Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Eine Freundin von mir pflegt zu sagen, Enttäuschungen sind nichts Schlechtes, denn sie bedeuten das Ende einer Täuschung. In meinem Fall, dass ich dachte, derStandard.at gehört noch zu den „Guten“. Klar rutscht dort auch so einiges durch. Und wie überall wird mehr kopiert als recherchiert. Selbst grenzwertige P.R.ichterstattung haben wir im Online-“Standard” schon gesehen. Aber: Grundlegende journalistisch ethische Mindeststandards werden dort nicht unterschritten. Dachte ich.

Links: PR-Aussendung von ING-DiBa
Rechts: Redaktioneller (ja wirklich) Artikel auf derStandard.at

Alle inhaltlichen Änderungen und Ergänzungen der Redaktion habe ich farblich hervorgehoben.

ING-DiBa:

[…] 64% sparen, damit sie im Fall der Fälle auf ihre eiserne Reserve zurückgreifen können. Jedoch: viele bemessen ihren Notgroschen viel zu gering.

derStandard.at:

64 Prozent sparen, um im Fall der Fälle auf die eiserne Reserve zurückgreifen können. [sic!] Doch: Viele bemessen ihren Notgroschen viel zu gering

Angesichts der Finanzkrise erlebt der Notgroschen derzeit ein regelrechtes Revival. 64% der Österreicher sparen für die eiserne Reserve und damit liegt die Alpenrepublik im internationalen Spitzenfeld. Das zeigt die Sparstudie der ING auf. Sieht man jedoch genauer hin, sparen die Österreicher zu wenig. […]

11% haben maximal 100 Euro für den Notgroschen reserviert, 15% haben bis zu 500 Euro und 13% bis zu 1.000 Euro für den Notfall kurzfristig verfügbar.

Angesichts der Finanzkrise erlebt der Notgroschen derzeit ein regelrechtes Revival. 64 Prozent der Österreicher sparen für die eiserne Reserve. Damit liegen sie im internationalen Spitzenfeld, zeigt die Sparstudie der ING.

Sieht man jedoch genauer hin, sparen die Österreicher zu wenig. Elf Prozent haben maximal 100 Euro für den Notgroschen reserviert, 15 Prozent haben bis zu 500 Euro und 13 Prozent bis zu 1.000 Euro für den Notfall kurzfristig verfügbar.

„Eigentlich ist das zu wenig“, zeigt Roel Huisman, CEO der ING-DiBa Direktbank Austria, auf. „Jeder zweite macht seine Sache gut und legt genug zur Seite. Doch zu viele Österreicher gehen noch immer zu sorglos mit dem notwendigen Sicherheitspolster um. Die einfache Faustformel lautet hier, dass es zumindest zwei Nettogehälter für den Notfall sein sollten, die auf einem täglich verfügbaren Sparkonto liegen und gut verzinst werden.“

„Eigentlich ist das zu wenig“, zeigt Roel Huisman, CEO der ING-DiBa Direktbank Austria, auf. „Jeder zweite macht seine Sache gut und legt genug zur Seite. Doch zu viele Österreicher gehen noch immer zu sorglos mit dem notwendigen Sicherheitspolster um. Die einfache Faustformel lautet hier, dass es zumindest zwei Nettogehälter für den Notfall sein sollten, die auf einem täglich verfügbaren Sparkonto liegen und gut verzinst werden.“

Der Notgroschen international betrachtet

Notgroschen international betrachtet

Im internationalen Vergleich sind die Österreicher Notgroschen-Meister. Nur die Luxemburger und Holländer sparen noch mehr. Während hierzulande 43% mehr als 1.500 Euro angespart haben, sind es in Luxemburg 59% und in den Niederlanden 55%. In Deutschland sind es 40% und in Frankreich nur 31%.

Im internationalen Vergleich sind die Österreicher aber Spar-Meister. Nur die Luxemburger und Holländer legen noch mehr zurück. Während hierzulande 43 Prozent mehr als 1.500 Euro angespart haben, sind es in Luxemburg 59 Prozent und in den Niederlanden 55 Prozent. In Deutschland sind es 40 Prozent und in Frankreich nur 31Prozent .

Von solchen Ergebnissen können – unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Faktoren und der weitaus geringeren Einkommen – etwa die Rumänen oder Polen nur träumen. Nur 10% (Rumänien) bzw. 17% (Polen) können hier mehr als 1.500 Euro für den Notfall sparen. Etwa ein Drittel spart in diesen Ländern maximal 100 Euro und ein weiteres Drittel bis zu 500 Euro.

Von solchen Ergebnissen können – unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Faktoren und der weitaus geringeren Einkommen – etwa die Rumänen oder Polen nur träumen. Nur zehn Prozent (Rumänien) bzw. 17 Prozent (Polen) können hier mehr als 1.500 Euro für den Notfall sparen. Etwa ein Drittel spart in diesen Ländern maximal 100 Euro und ein weiteres Drittel bis zu 500 Euro.

Was wenig wundert: den kleinsten Finanzpolster haben die Thailänder. Nur 4% haben hier mehr als 1.500 Euro zur Verfügung. 44% hätten für den Notfall maximal 100 Euro übrig und 34% maximal 500 Euro.

Was wenig wundert: Den kleinsten Finanzpolster haben die Thailänder. Nur vier Prozent haben hier mehr als 1.500 Euro zur Verfügung. 44 Prozent hätten für den Notfall maximal 100 Euro übrig und 34 Prozent maximal 500 Euro. (red, derStandard.at, 13.3.2012)

Über die ING International Study (IIS)

Wissen

Die ING International Study (IIS) ist eine weltweite Online-Umfrage im Auftrag der ING Bank. In insgesamt 19 Ländern, in denen ING Retail und ING Direct Banking aktiv ist, wurden finanzielle Entscheider ab 18 Jahren befragt. Repräsentativ nach Geschlecht und Alter wurden pro Land rund 1.000 Menschen befragt (Slowakei 500, in China 910, Thailand 922, Kanada 988, Indien 1.007, Luxemburg 1.008 und in den Niederlanden 1013), insgesamt n=18.348.

Die ING International Study (IIS) ist eine weltweite Online-Umfrage im Auftrag der ING Bank. In insgesamt 19 Ländern, in denen ING Retail und ING Direct Banking aktiv sind, wurden finanzielle Entscheider ab 18 Jahren befragt. Repräsentativ nach Geschlecht und Alter wurden pro Land rund 1.000 Menschen befragt (Slowakei 500, in China 910, Thailand 922, Kanada 988, Indien 1.007, Luxemburg 1.008 und in den Niederlanden 1013), insgesamt n=18.348.

 

Auch Die Presse, Kurier, Wirtschaftsblatt, NEWS, Neues Volksblatt und Salzburger Nachrichten haben die APA hat den Werbetext ohne erkennbare journalistische Eigenleistung übernommen, allerdings erheblich gekürzt. Zudem haben sie ihre Artikel mit der irreführenden Quellenangabe „APA“ zur Agenturnachricht geadelt. Statt auf das PR-Portal „APA OTS“ zu verweisen. [Danke an Thomas für den Update-Hinweis.]

Update 16. März: Der Online-Standard hat auf Twitter reagiert und Konsequenzen angekündigt:

Im Goldenen Zeitalter Ovids gab es keine Gesetze, keine Furcht und keine Strafe. Im Goldenen Zeitalter der Autofahrer, das „Heute“ beschwört (Donnerstag-Ausgabe), war der Sprit billig, das Autofahren machte noch Spaß und Gesetze wie das der Inflation schienen nicht zu gelten:

Die Milchmädchenrechnung 35 Euro dividiert durch den jeweiligen Spritpreis mal Spritverbrauch stimmt nur leider nicht. Ich habe den Verbraucherpreisindex befragt, ob 35 Euro früher auch 35 Euro waren – hier das Ergebnis (und ohne Google-Maps-Copyright-Verletzung):

Von wegen Sölden, man kam ums gleiche Geld gerade mal übers Deutsche Eck, lediglich ein Drittel weiter als heute. Basel war erst recht nicht drin, die Füllung Diesel reichte nur bis Ulm. (Alle Formeln und Quellen dazu gibt’s übrigens hier.)

Und da ist noch nicht mal berücksichtigt, dass Autos vor 20 Jahren einen wesentlich höheren Verbrauch – und damit eine niedrigere Reichweite – hatten. (Update: Laut dem dt. Umweltbundesamt sank der Durchschnittsverbrauch von 1991 bis 2009 um 1,7 Liter pro 100 km. Danke an Michael Groh für den Hinweis!)

Ach früher war halt alles viel besser! Und die Autofahrer, ja die armen Autofahrer sind sowieso die Melkkühe der Nation.

Man muss es neidlos anerkennen, das ist die hohe Kunst des Boulevards — was in seriösen Medien eine kleinlaute Richtigstellung wäre, wird in der Kronen Zeitung zu einer Heldengeschichte über die eigene Macht und Wichtigkeit.

Wir erinnern uns: Die „Krone“ hatte letzte Woche praktisch frei erfundenen „EU-Schwachsinn“ verbreitet, wonach eine geänderte Richtlinie das Aus für freiwillige Feuerwehren und Rettung bedeute.

EU-Abgeordnete von ÖVP und SPÖ haben daraufhin in Aussendungen vergleichsweise scharf widersprochen. Von „unbegründeter Panikmache“ und „grundlosem EU-Bashing“ war darin die Rede. Und dass hier jemand nicht kapiert habe, wie Österreich in Brüssel mitredet. Jedenfalls gebe es derzeit keine derartigen Pläne und „das wird es mit uns sicher auch in Zukunft nicht geben“, so die EU-Abgeordneten Karas und Becker.

Wie bringt man das nun den eigenen Lesern bei, ohne dass einem ein Zacken aus der Krone bricht? So:

(Kronen Zeitung, 2. 3. 2012, S. 14)

Rettung, Feuerwehr drohte Aus — Nach „Krone“-Berichten:
Parlamentarier-Hilfe für Helfer

Im nächsten Jahr sollte eine EU-Arbeitszeitrichtlinie die Einsatztätigkeit ehrenamtlicher Feuerwehr- und Rettungsleute praktisch unmöglich machen. Nach kritischen „Krone“-Berichten aber versprechen nun die österreichischen EU-Parlamentarier Othmar Karas und Heinz Becker: „Dem werden wir nie zustimmen!

Es gibt keinen
Vorschlag der EU-Kommission, den Status der freiwilligen
Feuerwehren im EU-Recht zu ändern oder deren Arbeitszeit
zu begrenzen. Und selbst wenn sie einen solchen
Gesetzesvorschlag machen würde, müssten immer noch das
Parlament und der Rat eine solche Änderung beschließen.
Und das wird es mit uns sicher auch in Zukunft nicht
geben", betonen Karas und Becker gemeinsam heute in
Brüssel.

Was in seriösen Redaktionen spätestens bei Wiederholung ein Kündigungsgrund wäre, hat bei der Kronen Zeitung offenbar Methode: Das Hundefoto war nicht aus der Ukraine, sondern aus Bosnien und acht Jahre älter als behauptet. Das Foto von Königin Beatrix war nicht aus Innsbruck, sondern aus London und zehn Jahre älter als von der „Krone“ behauptet.

Und der Panzerwagen auf dem folgenden Bild…

"Polizeieinsatz bei Hausbesetzung in der Lindengasse"



… der steht in Wahrheit nicht in der Lindengasse, bei einer Hausräumung im November 2011, sondern in der Mariahilfer Straße, wegen eines Banküberfalls mit Geiselnahme im Februar 2007:

BAWAG-Überfall mit Geiselnahme, 27. 2. 2007


Aber hey, das ist dieselbe Stadt, im selben Jahrfünft. Und dem Nummernschild nach sogar derselbe Panzerwagen wie dreieinhalb Jahre später in der Lindengasse. Was macht man denn als Journalist, wenn das Foto von der Geiselnahme besser zur Hausbesetzung passt als das von der Hausbesetzung?

… besser keine Zeitung.

(Mit Dank an Oliver Cleven für den Hinweis und Scan!)



PS: Das war übrigens jene Geiselnahme, bei der schon ein anderes Boulevardblatt in die Annalen der österreichischen Zeitungsgeschichte eingegangen ist (oder in etwas, das ähnlich klingt). Seit dieser „Sternstunde“ darf „Österreich“ — vom OGH bestätigt — Hyänenjournalismus nachgesagt werden:

EU-Plan: Aus für 240.000 Feuerwehrleute
EU-Schwachsinn ohne Ende: Drückt die Kommission in Brüssel das überarbeitete Arbeitszeitgesetz durch, würde das das Ende unserer Freiwilligen […] Feuerwehren bedeuten! […] Feuerwehrverbände forderten in Gesprächen mit […] EU-Kommissar László Andor eine Ausnahme […] doch das wurde kurzerhand abgelehnt […]. Geht es nach Brüssel, müssten Feuerwehrleute künftig den Löscheinsatz abbrechen.

Der stv. Landeshauptmann von Kärnten, Uwe Scheuch (FPK), erklärte dazu noch am selben Tag:

Dass sich die Bevölkerung über die grundsätzliche Sinnhaftigkeit der EU Gedanken macht, ist bei so abstrusen Ideen kein Wunder. Da sieht man wieder einmal, wie praxisfern die Bürokraten in Brüssel sind.

Dabei war doch der erste Satz der Story schon die Warnung, vor dem was folgt: “EU-Schwachsinn ohne Ende”.

1. Die Kommission kann nichts „durchdrücken“
Im Bereich der Sozialpolitik muss sie erst die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter auf EU-Ebene fragen, ob sie selbst eine europaweite Lösung ausverhandeln wollen, die dann „nur“ mehr vom Ministerrat einstimmig beschlossen werden müsste. Wollen die Sozialpartner nicht verhandeln oder kommen sie zu keinem Ergebnis, kann die Kommission einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Dieser müsste dann ganz „normal“ vom EU-Parlament (als Bürgervertretung) und vom EU-Ministerrat (als Vertretung der Regierungen) gemeinsam beschlossen werden. Soviel zum Thema „durchdrücken“.

2. Es gibt gar kein „überarbeitetes Arbeitszeitgesetz“
2004 gab es einen Änderungsvorschlag, doch der ist nach viereinhalb Jahren gescheitert, weil sich Parlament und Rat nicht einigen konnten. 2010 startete die Kommission einen neuen Anlauf. Diesmal haben die Sozialpartner zugestimmt, selbst in Verhandlungen zu treten. Sie haben noch bis September 2012 Zeit, eine Einigung zu erzielen.

Nur falls die Sozialpartner scheitern, wird die Kommission einen eigenen Vorschlag machen. Also jenen Plan, den die Kronen Zeitung angeblich schon heute kennt.

3. Die Kommission wünscht explizit Ausnahmen für freiwillige Feuerwehren
Die Kommission hält es zwar für rechtlich unmöglich, freiwillige Feuerwehren ganz aus der Richtlinie herauszunehmen, aber sie hat die Sozialpartner vor ihren Verhandlungen explizit auf Folgendes hingewiesen (PDF):

Zwar sollten also alle Arbeitnehmer […] in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, aber besondere Gruppen, etwa Angehörige der freiwilligen Feuerwehr, auf die allgemeine Regeln schwer anwendbar oder bei denen sie schwer durchsetzbar sind, müssen getrennt betrachtet werden.

Die Kommission möchte also für die Feuerwehren Sonderregelungen innerhalb der Vereinbarung. Genau das Gegenteil von dem, was die „Krone“ über die Kommission behauptet.

4. Das letzte Wort hat Österreich der EU-Ministerrat
Selbst wenn die Sozialpartner zu einer Einigung kämen, die die freiwilligen Feuerwehren bedroht, hätte das letzte Wort immer noch der Rat. Und damit, wegen der Einstimmigkeit in diesem Fall, da dort eine qualifizierte Mehrheit zustande kommen muss, auch Österreich.

Nachschlag
Die OÖ-Krone hat am Samstag nachgelegt und Oberösterreichs Rot-Kreuz-Präsidenten in Panik versetzt:

"Schwachsinn der Brüsseler Eurokraten"



Ad Acta
Und das ist zum Vergleich der bislang umfassendste Artikel der gedruckten Kronen Zeitung zu ACTA, wo ganz konkret die weltweite Aushebelung von Bürgerrechten droht, bis hin zu Einschränkungen bei billigem Saatgut und Medikamenten für Entwicklungsländer:

Freiheit im Internet! Dafür gingen in Wien Tausende Aktivisten auf die Straße. Der Protest richtete sich gegen […] ACTA, das für viele das Ende der Meinungsfreiheit im Internet bedeutet. Die Folgen in der Wiener City: Straßensperren und Polizeieinsätze.

(Mein 100. Kobuk — mit Dank an Marlies für den Hinweis! :–)


Update 28. 2., 18:05 Uhr: Ursprünglich hatte ich geschrieben, der Rat müsse in dieser Frage einstimmig entscheiden. Das stimmt allerdings nur, wenn „sensiblere“ Bereiche betroffen sind (z.B. „soziale Sicherheit und sozialer Schutz“). Danke an Franziska für den Hinweis. Die entsprechenden Stellen wurden korrigiert.

Update 28. 2, 13:44 Uhr — Leserbriefe:
(„Wasserköpfe“ … „hirnlose Armada“ … „Gipfel der Idiotie“ — auch online)

Kronen Zeitung, 28. 2. 2012, S. 30

„Wasserköpfe“ … „hirnlose Armada“ … „Gipfel der Idiotie“


Freie, unabhängige Medien sind die Wachhunde der Demokratie. Es ist daher nicht ganz unerheblich, von wem manche ihre schönsten Knochen kriegen — und nach welchen Kriterien. Man darf also schon mal seriös und fachlich fundiert die Presseförderung hinterfragen, in Österreich.

Oder man macht’s wie “Österreich”:

"Österreich", 21. 2. 2012, S. 4/5

Eine Presseförderung, wo die Regierung direkt sieben auflagenschwache Tageszeitungen finanziert, […] gibt es auf der Welt nicht mehr.

Was uns „Österreich“ über die Welt erzählt, sollte man immer mit Vorsicht genießen. Dabei hätte ein Blick nach Europa schon gereicht:

Internationale Zahlenvergleiche (aus diesem PDF, S. 63) sind naturgemäß mit Vorsicht zu genießen, aber weltweit einmalig, wie Wolfgang Fellner schreibt, ist direkte Presseförderung für finanz- und auflagenschwache Blätter keineswegs.

Schon eher einmalig, die Rechenkünste von „Österreich“:

So erhält etwa das regelmäßig von „Österreich“ zitierte unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinende Wirtschaftsblatt pro verkauftem Exemplar 42 € Förderung. […]

42 Euro pro Exemplar: […] Das Wirtschaftsblatt erhielt 2011 743.850 Euro […] — bei einer verkauften Auflage (Direktverkauf) von 17.547 Stück pro Tag. Das sind 42 Euro Steuergeld pro verkauftem Exemplar!

… wenn das Wirtschaftsblatt an nur einem Tag im Jahr erschiene. Hoffen wir, dass kein flüchtiger „Österreich“-Leser die Fördersumme auf 250 Tage hochrechnet — ich sage nur #oocupyWirtschaftsblatt.

ÖSTERREICH kassiert keinen Cent Presseförderung.

Offiziell nicht. Nach Branchenschätzungen gibt die Politik allerdings jährlich knapp 100 Millionen Euro für mehr oder weniger sinnvolle Inserate aus. Alleine Wolfgang Fellners „Österreich“ soll laut Kurier zwischen 2006 und Mitte 2011 über 35 Millionen Euro für Inserate vom Staat und staatsnahen Betrieben erhalten haben. Das wären im Schnitt über 500.000 Euro pro Monat, das Meiste davon Steuergeld.

Bei „Heute“ ist die Summe ähnlich hoch, für Freunde des gepflegten Déjà-vus:

"Heute", 20. 2. 2012, S. 5

https://www.andreas-unterberger.at/2011/10/wie-viel-zahlt-die-oeffentliche-hand-den-boulevardzeitungenij/

Aus dem Ehrenkodex der österreichischen Presse:

3.3. Fotomontagen und Bildbearbeitungen, die von flüchtigen Lesern/innen als dokumentarische Abbildungen aufgefasst werden, müssen deutlich als Montagen oder Bearbeitungen kenntlich gemacht werden.

Aus der Kronen Zeitung von gestern:

(Kronen Zeitung, 18. 2. 2012, S. 12)

Königin Beatrix bangt im Innsbrucker Spital um das Leben ihres Sohnes.

Nachdem das mit den falschen, acht Jahre alten Hunde-Horrorfotos so toll gelaufen ist, setzt die „Krone“ auf den Redaktionsrekord jetzt noch zwei Jahre drauf. Und fälscht nun sogar aktiv Bilder, nach der bewährten Regel: „Das Foto muss nicht stimmen, nur die Stimmung muss.“

Und wenn der Promi nicht will, dann ab ins Bildarchiv. Kurz gesucht nach „Königin Beatrix traurig“ oder „auf Begräbnis“. Ein bisschen Photoshop, et voilà: Eben noch auf der Beerdigung der britischen „Queen Mum“, vor knapp zehn Jahren, und schon vor dem Krankenhaus in Innsbruck. Als hätte sie dort extra kurz posiert.

"09 Apr 2002" (ähnl. Bilder, selber Tag)

Das muss man sich echt mal geben: Die Kronen „Zeitung“ schneidet aus einer zehn (!) Jahre alten Aufnahme Königin Beatrix heraus, weil da Blick und Outfit gerade „passen“, und montiert sie vor die Innsbrucker Uniklinik, scheinbar aktuell besorgt um ihren verunfallten Sohn. Und das Ganze mit fast schon branchenuntypischer Akribie gefälscht, sodass die zunehmend presbyope Leserschaft den Schwindel kaum erkennen dürfte.

Da hätten wohl selbst die notorischsten Kronen, äh, royalen Blätter, die wir alle natürlich nur vom Friseur kennen, ein wenig Skrupel gehabt. So für ca. zwei Sekunden. Aber die würde auch niemand „Zeitung“ nennen.

Dramatische Bilder erreichen uns via ORF.at aus London:

Big Ben neigt sich nach links

[…] Der Uhrturm mit dem Big Big [sic!] sinkt ungleichmäßig in den Boden und hat bereits eine beträchtliche Schräglage in Richtung Nordwest erreicht. „Es ist eine Neigung von 46 Zentimetern oder 0,26 Grad auf dem höchsten Punkt“, sagt John Burland, Professor am Imperial College London, gegenüber der BBC. […]

„0,26 Grad“, ah ja. Kobuk hat keine Kosten und Mühen gescheut und in einer aufwendigen Simulation nachgestellt, wie diese Neigung ohne fotografische Verzerrung für Beobachter vor Ort aussehen würde:

Aber das war erst der halbe Spaß. Falls ihr demnächst nach London kommt, macht doch ein kleines Experiment mit Freunden: Begebt euch an eine ähnliche Betrachtungsposition wie im Bild und fragt sie ganz unschuldig, ob sie die Linkslage des Turms auch schon erkennen. Natürlich nicht so wild wie auf dem ORF-Foto, aber eben gerade so ein bisschen — wie auf unserer Skizze.

Falls ja, habt ihr einen wunderschönen Beleg für die menschliche Einbildungskraft. Denn der Turm neigt sich dort gar nicht nach „links“. Zwar hat der britische Baustatiker John Burland tatsächlich zur BBC gesagt:

Wenn Sie am Parliament Square stehen, können Sie sehen, dass er sich ganz leicht nach links neigt […]

Doch Parliament Square befindet sich aus unserer Blickrichtung hinter dem Turm. Big Ben neigt sich in Wahrheit also fast genau in die entgegengesetzte Richtung, die ORF.at suggeriert. Halten wir uns lieber an die Möwe im Vordergrund: Sie fliegt gerade ziemlich genau nach Nordwest — wie auch Big Ben, in vielleicht 10.000 Jahren.

(Danke @skaragerald für den Hinweis)

Boulevard ist, wo jeder Tod ein Mord, jeder Diebstahl ein Raub und jeder Wind ein Orkan ist — und sagt jetzt nicht, das sei Betrug.

DJ Ötzi in Miami ausgeraubt
Während einer Mittagspause brachen unbekannte Täter den Produktionswagen auf und entwendeten fast das gesamte Equipment der Filmcrew. […] Auch eine Diebstahlsanzeige [sic!] bei der Polizei Miami blieb bis dato erfolglos.

Und weil’s bei den Kollegen von „Österreich“ grad so toll mit Photoshop geklappt hat, pflanzt auch „Heute“ den DJ ganz unauffällig vor ein paar Archivpalmen hin.

Update 29.1.2012: Was soll man von einer öffentlich-rechtlichen Sendung erwarten, die „Heute in Österreich“ heißt? Hier die Anmoderation der Ötzi-Story im ORF (abrufbar bis 3.2.):

Miami – nicht nur die Top-Touristenattraktion und der Ausgangspunkt für viele Reisende quer durch Florida. Miami zählt auch zu den gefährlichsten Städten von Amerika. Das musste jetzt auch Gerry Friedle alias DJ Ötzi am eigenen Leib verspüren. Er wurde während eines Videodrehs zu seinem neuen Album, das er gemeinsam mit dem US-Country-Duo „Bellamy Brothers“ herausbringt, ausgeraubt. […]

Also noch mal ganz langsam: Ein Fahrzeugeinbruch, in Abwesenheit des Besitzers, ist kein Raub (und hoffentlich auch kein Beleg für die Gefährlichkeit einer Stadt). Zu behaupten DJ Ötzi sei „ausgeraubt“ worden, ist daher ungefähr so zutreffend, wie seinem Gesang reale Körperverletzung zu unterstellen. Obwohl…

(Mit Dank an Erich T. für den ORF-Hinweis)

Kobuk bekam am Dienstag den von A1 gestifteten Open Society Award verliehen: Im Bild die Kobuk-Autoren Hans Kirchmeyr, Yilmaz Gülüm, Irene Steindl, Helge Fahrnberger, Marlene Altenhofer und Josef Barth mit Telekom-Chef Hannes Ametsreiter.

Im Anschluss an die Übergabe habe ich Kobuk vorgestellt und Hannes Ametsreiter daran erinnert (etwas sanfter, als ich es vorhatte), dass sein Bekenntnis zum freien Internet und zu einer offenen Gesellschaft mit Geschäftspraktiken wie dem Versuch, die Netzneutralität abzuschaffen nicht vereinbar ist:

Wir werden das Preisgeld nicht für uns selbst verwenden, sondern damit eine Vernetzungsveranstaltung für AktivistInnen des freien Internets und partizipativer Projekte organisieren.

Danke an alle Hinweisgeber und an alle, die für uns gestimmt haben!

(Foto: Katharina Rossboth/A1/APA-Fotoservice)