, ein ganz wenig. Denn diese Boulevard-Meldung ohne Newswert wurde ihm offenbar — man höre und staune — von der APA als Nachricht verkauft. Und der Standard hat da natürlich auch zugeschlagen.
wird sofort sie groß berichten.
Asylanten, Dealer, Kriminelle,
auf Seite 1, da rollt die Welle.
Nicht beim kleinsten Fehler der EU,
drückt gnädig sie ein Auge zu.
Doch dass Gottes Haus zur Hölle wenden,
Priester, die dort unsre Kinder schänden,
(ein Horror, der sich täglich mehrt)
ist der „Krone“ kaum die Rede wert.
Am interessantesten sind in der Krone ja oft jene Themen, über die sie nicht berichtet. Oder auffallend leise, für ein Boulevard-Blatt ihres Charakters.
(Schlagzeilen von 10. bis 15.3.)
Hier zum Vergleich die Titelseiten anderer Medien im selben Zeitraum:
Selbst in den zahlreichen kleinen News-Kästchen der Krone-Titelseiten wurde das Thema totgeschwiegen (jdf. in den OÖ-Ausgaben). Lediglich im Blattinneren gab es so etwas wie eine Kathpress-Minimalabdeckung der Nachrichtenlage: Nahezu ausschließlich O-Töne von Kirchenvertretern, sonst kaum ein kritisches Wort. Und ein Brief von Jeannée an die „Liebe Kirche“, in dem er bedauerte — nein, nicht die missbrauchten Kinder — sondern, dass die…
schwarzen Priester- und Klosterbrüderschafe, […] den Philistern, Selbstgerechten, Puristen und Kirchenhassern nun scharfe Munition im Überfluss liefern für ihr heiß ersehntes Armageddon … die große Abrechnung, das finale Gefecht, die Mutter aller Schlachten kontra Kreuz und Glauben.
(Das Krone-Blog — nicht verwandt mit dem Blatt — hat sich des Themas ebenfalls angenommen.)





