Um dem ORF eins auszuwischen spielt die „Kronen Zeitung“ ausnahmsweise einmal selbst Sprachpolizei – und scheitert damit. Die Kolumne „Klartext“ nimmt am 5. April die rassistischen Ausflüsse rund um FP-Politiker Andreas Mölzer zum Anlass, um den ORF über die vermeintlich korrekte Aussprache von Alabas Vornamen zu belehren:
(…) Selbstverständlich ist Alaba ein waschechter Wiener. Er heißt daher mit Vornamen David, und nicht „Deivid“ Alaba, lieber ORF.“
Es zeigt sich: Nicht nur der ORF unterliegt diesem scheinbar groben Irrtum. Auch Alabas Vater George, seine Schwester Rose (oder Ro-sé?) (01:36), der Ex-Präsident seines aktuellen Klubs und last but not least das Fußball-Ass selbst wissen nichts von dieser Sprachregel. Aber die „Krone“ weiß es eben einfach besser.
https://www.youtube.com/watch?v=r4TxJT0a2KM
Eines muss man der „Krone“ lassen: Wenn sie sich in ein Thema verbissen hat, bleibt sie hartnäckig dran. Mit beinahe allen Mitteln. Da werden Zusammenhänge herbei fantasiert, Quellen unsauber angegeben und Menschen pauschal verurteilt. Dieses Mal im Visier: Die ominöse „Bettelmafia“.
Die Story ist eingängig und wird seit Jahren nicht nur vom Boulevard verbreitet: Eine osteuropäische Bettelmafia zwinge verarmte Menschen auf heimischen Straßen zu betteln. Von diesem Geld leben die „Bosse“ in den Heimatländern in Saus und Braus. Beweise dafür sind bis heute rar. Natürlich sprechen sich zwar auch arme Menschen ab und „organisieren“ etwa eine gemeinsame Fahrt und Unterkunft. Mafiöse Strukturen im großen Stil konnten allerdings auch in wissenschaftlichen Arbeiten nicht nachgewiesen werden. Fakten scheinen für die Krone aber ohnehin zweitrangig zu sein – wie eine Artikelserie im Jänner zeigt.
Den Anfang macht die Salzburger Krone am 19. Jänner. Dort kommt ein rumänischer Botschaftsrat zu Wort, der über die Existenz einer Bettelmafia erzählt. Für die Krone sind das bereits unumstößliche Tatsachen.
Schon am folgenden Tag legt die Zeitung nach und liefert die passenden Bilder zu den Aussagen des Botschaftsrates. Sie stammen aus dem rumänischen Dorf Buzescu und wurden von „National Geographic Deutschland“ aufgenommen. Zu sehen sind posierende Kinder, die nicht gerade einen sympathischen Eindruck machen, und bizarr anmutende Villen in kitschigem Prunk.
Für die Krone ist klar:
„Ihre Besitzer sind Roma. Clans, die verarmte Menschen zum Betteln ins reiche Westeuropa schicken und auch noch mit „Metallhandel“ ihr Geld machen.“
Den Zusammenhang zwischen den Bildern aus Buzescu und Bettlern in Österreich stellt aber nur die Krone her, denn der Autor des National Geographic-Artikels Tom O‘Neill erwähnt das Thema Betteln mit keiner Silbe. Im Gegenteil: Dort steht, das Geld sei mit Altmetallhandel nach dem Zusammenbruch des Kommunismus verdient worden. Nicht nur, dass die Krone einen Zusammenhang zwischen den Bildern und einer Bettelmafia behauptet, sie suggeriert auch noch, dass es sich dabei um das Rechercheergebnis der deutschen Kollegen handelt.
Immerhin lässt die Salzburger-Krone in ihrem nächsten Artikel am 21.1. die „Gegenseite“ zu Wort kommen, in Gestalt des „Armenpfarrers“ Wolfgang Pucher aus Graz. Er bestreitet die Sichtweise der Krone vehement.
Und doch ist die Artikelserie in der Salzburger-Krone nichts im Vergleich mit der Oberösterreich-Ausgabe wiederum einen Tag später, am 22.1. Denn die Linzer Redaktion betätigt sich als journalistischer Resteverwerter und formt aus den haltlosen Behauptungen der Salzburger-Krone einen eigenen Bericht, bei dem man den Eindruck bekommt, die Zeitung selbst habe nach langer Recherche endlich die Bosse der Bettelmafia überführt.
Wieder verwendet man die eigentlich harmlosen Bilder von „National Geographic“. Plötzlich scheint die Krone aber zu wissen:
„Diese Villen werden mit Bettlergeld finanziert.“
Als Fotocredit liest man „Krone“. Ein Hinweis auf „National Geographic“ oder Metallhandel? Keine Spur.
Ungeachtet dessen, wie die fotografierten Villen tatsächlich finanziert werden, ob es in Zusammenhang mit der Armutsmigration auch kriminelle Strukturen gibt und inwieweit osteuropäische Bettler Opfer solcher Strukturen sind: Augenscheinlich ist der Krone beinahe jedes Mittel recht, um die Ressentiments in der Bevölkerung und den Mythos der Bettelmafia weiter zu bedienen.
Das zeigt auch die Wiener Ausgabe am 23.1. Am Titelblatt heißt es:
Tatsächlich geht es im Artikel um einen Vater, der seine Kinder an einem Bahnhof in Wien aussetzte. Ein tragischer Fall, keine Frage. Was das aber mit einer „Mafia“ zu tun haben soll, das weiß vermutlich nur die Krone.
Identifizierende Berichterstattung über Tatverdächtige ist prinzipiell unzulässig. Ausnahme: wenn zum Beispiel die Verfolgungsbehörden um Veröffentlichung bitten.
Da dies aber einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von möglicherweise unschuldigen — jedenfalls aber nicht verurteilten — Menschen darstellt, ist besondere Behutsamkeit und Zurückhaltung in der Berichterstattung angebracht.
Für derart sensible Themen hat die Kronen Zeitung ihren eigenen Experten:
Elendes, niederträchtiges Pack,
… He, Ihr [sic!] Dreckskerle, wie fühlt man sich, wenn einem die eigene Gangstervisage aus der Zeitung anspringt? … Verzerrt Panik Eure [sic!] widerwärtigen Gesichter?
Der Starkolumnist, der hier hemmungslos den Mob aufhetzt, fand übrigens auch, dass ein 14-Jähriger „alt genug zum Sterben“ ist, wenn er in einen Supermarkt einbricht.
Die Verantwortung, dass eine Fahndung nach Verdächtigen (!) nicht zur Menschenhetze wird, liegt allerdings auch bei den Behörden. Sie sollten nicht zu bequem zum Mittel der Öffentlichkeitsfahndung greifen — meint man zumindest in Deutschland.
Dort sollen klare Verwaltungsvorschriften für Ermittler und Staatsanwälte Auswüchse wie in Österreich vermeiden helfen. Problembewusst heißt es darin:
durch die … Namensnennung des Tatverdächtigen [entsteht] die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung … Die spätere Resozialisierung des Täters kann … erschwert werden … Eine Bloßstellung oder Schädigung des Tatverdächtigen oder anderer Betroffener, muss nicht nur in deren Interesse, sondern auch im Interesse der Strafrechtspflege möglichst vermieden werden.
Daher sei stets auch zu prüfen:
ob der … Fahndungserfolg nicht auch … erreicht werden kann, [indem] nur Medien von geringerer Breitenwirkung in Anspruch genommen werden, andere Formen … wie Plakate, Handzettel … gewählt werden … oder … auf die Verbreitung der Abbildung [verzichtet] wird.
Der Schweizer Presserat meint sogar, dass auch eine Öffentlichkeitsfahndung noch keinen Freibrief für die Medien darstellt:
Redaktionen sollten nicht reflexartig publizieren, wenn Behörden den Namen und das Bild eines Tatverdächtigen freigeben, sondern eigenständige berufsethische Überlegungen anstellen.
Leider zielt der Verweis auf die berufliche Ethik bei manchen ins Leere.
Update:
Die vier Männer haben sich der Polizei gestellt und ihre Unschuld beteuert. Und sie werden laut oe24.at den Krone-Kolumnisten verklagen – auf 60.000 Euro. Wir wünschen viel Erfolg.
Heute auf der Titelseite der „Krone“, ein Bildtext, wie ihn „Das Goldene Blatt“ oder „Frau mit Herz“ nicht hätten schöner erfinden können:
Obama tröstet Mandelas Witwe
Ein Bild voll Zärtlichkeit […] US-Präsident Barack Obama tröstet Mandelas Witwe Graça Machel und streichelt ihre Wange
„Ein Bild voll Zärtlichkeit“ … manchmal möcht ich echt was von dem Zeug, mit dem die „Krone“ ihre Redaktion belüftet. Mal abgesehen davon, dass Obamas Blick und Pose nicht so recht zur „Krone“-Deutung passen wollen, ist seine „streichelnde“ Hand deutlich unschärfer als die Wange der Witwe, also viel zu weit weg von ihr. Der Begleittext der Bildagentur hätte auf einen derart bewegenden Moment vermutlich hingewiesen, sagt aber nur, dass Obama auf dem Foto mit der Witwe spricht. Und ein weiteres Bild aus der selben Serie weist schließlich klar drauf hin, dass Obama hier in Wahrheit niemanden zärtlich gestreichelt, sondern schlicht woanders hingedeutet hat:
Nun war die Mandela-Trauerfeier doch eigentlich bewegend genug. Wozu also so ein dummer „Feel-Good-Schwindel“ auf Friseurblatt-Niveau?
Nun, bei der „Krone“ geht’s ja nicht bloß um Nachrichten, sondern vor allem darum, dass die Leser emotional angesprochen werden — gerade auch auf Seite eins. Vielleicht war die nüchterne Wahrheit im Bildtext der Agentur dafür einfach nicht schnuffig genug…
Großer Fotokasten: „[Dackel] ‚Schnuffi‘ nach Odyssee zu Hause“
Kleiner Fotokasten: „Nelson Mandela ist gestorben!“
Man muss das Problem der Kronen Zeitung schon verstehen. Echte Fotos vom drohenden Bürgerkrieg in Ägypten geben einfach zu wenig her. So ein Muslimbruder, der muss die „Krone“-Leser anspringen wie die schreiende Katze in einem schlechten Hollywood-Schocker:
Nein, den Vertikalhinweis in Mikroschrift lassen wir nicht gelten. Fotomontage-Hinweise, die schlechter erkennbar sind als die Manipulation, verfehlen ihren Zweck. Und ja, die Montage ist schlecht, aber sie erzielt einen gewünschten Effekt.
Dabei hatten wir doch erst letzten Sommer die schöne Syrien-Montage, mit der die „Krone“ weltweit Wellen schlug:
Davor den Kopf des Golf-Millionärs, dem die „Krone“ einen neuen Körper verpasste:
Im Vergleich fast harmlos, das Foto vom Panzerwagen, das vier Jahre später einer Hausräumung in Wien zugeschrieben wurde:
Königin Beatrix, die — plötzlich zehn Jahre jünger — scheinbar vor der Innsbrucker Uniklinik stand:
Die Hunde-Schockbilder aus der Ukraine, die von überall her kamen, nur nicht aus der Ukraine:
Der vermummte Student, der laut „Krone“ die Uni-Wände mit Parolen besprühte:
Ein Demonstrant, der fürs Titelblatt ein bisschen aggressiver an die Polizei herangerückt wurde:
Und viele viele mehr. Wir haben hier sicher nicht einmal die Spitze des Eisbergs angeschmolzen. Für das letzte Bild hat sich die „Krone“ — damals noch unter dem alten Dichand — übrigens so entschuldigt:
Durch ein äußerst bedauerliches Missverständnis wurde das ursprünglich querformatige Bild spätnachts reprotechnisch so verzerrt, dass der Demonstrant etwas näher bei der Polizei zu stehen schien, als dies tatsächlich der Fall war (rechts). Diese Montage geschah ohne Wissen der Chefredaktion. Wir bedauern diese technische Panne außerordentlich.
„Technische Panne“, klar.
Zwölf Jahre später, nachdem die Syrien-Fälschung aufgeflogen ist, kennt der junge Dichand solche Scham nicht mehr. Für ihn fehlte offenbar nur ein kaum lesbarer Alibi-Hinweis:
Während wir die Copyrights beider Fotos korrekt angegeben haben, fehlte leider der Hinweis darauf, dass es sich eben um das journalistische Stilmittel einer Fotomontage handelt. Wir entschuldigen uns für dieses Versäumnis.
Dieses Statement vom Herausgeber der größten Tageszeitung Österreichs hätte einen größeren Aufschrei verdient als die Fotomontage selbst. Denn das Problem ist nicht wie gut oder schlecht eine Manipulation erkennbar ist, sondern:
Wer das Lügen mit Bildern zum „journalistischen Stilmittel“ erklärt, dem ist in der Berichterstattung jede Verfälschung zuzutrauen.
Das haben Sie vielleicht noch nicht gewusst, aber: Bilder von Verstorbenen gehen automatisch in das Eigentum der Kronen Zeitung über. Ebenso verfällt das Recht auf Anonymisierung und Privatsphäre. Freunde, Bekannte und entfernte Verwandte erfahren so bequem beim Frühstück einfühlsam die tragische Nachricht.
Und dass an der ganzen Titelstory vielleicht gar nichts dran ist, wie die „Krone“ mitten im Artikel selber einräumt?
„[…] Auslöser dürften Hitze und Anstrengung gewesen sein“, wird vermutet. Da eindeutig kein Fremdverschulden vorliegt, wird der tragische Todesfall nicht weiter untersucht und keine klärende Obduktion vorgenommen. (Hervorhebungen von uns.)
Ja mei, Hauptsache, die erste Hitzetod-Schlagzeile des Jahres stand nicht in „Österreich“.
Ein 2-seitiger Krone-Artikel über Ernst Mayer, den Chef der „Fussl Modestraße“, riecht nach Schleichwerbung. Der Beitrag kreiert ein freundliches Bild eines selbstlosen Retters. Der gute Samariter ist doch tatsächlich so barmherzig, 60.000 Euro an „Menschen für Menschen“ zu spenden. Hilfsorganisationen zu unterstützen ist zwar eine gute Sache. Die Krone verwandelt die gute Tat allerdings in ein Werbetool für ihren Kunden. Denn dass wenige Seiten vor dem „Lobeslied auf Mayr“ ein Inserat von „Fussl“ platziert ist, untermauert die Vermutung, dass es sich hier um einen krummen Deal handelt.
Die Redakteurin schafft es mehr Information zum Modekonzern und dem spendablen Manager in den Artikel zu packen, als zu dem Hilfsprojekt selbst. In wohlwollendem Ton erfahren wir, dass sich der „Mode-Gigant“ „erfolgreich gegen internationale Billigketten behauptet“ und dass er von der Tour „tief bewegt“ ist.
Details zu Dauer und Ablauf des Projekts oder zum Bau der Schule werden dem Leser vorenthalten. Stattdessen erfahren wir in einer Infobox den Umsatz, die Anzahl der Mitarbeiter und Filialen, und woher die Firma ihren Namen hat.
Es findet sich nebenbei auch Platz um die Stiftung „Mensch für Mensch“ ins rechte Licht zu rücken und den Verdacht der Veruntreuung von Spendengeldern zu entkräften.
Dem nicht genug, vermittelt der Artikel das Weltbild: Fortschrittlicher Europäer hilft rückständigen Afrikanern. „Barfüßige und in Lumpen gekleidete Kinder“ winken „dem so fremd aussehenden Mann in dem nicht weniger faszinierendem Automobil“ zu, während „äthiopische Bauern mühsam mit einem Ochsengespann pflügen“. Eine weitere Passage beschreibt:“Dutzende Tagelöhner aus der Umgebung schweißen, hämmern, betonieren und sägen mit den primitivsten Werkzeugen, was das Zeug hält.“ Dies der Ton, der den gesamten Beitrag durchwächst.
Als Journalismus getarnte Werbung soll es in der Krone-Bunt ja auch schon im großen Stil gegeben haben
Scheinbar exklusiv verkündet die Kronen-Zeitung am Titelblatt, was allen anderen entgangen ist: einen „dramatischen Anstieg der Raubüberfälle“ und „alarmierende Zahlen“. Die Wahrheit sieht allerdings anders aus. Und woher die Krone ihre Zahlen hat, weiß nicht einmal die Polizei.
Das Kleinformat bezieht sich im Blattinneren auf den etwas ungewöhnlich Zeitraum zwischen September 2012 und März 2013. Im Artikel räumt man ein, dass österreichweit die Zahl der Raubüberfälle zurückging. „Weniger beruhigend“ sei jedoch der genaue Blick auf die Statistik:
Um auf „700 Prozent Anstieg“ zu kommen, leistet sich die Krone einen besonderen Kunstgriff: Von weit über tausend Raubüberfällen in Österreich wird just eine Auswahl genommen, wo im Vorjahreszeitraum genau ein einziger Überfall verzeichnet wurde, nämlich Trafiken in Niederösterreich. Ausgehend von diesem einen Fall löst jede weitere Anzeige natürlich eine prozentuelle Explosion aus. Der Anstieg auf acht Überfälle gleicht dann den atemberaubenden 700 Prozent. Übrigens: 2009 erwischte es zwölf Trafiken in Niederösterreich (siehe pdf, S. 156).
Dasselbe gilt auch für andere Zahlen der Krone, etwa Raubüberfällen in Wohnungen. Besonders in Wien ein angeblich dramatisches Problem:
Obwohl die Gesamtzahl an Rauben in Wien gesunken ist, schlugen Täter in Wohnungen und Häuser 21-mal öfter zu als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
21-mal öfter? Also ein Plus von 2.100 Prozent? Nein, natürlich nicht. Die Krone meint einen Anstieg von 45 auf 66 Anzeigen, ein Plus von 21. Im Jahr 2011 waren es 92 (pdf, S. 240).
Fraglich ist aber auch, wie sinnvoll es ist, Bundesländer einzeln zu betrachten. Räuber, die in einem Bundesland kein günstiges Ziel finden, gehen womöglich schlicht in ein anderes. Daher lohnt es sich, landesweite Zahlen heranzuziehen. Ein „dramatischer Anstieg“ sieht anders aus.
Zwei Dinge kann man hingegen mit Sicherheit sagen: 1. Raubüberfälle wird es weiterhin geben. 2. In Summe wurden sie in den letzten Jahren weniger:
(Achtung: 2012 ist noch ohne Bundesländer. Details siehe Auswahlmenü)
Die hier verglichenen Zahlen hinken allerdings. Die Krone bezieht sich auf Halbjahreswerte (September bis März), ich verwende die öffentlich zugänglichen Ganzjahresdaten aus den Kriminalberichten*. Es gibt in Österreich nur eine Stelle, die aus erster Hand Auskunft über die Zahl der Raubüberfälle geben kann – und zwar die Polizei. Was sagen also die Gesetzeshüter dazu?
„Zu den Zahlen in der Kronenzeitung gibt das Bundeskriminalamt keine Stellungnahme ab- diese sind nicht nachvollziehbar und stammen nicht von offizieller Seite„, so Pressesprecher Mario Hejl auf Nachfrage. Thomas Keiblinger von der Landesdirektion Wien ergänzt: „Aussagen zu Zahlen von 2013 sind nicht seriös. Diese Zahlen liegen noch gar nicht vor.“
* Zusatz
Kronen-Zeitung, Vorarlberg-Ausgabe, 23. Dezember 2012:
Kurz vor dem Ziel zückte der Südländer (einer von hunderten kriminellen Ausländern, die unsere Heimat unsicher machen) ein Messer.
Ich bin immer noch sprachlos, aber der Kabarettist Franz Joseph Moped hat auf Twitter Worte gefunden:
Bei kriminellen Ausländern liegt der Ausländeranteil bei 100% & die Kriminalitätsrate bei 100%. Sind 200% – doppelt soviel wie Österreicher!
— Franz Joseph Moped (@franzjoseph) January 9, 2013
(Danke an Philipp Metzler für den Hinweis!)
Ich fasse mal zusammen:
Ein junges, blondes Mädchen mit kurzem Rock („Heute”) wurde in einer Wiener Nacht-U-Bahn von zwei Männern, die „überraschend gut Deutsch gesprochen haben“ („Krone”) sexuell belästigt („Heute”) … also angepöbelt („Heute” im selben Artikel). Eine Lehrerin rief schließlich: „Schleicht’s euch raus, es reicht!“ und zog Parallelen zu einer Vergewaltigung in der selben U-Bahnlinie. Daraufhin eskalierte die Situation und die Frau wurde von einem dritten Mann ins Gesicht geschlagen (APA) oder auch von allen drei Männern verprügelt („Heute”). Wobei sie jedenfalls einen Kieferbruch erlitt (APA), um genau zu sein, einen Bruch des Oberkiefers („Heute”).
Um ganz genau zu sein, gar keinen Bruch:
„Frau S., Sie kommen gerade aus dem Spital, wie geht’s Ihnen?“
„Mir geht’s jetzt körperlich besser. Es ist der Kieferbruch ausgeschlossen worden, aber ich bin einfach geschockt.“
(ORF „heute mittag”, 27.12.)
Da hat also mitten in der Nacht eine Reisende in der Wiener U-Bahn einen Fausthieb kassiert, nachdem sie — nach eigenen Angaben — einen Streit mit aggressiven Fahrgästen verbal eskaliert hatte. Und daraus macht die größte Nachrichtenagentur des Landes eine „EILT“-Meldung.
Um das klarzustellen: Es geht hier nicht um Verharmlosung oder Entschuldigung dieses Vorfalls. Sondern darum, wie Journalisten auf Biegen und Kieferbrechen eine Gewaltserie herbeischreiben, weil nach einer schrecklichen Vergewaltigung das Thema „U-Bahn-Horror für Frauen“ gerade so schön „zieht“. Und um noch ein bisschen anzuschieben, hat „Heute“ sogar eine Presseaussendung zur Story gemacht (die erste seit Monaten). Damit andere Medien zeitnah aufspringen und die Mär von der unheimlichen Serie gemeinsam erst so richtig ins Rollen bringen.
Lob in diesem Zusammenhang an ORF.at, das einzige(?) Medium, das dem Kieferbruch ein „angeblich“ vorangesetzt und damit (sehr indirekt) den Tipp für diesen Kobuk gegeben hat.