„Fast 38.000 Beamte im Dienst verletzt“, diese schockierende Zahl titelte die Kronen Zeitung am Freitag. Und das ist allein schon deshalb erstaunlich, weil das um 8.000 Polizisten mehr sind, als es in ganz Österreich gibt.
Tief im Blattinneren löst sich dann für aufmerksame „Krone“-Leser des Rätsels erster Teil: die beiden Redakteure haben schlicht alle verletzten Polizisten bis zurück ins Jahr 2000 (!) addiert — ebenso gut hätten sie bis Metternich gehen können, aber das wäre wohl doch zu sehr aufgefallen:
Das Aufsummieren über eine willkürliche Anzahl Jahre ist statistisch eine eher nutzlose Übung, hat aber den Vorteil, dass es zu einer beeindruckenden Zahl führt, die auch praktischerweise immer nur steigen kann. Der Kronen Zeitung gefällt dieser Trick so gut, dass sie ihn nun regelmäßig bringt. Hier, vor vier Monaten, der selbe Polizeialarm, die gleiche Grafik, nur Beipacktext und Zahlen unterscheiden sich:

Kobuk-Basteltipp: Grafik ausschneiden und sammeln. Am Ende des Jahres geht sich vielleicht ein Daumenkino aus.
Der Täuschung zweiter Teil
Wer nun dem Rest der Schlagzeile vertraut und glaubt, dass diese 38.000 dann immerhin „im Dienst“ Opfer von „Gewalt gegen Polizisten“ geworden seien, geht der „Krone“ erneut auf den Leim. Denn diese Zahl enthält zur Hälfte auch all jene Beamten, die sich im Dienst ganz „normal“ verletzt haben oder wie es im Februar die Oberösterreich-„Krone“ noch fast häretisch formulierte:
Hälfte ist selbst schuld
[…] Dabei geht die Gefahr aber in kaum 50 Prozent von irgendwelchen bösen Buben aus, mit denen die Beamten sich herumschlagen müssen. Öfter verletzen sie sich beim Sport oder im Dienstalltag.
Was bleibt von der Schlagzeile?
Wenn man die Kampagnen-Hysterie abzieht, bleiben von den 38.000 Übergriffen auf der Titelseite ca. 1.100 im letzten Jahr. Knapp 90 Prozent davon waren leichte Verletzungen und ca. jeden dritten Tag wurde ein Polizist wegen einer Amtshandlung schwer verletzt.
Und ja, die absolute Zahl steigt. Das könnte zum Teil aber auch strukturelle Gründe haben:
- Die Aufstockung des Personals — über sieben Prozent seit 2009 — kann natürlich zu einem Anstieg der absoluten Verletzungszahlen führen.
- Und auch eine verstärkte Präsenz auf der Straße wirkt sich entsprechend aus, wie das Beispiel Basel zeigt.
Was macht die Kronen Zeitung hier?
Was wir in der „Krone“ zum Thema Polizei lesen, ist kein Journalismus. Es ist die ungefilterte Position des Innenministeriums, der Polizeigewerkschaft und einer Redaktion, die von exklusiven Geschichten aus diesen Quellen lebt. Eine andere Seite kommt — trotz Doppelseite — nicht vor.
Am Ende dieses Weges werden wir wie selbstverständlich „wissen“, welche Maßnahmen nun absolut nötig, ja längst an der Zeit seien. Und dass es angesichts der Nachrichtenlage geradezu absurd wäre, diese Pläne infrage zu stellen.
Für welche Pläne das Triumvirat aus „Krone“, Kanzler, Vizekanzler hier gerade den Boden bereitet, ist auch kein großes Rätsel mehr:
Heiße Schiri-Frau verdreht allen den Kopf, Tennis-Beauty versext ihre Instagram-Fans, So schamlos ist die Nackt-Freestylerin: Headlines wie diese sind Alltag. Die Berichterstattung über Frauen im Sport kann man nicht anders als grob sexistisch nennen, besonders in Boulevardmedien. Qualitätsblätter pflegen zwar einen anständigeren Umgangston, doch gibt es auch dort ein Problem: Frauen kommen in der Sportberichterstattung nur sehr selten vor.
Wie ist der Stand der Dinge?
Um mir ein klares Bild über die Verhältnisse zu schaffen, beobachtete ich vom 24. bis 31. Oktober 2o17 die Sportressorts der Onlineportale von Die Presse, Der Standard, Heute, Kronenzeitung und Österreich und habe mir dazu zwei Fragen gestellt: Wie oft wird über Frauen im Sport berichtet? Und: Worüber berichten Medien konkret, wenn Frauen aus der Sportwelt im Fokus stehen.
Mediale Aufmerksamkeit
Die erste Frage ist schnell beantwortet: 553 Sport-Berichte habe ich mir quer durch die genannten Medien angesehen, nur durchschnittlich 9 Prozent davon handelten von Frauen (Berichte über Trainerinnen, Expertinnen usw. habe ich mitgezählt). Die meisten Artikel über Frauen gab es in der Presse, im Standard und in der Krone. Doch selbst dort handelte nur in etwa jeder zehnte Text über eine Frau. Frauen sind in der Sportberichterstattung also massiv unterrepräsentiert.
„Heiße Schiri-Frau“ und „Tennis-Beauty“
Die zweite Frage bezieht sich vor allem auf den Boulevard, aber nicht nur: So veröffentlichte etwa die Presse einen Artikel über Anna Gasser, kurz nachdem sie zur Sportlerin des Jahres gewählt wurde, und brachte dazu eine Slideshow mit 20 Fotos. Inhaltlich ging es hauptsächlich um die sportlichen Leistungen, trotzdem lautete der Titel: Anna Gasser – Sportlerin des Jahres mit Modelqualitäten. Einen Artikel über Marcel Hirscher, Österreichs aktuellen Sportler des Jahres, der ohne jeden Zusammenhang und ohne erkenntlichen Grund dessen Aussehen im Titel thematisiert, findet man in der Presse hingegen nicht.
Im Vergleich zu dem, was sich auf den Seiten des Boulevards abspielt, ist das jedoch noch harmlos. Zusammengefasst muss man ein Drittel der Artikel von oe24.at, heute.at und Krone.at über Frauen als extrem sexistisch einstufen.
Das beginnt schon in Überschriften, wo Frauen nicht namentlich genannt werden, sondern einen Kosenamen erhalten. Beispielsweise hübsche Blondine (Kristina Mladenovic), Wrestling-Schönheit (Alexa Bliss) oder auch Nackt-Freestylerin (Lisa Zimmermann). Oft rückt die Leistung der Sportlerinnen in den Hintergrund, das Augenmerk liegt dann auf dem Liebesleben, beispielsweise wie bei Mikaela Shiffrin (lüftet Liebesgehemnis!) oder Tina Weirather (turtelt jetzt mit Moderator!). Berichte, die scheinbar die Leistung einer Sportlerin thematisieren, werden zusätzlich durch nackte Haut aufgepeppt.
Über manche Frauen im Sport berichten Medien überhaupt nur dann, wenn sie gut aussehen. So erschien etwa Ende Oktober eine ganze Reihe an Artikeln über Karolina Bojar, eine polnische Schiedsrichterin im Amateurbereich. Der Boulevard nannte sie geschmackssicher „heiße Schiri-Frau“: Diese Schiri-Lady ist der neue Männerschwarm (Krone), Heiße Schiri-Frau verdreht allen den Kopf (Österreich), Sexy Schiri! Nach ihrer Pfeife tanzen die Kicker (Heute) und etliche weitere Artikel erschienen.
Eugenie Bouchard, derzeit auf Platz 116 der Tennisweltrangliste, ist sogar ein Dauerbrenner im Boulevard. Um Sport geht es dabei selten, berichtet wird vor allem über ihre neuesten Instagram – Fotos. Dabei ist sie nicht die einzige, viele der Berichte über Frauen im Sport werden mit Bildern ihres Instagram-Accounts geschmückt, wie auch bei Lindsey Vonn:

Besispiel eines durch freizügige Fotos aufgepeppten Artikel: „Lindsey Vonn ätzt: Wir sind nur die Pony-Show!“ von krone.at.
Bei Männern ist es völlig selbstverständlich, dass ganz normal über Erfolge und Misserfolge berichtet wird. Bei Frauen kann davon keine Rede sein. Wenn nur jeder zehnte Artikel im Sportressort von Frauen handelt – und jede Menge dieser Artikel alles mögliche thematisieren, nur nicht die sportlichen Leistungen – dann sind wir von medialer Gleichbehandlung noch meilenweit entfernt.
Es sollte ja ein bisschen das österreichische CNN werden. Zumindest hat Wolfgang Fellner den amerikanischen News-Pionier bei Gründung von oe24.TV als eines seiner Vorbilder genannt. Was da allerdings gestern Nachmittag zur österreichischen Nationalratswahl on air ging, lässt uns etwas ratlos zurück. Seht selbst:
Mit Dank an Rudi Fußi, dessen heitere oe24.TV–Beobachtungen uns letztlich den Rekorder anwerfen ließen.
Eine „Krone“ Titelstory über die „brutale Attacke“ einer „somalischen Asylantin“ auf eine Wienerin wegen ihrer „unreinen Hunde“ bringt es zu weltweiter Verbreitung in islamfeindlichen Kreisen. Es gibt nur ein Problem: Die Geschichte stimmt so nicht.
Das Titelblatt der Sonntags-„Krone“ vom 16. Juli verweist auf eine Geschichte, die fassungslos macht:
Ingrid T. (54) liegt nach einer brutalen Attacke durch eine Muslimin im Spital. Motiv: ihre beiden Hunde! „Die Tiere sind unrein“, so die Begründung der Angreiferin, einer somalischen Asylantin.
(Bild anklicken für Zoom)
Laut Kronen Zeitung wollte die Wienerin ihren jungen Hund „Poco“, der auf eine „hübsche Frau mit Schleier“ zulief, zurückholen. Daraufhin wurde sie von der „Somalierin (18 Jahre alt, offizieller Aufenthaltstitel in Österreich)“ — das scheint wichtig — so brutal attackiert, dass ein Knie „komplett zertrümmert“ wurde. „Erst drei Männer konnten die Frau von der 54-Jährigen zerren.“ Und „warum das alles?“
Weil es hier um die Kultur gehe, soll der somalische Ehemann im Spital gesagt haben, als er Ingrid T. zur Rede stellen wollte: „Wir wollen keine Hunde, die sind schmutzig!“
Michael Jeannée, der graue Starkolumnist des Hauses, verfasst gleich neben dem Artikel einen „Wutbrief“ , in dem er „unsere Hunde“ und „unsere Kultur“ einer „muslimischen Hundekultur“ gegenüberstellt, die „uns hier in Österreich einen Dreck interessiert“.
Tags darauf folgt eine im Ton noch mal aggressivere Zusammenfassung des Artikels vom Vortag:
Poco […] war einer muslimischen Frau ein Dorn im Auge. Angst habe sie gehabt, die 18-Jährige Asylantin, weil er „unrein“ sei. […] Die Somalierin attackierte Ingrid T., bis sie zu Boden ging und sich das Knie zertrümmerte. In der „Krone“-Leserschaft gehen die Wogen hoch (siehe Ausrisse links).
Einen weiteren Tag später, am Dienstag, eine volle Leserbriefseite, eingeleitet von Jeannée, der sich über die Ernte seines und seiner Kollegin Schaffens sichtlich freut, nämlich über …
Hunderte von empörten Wutbriefen und zornigen E-Mails. […] Was mich auf die „Krone“-Leserfamilie stolz macht.
Zwischenzeitlich „explodiert“ die Geschichte geradezu in den sozialen Medien und mit ihr der gewohnte Hass der User. Noch am Sonntag freut sich der Chefredakteur von Krone.at über „bereits 22.000 Shares“:
Politiker wie Heinz-Christian Strache (in zwei Postings), diverse FPÖ- und AfD-Facebook-Seiten sowie Blogs mit einschlägiger Reichweite verbreiten die Story, sodass sie bereits am Dienstag, nur zwei Tage nach Printveröffentlichung in Österreich, von Breitbart.com in den USA aufgegriffen wird. Breitbart ist ein populäres Rechtsaußen-Nachrichtenportal, das Stephen Bannon leitete, bis er Chefstratege in Donald Trumps Weißem Haus wurde.
Spätestens ab jetzt geht die Story global viral – hier z.B. eine japanische Version. Die beiden Krone- und der Breitbart-Artikel wurden bis dato übrigens rund 80.000 Mal auf Facebook geteilt, für österreichische Nachrichten beachtliche Zahlen.
Am Donnerstag und Freitag jener Woche veröffentlicht die Kronen Zeitung dann noch eine Reihe von Leserbriefen. Eine Schreiberin fragt fast anklagend:
Warum hat man nur in der „Krone“ darüber gelesen?
Ja, warum eigentlich?
Woran erkenne ich einen Kobuk?
Man muss kein Sherlock sein, um zu sehen, dass die Geschichte nicht ganz sauber ist. Im Grunde ist sie ein Lehrbeispiel dafür, wie man „Räuberpistolen“ am Boulevard erkennt:
- Ein außergewöhnliches Ereignis wird nur aus einer Perspektive erzählt. Kein anderer Beteiligter kommt direkt selbst zu Wort, auch keine offizielle Stelle. (Das ist bereits der wichtigste Punkt. Ist er erfüllt, sollte man eine Story niemals teilen.)
- Es wird ein menschlich völlig unbegreifliches Verhalten ohne schlüssige Motivation dargestellt, was in Räuberpistolen weitaus häufiger vorkommt als in der Realität.
- Der Ablauf ist nicht plausibel oder erscheint lückenhaft. Warum z.B. wollte der somalische Ehemann das Opfer im Spital zur Rede stellen?
- Die Geschichte wird von keinem einzigen seriösen Medium berichtet.
- Die Berichterstattung wirkt ungenau und enthält Widersprüche. Eine im Artikel erkennbar „hübsche Frau“, die laut Jeannées „Wutbrief“ nebenan „vollverschleiert“ war?
Die Auskunft der Polizei und ein Nach-Interview des Profil
Ich habe daher eine Anfrage bei der Landespolizeidirektion Wien gestellt und diese teilt mir mit, dass der Vorfall wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung angezeigt wird und von einem bewussten Angriff nicht auszugehen ist:
Ziemlicher Knaller, oder? Aber was hatte es dann mit der „brutalen Attacke“ auf sich?
Während die Kobuk-Anfrage noch lief, hat das „Profil“ mit der Verletzten im Spital gesprochen und da klang die Geschichte plötzlich viel harmloser und nachvollziehbarer als in der „Krone“:
Auf Nachfrage [bei der verletzten Wienerin] erscheint der „Angriff“ in einem etwas anderen Licht. […] Einer von T.s Hunden machte […] ein paar Schritte unangeleint auf die Fahrbahn. [Sie] folgte ihm, um ihn auf den Arm zu nehmen.
Daraufhin habe die Somalierin sie heftig umklammert, woraufhin beide zu Boden stürzten. […] Ihr Vater, der in der Nähe war, geht von einer „völlig unbegründeten Panikreaktion“ aus.
Wie die Reporterin der Kronen Zeitung zu ihrer martialischen Erzählung eines brutalen Angriffs aufgrund vermeintlicher Unreinheit der Hunde kam, bleibt ihr Berufsgeheimnis. Möglicherweise hat sie einfach nur ungeprüft übernommen, was ihr der Anwalt der Hundehalterin erzählt hat:
Bei aller Vorsicht dürfte nach aktuellem Stand ungefähr Folgendes passiert sein:
Ein nicht angeleinter Hund ohne Beißkorb lief auf eine Frau zu, die ausgeprägte Angst vor Hunden hat (was übrigens auch an wilden Hunden in Somalia liegen kann). Die Hundehalterin lief dem Hund hinterher, um ihn zurückzuholen. In einer Panikreaktion dürfte sich die Frau so an diese geklammert haben, dass beide stürzten und sich die Hundehalterin am Knie schwer verletzte.
Aber ich gebe zu, das wäre jetzt keine wahnsinnig aufregende Boulevard-Geschichte.
PS: Vice hat sich in seiner bekannt zurückhaltenden Art kürzlich mit der Frage beschäftigt „Was zur Hölle geht eigentlich mit der ‚Kronen Zeitung‘?“ Die Expertise von Kobuk-Gründer Helge Fahrnberger kommt darin auch vor – sehr lesenswert in dem Zusammenhang.
Update März 2018: Der Österreichische Presserat hat Chefredakteur Christoph Dichand dazu folgenden offenen Brief geschickt:
Der Senat hat beschlossen, in diesem Fall kein Verfahren einzuleiten. Wie sich die Geschichte genau zugetragen hat, konnte der Senat nicht restlos aufklären. Nach Auskunft der Landespolizeidirektion Wien wurde der Fall als fahrlässige Körperverletzung aufgenommen: Die somalische Frau habe sich vor dem Hund erschreckt und die Hundebesitzerin umklammert. Die Hundebesitzerin sei daraufhin zu Sturz gekommen und habe sich am Knie verletzt. Zu dem in der „Kronen Zeitung“ und auf „krone.at“ behaupteten Motiv, dass die somalische Frau Hunde als „unrein“ betrachte und die Hundebesitzerin deshalb attackierte, konnte die Polizei keine Auskunft geben.
Aufgrund der Faktenlage bei der Polizei betrachtet es der Senat als heikel, dass in den Artikeln der Eindruck vermittelt wurde, dass es sich bei dem Vorfall um eine (gezielte) „Attacke“ aus religiösen Gründen handelte. Durch die einseitige Berichterstattung bzw. die einseitige Wiedergabe der Sichtweise des Anwalts der Hundebesitzerin wurde anscheinend ein religiöser Hintergrund konstruiert.
Der Senat bewertet es auch als bedenklich, dass in den Leserbriefen nicht nur wütende, sondern auch persönlichkeitsverletzende Reaktionen abgedruckt wurden.
Der Senat ruft Sie daher dazu auf, in der Zukunft in derartigen Fällen genauer zu recherchieren und bei der Auswahl von Leserbriefen sorgfältiger vorzugehen.
Der „Kurier“ illustrierte am 9. April ein großes Sebastian Kurz-Portrait mit einem Bild, das aussieht wie der feuchte Traum eines Partei-Werbefotografen. Junge, sympathische Menschen, die sich um ihren Anführer scharen und mit ihm lachen und klatschen.
Kein Wunder, stammt es auch von der JVP. Ein Einzelfall? Keineswegs.
Denn sowohl Außenminister als auch Kanzler beschäftigen Hausfotografen, deren Fotos immer öfter in der heimischen Presse zu sehen sind. So gut wie jede Tageszeitung verwendet diese von den PR-Teams der Politiker sorgfältig ausgewählten Bilder, die subtile Heldengeschichten transportieren und die für uns Zeitungsleser in der Regel nicht als PR-Bilder erkennbar sind.
Keine Redaktion käme auf die Idee, die PR-Texte von Politikern als Artikel abzudrucken, noch dazu ohne das Publikum über deren Urheberschaft aufzuklären. Kriterien, die bei PR-Bildern nicht zu gelten scheinen. Petra Bernhardt, die an der Uni Wien zu visueller Kommunikation forscht, dazu:
Hausfotografen müssen eine Situation nicht akkurat wiedergeben, sondern können einen Moment herausgreifen, der den Politiker in ein besseres Licht rückt. Das Anliegen von Medien sollte allerdings nicht sein, die imagepolitischen Deutungsangebote eines Politikers fortzuschreiben.
Wir haben die Zeitungsarchive der letzten Monate durchforstet und erschreckend viele Beispiele gefunden, wie österreichische Tageszeitungen die visuellen Heldenerzählungen von Kurz und Kern transportieren. Ein Drama in fünf Akten:
1. Sympathische Helden
Wie wertvoll es für Politiker ist, in der Kronen Zeitung mit süßen Tieren abgebildet zu werden, wissen wir nicht erst seit Karl-Heinz Grassers Vorliebe für Hundefotos ebendort. Die „plötzliche“ Begrüßung des süßen Streuners hat nicht etwa ein Fotograf der Krone dokumentiert, es war der Hausfotograf des Außenministers, Dragan Tatic.
Kern besucht einen Kindergarten – zu welchem politischen Zweck, bleibt verborgen. Für den Kanzler ein lohnender Termin: Der Standard macht aus dem Foto eine eigene Geschichte und verbreitet die visuelle Heldenerzählung von Kerns Hausfotograf Andy Wenzel, die Geschichte eines sympathischen und kinderlieben Helden. Als journalistischer Anlass genügt das baldige Weihnachtsfest.
Die Wiener Zeitung illustriert die Leserbriefseite mit einem herzerwärmenden Bild des Außenministers aus der Kamera von dessen Hausfotograf. Die Leserbriefe handeln allerdings weder von Äthiopien noch von österreichischer Entwicklungszusammenarbeit, sondern von der Kurz’schen Flüchtlingspolitik. Das freundliche PR-Bild wiegt hundert kritische Leserbriefe auf.
Die Presse am Sonntag bebildert des Kanzlers 100-Tage-Bilanz mit einem Bild, das ihn im eng-vertrauten Umgang mit Europas mächtigster Politikerin zeigt. Sieht aus wie Fotojournalismus, ist aber das Bild, das Kerns PR-Team zeichnen möchte.
Der Kanzler in „Wir schaffen das“-Pose vor der begeisterten EU-Spitze, klatschend. (Tiroler Tageszeitung)
2. Bilder, die zu Geschichten werden
Falls das Presseteam des Kanzlers zu dessen Start das Bild des Spielmachers vermitteln wollte, mit diesem Foto ist das gelungen. Das Bild färbte sogar auf die Wahl der Headline der ersten Zwischenbilanz des Standard ab.
Die Tiroler Tageszeitung gibt quasi schon im Titel zu, dass dieses Bild von Kurz auf „Tuchfühlung“ mit Ban Ki-Moon der Geschichte ihren speziellen Spin gibt. Auch dieses Bild stammt aus der Produktion und nicht zuletzt sorgsamen Vorauswahl von Kurz‘ Presse-Team.
Kurz, der eine EU-weit besonders harte Haltung gegenüber der Türkei einnahm, gefällt sich auch in der Bildauswahl in dieser Rolle: Aug in Aug mit dem Despoten vom Bosporus, augenscheinlich nicht bereit, zurückzuweichen. Die Wiener Zeitung überbringt die Bildbotschaft des Außenministers gerne.
3. Kurz und Kern als Anzugmodels
Ein besonders dreistes Genre an PR-Fotos sind jene, die ihre Protagonisten ohne erkennbaren Anlass einfach nur in Pose präsentieren. Petra Bernhardt zu diesem Foto im Kurier:
Das Foto wirkt wie eine flüchtige Aufnahme und suggeriert, dass der Minister auch abseits politischer Meetings ständig im Einsatz ist. Die Untersicht wäre für ein Nachrichtenfoto eigentlich tabu. Es handelt sich um ein Füllbild, das keine inhaltliche Funktion für den Text erfüllt.
Ähnlich bei diesem Bild des Kanzlers, in Verwendung der Oberösterreichischen Nachrichten. Dieses Bild wurde gar über die Nachrichtenagentur APA bezogen, die die Gratis-PR-Bilder an alle Medien verteilt, genau wie eigene fotojournalistische Arbeiten.
Der Top-Gun-Außenminister (es fehlt nur die Ray Ban-Brille), wieder in leichter Untersicht und mit Turboprop im Hintergrund. Ein Klischee wie aus einer 90er-Jahre-Werbekampagne, verbreitet von der Presseagentur APA und in journalistischer Verwendung in der Presse.
Die Wiener Zeitung illustriert eine Analyse seitenfüllend mit einem coolen Kurz-Posing vor dem Facebook-Firmenschild. Der vollkommen fehlende Konnex zwischen Sujet und Artikelinhalt wird mit einer Bildunterschrift an den Haaren herbeigezogen.
Ein Kanzler wie ein Wall Street-Manager, stilecht mit Empire State Building im Hintergrund. Das gefällige Bild erschien im Standard.
4. Bilder, die ein Macher-Image transportieren
Der Kanzler geht forschen Schrittes voran und hält dabei Augenkontakt mit dem Leser. Die Körperhaltung des ungarischen Regierungschefs, der Kern nachfolgt, ist in dieser Bildauswahl deutlich weniger dynamisch. Die Salzburger Nachrichten wählten das Bild als Aufmacher des Tages.
Der Außenminister besuchte nicht nur Frontsoldaten in der Ost-Ukraine, er wies ihnen dabei noch den Weg. Diese beachtliche Ortskenntnis schaffte es aufs Cover des Standard.
Den Weg zeigt Kurz auch EU-Kommissar Mimica, in der Tiroler Tageszeitung.
Und nicht zuletzt zeigt der Außenminister auch dem Papst, wo’s lang geht. Das sehenswerte Bild verschafft dem „kurzen Treffen“ einen sehr prominenten Artikel im Kurier.
5. Alle Welt lauscht Sebastian Kurz
Der iranische Präsident lauscht Sebastian Kurz. (Wiener Zeitung)
Der niederösterreichische Landeshauptmann lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)
Der libyische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)
Vitali Klitschko lauscht Sebastian Kurz. (News.at)
Der russische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse. Auch Der Standard illustrierte den Artikel zu diesem Treffen mit einem weiteren Foto aus der Kurz-PR-Werkstatt: Auch auf diesem lauschte Lawrow Kurz aufmerksam.)
Der chinesische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)
Der amerikanische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse)
Der britische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)
Der UNO-Generalsekretär lauscht Sebastian Kurz. (News.at)
Und auch der Papst lauscht Sebastian Kurz. (Kronen Zeitung)
Epilog
Die meisten dieser Bilder sind auf Auslandsreisen entstanden. Die Medienkrise macht es sicher für viele Redaktionen schwieriger, neben Redakteuren auch Fotojournalisten auf diese Reisen zu entsenden.
Das kann jedoch keine Entschuldigung dafür sein, unreflektiert und unkommentiert PR-Material von Politikern zu verbreiten. Zudem fast alle Tageszeitungen Kunden (und Eigentümer) der Austria Presse Agentur sind, über die sie solche Reisen durchaus von einen gemeinsamen Fotojournalisten begleiten lassen könnten.
Update:
In einer früheren Version dieses Artikels stand „Wladimir Klitschko“. Es handelt sich jedoch um Vitali Klitschko.
„Österreich wird immer gefährlicher“ titelt die Gratiszeitung „Österreich“ am 7. Mai. Die Kriminalität sei „stark gestiegen“. Dieses Cover ist der vorläufige Höhepunkt einer verantwortungslosen Panikmache, die seit Jahren andauert.
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Kriminalität nimmt leicht ab. Zahlen für 2016 gibt es noch nicht, in den letzten zehn Jahren wurden aber noch nie so wenige Anzeigen erstattet wie im Jahr 2015. Das scheint „Österreich“ allerdings nicht zu interessieren, denn egal was die Statistik sagt: In „Österreich“ wird Österreich immer gefährlicher.
Eine Chronologie der Kriminalberichterstattung:
13. Mai
„Österreich“ schließt von einzelnen Fällen wie einer Vergewaltigung oder einem Angriff mit einer Eisenstange auf angeblich „explodierende“ Gewalt. Eine Formulierung, die im Gratisblatt sehr beliebt zu sein scheint.
1. Mai
Die Zahl der schwersten Delikte, so schreibt „Österreich“ wörtlich, „schnellt alarmierend nach oben“. Nun, ganz so alarmierend ist es nicht: Im vergangenen Jahr stiegen sogenannte „Schwerstdelikte“ ganz leicht, sie nahmen um 0,4 Prozent zu (pdf, S. 56).
29. April
Massenschlägereien heißen in „Österreich“ prinzipiell Bandenkriege. Diese seien „außer Kontrolle“. Zwischen Tirol und Wien soll ein „täglicher Horror“ spuken. Wieder ist von steigender Kriminalität die Rede.
28. April
Das Zentrum dieser „Kriege“ ist offenbar Wien, wo die Bürger „in Angst und Schrecken“ leben. Was ein echter Krieg ist, weiß hoffentlich jeder, der in den vergangenen Jahren etwas aus Syrien gehört hat.
20. April
72 Prozent der Österreicher fürchten sich vor Verbrechen, in den Öffis habe jeder Fünfte Angst. Ob ein Zusammenhang zwischen „Österreich“-Lesern und verängstigten Menschen besteht, wäre allerdings zu untersuchen.
12. April
Bahnhöfe, Ausgehmeilen oder ganze Stadtteile sind angeblich so gefährlich, dass „Österreich“ seine Leser rechtzeitig davor warnt. Die Leute dort „schlagen, erpressen, morden“. Außerdem werden die Hauptstädter „immer brutaler“ und wieder ist von irgendwelchen „Bandenkriegen“ die Rede.
1. April
Die Nachrichten werden schlimmer. Nun behauptet das Blatt: „Einbrecher werden immer brutaler“. Wieder nimmt „Österreich“ zwei Einzelfällen und macht daraus einen allgemeinen Trend. Die Zahl der Wohnraumeinbrüche ist übrigens deutlich rückläufig (pdf, S. 56).
18. März
Pünktlich zur neuen Kriminalstatistik beschwört das Blatt eine gesellschaftliche Katastrophe herauf. Da die Kriminalität in Wien sinkt, pickt sich „Österreich“ einen Wert heraus, der im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist (Gewaltdelikte) und behauptet, er sei „explodiert“. Tatsächlich gab es bei Gewaltdelikten einen Anstieg von sechs (!) Prozent, von 14.996 auf 15.928 Anzeigen.
16. Februar
Und wieder eine „Explosion“. Damit niemand auf die Idee kommt, sich in den virtuellen Raum zurückzuziehen, erinnert „Österreich“ vorsorglich daran, dass Kriminelle ihr Treiben ins Netz verlagern würden. Tatsächlich stieg die Internet-Kriminalität im letzten Jahr, jedoch war sie in den Jahren 2012 und 2013 bereits höher – von „Explosionen“ sind wir also weit entfernt.
27. Jänner
Eigentlich ist im Artikel von „Diebstählen, Sachschäden und Körperverletzungen“ die Rede – aber im Titel muss schon das reißerische Wort „Terror“ stehen, damit die Aussage richtig Feuer bekommt.
Diese Artikel sind alle in diesem Jahr erschienen. Die Jahre davor sieht die Berichterstattung aber auch nicht anders aus:
2015 berichtet „Österreich“ über minütliche Verbrechen. 2014 „explodiert“ der Fahrrad-Klau, 2013 gerät der Praterstern „völlig außer Kontrolle“.
Auch 2012 „explodieren“ Gewalt, Kriminalität und Internet-Kriminalität.
2011 liest man von einer „Explosion“ von Handtaschenraub. Interessant dabei: Vor allem montags und donnerstags solle man ganz besonders auf seine Tasche aufpassen. Und da das offenbar nicht angsteinflößend genug ist, zählt „Österreich“ zwei Monate später noch die größten Geiselnahmen der vergangenen zwei Jahrzehnte auf. Wir sagen danke, die hätten wir sonst fast vergessen.
Schon 2010 pickte das Blatt einen steigenden Wert der Kriminalstatistik heraus und verbreitete mit einem vermeintlichen „dramatischen Anstieg an Mordfällen“ Angst unter seinen Lesern. Dass fast alle anderen Delikte rückläufig waren, wäre ja langweilig zu erwähnen.
Und erinnern wir uns – so sieht die Kriminalstatistik für die vergangenen zehn Jahre aus:
Co-Autorin: Gabriele Scherndl
Im August veröffentlichte die Kronen Zeitung auszugsweise ein Vernehmungsprotokoll der Wiener Magistratsabteilung 10, aus dem hervorgeht, dass eine Wiener Kindergärtnerin gekündigt worden sei, weil sie Weihnachten erklärt hatte.
Gestern wärmten Heinz-Christian Strache und Manfred Juraczka die Angelegenheit bei der Elefantenrunde auf ORF und Puls4 auf. Doch aus gutem Grund hat sowohl Krone als auch die Politik bislang darauf verzichtet, das gesamte Protokoll zu veröffentlichen. Denn es ergibt ein gänzlich anderes Bild.
Es zirkuliert seit Monaten in Journalistenkreisen – Zeit, es in seiner Gesamtheit öffentlich zu machen (Markierungen nicht von uns, Klick für Großansicht):
Das Protokoll zeichnet das Bild einer Kindergärtnerin, die Kolleginnen zu religiösen und politischen Themen und mit Broschüren der Kaiser-Karl-Gebetsliga zu missionieren versuchte, das praktizierte Konzept gendersensibler Pädagogik oder auch Aktivitäten wie das „Gespensterfest“ nicht mit ihrer Rolle als Christin vereinbaren konnte und sich allgemein unkooperativ verhielt. Aus dem Protokoll geht übrigens nicht hervor, dass sie tatsächlich gekündigt worden wäre. Eine Tatsache, die auch Bürgermeister Häupl gestern in Abrede stellte.
Unter den 15 der Pädagogin vorgeworfenen Punkten findet sich allerdings in der Tat auch der von der „Krone“ veröffentlichte wörtliche Vorwurf, sie habe „Kinder über die Bedeutung des Weihnachtsfestes aufgeklärt“:
Wenn man jedoch das vierseitige Protokoll kennt, drängt sich als Interpretationsmöglichkeit auf, dass es sich hier lediglich um eine unglückliche Formulierung handeln könnte, wie auch Stadtrat Oxonitsch im Krone-Artikel beteuert. So könnte beispielsweise gemeint sein, dass die Kindergärtnerin muslimische Kinder oder Zeugen Jehovas gezielt über Weihnachten aufklären wollte, also zu missionieren versuchte. Selbstverständlich werden in städtischen Kindergärten Weihnachten, Nikolo, Ostern und andere christliche Feiertage gefeiert, wie auf Wien.at nachzulesen ist und was auch eine kurze Umfrage unter Eltern in meinem Bekanntenkreis bestätigt.
Recherche ruiniert bekanntlich die beste Story und eine unglückliche Formulierung ist eben keine. Dass christliche Feiertage verdrängt würden, schon: Seit Jahren stellt die FPÖ zu jedem Advent die Behauptung auf, dass das Nikolofest aus den Kindergärten verdrängt würde. Und die Krone berichtet jedes Mal brav und wider (durch Recherche leicht zugängliches) besseres Wissen. Hier nur drei Beispiele aus den letzten Jahren:
Interessant übrigens, dass die Krone die aus dem August stammende Geschichte mit der gekündigten Kindergärtnerin rechtzeitig zur Wien-Wahl am 27. September in der Krone Bunt und am 29. September auf den Leserbriefseiten aufwärmt.
Interessant außerdem, dass die Geschichte von Krone-Redakteur und Ex-Heute-Chefredakteur Richard Schmitt stammt und in ihr ÖVP-Chef Manfred Juraczka zu Wort kommt (der der Medienlogik entsprechend die Quelle des Dokuments sein dürfte). Exakt dieses Muster – Schmitt, Juraczka, fehlende Recherche – hatten wir schon einmal aufgedeckt.
Update:
Die Zeit im Bild 2 hat diesen Artikel aufgegriffen und zu einem Faktencheck gemacht:
Zib2 Faktencheck in Folge des Krone-Kobuks
Sagen Strache und die Kronen Zeitung die Wahrheit, wenn sie behaupten, eine Kindergärtnerin sei gekündigt worden, weil sie Weihnachten erklärt hat?
Die Zeit im Bild 2 hat aus unserem Kobuk-Artikel von gestern einen Faktencheck gemacht:
Posted by Kobuk on Tuesday, October 6, 2015
Anmerkung: In der ersten Version dieses Artikels war der Nachname einer Kollegin der betreffenden Pädagogin nicht geschwärzt. Diese Version war wenige Stunden online. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Verzeihung.
Die Salzburg-„Krone“ hat in den letzten Monaten massiv Druck auf die Politik ausgeübt — mit einer Kampagne, die ihresgleichen sucht. Deren Hauptnutznießer ist die Spar-Gruppe, einer der größten Werbekunden der Kronen Zeitung.
„Jedes Bundesland würde sich glücklich schätzen, hätte es einen Europark, der mit dem Ausbau hunderte neue Jobs … schaffen will. Wer dies verhindert, treibt viele Familien in Verzweiflung und finanzielle Not.“
(Die „Krone“ über Shoppingcenter-Ausbaupläne von Spar)
Allein im ersten Quartal 2015 buchte Spar rund ein Fünftel aller ganzseitigen Inserate der Salzburg-„Krone“. Bei überregionalen Schaltungen entspricht das einem Listenwert von über 2,5 Millionen Euro.
Man ahnt die wirtschaftliche Machtposition gegenüber dem „unabhängigen“ Kleinformat. Anders ist kaum zu erklären, wie die „Krone“ in Salzburg den Streit um die Erweiterung des Spar-Einkaufszentrums Europark „journalistisch“ begleitet.
Eine Chronologie:
8. Jänner — Das schönste Einkaufszentrum der Welt
Die „Krone“ preist das Engagement der Konzerne für unser aller Wohl, Spar für gemeinsame Kämpfe und den Europark als „schönstes Einkaufszentrum der Welt“:
Der Europark wurde natürlich nie zum schönsten Einkaufszentrum der Welt “gekrönt”. 2007 erhielt er lediglich vom globalen Lobbyverband der Shoppingcenter einen Designpreis. Dieser nicht allzu exklusive Award ging im selben Jahr noch an sieben (!) andere Einkaufszentren (PDF). Im Gegensatz zur “Krone” wirbt der Europark auch “nur” mit “schönstem Shoppingcenter Europas”. Dabei beruft er sich übrigens auf ein 18 Jahre altes Architekturmagazin.
10. Februar — Diktaturen und Ausgangssperren
Um die Ortskerne zu stärken stoppt das Land Salzburg vorläufig alle Erweiterungspläne von Einkaufszentren. Die endgültige Entscheidung wird im April folgen. Die „Krone“ bringt ein doppelseitiges Interview mit den „starken Argumenten“ ihrer Anzeigengroßkunden Spar und XXXLutz gegen diese Maßnahme:
(Für Komplettansicht Ausriss anklicken)
Subtil verfeinert mit einem Kommentar, der diese politische Entscheidung mit „elenden Diktaturen“ und „totalen Ausgangssperren“ in Verbindung bringt:
11. Februar — Warnung vor dem Kommunismus
In der Sache wenig Neues, aber die Redaktion muss noch dringend eine Warnung loswerden. „Es geht Richtung Kommunismus“ in Salzburg:
15. Februar — Die Politik darf Stellung beziehen
Niemand sage der „Krone“ einseitige Berichterstattung nach und in Interviews keine kritischen Fragen zu stellen. Daher heute ein großes Interview mit der verantwortlichen Landeshauptmann-Stellvertreterin und Raumordnungsreferentin:
17. Februar — Vor dem Fasching
Niemand sage der „Krone“ zu viel Nähe zu den Objekten ihrer Berichterstattung nach. Daher beschränkt sich der Hinweis auf das Faschingsfest im Europark auf das Allernötigste: Nur eine rechte Seite, zwei unscheinbare Bilder und neutral distanzierte Formulierungen wie „das beliebteste Shopping-Center von Salzburg“ dokumentieren die Unabhängigkeit der Kronen Zeitung von ihren Inserenten:
18. Februar — Nach dem Fasching
Es ist eine Unsitte am Boulevard, Themen zu verheizen und sich dann nicht mehr um sie zu kümmern. Die „Krone“ ist mit ihrer Nachberichterstattung zum Fasching im Europark eine löbliche Ausnahme. Und das süße Werbemodel hat vermutlich nur einen Krapfen gekostet:
20. Februar — Spar Titelstar
Alte Regel am Boulevard: Die Seite eins verkauft das Blatt. Daher stehen hier immer klar verständliche Botschaften zu jenen Themen, die das Volk bewegen — außer man möchte jemandem eine Freude machen:
Das Neue am Kommentar von „Jedermann“ ist heute das „Neo“, das er vor den Kommunismus setzt:
21. Februar — „Geben Sie Einkaufsfreiheit!“
Mittlerweile gemahnt die unabhängige Berichterstattung der Kronen Zeitung an eine Gehirnwäsche-Dauerschleife im Homeshopping-TV. Der Kommunismus trägt heute die Vorsilbe „Krypto“:
„Sir, geben Sie Gedankenfreiheit!“ lautet ein berühmtes Zitat aus Schillers „Don Carlos.“
Ich möchte es abwandeln […]: „Frau Dr. Rössler, geben Sie Einkaufsfreiheit!“
22. Februar — Susanne fühlt sich wohl
Heute eine sympathische Wohlfühlreportage aus dem Herzen des Europarks.
6. März — „Alle gegen die Rössler“
Die Politikerin, die Familien „in Verzweiflung und Not treibt“, kriegt jetzt auch eine Doppelseite, ohne extra zu bezahlen. Nur der Werbewert ist bei Spar-Doppelseiten irgendwie höher:
Die Manager des „schönsten Shopping Centers der Welt“ (Bildtext einer unabhängigen Tageszeitung) dürfen endlich ihre Argumente in einem investigativen Interview auf einer Europark-Doppelseite darlegen. Das letzte „Interview“ mit ihnen ist immerhin schon 24 Tage her (siehe weiter oben), und da mussten sie sich den Platz noch mit XXXLutz teilen:
Und der unabhängige Kommentar warnt vor Skepsis gegen Spar:
Jedes Bundesland würde sich glücklich schätzen, hätte es einen Europark, der mit dem Ausbau hunderte neue Jobs […] schaffen will. Wer dies verhindert, treibt viele Familien in Verzweiflung und finanzielle Not.
7. März — Und wieder ein Interview
In Salzburg hat es sich herumgesprochen: Jeder, der für Spar ist, bekommt in der Kronen Zeitung „das große Interview“. Das letzte zu diesem Thema liegt ja auch schon wieder einen ganzen Tag zurück. Heute: Der Gewerkschaftschef.
Und die gute Nachricht für alle Fans der gepflegten Kommunismus-Kommentare: Die rote Gefahr ist zurück.
10. März — Mailand war gestern
Die fetzigen Shops im Europark haben eine sensationelle Modeschau ihrer neuen Kaufkollektionen auf die Beine gestellt. Die „Krone“ war live vor Ort hat sich vom Center-Management Bilder schicken lassen (“Fotos: Europark/Wild & Team”) und berichtet in angemessenem Ausmaß. Seither ist es Traum aller Mädchen einmal im Europark für ein großes Label zu laufen:
12. März — Doppelt hält besser
Das Redaktionssystem der Salzburger „Krone“ ist inzwischen neu konfiguriert. Sobald in einem Artikel der Begriff „Europark“ oder „Spar“ aufscheint, wird das Layout vollautomatisch auf Doppelseite umgestellt. Außerdem werden großformatige Fotos von Gebäude und Management eingefügt. Eine enorme Arbeitserleichterung:
21. März — Ganz ohne Kommunismus
Wieder ein ganzseitiger Artikel für den Ausbau. Diesmal aber zurückhaltender und seriöser als gewohnt. Neuer Stil der Redaktion? Nein, es handelt sich um ein offizielles Inserat von Spar:
9. April — Hausverstand statt Studie
Die Politik präsentiert eine Studie, die „Krone“ ist wenig beeindruckt. Der Witz an der Geschichte: Vermutlich das einzige, wofür Spar hier gezahlt hat, ist das Mini-Inserat mit Sepp Forcher auf Seite 27:
Die „Krone“ empfiehlt, statt Studien den Hausverstand zu bemühen (eigentlich Domäne von Billa):
Die laut Kronen Zeitung „lächerlich kleine Umwandlung von Lagerräumen“ ist in Wahrheit übrigens eine Erweiterung um satte 11.300 m², knapp ein Drittel der derzeitigen Verkaufsfläche und fast so viel wie die letzte Erweiterung „Europark II“ mit 12.250 m².
Freche Reporter könnten da den Spar-Chef ja mal fragen, wie er es heute mit seinen Beteuerungen von 2005 hält:
Es ist kein Ziel, immer wieder auszubauen, sonst wird es eine Gstätten und ein kommerzieller Misserfolg. Wir wissen, wann es genug ist.
(Spar-Chef Gerhard Drexel, Salzburger Nachrichten 25.01.2005)
10. April — „Verhöhnung von Joblosen“
Die Kronen Zeitung bemüht sich um eine Versachlichung der komplexen Debatte. Immerhin hätte sie auch schreiben können: „Wer gegen den Europark ist, quält auch kleine Hundebabys.“ Außerdem verstärkt sie ihre Kampagne gegen die Autoren der Studie, die dem Ausbaustopp mit zugrunde lag:
15. April — Das Wunder von Salzburg
Die Landesregierung hält geschlossen dem monatelangen medialen Dauerfeuer stand. Die Dreierkoalition aus ÖVP, Grünen und Team Stronach lehnt sechs große Erweiterungen von Einkaufsflächen endgültig ab. Für die erfolgsverwöhnte „Krone“ steht sprichwörtlich die Welt Kopf:
Über ihr Krone-versum hat sie aber noch Kontrolle und so kommen auf drei Seiten Bericht im Blattinneren ausschließlich empörte Gegner dieser „willkürlichen“ Entscheidung zu Wort:
16. April – Jetzt erst recht
Die Politik hat entschieden, aber es ist noch lange nicht vorbei:
In ihrem Kommentar sieht sich die „Krone“ in einer Art Schicksalsgemeinschaft mit Spar:
„Erfolg ist ja das Letzte, das einem in Österreich verziehen wird“, meinte ich bei unserer „Krone“-Gala im Hangar 7.
Und wer hielt bei besagter Gala vor fünf Monaten freundlich die Jubiläumsausgabe der Salzburger Kronen Zeitung in die Kamera? Richtig, der Vorstandsvorsitzende des Milliardenkonzerns Spar „und Gattin Andrea“:
Alles eine große Familie.
17. April – Die Kampagne gegen die Studie geht weiter
Am 14. April zeigte sich Spar in einer großen Presseaussendung über Gefälligkeitsjournalismus „über Gefälligkeitsgutachten schockiert“. Drei Tage später stehen die Kerninhalte der Spar-Aussendung auf dem „Krone“-Titelblatt samt doppelseitiger „Aufdecker-Story“. Ergänzt um eigene Recherchen, die sensationell enthüllen, dass die Studienautoren nicht zum ersten Mal ein Shoppingcenter kritisch beurteilt haben:
Der Erfinder der amerikanischen Shopping-Mall, wie wir sie kennen, war übrigens ein Österreicher. Der in die USA emigrierte Victor Gruen meinte zu dem Thema:
„Ich werde immer wieder der Vater der Shopping Mall genannt. Ich möchte die Gelegenheit nützen, diese Vaterschaft zurückzuweisen. Ich weigere mich, Alimente für diese Bastardprojekte zu zahlen. Sie haben unsere Städte zerstört.“
18. April — Die Opposition wird eingespannt
Die „Krone“ hat einen Oppositionspolitiker in den Europark geleitet begleitet, um die Expansions-Argumente der Spar-Presseabteilung noch einmal in Zeitungsform zu gießen. Darunter glänzt ein Interview des Spar-Chefs mit investigativen Fragestellungen:
Herr Dr. Drexel, was stört Sie am meisten? […] Braucht der Europark die Erweiterung wirklich so dringend? […] Wie geht es jetzt weiter?
Und die Chefredaktion beklagt den politischen Einfluss eines „Papierls“ — sie meint nicht ihr eigenes.
19. April — Diktat der Konzerne
Das ist eigentlich eine „Krone“-Schlagzeile zu TTIP — aber die muss einfach hier rein:
Eine Seite nach ihrem „Nein zum Diktat der Konzerne“ schreibt die „Krone“:
[Erweiterungsgegner] möchte[n] das Rad der Zeit zurück drehen und die wirtschaftliche Entwicklung in Salzburg wie im Kommunismus regeln. […] Die rapide Entwicklung von Einkaufszentren kann nicht als Flächenwahn bezeichnet werden. Und der Europark des […] SPAR-Konzerns zeigt es vor wie Umwelt-Anliegen erfüllt werden […] Lasst den Europark und das Outlet ausbauen!
Auf den Folgeseiten schalten dann sowohl die Grünen als auch Spar teure ganzseitige Inserate, um ihre Sicht darzulegen:
Man kann’s auch so sehen: Die „Krone“ gewinnt immer.
Ausblick
Die Schlacht wird wohl weitergehen. Aufgabe der Medien wäre es jedoch, sachlich und frei von Eigeninteresse zu berichten. Den demokratischen Prozess zu unterstützen, indem sie den Beteiligten ein faires, öffentliches Forum bieten, zu dem der Zugang nicht über die Anzeigenabteilung erfolgt.
Die Realität sieht nicht nur in Salzburg anders aus. So haben im Februar deutsche Konzerne (!) eine Initiative gestartet, um die beängstigende Einflussnahme, die ihnen Medien erlauben, freiwillig zu beschränken. Der Vorsitzende dazu:
Unternehmen können heute in einem Ausmaß redaktionelle Berichterstattung kaufen, wie das früher völlig undenkbar war. Und sie machen davon Gebrauch.
Einige erinnern sich bestimmt noch an die „Heute“-Story von den vermeintlichen Dschihadisten im Gemeindebau, die wir kürzlich auf Facebook hatten:
„Heute“ versucht laut Eigenwerbung zwar, schlechten Journalismus wegzulassen, aber wenn er schon mal da ist? Von loslassen war nicht die Rede. Und so wurde diese Falschmeldung am nächsten Tag nicht nur nicht korrigiert, sondern sogar noch ein Artikel nachgelegt:
Das Perfide: Auch die „Heute“-Redaktion wusste zu diesem Zeitpunkt bereits nachweislich, dass für die Polizei praktisch kein Terrorverdacht mehr vorlag. Dennoch behauptete das Gratisblatt wider besseres Wissen weiterhin, es handle sich um eine „Dschihad-Wohnung“ und die Polizei sei darin auf „Terrormaterial“ gestoßen. Dazu noch ein Foto vom „Tatort“-Gemeindebau. Dort gab’s zwar nie eine Tat, dafür aber in „Heute“ die genaue Adresse (inkl. Stockwerk!) der unschuldig Terrorverdächtigten.
Welche dramatischen Folgen diese Art von „Journalismus“ für die drei jungen Männer hatte, hat das ORF ZIB-Magazin gestern in einem bemerkenswerten Beitrag aufgezeigt:
Kurzfassung:
Einer hat den Job verloren. Die Wohnung wurde gekündigt. Der Briefkasten beschmiert. Die unmittelbare Wohnumgebung mit Parteiflugblättern aufgestachelt.
Wer nach solchen Erlebnissen noch friedvoll bleibt, der muss schon stark im Glauben sein.
PS: Dominik Lagushkin hat in seinem Blog eine äußerst lesenswerte Chronologie der Ereignisse zusammengestellt.
PPS: Kurier und Profil haben die jungen Männer bereits einige Tage vor der ZIB besucht und Artikel mit weiteren interessanten Details veröffentlicht.
Eine Frau verliert ihren Sohn. Sie geht wenig später zu einem Krippenspiel in die Schule ihres Enkels und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Die „Kronen Zeitung“ macht daraus diesen menschenunwürdigen Artikel:
Eine „tobsüchtige Türkin“ habe mit wildem Geheule das Krippenspiel einer christlichen Schulklasse gestört. Ihre Tochter und ihr Mann sollen sogar noch „in das Geheule“ eingestimmt haben. Erst „hünenhafte“ Polizisten mit „gezückten Pfeffersprays“ konnten „das Trio“ wieder unter Kontrolle bringen.
Ein Brief (Volltext) der Schuldirektorin an die Eltern, den diese uns gegenüber telefonisch bestätigte, lässt die ganze Sache in einem anderen Licht erscheinen: Der Vater eines der Schüler war vor wenigen Wochen bei einem Unfall gestorben. Die Großmutter des Schulkindes, also die Mutter des kürzlich Verstorbenen, besuchte an jenem Abend das Krippenspiel. Die trauernde Frau habe die Klasse in einem Moment betreten, in dem eine Lehrerin kollabierte. Das habe bei der Frau einen Schock ausgelöst. Sie habe einen Nervenzusammenbruch erlitten, die Rettung brachte sie ins Krankenhaus.
Aus dem Brief:
Die Frau „platzte“ nicht in die Vorbereitungen des besinnlichen Krippenspiel: Sie war schlichtweg eingeladen – wie alle anderen Eltern und Großeltern auch. Warum die Frau einen Nervenzusammenbruch hatte, erwähnt die „Krone“ mit keinem Wort.
Der Artikel der „Krone“ blendet den Kontext aus und beleuchtet ausschließlich den Vorfall des Zusammenbruchs. So völlig losgelöst und verdreht mutet die Szene merkwürdig an. „Aber jederzeit wäre es möglich gewesen, Unklarheiten über die Direktion zu klären“, wird im Brief betont – diese Bemühungen wurden offensichtlich nicht unternommen:
Stattdessen trägt der Artikel beliebig Elemente – von Schleier über wildes Geheul bis zur rettenden Rolle einer „hünenhaften“ Polizei – zusammen, die auf Kosten einer trauernden Familie und einer Schulgemeinschaft ein Feindbild befeuern.
Update:
Wenn du glaubst, die @krone_at kann nicht ekelhafter werden, kommt das statt einer entschuldigung: pic.twitter.com/SWjv5VaaSo (via @arminwolf)
— Sebastian Fellner (@andererfellner) December 18, 2014