Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Das „profil“ berichtet über die Probleme in der Faymann-SPÖ und weist auf eine allgemeine Krise der sozialdemokratischen Parteien in Europa hin. Um die eigene These der schwächelnden Sozialdemokraten zu stützen, lässt das Magazin aber manche Fakten weg oder recherchiert nur halbherzig.

Bildschirmfoto 2014-12-07 um 15.11.40Bis auf Norwegen und Schweden würden sozialdemokratische Parteien „nirgendwo in Europa“ über dreißig Prozent liegen, behauptet „profil“. Gemeint sind dabei offenbar Parlamentswahlen. Wenn hier „Europa“ die EU-Staaten bedeutet, hat man aber zumindest auf die Slowakei (44%), Kroatien (40%) und Rumänien (37%) vergessen. Außerhalb der EU trifft dies etwa noch auf Albanien zu.

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Auch die zugehörige Grafik (siehe rechts) folgt einer eigentümlichen Logik: Es soll sich dabei um die „jüngsten Wahlergebnisse“ in Europa handeln. Markiert sind aber Spanien, wo die letzten Wahlen im November 2011 stattfanden, oder Frankreich, wo im Juni 2012 zuletzt gewählt wurde. Gleichzeitig fehlt Italien, wo eigentlich ein recht frisches Ergebnis aus dem Februar 2013 vorliegt. Erster war dort das Linksbündnis der sozialdemokratischen PD – mit 29 Prozent in der Abgeordnetenkammer (was ihr durch einen wahlrechtlichen „Boost“ die absolute Mehrheit verschafft) und 31 Prozent im Senat. Und während das magere Ergebnis der griechischen PASOK aus dem Juni 2012 angeführt wird, fehlen zB. Daten aus Lettland (Oktober 2014) oder Rumänien (Dezember 2012), wo die Sozialdemokraten bzw. ihre Wahlbündnisse bessere Ergebnisse hatten.

Der Löwenanteil des „profil“-Artikels setzt sich fundiert mit den Schwierigkeiten der heimischen SPÖ auseinander. Aber im Europa-Kontext wollte man offenbar die eigene These nicht zu Tode recherchieren.

In einem Artikel vom 12. November schafft es die Tageszeitung „Österreich“, außer einer einzigen alle Zahlen falsch zu zitieren. Nicht 7.490 Babys mehr kamen im September zur Welt, sondern 489. Vorarlberg wird ein Wachstum von 21,9% oder 378 Geburten attestiert, tatsächlich sind es aber 8,8% oder 2.926 Geburten. Genauso wenig stimmen die weiteren Zahlen aus Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich und Wien. Siehe Pressemitteilung der Statistik Austria.

Eine Plausibilitätsprüfung zeigt: Die beschriebenen 472 Geburten in Salzburg von Jänner bis September wären außerordentlich wenig für neun ganze Monate. Das wären nur 52 Geburten pro Monat bzw. ca 2 Geburten am Tag. Und das in einem Bundesland mit 535.549 Einwohnern. Tatsächlich waren es 3.923 Geburten. Es dürften Monatsdaten mit Jahresdaten verwechselt worden sein.

Bis auf das Gesicht verschleiert, ein arabischer Schriftzug auf dem Stirnband, schwer bewaffnete, vermummte Gestalten im Hintergrund: Die Tageszeitung „Österreich“ zeigt in letzter Zeit wiederholt ein Bild, das scheinbar die junge Wienerin Sabina S. als Kämpferin des Islamischen Staates darstellt. Die Fünfzehnjährige war vergangenen April mit ihrer Freundin Samra K. (17) aus Wien aufgebrochen, um sich in Syrien der Terrormiliz anzuschließen. Blöd nur, dass es sich bei der Frau auf dem Bild gar nicht um Sabina S. handelt. Das Foto hat auch sonst rein gar nichts mit dem IS zu tun.

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„Österreich“ gibt „Privat“ als Quelle des Fotos an. Tatsächlich gehört das Bild einem Reuters-Fotografen und lässt sich zumindest bis zum Februar 2013 zurückverfolgen – bis zu einer Zeit also, als Sabina in Wien noch brav in die Schule ging. Auf dem Foto zu sehen ist daher auch nicht sie, sondern eine syrische Rebellin namens Umm Dschafar. Diese kämpfte damals für eine weibliche Brigade der Freien Syrischen Armee, also in Wahrheit für die Gegner des IS. Auch die britische Daily Mail oder Huffington Post UK zeigen das Foto und behaupten, es zeige Sabina.

Die Bildmanipulation passt gut zu einer Berichterstattung voller Gerüchte und Spekulationen, mit der das Schicksal der zwei Mädchen seit Monaten breitgetreten wird. So mutmaßte man in der Vergangenheit schon über Tod und Schwangerschaft der Mädchen. „Österreich“ brachte zudem eine sehr umstrittene Story über eine angeblich geplante Flucht zurück nach Wien – eine Story, die gleichzeitig nicht unerhebliche Risiken für die Mädchen birgt.

In einem zweifelhaftem Chat-Interview mit einem Pariser Magazin meldete sich Sabina S. selbst zu Wort und stritt diese Gerüchte ab. Für „Österreich“ wiederum war klar, dass das Mädchen dazu genötigt wurde und nun als Sprachrohr der Terroristen dienen muss: Man titelte mit „Dschihad-Mädchen wird Terror-Testimonial“. Dass das Boulevard-Blatt dazu dann als Untermalung ein falsches Bild einer unbeteiligten syrischen Rebellin verwendet, zeigt, mit welchen Mitteln „Österreich“ die eigenen Spekulationen untermauern will.

Am Dienstag berichtete “Heute” in ihrer Titelstory vom tragischen Mord einer gewissen Serena B. (27), die im Urlaub vergewaltigt und erschlagen wurde. Dem Bericht zufolge “reisten Familie und Freunde jetzt nach Wien, um ihre Asche in der Donau zu verstreuen”.

Blöd nur, dass das Ganze vor 32 Jahren passiert ist!

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heute-asche-berichtChristopher Booker, der von “Heute” erwähnte Bruder, ist selbst Journalist. Letzte Woche erschien ein Artikel von ihm, in dem er den Vorfall bezüglich seiner Schwester detailliert schildert: Ermordet wurde sie 1982 – ihre Asche wurde ein Jahr später in die Donau verstreut.

Laut “Heute” könnte der mutmaßliche Mörder von Serena auch ein britisches Urlaubspärchen ermordert haben. Gemeint sind offenbar David Miller und Hannah Witheridge, welche im Artikel von Serenas Bruder erwähnt werden. Die beiden Rucksacktouristen sind im September 2014 tot aufgefunden worden – Serenas mutmaßlicher Mörder ist allerdings selbst schon seit über 30 Jahren tot. Wenn er also heuer im September zwei Menschen umgebracht haben soll, dann muss er wohl so etwas wie eine wandelnde Mumie sein. Außerdem hat die Polizei die mutmaßlichen Mörder von Miller und Witheridge bereits geschnappt.

Anscheinend ist “Heute” auf ihr “Versehen” aufmerksam geworden – die Online-Version des Artikels wurde bereits gelöscht. Doch als Titelgeschichte der meistgelesenen Zeitung Wiens dürfte sie dennoch der eine oder andere Leser zu Gesicht bekommen haben.

„Heute“ feiert 10. Geburtstag. Für die Fans gibt es schmerzbefreite Politiker-Selfies auf Twitter, für die anderen „Dossier“. Doch während das Alter von „Heute“ feststeht, ist das Alter seiner Herausgeberin auf Wikipedia erstaunlich umkämpft. Und das führt zu überraschenden Einsichten.

Über dreieinhalb Jahre hat jemand auf Wikipedia immer wieder versucht, das Geburtsjahr Eva Dichands von 1973 auf 1975 zu ändern. Seit Ende 2010 stammten alle diese Fälschungsversuche direkt von einer IP-Adresse des „Heute“-Verlags. Stets wurden diese anonymen Änderungen von anderen Wikipedia-Autoren wegen fehlender Belege abgewehrt.

Im Mai 2012 stellte „Heute“ dann aber selbst einen falschen, verjüngten Lebenslauf von Eva Dichand als PDF auf Heute.at online. (Sollte die Datei zwischenzeitlich gelöscht werden, hier eine Kopie). Kurz darauf vermerkte der oder die anonyme Autorin aus dem „Heute“-Verlag diese „offizielle“ Quelle. Und seither steht stand auf Wikipedia bei der „Heute“-Chefin ein falsches Geburtsjahr:

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Bevor nun Zweifel aufkommen: Eva Dichand ist tatsächlich 41, und damit zwei Jahre älter als man uns glauben machen will. Das ist notariell im Firmenbuch beglaubigt:

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Wir wollen hier aber gar nicht weiter auf dem Alter Eva Dichands herumreiten. Viel spannender ist, was der oder die anonyme Autorin oder die Autoren unter den auf Wikipedia sonst noch so getrieben hat oder haben.

Wikipedia-User, die Eva Dichand verjüngten, editierten demnach auch:

Auflagezahlen, Erfolgsmeldungen und PR-Details der Gratiszeitung „Heute“.

Gesundheitstipps für Trägerinnen von hohen Absätzen.
Sticheleien gegen den Journalistenkollegen Christian Ortner:

„Ortner vertritt in seinen Artikeln, Kommentaren und Kolumnen eine intellektuell eher schlichte Variante des Wirtschaftsliberalismus.“

Sehr viele Sticheleien gegen das Konkurrenzblatt „Österreich“:

„Das Blatt hat noch immer schwere logistische Probleme im Vertrieb.“

„In Wien wurden unzähliche [sic!] Entnahmeboxen – ähnlich denen der Gratiszeitung HEUTE- vor den U-Bahnabgängen im Freien aufgestellt. Bei schlechtem Wetter bleiben diese meist zu [sic!] großteil [sic!] voll.“

„Das Tageszeitungsprojekt wurde allerdings nicht wie erwartet vom Markt angenommen. […] Im Gegensatz zu seinen Magazingründungen bläst Fellner hier eisiger wind [sic!] entgegen. Die kolportierten 60 Mio. Anfangskredit mußten [sic!] bereits verdoppelt werden. ein Großteil der Auflage wird durch Gratisverteilungn [sic!] erzielt.“

➡ Und dann bringt „Heute“ noch das bemerkenswerte Kunststück zuwege, ein Gerücht anonym zu streuen und gleichzeitig „mit Nachdruck“ zu verneinen:

„HEUTE gilt für Brancheninsider als das Abwehrprodukt der Mediaprint gegen die neue Tageszeitung ÖSTERREICH, die zum Großteil ebenfalls gratis verteilt wird. Eine Verbindung zwischen Mediaprint bzw. der Familie Dichand wird von beiden Seiten mit Nachdruck verneint.“

Ein Gerücht, das angesichts der vom Rechercheteam „Dossier“ dokumentierten Fidelis-Connection zwar harmlos scheint, aber das die WAZ als Hälfte-Eigentümerin der „Krone“ brennend interessieren dürfte. Denn ohne die Zustimmung der WAZ war es Hans Dichand versagt, neue Zeitungen zu gründen. Interessant, dass dies vom „Heute“-Verlag offenbar selbst in den Raum gestellt wurde. Wenn auch – vermeintlich – anonym und „mit Nachdruck“ verneinend.

Neugierig geworden auf noch mehr „Heute“-Interna, -Rätsel und -Zusammenhänge? Die Kollegen bei „Dossier“ haben da so einiges zusammengetragen.

 


Zur Erklärung: Viele Links in diesem Artikel führen zu einer „Änderungsansicht“ auf Wikipedia, die die Unterschiede einer Bearbeitung zur Vorversion eines Artikels darstellen. Einfach linke und rechte Seite vergleichen.

Wir legen Wert auf die Feststellung, dass wir über keine Beweise verfügen, dass all diese Wikipedia-Bearbeitungen tatsächlich von Frau Dichand persönlich oder auf ihre direkte Anweisung hin entstanden wären, oder ob hinter den Änderungen eine Person oder eventuell auch mehrere, sich eine IP-Adresse teilende Personen standen. Jeder möge sich anhand der dokumentierten Fakten selbst eine Meinung bilden.

(Danke an @dossier für den Hinweis in dieser Sache gestern auf Twitter!)

Hier die betreffenden IP-Adressen mit allen verlinkten Wikipedia-Aktivitäten:
213.235.233.58, 88.117.8.15, 188.22.163.82 und 78.142.182.178 („Heute“-Verlag AHVV).

Es war die „Krone“-Schlagzeile der Woche in Salzburg und wurde auf der Facebook-Seite von FPÖ-Chef Strache umgehend zum meistgeteilten Posting des Jahres:

Salzburger Mindestrentnerin muss aus
Wohnung raus, weil Asylwerber kommen

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Einer 72-jährigen Mindestrentnerin sei also laut Kronen Zeitung völlig überraschend die Wohnung gekündigt worden. Sie müsse jetzt bis Ende April 2015 räumen, damit Asylwerber einziehen können.

Die schäbige Motivation des Wohnbauträgers ist für die „Krone“ als Kennerin der Asylpolitik und der Wohnungsvergabe klar:

Für Kenner der Asylpolitik und der Wohnungsvergabe ist die Sache klar: Pro Asylwerber gibt es 19 Euro vom Bund, […] in einer Wohnung sind es dann 2300 bis 3000 Euro im Monat für den Vermieter — in diesem Fall für die Wohnbauträger.

Das „Dumme“ nur, die Dame muss gar nicht aus der Wohnung raus: Bereits im August war auf Ersuchen ihres Sohnes eine Verlängerung des Mietvertrags zustande gekommen. Der „Krone“-Redakteur wusste das, drehte es aber für den flüchtigen Leser so, als sei diese Zusage erst nach seiner Anfrage aus Kulanz erteilt worden.

Der Mietvertrag war auch nie gekündigt worden: Er war von vornherein auf drei Jahre befristet und sollte 2015 ganz normal auslaufen. Die Wohnung war der Frau dem Vernehmen nach als Übergangslösung zur Verfügung gestellt worden, nachdem sie als Hausbesorgerin im Bereich ebenjener Wohnbaugesellschaft in Rente gegangen war.

Und es kann nicht um das Geld für Asylwerber gehen: Die betreffende Wohnung ist Teil eines speziellen Pools von Startwohnungen für bereits anerkannte Flüchtlinge (nicht Asylwerber). Diese müssen ein Dienstverhältnis nachweisen und ihre Miete selbst bezahlen. Womit das von der Kronen Zeitung unterstellte Abgreifen von Asylgeldern durch die Wohnungsgesellschaft hinfällig wäre.

Das legen jedenfalls die ausführlichen Stellungnahmen von Wohnbaugesellschaft und Diakonie nahe. Das Perfide: Diese Klarstellungen enthalten keine Information, die dem „Krone“-Redakteur — der übrigens auch schon für diese Bettlerhetze verantwortlich zeigte — nicht schon vor Veröffentlichung seiner stürmerischen Schlagzeile hätte bekannt sein müssen.

Aber mit der Headline …

Frau möchte in Startwohnung für Flüchtlinge bleiben.
Befristeter Mietvertrag auf Bitte des Sohns verlängert.

… lässt sich halt schwer gegen Asylwerber und Flüchtlinge Stimmung machen.

Tag 2: „Krone“ vs. Realität

Wie sehr die Realität der Kronen Zeitung manchmal ungelegen kommt, merkt man an der Fortsetzung der Geschichte, die bereits am Vortag groß angekündigt worden war:

In Salzburg jetzt aufgedeckt:
Zweihundert Wohnungen an Flüchtlinge

Es lässt sich nur mutmaßen, aber wahrscheinlich war eine große „Aufdeckerstory“ über Asylwerber geplant, die Österreichern geförderte Wohnungen wegnähmen. Das „aufgedeckt“ ist trotzig auf der Titelseite verblieben, wirkt mangels Missstand aber seltsam verloren und deplatziert.

Der Artikel im Blattinneren ist dann auch weniger mit Aufdecken beschäftigt, als mit wortreichem Zudecken und Nachreichen der unterschlagenen Fakten in der Falschmeldung vom Vortag.

Da heißt es gleich eingangs, bemerkenswert umständlich und trotz Kürzungen nahezu unlesbar:

2014-09-05_S18_Sbg_Krone_aufgedeckt_FaksimileDer Fall der […] Pensionistin […], die […] nach dem auf drei Jahre befristeten Vertrag die Wohnung wieder räumen hätte sollen, hatte — wie schon berichtet — ein zumindest vorläufig gutes Ende. Frau Z. wurde nach dem Schreiben vom 11. August (die „Krone“ druckte es am Donnerstag ab), dass man die Wohnung dringend für Flüchtlinge brauche — innerhalb einer Woche (am 19. August) per mündliche [sic!] Zusage für drei Jahre verlängert.

So liest es sich, wenn die Rechtsabteilung neben dem Redakteur sitzt.

Die Kronen-Zeitung leidet offenbar unter akutem Gedächtnisverlust. Anders kann man die aktuelle Titelseite kaum erklären. Einen „starken Anstieg der Flüchtlingszahlen“ gibt es heuer nämlich ebenso wenig wie „Rekordzahlen“.

Krone-Titelseite vom 3. August 2014, Foto von @the_boomerang

Krone-Titelseite vom 3. August 2014, Foto von @the_boomerang

Das Argument der Krone sind die Flüchtlingszahlen vom Juli. 2142 Menschen haben letzten Monat in Österreich Asyl beantragt. Laut Krone sind das besonders viele.

 

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Immerhin steht“Rekordzahl“ unter Anführungszeichen. Eigentlich ist es aber schlicht keine Rekordzahl. Hier die Asylanträge im Juli seit 2001:



Wie man sieht: 2001, 2002 und 2003 gab es im Juli deutlich mehr Asylanträge als heuer. Oder anders gesagt: 2002 gab es im Juli um 76 Prozent mehr Asylanträge als heuer. Heuer gab es zwar einen Anstieg. Von einem Rekord kann aber keine Rede sein. Schon gar nicht, wenn man an echte Flüchtlingswellen wie während des Jugoslawienkrieges denkt, mit denen Österreich fertig geworden ist.

Es macht allerdings vermutlich nicht viel Sinn, ausschließlich die Asylzahlen einzelner Monate zu vergleichen. Flüchtlinge kommen ja über das ganze Jahr. Wie sieht es also im Jahresvergleich aus? Haben wir heuer einen „Rekord“? Oder zumindest einen „starken Anstieg“? Nein, haben wir nicht.



Heuer hatten wir seit Jahresbeginn ganze fünf Prozent mehr Asylanträge als im Vorjahr. In absoluten Zahlen macht das ein Plus von 495 Anträgen. Damit sollte eines der reichsten Länder der Welt gerade noch zurechtkommen. Der Boulevard aber offenbar nicht.

Bei der kartografischen Darstellung der Ergebnisse zur Europawahl 2014 haben einige Medien ganz schön gepatzt:

DiePresse.com

UPDATE!: Der Erstellerin der Karte zufolge war die falsche Zuordnung des Vereinigten Königreichs eine Folge der späten britischen Wahlergebnisse. Diese waren zum Zeitpunkt der Kartenerstellung noch nicht vorhanden und wurden auch direkt im Anschluss nicht ergänzt. Das „weiß lassen“ führte zu einer missverständlichen Farbgebung. Mittlerweile ist die Karte ergänzt und ausgebessert.

presse

Glaubt man der Online-Karte der „Presse“, ist die stärkste Kraft im Vereinigten Königreich – UKIP – fraktionslos. Das ist allerdings falsch, denn die Partei ist Teil der EFD (Europa der Freiheit und Demokratie). Nicht nur das – der Vorsitzende der UKIP, Nigel Farage, ist sogar Vorsitzender der Fraktion. Ein Fehler…

 

Spiegel Online

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…der übrigens auch „Spiegel Online“ unterlaufen ist (UPDATE!: Auch hier scheinen die spät eingetroffenen Resultate zu einer unvollständigen Karte geführt zu haben. Die Karte wurde mittlerweile upgedatet.). Eine Karte später hat man dort dann auch noch vergessen, Rumänien zur EU zu zählen.

Österreich

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Den Vogel abgeschossen hat aber die Europakarte der Gratisausgabe von „Österreich“ vom 26. Mai. Diese beweist nicht nur Kreativität in Sachen Landeskunde – die Mittelmeerinsel Korsika gehört nicht mehr zu Frankreich sondern zu Spanien, die schwedische Insel Gotland wurde offenbar aus der EU befördert, wie das mit Nordirland ist weiß auch niemand – und wo ist eigentlich Zypern (1)? – sondern strotzt auch noch vor inhaltlichen Fehlern*: Die Niederlande (2) sind schwarz eingefärbt, müssten aber gelb sein, da die liberale ALDE dort die meisten Sitze hat. Tschechien (3) und Polen (4) sind wiederum braun und gelb – korrekt wäre aber schwarz, da die EVP in beiden Ländern die stimmenstärkste Fraktion ist. Und auch bei Litauen (5, eigentlich liberal) und Finnland (6, ebenso) hat man sich unglücklicherweise geirrt. Macht immerhin noch eine Trefferquote von 82 Prozent.

Da muss nicht nur Angela Merkel schmunzeln.

*Die zitierten Ergebnisse kann man auf der offiziellen Seite des Europäischen Parlaments nachlesen. Faktentreue Karten lassen sich hier oder hier begutachten.

Medien übernehmen Lobby-Studie, ohne für ihre Leser eine journalistische Einordnung vorzunehmen.

Diese APA-Meldung hat’s in einige Medien geschafft — ganz prominent aber auf die Titelseite von „Heute“:

(HEUTE, 3.6.2014)Tempo 30 macht Luft in Wien nicht besser!
[…] Mit Tempo 30 wird alles besser, argumentieren Verkehrsclub Österreich und Grüne gern. Doch das stimmt nicht, fanden Forscher der TU Wien jetzt zur eigenen Überraschung heraus.

Die Wissenschaftler der TU Wien geben sich persönlich überrascht, was die Studie gleich noch ein bisschen sensationeller macht. Doch das ist — gelinde gesagt — höchst erstaunlich. Denn unter Experten außerhalb der TU ist schon seit Jahrzehnten bekannt, dass Tempo 30 zwar viel für Sicherheit und Lärmempfinden bringen kann, aber nur wenig für die Luftgüte einer ganzen Stadt (PDF). Immerhin läuft dazu seit 1992 ein großangelegter „Feldversuch“ in Graz, der auch intensiv wissenschaftlich begleitet wurde.

Schon lange weiß man: Bei schlechter Umsetzung von Tempo 30, wenn der Verkehrsfluss gehemmt würde, könnte die Schadstoffbelastung sogar signifikant steigen. Erwartet man hingegen starke Lenkungseffekte, u.a. durch mehr Nutzung von Auto-Alternativen, könnten die Emissionen deutlich sinken. Damit ist seit Jahren klar, an welchen Hebeln gedreht werden muss, möchte man in der teils ideologisch gefärbten Debatte ein gewünschtes Ergebnis erzielen.

In dieser Presseaussendung zur aktuellen Studie liest sich das dann so:

Prof. Bernhard Geringer, TU Wien: „Tempo 30 ist keine sinnvolle Maßnahme zur Hebung der Luftqualität […] – bauseitige Verkehrsberuhigungen erhöhen sogar deutlich den Emissionsausstoß gegenüber Tempo 50“ […] im Sinne „Schwellen machen Abgas“.

Richtig abenteuerlich wird es aber in der Emissions-Studie selbst. Die widmet sich, obwohl das gar nicht ihr wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand war, abschließend (auf Seite 11) noch dem Punkt „Sicherheit“ und befindet auf gezählten neun Zeilen:

3.4 Sicherheit
In Ermangelung einer eigenen Untersuchung zur Sicherheit soll hier nur […] auf die […] relativ günstige städtische Unfallbilanz verwiesen werden. Das hohe technische Sicherheitsniveau moderner mehrspuriger Fahrzeuge […] lassen [sic!] keine nennenswerten Änderungen in den Unfallfolgen erwarten.

Zu diesem wissenschaftlichen Höhepunkt nur so viel: Bei Unfällen in Tempo-30-Zonen sterben z.B. knapp 8 % der angefahrenen Fußgänger. Bei Tempo 50 werden fünfmal (!) so viele Menschen getötet (Quelle: S 12 in diesem PDF). Manche Wissenschaftler dürften das durchaus „nennenswert“ finden.

Bei derart offensichtlichem Spin könnte man als Journalist schon mal auf die Idee kommen, eine zweite Meinung einzuholen. Die APA hat darauf leider verzichtet. Ö1 und ORF Science haben’s vorbildlicherweise trotzdem gemacht.

Und „Heute“ hat ihren Lesern leider sogar die APA-Information unterschlagen, für wen diese TU-Studie erstellt wurde. Hier, live vom Titelblatt:

Studie TitelblattÖsterreichischer Verein für Kraftfahrzeugtechnik (ÖVK)
Arbeitskreis der Automobilimporteure [Industriellenvereinigung]
Bundesgremium Fahrzeughandel [Wirtschaftskammer]

Leseempfehlung:
Journalismus im Bett mit der PR: 50% reiner Spin (Kobuk, 3.12.2010)

doodleAm 16. Mai ehrte Google die Mathematikerin und Wohltäterin Maria Gaetana Agnesi, zu ihrem 296. Geburtstag. Format.at – das Portal für Wirtschaft, Geld und Politik (wie es sich selbst nennt) – bastelte daraufhin einen Artikel darüber.

Peinlich nur: Einige Teile des Textes wurden 1:1 vom Wikipedia-Artikel abgeschrieben – ohne jegliche Quellenangabe versteht sich.

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Auch andere Medien schrieben über die Mathematikerin. Einige Absätze von sueddeutsche.de und Focus.online haben etwa auch große Ähnlichkeiten mit dem Wikipedia-Artikel, dennoch hat man sich hier wenigstens eigene Formulierungen überlegt.

Der Wikipedia-Text selbst weist übrigens eine Vielzahl von Quellenangaben auf, aus denen die veröffentlichten Informationen bezogen wurden. Vielleicht sollte sich Format.at mal ein Beispiel daran nehmen.