Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: Kronen Zeitung

Eine Frau verliert ihren Sohn. Sie geht wenig später zu einem Krippenspiel in die Schule ihres Enkels und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Die „Kronen Zeitung“ macht daraus diesen menschenunwürdigen Artikel:

B5EHmIhCEAEZQiV

Eine „tobsüchtige Türkin“ habe mit wildem Geheule das Krippenspiel einer christlichen Schulklasse gestört. Ihre Tochter und ihr Mann sollen sogar noch „in das Geheule“ eingestimmt haben. Erst „hünenhafte“ Polizisten mit „gezückten Pfeffersprays“ konnten „das Trio“ wieder unter Kontrolle bringen.

Ein Brief (Volltext) der Schuldirektorin an die Eltern, den diese uns gegenüber telefonisch bestätigte, lässt die ganze Sache in einem anderen Licht erscheinen: Der Vater eines der Schüler war vor wenigen Wochen bei einem Unfall gestorben. Die Großmutter des Schulkindes, also die Mutter des kürzlich Verstorbenen, besuchte an jenem Abend das Krippenspiel. Die trauernde Frau habe die Klasse in einem Moment betreten, in dem eine Lehrerin kollabierte. Das habe bei der Frau einen Schock ausgelöst. Sie habe einen Nervenzusammenbruch erlitten, die Rettung brachte sie ins Krankenhaus.

Aus dem Brief:
lutherschule

Die Frau „platzte“ nicht in die Vorbereitungen des besinnlichen Krippenspiel: Sie war schlichtweg eingeladen – wie alle anderen Eltern und Großeltern auch. Warum die Frau einen Nervenzusammenbruch hatte, erwähnt die „Krone“ mit keinem Wort.

Der Artikel der „Krone“ blendet den Kontext aus und beleuchtet ausschließlich den Vorfall des Zusammenbruchs. So völlig losgelöst und verdreht mutet die Szene merkwürdig an. „Aber jederzeit wäre es möglich gewesen, Unklarheiten über die Direktion zu klären“, wird im Brief betont – diese Bemühungen wurden offensichtlich nicht unternommen:

kobuk1

Stattdessen trägt der Artikel beliebig Elemente – von Schleier über wildes Geheul bis zur rettenden Rolle einer „hünenhaften“ Polizei – zusammen, die auf Kosten einer trauernden Familie und einer Schulgemeinschaft ein Feindbild befeuern.

Update:

Es war die „Krone“-Schlagzeile der Woche in Salzburg und wurde auf der Facebook-Seite von FPÖ-Chef Strache umgehend zum meistgeteilten Posting des Jahres:

Salzburger Mindestrentnerin muss aus
Wohnung raus, weil Asylwerber kommen

2014-09-04_S1u16_Krone_Sbg_Kuendigung_wg_Asylwerber_821px

Einer 72-jährigen Mindestrentnerin sei also laut Kronen Zeitung völlig überraschend die Wohnung gekündigt worden. Sie müsse jetzt bis Ende April 2015 räumen, damit Asylwerber einziehen können.

Die schäbige Motivation des Wohnbauträgers ist für die „Krone“ als Kennerin der Asylpolitik und der Wohnungsvergabe klar:

Für Kenner der Asylpolitik und der Wohnungsvergabe ist die Sache klar: Pro Asylwerber gibt es 19 Euro vom Bund, […] in einer Wohnung sind es dann 2300 bis 3000 Euro im Monat für den Vermieter — in diesem Fall für die Wohnbauträger.

Das „Dumme“ nur, die Dame muss gar nicht aus der Wohnung raus: Bereits im August war auf Ersuchen ihres Sohnes eine Verlängerung des Mietvertrags zustande gekommen. Der „Krone“-Redakteur wusste das, drehte es aber für den flüchtigen Leser so, als sei diese Zusage erst nach seiner Anfrage aus Kulanz erteilt worden.

Der Mietvertrag war auch nie gekündigt worden: Er war von vornherein auf drei Jahre befristet und sollte 2015 ganz normal auslaufen. Die Wohnung war der Frau dem Vernehmen nach als Übergangslösung zur Verfügung gestellt worden, nachdem sie als Hausbesorgerin im Bereich ebenjener Wohnbaugesellschaft in Rente gegangen war.

Und es kann nicht um das Geld für Asylwerber gehen: Die betreffende Wohnung ist Teil eines speziellen Pools von Startwohnungen für bereits anerkannte Flüchtlinge (nicht Asylwerber). Diese müssen ein Dienstverhältnis nachweisen und ihre Miete selbst bezahlen. Womit das von der Kronen Zeitung unterstellte Abgreifen von Asylgeldern durch die Wohnungsgesellschaft hinfällig wäre.

Das legen jedenfalls die ausführlichen Stellungnahmen von Wohnbaugesellschaft und Diakonie nahe. Das Perfide: Diese Klarstellungen enthalten keine Information, die dem „Krone“-Redakteur — der übrigens auch schon für diese Bettlerhetze verantwortlich zeigte — nicht schon vor Veröffentlichung seiner stürmerischen Schlagzeile hätte bekannt sein müssen.

Aber mit der Headline …

Frau möchte in Startwohnung für Flüchtlinge bleiben.
Befristeter Mietvertrag auf Bitte des Sohns verlängert.

… lässt sich halt schwer gegen Asylwerber und Flüchtlinge Stimmung machen.

Tag 2: „Krone“ vs. Realität

Wie sehr die Realität der Kronen Zeitung manchmal ungelegen kommt, merkt man an der Fortsetzung der Geschichte, die bereits am Vortag groß angekündigt worden war:

In Salzburg jetzt aufgedeckt:
Zweihundert Wohnungen an Flüchtlinge

Es lässt sich nur mutmaßen, aber wahrscheinlich war eine große „Aufdeckerstory“ über Asylwerber geplant, die Österreichern geförderte Wohnungen wegnähmen. Das „aufgedeckt“ ist trotzig auf der Titelseite verblieben, wirkt mangels Missstand aber seltsam verloren und deplatziert.

Der Artikel im Blattinneren ist dann auch weniger mit Aufdecken beschäftigt, als mit wortreichem Zudecken und Nachreichen der unterschlagenen Fakten in der Falschmeldung vom Vortag.

Da heißt es gleich eingangs, bemerkenswert umständlich und trotz Kürzungen nahezu unlesbar:

2014-09-05_S18_Sbg_Krone_aufgedeckt_FaksimileDer Fall der […] Pensionistin […], die […] nach dem auf drei Jahre befristeten Vertrag die Wohnung wieder räumen hätte sollen, hatte — wie schon berichtet — ein zumindest vorläufig gutes Ende. Frau Z. wurde nach dem Schreiben vom 11. August (die „Krone“ druckte es am Donnerstag ab), dass man die Wohnung dringend für Flüchtlinge brauche — innerhalb einer Woche (am 19. August) per mündliche [sic!] Zusage für drei Jahre verlängert.

So liest es sich, wenn die Rechtsabteilung neben dem Redakteur sitzt.

Die Kronen-Zeitung leidet offenbar unter akutem Gedächtnisverlust. Anders kann man die aktuelle Titelseite kaum erklären. Einen „starken Anstieg der Flüchtlingszahlen“ gibt es heuer nämlich ebenso wenig wie „Rekordzahlen“.

Krone-Titelseite vom 3. August 2014, Foto von @the_boomerang

Krone-Titelseite vom 3. August 2014, Foto von @the_boomerang

Das Argument der Krone sind die Flüchtlingszahlen vom Juli. 2142 Menschen haben letzten Monat in Österreich Asyl beantragt. Laut Krone sind das besonders viele.

 

krone-flüchtlinge2_1

Immerhin steht“Rekordzahl“ unter Anführungszeichen. Eigentlich ist es aber schlicht keine Rekordzahl. Hier die Asylanträge im Juli seit 2001:



Wie man sieht: 2001, 2002 und 2003 gab es im Juli deutlich mehr Asylanträge als heuer. Oder anders gesagt: 2002 gab es im Juli um 76 Prozent mehr Asylanträge als heuer. Heuer gab es zwar einen Anstieg. Von einem Rekord kann aber keine Rede sein. Schon gar nicht, wenn man an echte Flüchtlingswellen wie während des Jugoslawienkrieges denkt, mit denen Österreich fertig geworden ist.

Es macht allerdings vermutlich nicht viel Sinn, ausschließlich die Asylzahlen einzelner Monate zu vergleichen. Flüchtlinge kommen ja über das ganze Jahr. Wie sieht es also im Jahresvergleich aus? Haben wir heuer einen „Rekord“? Oder zumindest einen „starken Anstieg“? Nein, haben wir nicht.



Heuer hatten wir seit Jahresbeginn ganze fünf Prozent mehr Asylanträge als im Vorjahr. In absoluten Zahlen macht das ein Plus von 495 Anträgen. Damit sollte eines der reichsten Länder der Welt gerade noch zurechtkommen. Der Boulevard aber offenbar nicht.

"Die Schande von Stein" (FALTER 21/14, S. 16)Man braucht schon einen guten Magen bei den Bildern, die der FALTER diese Woche veröffentlicht hat: Schwer entzündete, grauenhaft verschuppte Beine, zentimeterlange Fußnägel … ein 74-jähriger psychisch kranker Gefangener war in der JVA Stein so lange medizinisch unversorgt geblieben, bis im März schließlich Verwesungsgeruch aus seiner Zelle geströmt war.

Ein Skandal, der selbst den Justizminister „betroffen und zornig“ machte: Dieser Fall sei ein Zeichen struktureller Schwächen im Strafvollzug. Alle Umstände müssten aufgeklärt werden, so Brandstetter in einer ersten Reaktion.

Ganz anders sieht das die „Krone“ heute:

Ein "Skandal" in Anführungszeichen (Krone, 22.05.2014, S. 16)

Der Skandal ist für die Kronen Zeitung keiner, darum steht er in Anführungszeichen. Aus dem wegen Mordversuchs Inhaftierten macht sie plakativ einen Mörder. Und dass niemand Alarm geschlagen habe, sei schlicht falsch: so habe die „Häfen-Leitung“ doch „bereits“ im März Selbstanzeige erstattet.

Ja, nachdem es nicht mehr anders ging, weil oben erwähnter Verwesungsgeruch aus der Zelle getreten war. Monatelanges Vernachlässigen und Wegschauen als Falschmeldung darzustellen, weil am Ende notgedrungen eine Selbstanzeige erfolgte, das ist schon ein ganz spezieller Dreh.

Als weitere Entlastungsbeweise bringt das Blatt dann noch Auszüge aus dem Vernehmungsprotokoll des Inhaftierten. Darin gibt er an:

[…] dass weder das ärztliche Personal noch die Justizwachebeamten im Zusammenhang mit dem Sachverhalt irgendeine Schuld trifft. Ich habe den Verband verheimlicht.

Mal abgesehen davon, dass die Aussagen in ihrer Formulierung und Entlastungszielstrebigkeit so authentisch wirken, als hätte der Mann einen JVA-Ghostwriter gehabt — für die „Krone“ scheint es also okay, wenn ein psychisch Kranker, quasi „auf eigenen Wunsch“, sich selber überlassen bleibt und sprichwörtlich in seiner Zelle fast verrottet. Mitgefühl lässt sich nur gegenüber den Beamten erkennen, die suspendiert wurden, während doch

[…] der „Krone“ Dokumente vorliegen, die ein anderes Bild zeigen

Anwalt des kleinen Mannes?

Es ist nicht das erste Mal, dass die Kronen Zeitung kein Interesse an der Aufklärung von Missständen zeigt: Auffallend oft, wenn staatliche oder kirchliche Autoritäten ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, schlägt sich die „Krone“ fast reflexartig, noch bevor der Sachverhalt annähernd klar ist, auf die Seite der Obrigkeit. Als würde zu viel Aufklärung das Machtgefüge bedrohen, versucht sie in einer Art staatstragendem Selbstverständnis mögliches Unrecht unter den Teppich zu kehren und eine objektive Aufarbeitung zu unterbinden — bestenfalls durch Totschweigen, schlimmstenfalls per Kampagne gegen die Opfer.

"So tobte der Schubhäftling" (Krone, 5.5.1999)Das hatten wir beim unbescholtenen Marcus Omofuma, den die „Krone“ nach der tödlichen Abschiebung auf ihrer Titelseite verunglimpfte und später noch als Drogendealer verleumdete. Beim massenhaften Kindesmissbrauch durch Geistliche, den die Kronen Zeitung praktisch totgeschwiegen hat, während alle anderen Medien auf ihren Titelseiten berichteten. Und zum Beispiel auch bei jenem unbewaffneten 14-Jährigen, dem aus zwei Metern Entfernung von der Polizei in den Rücken geschossen wurde. „Krone“-Star Jeannée dazu: „Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben“ — was uns zurück zu den Eingangsworten dieses Beitrags führt.

Um dem ORF eins auszuwischen spielt die „Kronen Zeitung“ ausnahmsweise einmal selbst Sprachpolizei – und scheitert damit. Die Kolumne „Klartext“ nimmt am 5. April die rassistischen Ausflüsse rund um FP-Politiker Andreas Mölzer zum Anlass, um den ORF über die vermeintlich korrekte Aussprache von Alabas Vornamen zu belehren:

(…) Selbstverständlich ist Alaba ein waschechter Wiener. Er heißt daher mit Vornamen David, und nicht „Deivid“ Alaba, lieber ORF.“

_MG_3477

Es zeigt sich: Nicht nur der ORF unterliegt diesem scheinbar groben Irrtum. Auch Alabas Vater George, seine Schwester Rose (oder Ro-sé?) (01:36), der Ex-Präsident seines aktuellen Klubs und last but not least das Fußball-Ass selbst wissen nichts von dieser Sprachregel. Aber die „Krone“ weiß es eben einfach besser.

https://www.youtube.com/watch?v=r4TxJT0a2KM

 

Eines muss man der „Krone“ lassen: Wenn sie sich in ein Thema verbissen hat, bleibt sie hartnäckig dran. Mit beinahe allen Mitteln. Da werden Zusammenhänge herbei fantasiert, Quellen unsauber angegeben und Menschen pauschal verurteilt. Dieses Mal im Visier: Die ominöse „Bettelmafia“.   
Die Story ist eingängig und wird seit Jahren nicht nur vom Boulevard verbreitet: Eine osteuropäische Bettelmafia zwinge verarmte Menschen auf heimischen Straßen zu betteln. Von diesem Geld leben die „Bosse“ in den Heimatländern in Saus und Braus. Beweise dafür sind bis heute rar. Natürlich sprechen sich zwar auch arme Menschen ab und „organisieren“ etwa eine gemeinsame Fahrt und Unterkunft. Mafiöse Strukturen im großen Stil konnten allerdings auch in wissenschaftlichen Arbeiten nicht nachgewiesen werden. Fakten scheinen für die Krone aber ohnehin zweitrangig zu sein – wie eine Artikelserie im Jänner zeigt.

Krone SBG Bettler-Bosse leben in Villen 2014-01-19_Krone_Sbg_22 2014-01-20_Krone_Sbg_10 2014-01-20_Krone_Sbg_11 2014-01-21_Krone_Sbg_20 2014-01-21_Krone_Sbg_21

Den Anfang macht die Salzburger Krone am 19. Jänner. Dort kommt ein rumänischer Botschaftsrat zu Wort, der über die Existenz einer Bettelmafia erzählt. Für die Krone sind das bereits unumstößliche Tatsachen.

Schon am folgenden Tag legt die Zeitung nach und liefert die passenden Bilder zu den Aussagen des Botschaftsrates. Sie stammen aus dem rumänischen Dorf Buzescu und wurden von „National Geographic Deutschland“ aufgenommen. Zu sehen sind posierende Kinder, die nicht gerade einen sympathischen Eindruck machen, und bizarr anmutende Villen in kitschigem Prunk.

Villen in Rumänien

Für die Krone ist klar:

„Ihre Besitzer sind Roma. Clans, die verarmte Menschen zum Betteln ins reiche Westeuropa schicken und auch noch mit „Metallhandel“ ihr Geld machen.“

Den Zusammenhang zwischen den Bildern aus Buzescu und Bettlern in Österreich stellt aber nur die Krone her, denn der Autor des National Geographic-Artikels Tom O‘Neill erwähnt das Thema Betteln mit keiner Silbe. Im Gegenteil: Dort steht, das Geld sei mit Altmetallhandel nach dem Zusammenbruch des Kommunismus verdient worden. Nicht nur, dass die Krone einen Zusammenhang zwischen den Bildern und einer Bettelmafia behauptet, sie suggeriert auch noch, dass es sich dabei um das Rechercheergebnis der deutschen Kollegen handelt. 

Armenpfarrer Pucher in der Krone

Immerhin lässt die Salzburger-Krone in ihrem nächsten Artikel am 21.1. die „Gegenseite“ zu Wort kommen, in Gestalt des „Armenpfarrers“ Wolfgang Pucher aus Graz. Er bestreitet die Sichtweise der Krone vehement.

Und doch ist die Artikelserie in der Salzburger-Krone nichts im Vergleich mit der Oberösterreich-Ausgabe wiederum einen Tag später, am 22.1. Denn die Linzer Redaktion betätigt sich als journalistischer Resteverwerter und formt aus den haltlosen Behauptungen der Salzburger-Krone einen eigenen Bericht, bei dem man den Eindruck bekommt, die Zeitung selbst habe nach langer Recherche endlich die Bosse der Bettelmafia überführt.

 

Wieder verwendet man die eigentlich harmlosen Bilder von „National Geographic“. Plötzlich scheint die Krone aber zu wissen:

„Diese Villen werden mit Bettlergeld finanziert.“

OÖ-Krone OÖ Krone 2

Als Fotocredit liest man „Krone“. Ein Hinweis auf „National Geographic“ oder Metallhandel? Keine Spur.

Ungeachtet dessen, wie die fotografierten Villen tatsächlich finanziert werden, ob es in Zusammenhang mit der Armutsmigration auch kriminelle Strukturen gibt und inwieweit osteuropäische Bettler Opfer solcher Strukturen sind: Augenscheinlich ist der Krone beinahe jedes Mittel recht, um die Ressentiments in der Bevölkerung und den Mythos der Bettelmafia weiter zu bedienen.

Das zeigt auch die Wiener Ausgabe am 23.1. Am Titelblatt heißt es:

2014-01-23_Krone_Wien_01xTatsächlich geht es im Artikel um einen Vater, der seine Kinder an einem Bahnhof in Wien aussetzte. Ein tragischer Fall, keine Frage. Was das aber mit einer „Mafia“ zu tun haben soll, das weiß vermutlich nur die Krone.

Kronen Zeitung, Post von Jeannée, 10.01.2014, S. 18

Identifizierende Berichterstattung über Tatverdächtige ist prinzipiell unzulässig. Ausnahme: wenn zum Beispiel die Verfolgungsbehörden um Veröffentlichung bitten.

Da dies aber einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von möglicherweise unschuldigen — jedenfalls aber nicht verurteilten — Menschen darstellt, ist besondere Behutsamkeit und Zurückhaltung in der Berichterstattung angebracht.

Für derart sensible Themen hat die Kronen Zeitung ihren eigenen Experten:

Elendes, niederträchtiges Pack,
… He, Ihr [sic!] Dreckskerle, wie fühlt man sich, wenn einem die eigene Gangstervisage aus der Zeitung anspringt? … Verzerrt Panik Eure [sic!] widerwärtigen Gesichter?

Der Starkolumnist, der hier hemmungslos den Mob aufhetzt, fand übrigens auch, dass ein 14-Jähriger „alt genug zum Sterben“ ist, wenn er in einen Supermarkt einbricht.

Die Verantwortung, dass eine Fahndung nach Verdächtigen (!) nicht zur Menschenhetze wird, liegt allerdings auch bei den Behörden. Sie sollten nicht zu bequem zum Mittel der Öffentlichkeitsfahndung greifen — meint man zumindest in Deutschland.


Dort sollen klare Verwaltungsvorschriften für Ermittler und Staatsanwälte Auswüchse wie in Österreich vermeiden helfen. Problembewusst heißt es darin:

durch die … Namensnennung des Tatverdächtigen [entsteht] die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung … Die spätere Resozialisierung des Täters kann … erschwert werden … Eine Bloßstellung oder Schädigung des Tatverdächtigen oder anderer Betroffener, muss nicht nur in deren Interesse, sondern auch im Interesse der Strafrechtspflege möglichst vermieden werden.

Daher sei stets auch zu prüfen:

ob der … Fahndungserfolg nicht auch … erreicht werden kann, [indem] nur Medien von geringerer Breitenwirkung in Anspruch genommen werden, andere Formen … wie Plakate, Handzettel … gewählt werden … oder … auf die Verbreitung der Abbildung [verzichtet] wird.

Der Schweizer Presserat meint sogar, dass auch eine Öffentlichkeitsfahndung noch keinen Freibrief für die Medien darstellt:

Redaktionen sollten nicht reflexartig publizieren, wenn Behörden den Namen und das Bild eines Tatverdächtigen freigeben, sondern eigenständige berufsethische Überlegungen anstellen.

Leider zielt der Verweis auf die berufliche Ethik bei manchen ins Leere.

 

Update:
Die vier Männer haben sich der Polizei gestellt und ihre Unschuld beteuert. Und sie werden laut oe24.at den Krone-Kolumnisten verklagen – auf 60.000 Euro. Wir wünschen viel Erfolg.

Heute auf der Titelseite der „Krone“, ein Bildtext, wie ihn „Das Goldene Blatt“ oder „Frau mit Herz“ nicht hätten schöner erfinden können:

Krone_Titel_2013-12-11_ausriss2

Obama tröstet Mandelas Witwe
Ein Bild voll Zärtlichkeit […] US-Präsident Barack Obama tröstet Mandelas Witwe Graça Machel und streichelt ihre Wange

„Ein Bild voll Zärtlichkeit“ … manchmal möcht ich echt was von dem Zeug, mit dem die „Krone“ ihre Redaktion belüftet. Mal abgesehen davon, dass Obamas Blick und Pose nicht so recht zur „Krone“-Deutung passen wollen, ist seine „streichelnde“ Hand deutlich unschärfer als die Wange der Witwe, also viel zu weit weg von ihr. Der Begleittext der Bildagentur hätte auf einen derart bewegenden Moment vermutlich hingewiesen, sagt aber nur, dass Obama auf dem Foto mit der Witwe spricht. Und ein weiteres Bild aus der selben Serie weist schließlich klar drauf hin, dass Obama hier in Wahrheit niemanden zärtlich gestreichelt, sondern schlicht woanders hingedeutet hat:
obama_mandela_gettyserie

Nun war die Mandela-Trauerfeier doch eigentlich bewegend genug. Wozu also so ein dummer „Feel-Good-Schwindel“ auf Friseurblatt-Niveau?

Nun, bei der „Krone“ geht’s ja nicht bloß um Nachrichten, sondern vor allem darum, dass die Leser emotional angesprochen werden — gerade auch auf Seite eins. Vielleicht war die nüchterne Wahrheit im Bildtext der Agentur dafür einfach nicht schnuffig genug…

Krone_Schnuffi

Großer Fotokasten: „[Dackel] ‚Schnuffi‘ nach Odyssee zu Hause“
Kleiner Fotokasten: „Nelson Mandela ist gestorben!“

Man muss das Problem der Kronen Zeitung schon verstehen. Echte Fotos vom drohenden Bürgerkrieg in Ägypten geben einfach zu wenig her. So ein Muslimbruder, der muss die „Krone“-Leser anspringen wie die schreiende Katze in einem schlechten Hollywood-Schocker:

krone_aegypten_manipulaton

Nein, den Vertikalhinweis in Mikroschrift lassen wir nicht gelten. Fotomontage-Hinweise, die schlechter erkennbar sind als die Manipulation, verfehlen ihren Zweck. Und ja, die Montage ist schlecht, aber sie erzielt einen gewünschten Effekt.

Dabei hatten wir doch erst letzten Sommer die schöne Syrien-Montage, mit der die „Krone“ weltweit Wellen schlug:

Foto: derstandard.at

Davor den Kopf des Golf-Millionärs, dem die „Krone“ einen neuen Körper verpasste:

krone_millionenmann_manipulaton

Im Vergleich fast harmlos, das Foto vom Panzerwagen, das vier Jahre später einer Hausräumung in Wien zugeschrieben wurde:

krone_hausbesetzung_manipulation

Königin Beatrix, die — plötzlich zehn Jahre jünger — scheinbar vor der Innsbrucker Uniklinik stand:

Die Hunde-Schockbilder aus der Ukraine, die von überall her kamen, nur nicht aus der Ukraine:

krone_ukraine_manipulation

Der vermummte Student, der laut „Krone“ die Uni-Wände mit Parolen besprühte:

Foto: BILDblog

Ein Demonstrant, der fürs Titelblatt ein bisschen aggressiver an die Polizei herangerückt wurde:

Foto: https://imgur.com/OA9ku

Und viele viele mehr. Wir haben hier sicher nicht einmal die Spitze des Eisbergs angeschmolzen. Für das letzte Bild hat sich die „Krone“ — damals noch unter dem alten Dichand — übrigens so entschuldigt:

Durch ein äußerst bedauerliches Missverständnis wurde das ursprünglich querformatige Bild spätnachts reprotechnisch so verzerrt, dass der Demonstrant etwas näher bei der Polizei zu stehen schien, als dies tatsächlich der Fall war (rechts). Diese Montage geschah ohne Wissen der Chefredaktion. Wir bedauern diese technische Panne außerordentlich.

„Technische Panne“, klar.

Zwölf Jahre später, nachdem die Syrien-Fälschung aufgeflogen ist, kennt der junge Dichand solche Scham nicht mehr. Für ihn fehlte offenbar nur ein kaum lesbarer Alibi-Hinweis:

Während wir die Copyrights beider Fotos korrekt angegeben haben, fehlte leider der Hinweis darauf, dass es sich eben um das journalistische Stilmittel einer Fotomontage handelt. Wir entschuldigen uns für dieses Versäumnis.

Dieses Statement vom Herausgeber der größten Tageszeitung Österreichs hätte einen größeren Aufschrei verdient als die Fotomontage selbst. Denn das Problem ist nicht wie gut oder schlecht eine Manipulation erkennbar ist, sondern:

Wer das Lügen mit Bildern zum „journalistischen Stilmittel“ erklärt, dem ist in der Berichterstattung jede Verfälschung zuzutrauen.

Das haben Sie vielleicht noch nicht gewusst, aber: Bilder von Verstorbenen gehen automatisch in das Eigentum der Kronen Zeitung über. Ebenso verfällt das Recht auf Anonymisierung und Privatsphäre. Freunde, Bekannte und entfernte Verwandte erfahren so bequem beim Frühstück einfühlsam die tragische Nachricht.
Krone_Hitzetod

Und dass an der ganzen Titelstory vielleicht gar nichts dran ist, wie die „Krone“ mitten im Artikel selber einräumt?

Krone_Hitzetote_Titelblatt„[…] Auslöser dürften Hitze und Anstrengung gewesen sein“, wird vermutet. Da eindeutig kein Fremdverschulden vorliegt, wird der tragische Todesfall nicht weiter untersucht und keine klärende Obduktion vorgenommen. (Hervorhebungen von uns.)

Ja mei, Hauptsache, die erste Hitzetod-Schlagzeile des Jahres stand nicht in „Österreich“.