Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: Kurier

Das angesehene Wirtschaftsmagazin Forbes bezifferte die Baukosten auf knapp zwei Milliarden Dollar und nannte es „The World’s First Billion-Dollar Home„. Seither geht die Geschichte um die Welt: Vom indischen Milliardär Mukesh Ambani, der sich in Mumbai ein Luxus-Wohnhaus bauen lässt. 27 Stockwerke auf 173 Metern, für Baukosten zwischen ein und zwei Mrd. Dollar — je nach redaktioneller Zweiteinschätzung der Forbes-Schätzung.

Und einige haben gleich zwei Tipps abgegeben, sicher ist sicher:

„Nach Schätzungen soll das Domizil rund zwei Milliarden Dollar gekostet haben.“ (ORF)

„Kostenpunkt: 800 Millionen Euro.“ („Österreich“, 15.10.2010)

„Zwei Milliarden Euro Baukosten“ („Österreich“, Printausgabe 27.10.2010)

„Die Kosten für den Bau werden auf 1,5 bis zwei Milliarden Dollar geschätzt.“ (Kurier)

„750 Millionen Euro will er sich das Bauwerk kosten lassen.“ (SZ)

„Das rund 750 Millionen Dollar [sic!] teure Gebäude“ (Der Spiegel, 23.11.2007)

„Knapp zwei Milliarden Dollar lässt sich Ambani den Bau kosten.“ (Der Spiegel, 19.5.2008)

„Der [sic!] Wert seines Hauses, das Ambani diesen Monat beziehen will, schätz [sic!] die britische Tageszeitung „Telegraph“ auf umgerechnet 717 Mio. Euro.“(Financial Times Deutschland, Bild 6)

„Das Haus wird weltweit das erste Wohnhaus sein, das eine Milliarde Dollar gekostet hat“ (Wikipedia)

Nur die engl. Wikipedia fällt aus der Reihe:

„According to Reliance Industries [d. Konzern des Milliardärs], Antilia cost between US$50–70 million to build.“ (Wikipedia)

Vermutlich haben wir alle gerade das selbe Problem: die Summen sind schlicht zu groß, um eine klare Vorstellung zu haben, was damit möglich ist, und was nicht. Darum erst eine kleine Leserkalibrierung…

Das im Bild rechts ist der Burdsch Chalifa in Dubai. Mit 828 Metern und 162 Stockwerken das derzeit höchste Gebäude der Welt. Baukosten: ca. 1,5 Milliarden US-Dollar. (Da hat sich der reichste Mann Asiens bei seinem Häuschen aber ganz schön über den Tisch ziehen lassen.)

Zurück zu Forbes. Die beriefen sich bei den zwei Milliarden ursprünglich auf den Marketingchef einer am Bau beteiligten US-Firma, mussten aber kurz darauf einräumen, dass dieser seine Aussage „zurückgezogen“ habe. Einen Monat darauf zitierte die New York Times einen Sprecher Ambanis. Dieser beschwichtigte, die Baukosten lägen in Wahrheit bei ca. 50 bis 70 Millionen Dollar.

Auch wenn es sich dabei eher nicht um den schlüsselfertigen Vollausbau handelt, bleibt dennoch eine gewaltige Differenz zu den kolportierten Summen. Das sieht man auch beim Wall Street Journal so und versucht dort — vorerst nur im Blog und noch ohne Beleg — gleich mit mehreren Legenden aufzuräumen:

„Die Einweihungsfeier findet nicht vor dem 28. Nov. statt, das Haus wird keine 600 Bediensteten haben […] und das Gebäude ist keine Milliarden wert (würde man es jedoch in einzelne Appartements aufteilen und jeden Quadratmeter zum gängigen Preis verkaufen […], dann könnte der Gesamtbetrag in diese Höhe gehen).“

Die klassische Verwechslung von Herstellungskosten und höchst theoretischem Verkaufswert also?

Ein findiger User im SkyscraperCity-Forum hat nachgerechnet und noch eine ganz andere Erklärung gefunden, warum der Forbes-Informant völlig korrekt die Summe von „zwei Milliarden“ genannt haben könnte: 50 Millionen Dollar entsprachen damals exakt zwei Milliarden … indischen Rupien.

Foto: (cc) Joi Ito

Hans Peter Lehofer ist Medien- und Telekomrechtler und ehem. Chef der Medienbehörde KommAustria. Dieser Gastbeitrag erschien zuerst in seinem Blog unter dem Titel „Journalismus vom Hörensagen (oder: muss man das First Amendment kennen, um darüber zu schreiben?)“

„Traurig genug, dass wir darüber reden müssen, was Pressefreiheit ist“, schreibt Helmut Brandstätter in seinem aktuellen Kurier-Leitartikel. Er setzt fort mit dem Lamento, dass wir in Österreich nun „über ein Thema diskutieren, das in den USA seit 219 Jahren geregelt ist: die verfassungsrechtliche Absicherung der Pressefreiheit.“ — und er kommt zu einem interessanten Ergebnis: „wenn das Redaktionsgeheimnis nichts mehr wert ist, brauchen auch wir eine Verfassungsbestimmung.“

Blöd nur, dass das Redaktionsgeheimnis in Österreich verfassungsrechtlich besser abgesichert ist, als es in den USA mit dem von Brandstätter gelobten „First Amendment“ der Fall ist. Denn Art 10 EMRK, in Österreich unmittelbar geltendes Verfassungsrecht, schützt auch journalistische Quellen. In den Worten des EGMR, jüngst im Urteil der Großen Kammer im Fall Sanoma Uitgevers (siehe dazu hier):

„The right of journalists to protect their sources is part of the freedom to ‚receive and impart information and ideas without interference by public authorities‘ protected by Article 10 of the Convention and serves as one of its important safeguards. It is a cornerstone of freedom of the press, without which sources may be deterred from assisting the press in informing the public on matters of public interest.“

Der erste Zusatzartikel zur US-Verfassung („First Amendment“) lautet (auszugsweise):

„Congress shall make no law … abridging the freedom of speech, or of the press“

Nun umfasst das allerdings keineswegs zwingend auch den Schutz des Redaktionsgeheimnisses („reporters‘ privilege“), sodass immer mehr US-Staaten dazu übergegangen sind, eigene „Shield Laws“ zu verabschieden, um das Redaktionsgeheimnis – unterhalb der Verfassungsebene – zu schützen. Der Supreme Court hat bislang nämlich einen allgemeinen Schutz des Redaktionsgeheimnisses abgelehnt (maßgebend mit knapper Mehrheit Branzburg v. Hayes aus dem Jahr 1972), der jüngste spektakuläre Fall in diese Richtung war „In re: Miller“ (siehe dazu hier oder hier), in dem es der Supreme Court abgelehnt hat, den Fall der NYT-Reporterin Judith Miller anzunehmen, die wegen ihrer Weigerung, journalistische Quellen offenzulegen, tatsächlich in Haft musste.

Zusammenfassend: in Österreich haben wir eine Verfassungsbestimmung, die — nach der Rechtsprechung — auch das Redaktionsgeheimnis schützt. In den USA — auf Bundesebene — nicht.

Traurig genug, dass wir darüber reden müssen, was journalistische Sorgfalt ist.

Illustration: Graffito auf der Berliner Mauer, (cc) Jotquadrat

 

Dieser Gastbeitrag von Robert Menasse erschien zuerst auf seiner Facebook-Seite, unter dem Titel „Die herrschende Meinung ist noch dümmer als die Meinung der Herrschenden“.

Gestern, am 12. September 2010 schrieb der KURIER-Kolumnist A. S. auf Seite 1, im sogenannten „Einserkastl“, über das „Thema Integration“ und die „Thesen“ von Thilo Sarrazin:

Wer hat jetzt recht? Sarrazin, der auch überzogen hat? Seine Kritiker, die ihn in vorauseilendem Gehorsam (wem gegenüber eigentlich?) mundtot machen wollen und damit eigentlich die Demokratie abschaffen?

Man weiß bei Herrn S. nie, ob er einen schlampigen Gedanken perfid formuliert, oder ob er bloß unfähig ist, einen naturtrüben Gedanken klarer zu formulieren. Versuchen wir einmal, ihn zu verstehen:

Er meint also, dass die Kritiker von Thilo Sarrazin „eigentlich“ die Demokratie abschaffen. Wir ersparen uns jetzt einen Exkurs über den „Jargon der Eigentlichkeit“, über den Adorno ein Buch geschrieben hat, das am Beispiel von (immerhin Heidegger) vorführt, wie Sprache zum Werkzeug der Täuschung wird, die sich gegen Kritik darüber immunisiert, dass sie jederzeit das Gegenteil des Geschriebenen als „eigentlich“ Gemeintes, das Gegenteil des Verstandenen als „eigentlich“ Geschriebenes, das Gegenteil von Sinn als „eigentliche“ Wahrheit behaupten kann. Man darf Herrn S. nicht vorwerfen, dass er auch dieses Buch nicht kennt, aber man muss ihn doch fragen, ob ihm klar ist, was er, um es in seinem Jargon zu sagen, „eigentlich“ geschrieben hat:

Die Kritiker von Thilo Sarrazin schaffen also „eigentlich“ die Demokratie ab. Das ist ein Satz, der ein Faktum behauptet. Nun ist aber, trotz heftiger, massiver, breiter Kritik an Sarrazin nirgendwo im deutschen Sprachraum, in dem „die Thesen“ von Sarrazin diskutiert werden, nachweislich abgeschafft worden, was hier unter Demokratie verstanden wird. Das ist ein Faktum, das völlig widerlegt, was er als Faktum behauptet. Ich habe den Verdacht, dass Herr S. eigentlich etwas anderes „eigentlich“ schreiben wollte, etwas anderes „gemeint“ hat: nämlich, dass das „wollen“ vom ersten Satzteil sich auch auf den zweiten bezieht, er also schreiben wollte: „mundtot machen wollen“ und damit auch die „Demokratie abschaffen wollen“ – allerdings hat er in der fünften Klasse Gymnasium gelernt, „unschöne Wortwiederholungen“ zu vermeiden, also hat er das zweite „wollen“ weggelassen“, statt das erste an das Ende des Satzes zu ziehen.

Aber selbst wenn er es „eigentlich“ so gemeint hatte – es wird dadurch nicht viel besser. Denn selbst für den Satz, dass die Kritiker von Sarrazin die Demokratie abschaffen WOLLEN, gibt es keine einzige faktische Bestätigung. Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass auch nur ein einziger Kritiker Sarrazins irgendwo, ganz entlegen, gesagt oder geschrieben hat: Wir wollen Thilo Sarrazin mundtot machen, weil wir wollen die Demokratie abschaffen.

Warum schreibt der Journalist einer Tageszeitung, die den Fakten verpflichtet sein sollte, also einen solchen Satz? Weil er ihn „eigentlich“ nicht so gemeint hat?

Wenn man länger darüber nachdenkt, kommt man zu dem Gedanken, dass Herr S. vielleicht „eigentlich“ etwas anderes gemeint hat: nämlich nicht „Demokratie“, also Wahlen, die Entsendung von Volksvertretern nach bestimmten, in der Verfassung geregelten Verfahren, die Bildung einer Regierung etc., sondern „Meinungsfreiheit“. Vielleicht hat Herr S. nur dies gemeint: die Gegner von Thilo Sarrazin schaffen die Meinungsfreiheit ab, oder wollen die Meinungsfreiheit abschaffen. Nun haben aber die Gegner von Thilo Sarrazin nachweislich die Meinungsfreiheit nicht abgeschafft – denn sie verbreiten ja sogar seine Meinung, indem sie mit ihm in allen Talkshows auf und ab diskutierten. Und sie WOLLEN auch die Meinungsfreiheit nicht abschaffen, weil es just die Gegner von Thilo Sarrazin sind, die genau wissen, dass im Fall der Abschaffung der Meinungsfreiheit es ihre Meinung ist, die zuallererst abgeschafft wird. Also wieder ein faktischer, und dazu noch ein interpretativer Unsinn von Herrn S.

Lesen wir die Sätze von Herrn A.S. nochmals, um zu begreifen, was er gesagt hat – und wir entdecken eine weitere Technik, bei der „eigentlich“ (im Sinn des „Jargons der Eigentlichkeit“) nicht nachgewiesen werden kann, ob Herr S. sie in bewusster Perfidie oder bloß mit naturtrüben Bewusstsein eingesetzt hat:

Herr Sarazin, schreibt er, „hat überzogen“ – das heißt: ein bissl übertrieben, aber das wird man doch noch dürfen, um etwas zuzuspitzen.

Seine Kritiker aber, schreibt er, wollen ihn Mundtot machen und die Demokratie abschaffen, also ihn zum Schweigen bringen und jede vernünftige Grundlage eines gedeihlichen Zusammenlebens zerstören.

Diese Formulierung drückt klar aus, welcher Seite die Sympathie von Herrn S. gilt. Sie ist allerdings so formuliert, dass Herr S. jederzeit behaupten kann, „eigentlich“ habe er das nicht so gemeint.

Wenn Herr S. geschrieben hätte: „Der Ku Klux Clan hat übertrieben, als er auf soziale Probleme in den Südstaaten der USA hinwies, aber Martin Luther King wollte diese besorgten Bürger mit ihren schicken Kapuzen mundtot machen“, wäre die S.-Technik heute augenfällig. Er hätte umgekehrt auch schreiben können: „Herr Sarrazin betreibt Volksverhetzung, aber ein erfreulich großer Teil der deutschen Zivilgesellschaft und der deutschen Medien übt daran Kritik“ – dies wäre, auf Grund der FAKTENlage genauso gerechtfertigt gewesen…. und da stellt sich natürlich die Frage, warum Herr S. seine Formulierung so gewählt hatte, wie er es „eigentlich“ tat (wenn wir immer noch voraussetzen, dass Herr S. seine Formulierungen bewusst wählt!)

Aber es wird ja noch abenteuerlich und zugleich auch verräterisch, wenn wir Herrn S. genau lesen: er schrieb ja nicht nur, dass die Kritiker Herrn Sarrazin „mundtot machen wollen“,  sonder auch, dass sie dies „in vorauseilendem Gehorsam (wem gegenüber eigentlich?) tun.“

Ich kann mir gut vorstellen, dass Herr S. beim schnellen Tippen plötzlich die Formulierung „in vorauseilendem Gehorsam“ hinschrieb, das kam plötzlich, ganz schnell, es muss ja schnell gehen, es muss eine Tageszeitung produziert werden. Da schreibt sich schon mal etwas ganz schnell von selbst, Floskeln, Phrasen, das fliegt einem routinierten Lohnschreiber, der ganz schnell für morgen etwas Geharnischtes schreiben soll, flott zu, und ich kann mir vorstellen, wie Herr S. in diesem Moment kurz stutzte und sich fragte: „Wem gegenüber eigentlich?“

Und da kam ihm diese Frage plötzlich sehr originell vor, kritisch, und dabei völlig logisch, da er, als ein Mann, der jede Zeile für Lohn schreibt und dabei weiß, wer die Eigentümer seines Mediums sind, und wem gegenüber er gehorsam zu sein hat, und wie er seinen Nimbus als „unabhängiger Journalist“ aufrecht erhalten kann, wenn er NICHT fragt, was er schreiben soll, sondern schreibt, was er WEISS, dass er schreiben soll, so eilig, so schnell…. für morgen! ….. Ich kann mir vorstellen, wie er, als ihm diese Frage einfiel („vorauseilend gehorsam. Wem gegenüber eigentlich?“),  sie ihm ungemein kritisch und kess vorkam, aber nicht so schmerzhaft, wie es eine selbstkritische Frage (die da so nahe lag) gewesen wäre, dass er gar nicht weiter darüber nachdachte und sie  tatsächlich gleich mit martialischem Gefühl hinschmierte: „Die Kritiker von Thilo Sarrazin wollen in vorauseilendem Gehorsam (!Mann, das ist kritisch!) aber wem gegenüber eigentlich? (Mann, das ist reflektiert!) ihn mundtot machen, Demokratie abschaffen……“

Tatsächlich ist diese Formulierung in diesem Kontext so unsinnig, dass es sogar bei einem Journalisten eine Entlassung rechtfertigen würde: Nicht jede Phrase passt in jeden Kontext. „Vorauseilender Gehorsam“ war noch nie der Grund für Kritik, die von der Zivilgesellschaft geäußert wird.

Wie wäre es zum Beispiel, wenn Herr S. statt „vorauseilendem Gehorsam“ den schönen, alten Begriff „Einsicht“ verwendet hätte, oder „Erinnerung“, „Wissen“, „Verpflichtung: Die Kritiker von Thilo Sarrazin üben Kritik in der Einsicht, wohin Volksverhetzung führt, die Spaltung der Gesellschaft, das Schüren von Hass. Sie haben noch die Erinnerung daran, was just in diesen Landen eine pseudowissenschaftliche Argumentation, die sich auf „Rassen“-Spezifika stützt,  schon einmal bedeutet hat, sie wissen, wohin Eugenik, Rassenlehre, Sterilisationsprogramme, SOZIALE Reinheitsgebote geführt haben, sie haben die Verpflichtung, dagegen aufzustehen und diesen Rückfall in die Barbarei, der mit dem unschuldigen „Ist-ja-wahr“-Gestus daherkommt, zu verhindern!!!! —- Da ist weit und breit kein „Gehorsam“, sondern, im Gegenteil, Widerstand gegen Tendenzen am Werk, die Menschen Grundrechte absprechen wollen – und dies wäre nach Herrn S. vom KURIER die „Abschaffung der Demokratie“?

Warum?

Dummheit?

Es wäre schön, wenn es Dummheit wäre.

Am selben Tag erschien in derselben Zeitung ebenfalls auf Seite Eins: „Die Blauen führen bei den unter Dreißigjährigen!“

Kann es sein, dass Herr S. seinen Unsinn, wie immer er ihn „eigentlich“ gemeint hat, „in vorauseilendem Gehorsam“ an die künftige Mehrheit in diesem Land geschrieben hat? Kann es sein, dass ein Zeilenschreiber-Idiot so luzid ist, dass er daran denkt, in einer „Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen“- Gesellschaft die Annonce aufzugeben: „Ich will auch morgen noch für Euch schreiben dürfen!“?