Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: z Medien

Wien hat sie schon, München will sie noch, die gleichgeschlechtlichen Ampelpärchen. Der Unterschied: Laut Krone zahlt München für dieselbe Aktion um 53.000 Euro weniger als Wien. Doch so einfach geht die Rechnung der Krone nicht auf.
krone
Was die Krone nämlich verschweigt: In München wird es deutlich weniger Ampeln geben. In Wien wurden die Ampelpärchen auf 120 Schutzwegen montiert. Das entspricht 240 Ampeln. In München sind aber zur Zeit nur 32 Ampeln mit gleichgeschlechtlicher Pärchenoptik geplant. Das bestätigt uns der zuständige Landesreferent Klaus Krämer auf Anfrage. Er schreibt:

„Die Kosten für einen „Signalbegriff“ (in diesem Fall das Rot oder das Grün) belaufen sich nach den uns vorliegenden Zahlen auf etwa 150 €. Also ca. 300 € pro Fußgängersignal (bestehend aus zwei Signalbegriffen), 600 € pro Fußgängerfurt, da immer zwei Fußgängersignale (oder 4 Signalbegriffe) vorhanden sind. So können mit 10.000 € insgesamt ungefähr 16 Fußgängerfurten ausgestattet werden, die wir über mehrere Lichtsignalanlagen verteilen wollen.“

Die Kosten für das Wiener Projekt belaufen sich auf 63.000 Euro. Das macht pro Ampel 262,50 Euro. Damit sind die Münchner Ampeln pro Stück sogar um 40 Euro teurer als die Wiener Modelle.

Einfache Rechnung:

 GesamtkostenAnzahl der AmpelnKosten pro Ampel
Wien63.000 €240262,50 €
München~10.000 €32~300 €

Es stimmt also, dass Wien mehr Geld für das Projekt ausgibt als München. Der Krone Vergleich ist aber trügerisch. Die Anzahl der Ampeln wird im Artikel kein einziges Mal erwähnt.

Am 24.03.2015 berichtet die Tageszeitung „Heute“: „Unsere Kicker schießen in Europa am präzisesten“. Österreichs Nationalmannschaft soll präziser schießen als Deutschland, Spanien, Niederlande, England und Co.. Dieser Satz scheint zu schön um wahr zu sein. Und tatsächlich: „Heute“ berichtet nur die halbe Wahrheit.

DSC_0438

Bei der Rechnung von „Heute“ handelt es sich um einen Schmäh. Die Zeitung vergleicht das Verhältnis zwischen Schüssen insgesamt und Schüssen aufs Tor. Österreich schneidet mit 48% besser ab, als alle anderen Mannschaften, die „Heute“ aufzählt (siehe Tabelle).

DSC_0438_Tabelle

Jedoch vergisst das Gratisblatt die Werte anderer europäischer Nationalteams mit ins Visier zu nehmen. Mit den Werten der UEFA(Stand 14. März 2015) und einer Excel Tabelle sieht die Welt gleich ganz anders aus. Polen, Irland, Slowakei und Rumänien schießen noch präziser als Österreich. Irland schießt mit einem Wert von 53,5% am präzisesten.

UEFA Tabelle_Ausschnitt_kurz

Abgesehen davon ist die Relevanz dieses Wertes fraglich, denn „Versuche aufs Tor“ bedeutet nicht gleichzeitig „ins Tor“. Polen erzielte mittlerweile 15 Tore, Österreich nur 5. Aussagekräftiger ist jedenfalls die Frage, wie viele Schüsse ein Team braucht, um ein Tor zu schießen (6. Spalte unserer Tabelle). Bei Österreich sind es im Schnitt 10,4 Schüsse. Und auch das ist leider ganz und gar nicht top in Europa.

 

In fast allen österreichischen Medien war zuletzt von einem dramatisch hohen Anstieg an illegal geschleppten Flüchtlingen die Rede. Bei Personen aus Syrien habe sich die Zahl von 2013 auf 2014 angeblich sogar verzehnfacht. Das Problem daran: Das stimmt so nicht.

Bildschirmfoto 2015-04-14 um 00.01.07

Die Meldungen beziehen sich auf den kürzlich veröffentlichten Schlepperbericht des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2014. Tatsächlich unterlief der Behörde bei der Ausarbeitung des Berichtes aber wohl selbst ein Fehler.

Konkret hakt es bei den Vergleichszahlen aus 2013. Laut dem aktuellen Bericht sei die Zahl illegaler Flüchtlinge aus Syrien von 847 (2013) auf 9.083 (2014) gestiegen. Im Schlepperbericht von 2013 steht allerdings, aus Syrien seien damals nicht 847, sondern 2.959 Menschen aufgegriffen worden. Wie kommt der aktuelle Bericht also auf 847? Auch die APA roch den Braten und fragte nach:

Laut Oberst Gerald Tatzgern, Leiter des Büros für Menschenhandel und Schlepperei im BK, handelt es sich bei den Zahlen nämlich um Momentaufnahmen. Stellt sich danach heraus, dass ein Aufgegriffener etwa Staatsbürger einer anderen Nation ist, als von ihm ursprünglich angegeben, ändert das nachträglich auch die Statistik.“

Das mag plausibel klingen. Wenn man genauer hinsieht merkt man aber, dass Herr Oberst die APA offenbar an der Nase herumführte. Denn: Nicht die Statistik änderte sich, sondern das Bundeskriminalamt nahm fälschlicherweise als Vergleichszahlen des Vorjahres die Daten aus 2012, statt aus 2013. Dadurch entsteht im aktuellen Bericht ein viel rasanterer Anstieg, als er tatsächlich stattfand.

Hätte man in die Schlepperberichte der Vorjahre geschaut, wäre dieser Fehler aufgefallen.

Als Beleg hier die Zahlen aus dem Bericht von 2012 am Beispiel Syriens:

Bildschirmfoto 2015-04-14 um 00.14.11

Aus Syrien waren es im Jahr 2012 also insgesamt 847 illegal gefasste Flüchtlinge gewesen.

Die Zahlen aus dem Bericht von 2013 zeigen dann einen Anstieg von diesen 847 auf 2.959 Personen:

Bildschirmfoto 2015-04-13 um 18.27.55

Im neuen Bericht für 2014 wurden dann als Vergleichszahl für 2013 nicht die 2.959, sondern fälschlicherweise die alten Zahlen aus 2012 (847) genommen. Das Jahr 2013 wurde quasi ausgelassen:

Bildschirmfoto 2015-04-13 um 18.40.09

So kommt man im Fall Syriens auf einen immens hohen Anstieg von +972,3 Prozent bzw. das von den Medien getitelte Zehnfache. In Wahrheit wäre es, wenn man mit der richtigen Vorjahreszahl vergleicht, „nur“ ein Anstieg um 206,91 Prozent. Drei Mal so viele Menschen ist zwar immer noch viel, aber weit weniger als das behauptete Zehnfache. Der Fehler zieht sich auch bei allen anderen Ländern durch: Die Zahlen von 2014 wurden durchgehend mit jenen von 2012 vergleichen, weshalb auch eine „nachträgliche Änderungen der Statistik“ als Erklärung unglaubwürdig ist. Die Anstiege sind jedenfalls völlig verfälscht. So auch beim Kosovo, wo es keinen Anstieg von den erwähnten 262,2 Prozent gibt, sondern nur um 50 Prozent.

Der ursprüngliche Fehler liegt also beim Bundeskriminalamt. Das Innenministerium gab den Bericht schließlich heraus. Und was danach folgte ist ein Lehrbeispiel des „Wird schon passen“-Journalismus. Zuerst vertraute die APA dem Ministerium blind, und dann schrieben praktisch alle Medien von der APA ab. Copy & passt.

Auch die Größten machen Fehler. Am 7. April berichtete die Zeit im Bild, dass in Island gerade ein Vulkan ausbrechen würde (noch bis 14. April hier zu sehen). Das Problem dabei: Diesen Vulkanausbruch gibt es gar nicht.

Hier das Transkript der ZIB-Meldung:

In Island speit ein Vulkan seit einigen Tagen große Lavamassen aus. Der Vulkan ist schon seit Ende des vergangenen Jahres aktiv, jetzt allerdings wird der Lavaausstoß immer stärker. Die Umgebung wurde bereits für Menschen gesperrt.

Die Bilder sind zwar echt, aber schon ziemlich alt. Dasselbe Bildmaterial wurde schon im November 2014 auf Youtube veröffentlicht.

Das isländische meteorologische Büro berichtete bereits im Februar, dass der besagte Ausbruch zu Ende sei. Die seismischen Aktivitäten nehmen beständig ab. Auch das angesprochene Sperrgebiet wurde verkleinert. Seitdem ist es still geworden um den Vulkan. So still, dass ein Vulkan-Blog sogar sagt, die momentan ungewöhnlich geringe Aktivität sei glatt eine Schlagzeile wert.

Der ORF war mit dem Fehler übrigens nicht alleine. Ein kleiner Lokalsender aus den USA übernahm die Meldung auch und spielt damit in der selben Liga wie Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunk.

Danke Claudia Zettel für den Hinweis auf Twitter.

Update – so dürfte es zu diesem Fehler gekommen sein

Von Teilnehmern der heutigen Frühsitzung des ZIB-Teams ist zu erfahren, wie es zu dieser Falschmeldung gekommen sein dürfte. (Chefredakteur Fritz Dittelbacher sei „ziemlich angefressen“ gewesen.)

Der Fehler sei auf Druck des Chefs vom Dienst, einen Fehler des Monitoring-Teams sowie einen Redakteur, der diese Meldung eigentlich nicht machen wollte (und dann den Fehler nicht merkte), zurückzuführen.

Spannend ist dabei der letzte Teil, denn das Redakteursstatut des ORF sieht eindeutig vor, dass Redakteure nicht angehalten werden dürfen, einen Beitrag zu verfassen, den sie inhaltlich nicht vertreten können. Und: „Aus einer gerechtfertigten Weigerung darf kein Nachteil erwachsen.“

Genau das sei dem Vernehmen nach seit einigen Jahren nicht mehr gelebte Praxis. Die Redaktion müsse, so ein Redaktionsmitglied, regelmäßig Sendungsblöcke mit Stories geringer Relevanz und unter Zeitdruck auffüllen, wobei die inhaltliche Latte explizit „nicht hoch gelegt“ sei, nach dem Motto „Füll einfach auf!“. Wer sich weigere, dem werde Arbeitsverweigerung nachgesagt. Dem Druck könne man kaum widerstehen.

Zitat: „Mich wundert, dass nicht mehr passiert. Viele Geschichten sind irrelevant, haben einen falschen Drall oder sind, wie das aktuelle Beispiel, sogar schlichtweg falsch.“

(Update von Helge Fahrnberger)

Update II – Stellungnahme des ORF

Der ‚Ressortleiter Ausland‘, Andreas Pfeifer, schickt uns folgende Stellungnahme:

Die ZIB hat in einer Blockmeldung behauptet, dass ein isländischer Vulkan, der derzeit nicht aktiv ist, derzeit aktiv ist. War das falsch ? Ja, das war falsch. Was war der Grund? Das Bildmaterial ist kurz vor der Sendung eingelangt, in der Eile ist es misslungen, zwischen aktuellen und archivierten Bildern geflissentlich zu unterscheiden. Die ZIB bedauert, ich bedauere auch.

Ihr Blog behauptet, dass dieser Vorfall strukturelle Hintergründe habe: Druckausübung auf Redakteure, niedrig gelegte Latten für zu sendende Informationen, Angst vor dem Eindruck von Arbeitsverweigerung. Ist das richtig ? Nein, das ist auch falsch. Weil nicht geschehen. Weil es eine Mythenbildung betreibt, die sich weder von diesem Vorfall noch von unserem Redaktionsalltag und Redaktionsethos ableiten lässt. Weil es lächerlich ist, anzunehmen, dass ORF-Redakteure zu vulkanologischen Falschmeldungen gezwungen werden.
Ich bedaure auch die Falschmeldung Ihres Blogs – und bitte Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Pfeifer

Allerdings wurde nicht behauptet, dass „ORF-Redakteure zu vulkanologischen Falschmeldungen gezwungen“ werden. Natürlich ist der Beitrag ein Fehler der beteiligten Journalisten. Unsere Gesprächspartner in der ZIB-Redaktion sind jedoch offenbar der Ansicht, dass dieser Fehler auch mit den Arbeitsbedingungen in der Redaktion zusammenhängt.

Einige erinnern sich bestimmt noch an die „Heute“-Story von den vermeintlichen Dschihadisten im Gemeindebau, die wir kürzlich auf Facebook hatten:

HEUTE, 19.2.2015, S1

„Heute“ versucht laut Eigenwerbung zwar, schlechten Journalismus wegzulassen, aber wenn er schon mal da ist? Von loslassen war nicht die Rede. Und so wurde diese Falschmeldung am nächsten Tag nicht nur nicht korrigiert, sondern sogar noch ein Artikel nachgelegt:

HEUTE, 20.2.2015, S8

Das Perfide: Auch die „Heute“-Redaktion wusste zu diesem Zeitpunkt bereits nachweislich, dass für die Polizei praktisch kein Terrorverdacht mehr vorlag. Dennoch behauptete das Gratisblatt wider besseres Wissen weiterhin, es handle sich um eine „Dschihad-Wohnung“ und die Polizei sei darin auf „Terrormaterial“ gestoßen. Dazu noch ein Foto vom „Tatort“-Gemeindebau. Dort gab’s zwar nie eine Tat, dafür aber in „Heute“ die genaue Adresse (inkl. Stockwerk!) der unschuldig Terrorverdächtigten.

Welche dramatischen Folgen diese Art von „Journalismus“ für die drei jungen Männer hatte, hat das ORF ZIB-Magazin gestern in einem bemerkenswerten Beitrag aufgezeigt:

Kurzfassung:
Einer hat den Job verloren. Die Wohnung wurde gekündigt. Der Briefkasten beschmiert. Die unmittelbare Wohnumgebung mit Parteiflugblättern aufgestachelt.

fpoe_gemeindebau_dschihad_flugblatt

Wer nach solchen Erlebnissen noch friedvoll bleibt, der muss schon stark im Glauben sein.

 

PS: Dominik Lagushkin hat in seinem Blog eine äußerst lesenswerte Chronologie der Ereignisse zusammengestellt.

PPS: Kurier und Profil haben die jungen Männer bereits einige Tage vor der ZIB besucht und Artikel mit weiteren interessanten Details veröffentlicht.

PPPS:
Guter Journalismus beginnt damit, dass man schlechten weglässt. ("Heute", Eigenwerbung)

Mit seiner klaren Absage an die Sparpolitik Europas sorgt der neue griechische Finanzminister Yanis Varoufakis derzeit für viel Wirbel. Der „Kurier“ behauptet nun, dass Varoufakis vor zwei Jahren noch eine völlig andere Meinung vertreten hätte und beruft sich dabei auf einen Blogeintrag aus dem Jahr 2013. Die Zeitung scheint dabei aber die Kernaussagen von Varoufakis entweder nicht verstanden zu haben, oder verdreht seine Aussagen, um das ganze irgendwie als Kontroverse zu verkaufen.

Scannen 2

Im „Kurier“-Artikel heißt es:

„Noch vor zwei Jahren wollte Yiannis Varoufakis Deutschland an der Spitze in Europa sehen. So schnell können sich Meinungen ändern: „Europa braucht eine deutsche Hegemonie“ – diese Forderung nach einer starken Rolle Deutschlands kommt ausgerechnet von einem Regierungsmitglied der griechischen radikalen linken Partei Syriza“

Und weiter:

Berlin soll, laut Varoufakis damals, ein europaweites Erholungsprogramm entwickeln. Der Ökonom schlägt eine Art europäischen New Deal vor – ähnlich der wirtschaftlichen und sozialen Reformen in den USA in den 1930er-Jahren (…) Von diesen Ideen scheint Varoufakis heute nur noch wenig zu halten.

Falsch. Varoufakis vertritt auch heute noch exakt die selben Ideen. Er wünscht sich nach wie vor sowohl einen „New Deal“ und befürwortet ein hegemoniales Deutschland, wie er in einem aktuellen Interview mit der Zeit erklärt. Das hegemoniale Deutschland müsse seinen Kurs aber radikal ändern – weg von Austerität und Troika hinzu einem europaweiten „New Deal“-Konzept.

Der Kurier-Artikel lässt es so aussehen, als hätte Varoufakis damals Deutschlands Führung bedingungslos unterstützt, auch ohne dieses „Aber“. Deshalb spricht das Blatt auch von „Richtungswechsel“ und sagt „So schnell können sich Meinungen ändern“. Es wird eine künstliche Kontroverse erzeugt, dabei hat Varoufakis damals wie heute den Sparkurs Deutschlands und der Troika abgelehnt.

Der Kurier ist mit verdrehten Artikeln wie diesen allerdings in guter Gesellschaft. In den letzten Tagen war das nämlich nur eine von vielen Falschmeldungen, die über Griechenlands neue Regierung durch die Medien gingen.

In der „Kronen Zeitung“ wurde im Dezember behauptet, dass Russland Teile seines „Goldschatzes“ verkauft hat, um in der Krise die eigene Währung zu stützen. Wie sich herausstellt, ist dies jedoch eine Falschmeldung. Die russische Zentralbank hat lediglich Fremdwährungsreserven veräußert, nicht aber das Edelmetall.

Bildschirmfoto 2014-12-15 um 12.25.23

Im Artikel werden als Quelle Berichte von Yahoo Finance und Business Insider UK genannt. Geht man diesen nach, findet sich bei beiden gleich zu Beginn eine Klarstellung aus der Redaktion, dass es sich bei den angeblichen Goldverkäufen um eine Falschmeldung handelt und dies entsprechend korrigiert wurde.

Bildschirmfoto 2014-12-15 um 13.01.46

Bei der „Kronen Zeitung“ hat man – wie dort üblich – auf so eine Klarstellung verzichtet, auch online findet sich der falsche Bericht einen Monat später weiterhin.

Der Redakteur der Krone hat zudem bereits eine „Folge“ der nicht statt gefundenen Goldverkäufe eruiert, nämlich dass der weltweite Preis des Edelmetalls nun deshalb sinke. Der im Artikel genannte Höchstwert von 1390 Dollar stammt aber bereits aus dem März 2014, also nicht aus unmittelbarer Vergangenheit. Dieser erklärte Zusammenhang ist deshalb genauso erfunden wie schlichtweg falsch.

 

„Österreich“ druckt über eine Woche lang unverpixelte Fotos und den vollen Namen eines in Untersuchungshaft befindlichen Imams. Die Zeitung stellt ihn damit öffentlich an den Pranger und pfeift auf seine Persönlichkeitsrechte: Am Titelblatt bezeichnen sie ihn gar als „Hass-Prediger“ und „Gotteskrieger“. Ein Paradebeispiel für eine Vorverurteilung durch Medien.

österreich 29 november titel1

Gemeint ist Mirsad O. Der Mann ist „Österreich“ nicht unbekannt. Im April beschuldigten „Österreich“ und „Heute“ Mirsad O., zwei Mädchen radikalisiert zu haben. Der Mann verklagte die Zeitungen wegen dieser Unterstellung und bekam – nicht rechtskräftig – im September recht. In erstaunlicher Offenheit gibt „Österreich“ zu, das Urteil nicht sonderlich ernst zu nehmen. Anders lässt sich diese Kampagne gegen ihn auch kaum erklären.

Seit einer Großrazzia Ende November sitzt Mirsad O. nun in Untersuchungshaft. Was ihm vorgeworfen wird, macht ihn nicht gerade sympathisch: Er soll Terrorkämpfer für den Nahen Osten rekrutiert haben. Bisher gibt es aber weder eine Anklage gegen ihn, geschweige denn ein rechtskräftiges Urteil. Das ist aber eigentlich auch gar nicht so wichtig. presseonlinen Denn auch falls der Mann schuldig ist – auch falls er ein Gotteskrieger und Hass-Prediger ist und rechtskräftig verurteilt wird – dürfen Medien seine Identität nicht preisgeben. So will es das Mediengesetz.

Das hat den Sinn, dass Täter zusätzlich zu einer gerichtlichen Strafe nicht auch noch durch den „Medienpranger“ bestraft werden. Bei manchen Zeitungen scheint dieses Grundprinzip aber nicht angekommen. Außer „Österreich“ nennt auch die „Presse“ (siehe Screenshot rechts) den vollen Namen von Mirsad O., zeigt sein Bild und beschreibt seinen Wohnort. Damit spielen diese Medien nicht nur Richter, auch die Kinder und Verwandten des Verdächtigen können so die Folgen seiner Anklage zu spüren bekommen: Sei es nun durch Mobbing in der Schule, Misstrauen durch Nachbarn oder Angriffe auf der Straße.

collage entwurf

Selbst das Gesicht zu verpixeln und den Nachnamen abzukürzen reicht nicht immer: Die meisten Medien bebildern ihre Artikel mit dem erkennbaren Wohnort von Mirsad O. oder nennen seinen Predigernamen. Das ist ebenfalls kein ausreichender Identitätsschutz, denn durch diesen ist Mirsad O. klar identifizierbar. Das ist, als würde man schreiben: „Thomas N., besser bekannt unter seinem Künstlernamen Conchita Wurst“.

Vielleicht muss man an dieser Stelle noch einmal betonen, dass Gesetze für alle gelten und unseren Rechtsstaat ausmachen. Selbst und gerade für jene Menschen, die vielleicht furchtbare Verbrechen begangen haben. Das Gesetz ist auch dafür da, diese Menschen vor einer Zusatzbestrafung durch die Öffentlichkeit zu schützen.

Bestrafung und die Feststellung von Schuld sind Aufgaben der Gerichte und nicht die einer Zeitungsredaktion.

Eine Frau verliert ihren Sohn. Sie geht wenig später zu einem Krippenspiel in die Schule ihres Enkels und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Die „Kronen Zeitung“ macht daraus diesen menschenunwürdigen Artikel:

B5EHmIhCEAEZQiV

Eine „tobsüchtige Türkin“ habe mit wildem Geheule das Krippenspiel einer christlichen Schulklasse gestört. Ihre Tochter und ihr Mann sollen sogar noch „in das Geheule“ eingestimmt haben. Erst „hünenhafte“ Polizisten mit „gezückten Pfeffersprays“ konnten „das Trio“ wieder unter Kontrolle bringen.

Ein Brief (Volltext) der Schuldirektorin an die Eltern, den diese uns gegenüber telefonisch bestätigte, lässt die ganze Sache in einem anderen Licht erscheinen: Der Vater eines der Schüler war vor wenigen Wochen bei einem Unfall gestorben. Die Großmutter des Schulkindes, also die Mutter des kürzlich Verstorbenen, besuchte an jenem Abend das Krippenspiel. Die trauernde Frau habe die Klasse in einem Moment betreten, in dem eine Lehrerin kollabierte. Das habe bei der Frau einen Schock ausgelöst. Sie habe einen Nervenzusammenbruch erlitten, die Rettung brachte sie ins Krankenhaus.

Aus dem Brief:
lutherschule

Die Frau „platzte“ nicht in die Vorbereitungen des besinnlichen Krippenspiel: Sie war schlichtweg eingeladen – wie alle anderen Eltern und Großeltern auch. Warum die Frau einen Nervenzusammenbruch hatte, erwähnt die „Krone“ mit keinem Wort.

Der Artikel der „Krone“ blendet den Kontext aus und beleuchtet ausschließlich den Vorfall des Zusammenbruchs. So völlig losgelöst und verdreht mutet die Szene merkwürdig an. „Aber jederzeit wäre es möglich gewesen, Unklarheiten über die Direktion zu klären“, wird im Brief betont – diese Bemühungen wurden offensichtlich nicht unternommen:

kobuk1

Stattdessen trägt der Artikel beliebig Elemente – von Schleier über wildes Geheul bis zur rettenden Rolle einer „hünenhaften“ Polizei – zusammen, die auf Kosten einer trauernden Familie und einer Schulgemeinschaft ein Feindbild befeuern.

Update:

Das „profil“ berichtet über die Probleme in der Faymann-SPÖ und weist auf eine allgemeine Krise der sozialdemokratischen Parteien in Europa hin. Um die eigene These der schwächelnden Sozialdemokraten zu stützen, lässt das Magazin aber manche Fakten weg oder recherchiert nur halbherzig.

Bildschirmfoto 2014-12-07 um 15.11.40Bis auf Norwegen und Schweden würden sozialdemokratische Parteien „nirgendwo in Europa“ über dreißig Prozent liegen, behauptet „profil“. Gemeint sind dabei offenbar Parlamentswahlen. Wenn hier „Europa“ die EU-Staaten bedeutet, hat man aber zumindest auf die Slowakei (44%), Kroatien (40%) und Rumänien (37%) vergessen. Außerhalb der EU trifft dies etwa noch auf Albanien zu.

Bildschirmfoto 2014-12-07 um 14.18.36

Auch die zugehörige Grafik (siehe rechts) folgt einer eigentümlichen Logik: Es soll sich dabei um die „jüngsten Wahlergebnisse“ in Europa handeln. Markiert sind aber Spanien, wo die letzten Wahlen im November 2011 stattfanden, oder Frankreich, wo im Juni 2012 zuletzt gewählt wurde. Gleichzeitig fehlt Italien, wo eigentlich ein recht frisches Ergebnis aus dem Februar 2013 vorliegt. Erster war dort das Linksbündnis der sozialdemokratischen PD – mit 29 Prozent in der Abgeordnetenkammer (was ihr durch einen wahlrechtlichen „Boost“ die absolute Mehrheit verschafft) und 31 Prozent im Senat. Und während das magere Ergebnis der griechischen PASOK aus dem Juni 2012 angeführt wird, fehlen zB. Daten aus Lettland (Oktober 2014) oder Rumänien (Dezember 2012), wo die Sozialdemokraten bzw. ihre Wahlbündnisse bessere Ergebnisse hatten.

Der Löwenanteil des „profil“-Artikels setzt sich fundiert mit den Schwierigkeiten der heimischen SPÖ auseinander. Aber im Europa-Kontext wollte man offenbar die eigene These nicht zu Tode recherchieren.