Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt dutzende Pressereisen organisiert und bezahlt. Über 480 Berichte in allen großen Printredaktionen sind dazu erschienen. Eine Auswertung von Kobuk zeigt, dass in nur 17,5 Prozent der Artikel transparent gemacht wird, wer diese Reise eigentlich bezahlt hat. Ein klarer Verstoß gegen den Ethikkodex des österreichischen Presserates.
Pressereisen sind so eine Sache. Bei vielen Journalist:innen sind sie beliebt – man kommt zur Abwechslung mal raus aus dem Büro und kann sich niederschwellig ein eigenes Bild von einem Ort oder einem Event machen. Wenn Politiker:innen die Reise bezahlen, dann bekommen Journalist:innen außerdem oft wertvolle Gelegenheiten, sich mit ihnen und ihren engsten Mitarbeiter:innen besser bekannt zu machen. Kontakte, die im kleinen Österreich Gold wert sein können.
Politiker:innen finanzieren solche Reisen freilich nicht ohne Hintergedanken. Sie wollen von der Berichterstattung in irgendeiner Weise profitieren. Dafür haben sie auch viele Hebel in der Hand: Sie organisieren die Reise und damit auch den Ablauf – und haben so einen großen Einfluss darauf, wer, wann, was zu sehen bekommt. Es wäre illusorisch zu glauben, dass Journalist:innen auf solchen Reisen völlig frei berichten können. Dennoch stehen die Reisen quasi an der Tagesordnung – von Hanoi bis München.
Mit der Schlagzeile, der wichtigsten Geschichte des Tages, präsentiert sich eine Printtageszeitung nach außen. Kobuk hat 15 Wochen lang die ersten Seiten der sieben wichtigsten Tageszeitungen in Österreich analysiert. Rund 65% der Titelgeschichten stammten aus männlicher Feder.
Früher, vor Hauszustellungen und E-Paper-Downloads, war der Zeitungsverkauf ein lautes Geschäft. Zeitungsverkäufer, im angloamerikanischen Raum auch Newsboys genannt, priesen die Blätter an, indem sie die wichtigste Geschichte durch die Straßen riefen. Die wichtigste Geschichte, das war meistens jene in dicken Lettern auf der Titelseite. Mittlerweile werden Tageszeitungen zwar nicht mehr auf der Straße beworben – dennoch dient die Front Page einer Zeitung bis heute als Aushängeschild. Und bis heute werden die Titelgeschichten in Österreich zum Großteil von Männern geschrieben.
Ein schwarz gekleideter Polizist blickt streng in Richtung Hafen, neben ihm tanzen bunte Micky-Maus-Luftballons in der Luft“, berichten die Salzburger Nachrichten im Mai 2016 aus dem Gazastreifen. Die Kronen Zeitung veröffentlicht im Februar 2020 eine „Spurensuche“ nach einem moldawischen Oligarchen: „Durchs Zentrum von Chisinău knattert ein rostiger Traktor. Auf einem Fahrrad kämpft eine Dame mit Kopftuch und Schürze gegen die Kälte.“
Berichterstattung aus der Ferne ist beliebt, bei Journalistinnen und Journalisten ebenso wie bei ihrem Publikum. Doch Auslandsreportagen sind aufwändig und teuer – die Reise, die Unterkunft, die Übersetzung, die Kontakte vor Ort. Wer finanziert das eigentlich? Die Recherche von Kobuk zeigt: Häufig sind es nicht die Medien selbst.
Der Presserat ist der gerüchteweise zahnlose Kopf der freiwilligen Selbstkontrolle von Printmedien in Österreich. Für diesen Freitag lädt er zu seinem Rückblick auf das Jahr 2018. Grund genug, sich anzusehen, welche unmittelbare Wirkung seine Entscheidungen bei den betroffenen Medien zeigten. (Spoiler: es gibt noch Luft nach oben.)
Nachfolgend alle im letzten Jahr festgestellten Verstöße gegen den journalistischen Ehrenkodex, wo vom Presserat zumindest eine freiwillige Veröffentlichung der Entscheidung im jeweiligen Medium gefordert wurde.
Gelb: es gab zumindest eine wahrnehmbare Reaktion (außer Löschungen, die niemand mehr mitbekommt)
Rot: der Presserat wurde mehr oder weniger ignoriert
(Der erste Link verweist stets auf das PDF des Presserats mit Falldarstellung und Entscheidung)
23.01.2018 – Krone: Vorwürfe gegen das Grazer „Forum Stadtpark“, es gäbe Verbindung zu Vandalismus bei Protesten gegen das Murkraftwerk, ohne den Beschuldigten eine Stellungnahme zu ermöglichen
Reaktion: Keine. Artikel steht unverändert online.
25.01.2018 – Krone: Berichterstattung über Suizid eines kroatischen Generals („Starker Abgang wie einst von Göring“)
Reaktion: Keine
01.02.2018 – News: Überschießende Berichterstattung über Suizid eines 11-jährigen Asylwerbers
Reaktion: Erwähnung der Entscheidung im Editorial. Zudem hob der Senat bereits in seiner Entscheidung positiv hervor, dass in der Folgeausgabe ein Essay zum Thema „sensible Medienberichterstattung über Suizide“ veröffentlicht wurde.
08.03.2018 – Österreich: Bericht über „Hausverbot für Nikolo“ nicht ausreichend recherchiert – erforderliche Stellungnahme erst in Folgeartikel nachgereicht
Reaktion: Keine
08.03.2018 – OÖN: „Marchtrenker feiert Ende seiner Ehe mit Scheidungsparty für 350 Gäste“ — Berichterstattung über (zu) private Details einer Scheidung
Reaktion: Da es sich um ein Schiedsverfahren aufgrund der Beschwerde einer direkt betroffenen Partei handelte, musste in diesem Fall die Entscheidung nach den Vorgaben des Presserats veröffentlicht werden. Zudem wurde der Online-Artikel entfernt.
20.03.2018 – Krone: Falsche Zahlen zu straffälligen Asylwerbenden („45,9% der kriminellen Ausländer sind Asylwerber“)
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel ohne Berichtigung gelöscht.
03.04.2018 – Wochenblick: In einer Artikelserie über Migration in Schweden wurde das Land dargestellt, „als wäre es auf dem Weg in den Untergang“ — die Leser wurden von der Autorin „auf geradezu systematische Art und Weise getäuscht“
Reaktion: Mehrere Bildschirmseiten lange Erwiderungen von Chefredakteur und Autorin (Archivlinks), in denen dem Presserat u.a. unlautere (Konkurrenz-)Motive unterstellt werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den detaillierten Kritikpunkten des Presserats erfolgte nicht, trotz Beteuerung, die Autorin habe in einem Kommentar „ausführlich sämtliche Anschuldigungen widerlegt“.
08.05.2018 – Krone: Veröffentlichung des unverpixelten Bildes eines Mordopfers verstößt gegen Ehrenkodex — Persönlichkeitssphäre ist auch über den Tod hinaus zu wahren
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel gelöscht.
13.06.2018 – Krone: Unverpixeltes Foto von Mordopfer
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Privates Facebook-Foto aus Artikel gelöscht.
26.06.2018 – Österreich /14.09.2018 – Krone, Heute: Detaillierte Berichterstattung über Suizid von DJ Avicii erhöht Gefahr von Nachahmung
Reaktion (alle drei Medien): Keine. Alle Artikel mit den Details des Suizids stehen unverändert online.
Zeit für einen leichteren Zwischengang: Hier die abgewiesene Beschwerde der „Gräfin vom Naschmarkt“, samt Feststellung des Presserats: „Vernichtende Restaurankritik [ist] kein Ethikverstoß“
Reaktion: Severin Corti unter seinem Artikel für den selbstlosen Einsatz danken.
03.07.2018 – OÖN, Trend: Video von Ikea in redaktionellem Online-Artikel nicht ausreichend gekennzeichnet
Reaktion: OÖN veröffentlichen die Entscheidung und räumen ein: „[Das] Video […] hätte mit dem Wort ‚Quelle: Ikea‘ versehen werden müssen. Wir entschuldigen uns dafür.“ Im Originalartikel bleibt es dennoch ungekennzeichnet.
Der Trend löscht das Video aus dem Artikel. Keine Erwähnung der Entscheidung.
09.10.2018 – Wochenblick: SPÖ und ÖGB wird Gewaltbereitschaft unterstellt und zu Unrecht vorgeworfen, strafbare Handlungen bis hin zu Körperverletzungen und Mord gutzuheißen.
Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)
24.10.2018 – Zur Zeit: Diffamierung von Roma und Sinti als „Zigeuner“ und ethnische Zuordnung einer schweren Straftat ohne Beleg
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel steht unverändert online.
24.10.2018 – Österreich: Veröffentlichung zahlreicher Fotos von ermordeten Frauen stellt Persönlichkeitsverletzung dar
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. „Österreich“ verpixelt nun aber meist die Augen minimal, was die Erkennbarkeit der Opfer jedoch nur unwesentlich einschränkt.
11.12.2018 – alles roger: Artikel über „Österreich-Netzwerk“ von George Soros nicht ausreichend recherchiert, persönlichkeitsverletzend und diskriminierend
Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)
Resümee
Dass sich die üblichen Verdächtigen eher wenig um Verurteilungen durch den Presserat kümmern und diese in manchen jeann… journalistischen Parallelwelten sogar als Ritterschlag gehandelt werden, überrascht nicht weiter. Wenn aber sogar grenzwertige Suizidbeschreibungen bei den größten Boulevardmedien des Landes trotz Presseratsurteil unverändert online bleiben, dann wird die Grenze zwischen freiwilliger Selbstkontrolle und -aufgabe fließend.
Der „Kurier“ illustrierte am 9. April ein großes Sebastian Kurz-Portrait mit einem Bild, das aussieht wie der feuchte Traum eines Partei-Werbefotografen. Junge, sympathische Menschen, die sich um ihren Anführer scharen und mit ihm lachen und klatschen.
Kein Wunder, stammt es auch von der JVP. Ein Einzelfall? Keineswegs.
Denn sowohl Außenminister als auch Kanzler beschäftigen Hausfotografen, deren Fotos immer öfter in der heimischen Presse zu sehen sind. So gut wie jede Tageszeitung verwendet diese von den PR-Teams der Politiker sorgfältig ausgewählten Bilder, die subtile Heldengeschichten transportieren und die für uns Zeitungsleser in der Regel nicht als PR-Bilder erkennbar sind.
Keine Redaktion käme auf die Idee, die PR-Texte von Politikern als Artikel abzudrucken, noch dazu ohne das Publikum über deren Urheberschaft aufzuklären. Kriterien, die bei PR-Bildern nicht zu gelten scheinen. Petra Bernhardt, die an der Uni Wien zu visueller Kommunikation forscht, dazu:
Hausfotografen müssen eine Situation nicht akkurat wiedergeben, sondern können einen Moment herausgreifen, der den Politiker in ein besseres Licht rückt. Das Anliegen von Medien sollte allerdings nicht sein, die imagepolitischen Deutungsangebote eines Politikers fortzuschreiben.
Wir haben die Zeitungsarchive der letzten Monate durchforstet und erschreckend viele Beispiele gefunden, wie österreichische Tageszeitungen die visuellen Heldenerzählungen von Kurz und Kern transportieren. Ein Drama in fünf Akten:
1. Sympathische Helden
Wie wertvoll es für Politiker ist, in der Kronen Zeitung mit süßen Tieren abgebildet zu werden, wissen wir nicht erst seit Karl-Heinz Grassers Vorliebe für Hundefotos ebendort. Die „plötzliche“ Begrüßung des süßen Streuners hat nicht etwa ein Fotograf der Krone dokumentiert, es war der Hausfotograf des Außenministers, Dragan Tatic.
Kern besucht einen Kindergarten – zu welchem politischen Zweck, bleibt verborgen. Für den Kanzler ein lohnender Termin: Der Standard macht aus dem Foto eine eigene Geschichte und verbreitet die visuelle Heldenerzählung von Kerns Hausfotograf Andy Wenzel, die Geschichte eines sympathischen und kinderlieben Helden. Als journalistischer Anlass genügt das baldige Weihnachtsfest.
Die Wiener Zeitung illustriert die Leserbriefseite mit einem herzerwärmenden Bild des Außenministers aus der Kamera von dessen Hausfotograf. Die Leserbriefe handeln allerdings weder von Äthiopien noch von österreichischer Entwicklungszusammenarbeit, sondern von der Kurz’schen Flüchtlingspolitik. Das freundliche PR-Bild wiegt hundert kritische Leserbriefe auf.
Die Presse am Sonntag bebildert des Kanzlers 100-Tage-Bilanz mit einem Bild, das ihn im eng-vertrauten Umgang mit Europas mächtigster Politikerin zeigt. Sieht aus wie Fotojournalismus, ist aber das Bild, das Kerns PR-Team zeichnen möchte.
Der Kanzler in „Wir schaffen das“-Pose vor der begeisterten EU-Spitze, klatschend. (Tiroler Tageszeitung)
2. Bilder, die zu Geschichten werden
Falls das Presseteam des Kanzlers zu dessen Start das Bild des Spielmachers vermitteln wollte, mit diesem Foto ist das gelungen. Das Bild färbte sogar auf die Wahl der Headline der ersten Zwischenbilanz des Standard ab.
Die Tiroler Tageszeitung gibt quasi schon im Titel zu, dass dieses Bild von Kurz auf „Tuchfühlung“ mit Ban Ki-Moon der Geschichte ihren speziellen Spin gibt. Auch dieses Bild stammt aus der Produktion und nicht zuletzt sorgsamen Vorauswahl von Kurz‘ Presse-Team.
Kurz, der eine EU-weit besonders harte Haltung gegenüber der Türkei einnahm, gefällt sich auch in der Bildauswahl in dieser Rolle: Aug in Aug mit dem Despoten vom Bosporus, augenscheinlich nicht bereit, zurückzuweichen. Die Wiener Zeitung überbringt die Bildbotschaft des Außenministers gerne.
3. Kurz und Kern als Anzugmodels
Ein besonders dreistes Genre an PR-Fotos sind jene, die ihre Protagonisten ohne erkennbaren Anlass einfach nur in Pose präsentieren. Petra Bernhardt zu diesem Foto im Kurier:
Das Foto wirkt wie eine flüchtige Aufnahme und suggeriert, dass der Minister auch abseits politischer Meetings ständig im Einsatz ist. Die Untersicht wäre für ein Nachrichtenfoto eigentlich tabu. Es handelt sich um ein Füllbild, das keine inhaltliche Funktion für den Text erfüllt.
Ähnlich bei diesem Bild des Kanzlers, in Verwendung der Oberösterreichischen Nachrichten. Dieses Bild wurde gar über die Nachrichtenagentur APA bezogen, die die Gratis-PR-Bilder an alle Medien verteilt, genau wie eigene fotojournalistische Arbeiten.
Der Top-Gun-Außenminister (es fehlt nur die Ray Ban-Brille), wieder in leichter Untersicht und mit Turboprop im Hintergrund. Ein Klischee wie aus einer 90er-Jahre-Werbekampagne, verbreitet von der Presseagentur APA und in journalistischer Verwendung in der Presse.
Die Wiener Zeitung illustriert eine Analyse seitenfüllend mit einem coolen Kurz-Posing vor dem Facebook-Firmenschild. Der vollkommen fehlende Konnex zwischen Sujet und Artikelinhalt wird mit einer Bildunterschrift an den Haaren herbeigezogen.
Ein Kanzler wie ein Wall Street-Manager, stilecht mit Empire State Building im Hintergrund. Das gefällige Bild erschien im Standard.
4. Bilder, die ein Macher-Image transportieren
Der Kanzler geht forschen Schrittes voran und hält dabei Augenkontakt mit dem Leser. Die Körperhaltung des ungarischen Regierungschefs, der Kern nachfolgt, ist in dieser Bildauswahl deutlich weniger dynamisch. Die Salzburger Nachrichten wählten das Bild als Aufmacher des Tages.
Der Außenminister besuchte nicht nur Frontsoldaten in der Ost-Ukraine, er wies ihnen dabei noch den Weg. Diese beachtliche Ortskenntnis schaffte es aufs Cover des Standard.
Den Weg zeigt Kurz auch EU-Kommissar Mimica, in der Tiroler Tageszeitung.
Und nicht zuletzt zeigt der Außenminister auch dem Papst, wo’s lang geht. Das sehenswerte Bild verschafft dem „kurzen Treffen“ einen sehr prominenten Artikel im Kurier.
5. Alle Welt lauscht Sebastian Kurz
Der iranische Präsident lauscht Sebastian Kurz. (Wiener Zeitung)
Der niederösterreichische Landeshauptmann lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)
Der libyische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)
Vitali Klitschko lauscht Sebastian Kurz. (News.at)
Der russische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse. Auch Der Standard illustrierte den Artikel zu diesem Treffen mit einem weiteren Foto aus der Kurz-PR-Werkstatt: Auch auf diesem lauschte Lawrow Kurz aufmerksam.)
Der chinesische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)
Der amerikanische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse)
Der britische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)
Der UNO-Generalsekretär lauscht Sebastian Kurz. (News.at)
Und auch der Papst lauscht Sebastian Kurz. (Kronen Zeitung)
Epilog
Die meisten dieser Bilder sind auf Auslandsreisen entstanden. Die Medienkrise macht es sicher für viele Redaktionen schwieriger, neben Redakteuren auch Fotojournalisten auf diese Reisen zu entsenden.
Das kann jedoch keine Entschuldigung dafür sein, unreflektiert und unkommentiert PR-Material von Politikern zu verbreiten. Zudem fast alle Tageszeitungen Kunden (und Eigentümer) der Austria Presse Agentur sind, über die sie solche Reisen durchaus von einen gemeinsamen Fotojournalisten begleiten lassen könnten.
Update:
In einer früheren Version dieses Artikels stand „Wladimir Klitschko“. Es handelt sich jedoch um Vitali Klitschko.
Wer in der Grazer Innenstadt sein Auto in eine Parkgarage stellt, muss ordentlich blechen. Zumindest laut einer „Studie“ des Webportals Hotelreservierung.de. Darin wurden 339 Parkhäuser in ganz Europa verglichen, und die Stadt Graz ist absoluter Preis-Spitzenreiter. Durchschnittlich zahle man hier 62 Euro pro Tag:
Aber es kommt noch teurer:
So kassiert ein Parkhaus in Graz in Österreich sage und schreibe 96 Euro [für ein Tagesticket, Anm. des Autors], was 573% über dem internationalen Schnitt von 14,27€ liegt.
96 Euro pro Tag! Wahnsinn! Dem Horrorpreis liegt eine einfache Rechnung zugrunde: 4 Euro Stundenpreis x 24 Stunden = 96 Euro. Diese Milchmädchenrechnung kam zustande, weil für die Studie nur online recherchiert wurde und für Graz gerade einmal zwei Parkhäuser (statt etwa 30) herangezogen wurden (ganz unten im Bild, unter dem Punkt Erhebungsbasis). Und auf der Website des Parkraumservice Graz fand man bis vor wenigen Tagen eine wichtige Info noch nicht: Dass es jeweils ein Tagesmaximum von 40 Euro gibt. Könnte man aber, zum Beispiel, leicht per Telefonat oder über die Arbeiterkammer (PDF) herausfinden. Die knapp 100 Euro pro Tag sind also falsch, ebenso der Grazer Durchschnitt von 62 Euro, der liegt laut Arbeiterkammer-Tabelle etwa bei 23 Euro.
Trotzdem kam der Bericht über die horrenden Parkgaragenpreise in Graz in zahlreichen österreichischen Medien. Beispielsweise auf Orf.at, wo der unbekannte Autor pflichtbewusst angibt, die Geschichte online gegenrecherchiert zu haben. Und da fand er eben kein Tagesmaximum. Vielleicht wäre hier die gute alte Telefonrecherche besser gewesen. Auf DerStandard.at ist zudem verwirrterweise einmal von 93, einmal von 96 Euro die Rede.
Dass es auch anders geht, zeigt die Kleine Zeitung. Dort hat man sorgfältiger recherchiert und bei Parkraummanager Günter Janezic nachgefragt.
Danke an Lukas A. für den Hinweis via Facebook.
Vor einem Jahr erschien auf Kobuk ein Artikel über die menschenverachtende und pietätlose Berichterstattung von „Österreich“ über den Mord an Stefanie P. Der Artikel hatte immerhin eine Verurteilung durch den Medienrat zur Folge.
Nun findet der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter statt. Hat „Österreich“ dazugelernt? Nein, im Gegenteil: Auch andere Medien unterlassen den gesetzlich vorgeschriebenen Schutz von Persönlichkeit, Identität und Intimssphäre von Opfer und Tatverdächtigem zugunsten reißerischer Berichterstattung über Sex & Crime.
Das Medienrecht sieht in § 7a den Schutz vor identifizierender Berichterstattung vor, um Opfer und ihre Angehörigen nicht ein zweites, öffentliches Mal zum Opfer werden zu lassen und um zu verhindern, dass Verdächtige oder Verurteilte in Form eines ‘Medienprangers’ anstelle oder neben einer gerichtlichen Bestrafung eine soziale Ersatz- oder Zusatzbestrafung erfahren. (Korn, 2010)
Da die Dokumentation der Verstöße gegen diese Bestimmung diesen Blogeintrag sprengen würde (siehe Collage oben), gibt es hier alle Zeitungsausschnitte zum Mordfall Stefanie P. in einem separaten Album (von uns anonymisiert).
Die auffälligsten Verfehlungen der letzten Tage:
- Bilder des Angeklagten und des Opfers werden tagelang unverpixelt in Heute, Krone und Österreich abgedruckt. Dasselbe passiert in Onlineartikeln. Bei „Heute“ gibt man unverfroren zu, dass ein Foto des Opfers schlicht von Facebook stammt (siehe Bildcredit!). Auch der Kurier hält sich bei Philipp K. und Opfer Stefanie P. nicht zurück.
- Wie in den Zeitungsausschnitten ersichtlich, präsentieren „Österreich“ und die Krone (auf der Titelseite) den vollen Namen des Angeklagten und die Krone sogar den vollen Namen des Opfers und seiner Schwester. Der Beitrag ist zwar schon etwas älter, doch auch die Oberösterreichischen Nachrichten bringen ein unverpixeltes Foto und den vollen Namen des Opfers. Überraschenderweise reihte sich sogar die „Presse“ in diese Riege ein, wie man im Google-Cache eines Berichts noch sehen kann, hier wurde aber mittlerweile (vergleichsweise vorbildlich) schon korrigert.
- Allem Anschein nach herrscht in den Redaktionen Verwirrung darüber, wann und wie die Identität der Beteiligten geschützt werden muss. Beispiel Oe24.at: Online wird der Angeklagte verpixelt (das Foto kommt schließlich von der APA), aber trotzdem mit vollem Namen genannt. An anderer Stelle jedoch wieder abgekürzt. Auch die Krone gibt sich ungeschickt: Beim Video-Beitrag zum Prozess ist der Angeklagte zunächst unverpixelt und klar erkennbar, im Video selbst jedoch unkenntlich gemacht.
- „Österreich“ nimmt in der Ausgabe vom 5. Mai gleich das Urteil vorweg, denn „Lebenslang ist beinahe fix!“ Die in Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgeschriebene Unschuldsvermutung scheint nicht zu gelten.
- „Österreich“ und der Kurier finden es darüberhinaus angebracht, den Angeklagten plakativ mit dem Spitznamen „Milchgesicht“ zu betiteln, was sich über mehrere Artikel hinzieht.
- Ebenso unverschont bleibt das Privatleben der Beiden. Die Krone präsentiert, im öffentlichen Interesse natürlich, deren „Liebes-Collage“, das Magazin News zeigt in einer Online-Bilderstrecke Privatfotos und sogar intime Liebesbriefe.
Aus ihrem Interview in „Österreich“ schließen wir, dass die Mutter des Angeklagten ihr Gesicht bewusst in der Öffentlichkeit zeigen will. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass ihr Sohn, der mutmaßliche Täter, diese Ansicht teilt. Dass ein explizites Einverständnis vorliegt, ist zu bezweifeln, schließlich haben andere Medien brav verpixelt.
Wenn Philipp K. anonym bleiben wollte (was der Berichterstattung der APA nach durchaus denkbar ist), stellt sich die Frage, ob es zulässig ist, den Namen eines Verdächtigen abzukürzen, aber dann dennoch jedermann mittels des vollen Namens der Mutter über seine Identität zu informieren. Immerhin, rein rechtlich zählen sowohl Name als auch familiäre Beziehungen zu jenen Identifizierungsmerkmalen, die vom Identitätsschutzparagraphen (§ 7a MedienG) erfasst werden.
Der Ehrenpreis für den sinnfreiesten Versuch, die Persönlichkeitsrechte zu schützen, geht an Oe24.at: Sowohl Angeklagter als auch Opfer werden innerhalb der selben Seite je einmal verpixelt und einmal nicht:
Vielen Dank an Patrick, Alex, Petra, Tanja und Hannes, die alle an diesem Artikel mitgearbeitet haben!
„It’s a fluid situation“ antwortete das US-State-Department in den letzten Tagen meist, wenn sie von Medien um eine Stellungnahme zur Revolution in Ägypten gefragt wurden. Fluid situations sind schwierige Zeiten für Printmedien. Hier ein paar Köstlichkeiten aus den letzten Tagen. (Weitere Beispiele bitte per Kommentar posten!)
Die heutige Abendausgabe (!) der Kronen Zeitung titelt:
Blöd nur, dass Mubarak heute von eben diesen Militärs zurückgetreten wurde. (Danke an Thomas Mohr für das Foto!)
Ein Rücktritt, den gestern alle erwartet hatten – doch es kam anders, der alte Mann zeigte sich stur und schloss in seiner Rede einen Rücktritt kategorisch aus. (Wie blamabel die Übertragung dieser Rede im ORF war, der ansonsten dank Karim El-Gawhary großartige Analysen lieferte, hat Axel Maireder schon dokumentiert.)
Die Oberösterreichischen Nachrichten wollten offenbar trotz frühen Redaktionsschlusses nicht auf die großartige Meldung verzichten und titelten gestern:
Die richtige Schlagzeile zum gänzlich falschen Zeitpunkt – denn anstatt zu jubeln protestierten die Ägypter zornig bis in die Morgenstunden. (Danke an Florian Gossy für das Foto!) Ähnlich erging es auch der Bild.de, wie das BILDblog dokumentiert hat:
Die Tücken vorbereiteter Eilnachrichten, wie ein Blick in die URL des Artikels zeigt:
Siehe auch Sabine Bürgers Artikel auf DerStandard.at zum gleichen Thema. Wer kennt weitere #Mediafails?
Update: Sabine Bürger berichtet auf DerStandard.at von einem Brief des ORF-Chefredakteurs Dittlbacher, in dem dieser akustische Schwierigkeiten als Grund für die schlechte Simultanübersetzung nennt.
Update 2: Marlene Altenhofer schickt uns folgenden Zeitungsausschnitt aus der Kronen Zeitung vom 11.2. (OÖ-Ausgabe, tagsüber), die ebenfalls von einer Nacht der Feiern berichtete, obwohl sie vielmehr eine Nacht des Zorns war:
Update 3: Sabine Bürger schoss am Samstag, den 12.2. um ca. 16:30, also 24 Stunden nach Hosni Mubaraks Rücktritt, am Wiener Europaplatz folgendes Foto:
Auch im neuen Jahr haben sich schon einige kleine Kobuks angesammelt:
- Der „Standard“ vom 30. 12. zählt 900 Mio. Flughäfen in den USA und gleich mehrere Milliarden in Asien.
- In der Online-Ausgabe von „Heute“ findet die Sonnenfinsternis vom Dienstag dem 04.01. einen Tag früher statt, während man in der Printausgabe einen Tag zu spät ist. Das Wirtschaftsblatt vom 21. 12. verrechnet sich gleich um fast ein Jahrzehnt bei der Datierung des Öldesasters der Exxon Valdez, und die OÖN von heute verlegen „Terminator III“ drei Jahrzehnte in die Vergangenheit.
- „Österreich“ sieht eine Verdoppelung der Kirchenaustritte bei einem Plus von 47%. Der Fehler wurde inzwischen behoben.
- Der Kommandeur der „USS Enterprise“, Owen Honors, wurde aufgrund beleidigender Videos entlassen. Doch warum schafft es kaum ein Online–Medium, auf das (ohnehin zensurierte) Youtube-Video zu verlinken oder es einzubetten, damit man sich eine eigene Meinung bilden kann? Wir holen das nach:
Danke an Gerhard Peischl, Flo Pötscher, Claudia N. und Jakob Pfeiffer für die Hinweise!
Der Artikel besteht aus Auszügen meiner Bakk.-Arbeit.
Es ist der 7. Juni 2010. Eine spektakuläre Nachricht verbreitet sich im Minutentakt via Copy & Paste in der ganzen Welt. Überall ist zu lesen: „Australien: Surfer boxt Hai in die Flucht„.
Klingt unglaublich. Ist es auch. Was war passiert?
The West Australian und die Australian Broadcasting Corporation berichten als erstes. Letzere titeln:
Surfer recovering after shark attack
In den Artikeln steht, Michael Bedford sei von einem Hai attackiert worden, habe sich aber im letzten Moment an den Strand retten können. Der einzige Zeuge, sein Freund Lee Cummuskey, sagt, er wäre 150 Meter weit weg gestanden und hätte den Fisch gar nicht richtig sehen können.
Im Bericht der ABC meldet sich Cummuskey zu Wort: „(…)he gave it a good whack he reckons, a good punch and that doesn’t surprise me knowing Mick“. Eine eher scherzhafte Vermutung eines Mannes, der 150 Meter weit weg vom Geschehen stand, sollte zur Faktengrundlage alle weiteren Medien werden. Ob er das damals geahnt hatte?
Durch die Agence France Press wird die Story gobal: „Australian man punches shark, surfs to safety“, lautet der Titel. Die Meldung wird kurz darauf ins Deutsche übersetzt. Cummuskeys Aussage steht im Mittelpunkt des Artikels. Hier wussten die JournalistInnen auf einmal sogar, dass Michael Bedford mit einem beherzten Faustschlag todesmutig zugeschlagen hatte. Woher bloß?
Danach geht es schnell. Im Minutentakt übernehmen Medien die Story. Das Lehrbuch für Journalismus zwingt quasi zu Meldungen nach dem „Mann beißt Hund“-Prinzip.
Spiegel Online und Focus gehören im deutschsprachigen Raum zu den ersten. Auch die APA übernimmt die Story. Danach hat man sich wohl in den Redaktionen gedacht- „Hey, wenn die AFP, APA und Spiegel Online darüber berichten, wird’s wohl stimmen. Irgendwer wird’s schon überprüft haben.“
Die Meldung erscheint auf Derstandard.at, Diepresse.com, der Wiener Zeitung, Krone.at, Oe24.at, Kurier.at (Artikel nicht mehr online), den Oberösterreichischen Nachrichten und noch ein paar Seiten mehr. Sämtliche Artikel sind mehr oder weniger ident.
Von der ursprünglichen Meldung bis zur Veröffentlichung in Österreich vergingen ungefähr zwölf Stunden. Irgendwo in der Kette wurde auch aus der Mutmaßung des Freundes Gewissheit: Das Tier sei ein Weißer Hai gewesen.
Die Meldung schafft es neben Deutschland und Österreich in die Schweiz, die USA, England, die Niederlande, Frankreich, Spanien und in viele weitere Ecken der (Medien-)Welt.
Die Auflösung
Michael Bedford wird noch am selben Tag von der ABC interviewt. Im Video erzählt er hauptsächlich, wie froh er ist am Leben zu sein. Seltsam. Man könnte meinen, er würde damit prahlen, wie mutig er den großen bösen Hai geschlagen hat.
Aufmerksame Kobuk-LeserInnen wissen bereits: Wenn eine Nachricht in der Welt die Runde macht, die Medien vor Ort aber nichts dazu bringen, dann passt wahrscheinlich etwas nicht.