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damit ihr nicht müsst.

Kategorie: Kronen Zeitung

Oder in der deutschen Übersetzung: Kronen Zeitung – Tag für Tag ein Boulevardstück.

Krone – L’Autriche entre les lignes, so heißt der Dokumentarfilm der Belgierin Nathalie Borgers, den sich der ORF nie zu zeigen traute. Auf ARTE wurde er ausgestrahlt – worauf der Sender aus dem TV-Programm der „Krone“ flog.

Anlässlich des gestrigen Ablebens Hans Dichands hier die einstündige Doku in sechs Teilen:

Update 20. Juni: Der Rechteinhaber ließ die Doku inzwischen von Youtube entfernen. Mit etwas Suchen findet man sie aber auf anderen Videoportalen oder als Torrent.

Bösen Gerüchten zufolge hetzt die Krone auch deshalb so gerne gegen die EU, weil sie damit keinem ihrer größten Anzeigenkunden — wie z.B. der heimischen Regierung — auf die Füße tritt. Böse Gerüchte, wie gesagt, aber schwer zu entkräften, wenn wir die Titelstory der letzten Sonntagskrone etwas näher betrachten:

167 Prozent mehr für die eigene Propaganda
Spesen-Explosion im EU-Parlament!

Im Blattinneren, prominent auf Seite 3, heißt es weiter:

Freche Spesen-Explosion ohne Hemmungen im EU-Parlament

Sie predigen uns das Sparen, greifen aber selbst hemmungslos nach dem Geld, das unser Geld ist […] Den Vogel schießt aber der Posten „Förderung für Stiftungen“ der Parteien ab: von 4,3 Mio. [2008] auf 11,4 Millionen [2011]; das sind 167 %!

Ja, das wäre nicht nur in Krisenzeiten ziemlich frech von der EU — wäre es nicht die Krone, die in Wahrheit hier den Vogel abschießt.

Der aufmerksame Leser hat sich vielleicht schon gewundert, warum hier die Zahlen für 2011 mit jenen von 2008 verglichen wurden, und nicht mit jenen von 2010, was ja im wahrsten Sinne naheliegender und bestimmt auch fairer wäre. Aber um Fairness geht’s hier nicht…

Die Zahlen von 2008 sind für die Krone deshalb so verlockend, weil sie aus dem Anfangsjahr der Stiftungsförderung durch das EU-Parlament stammen. Und weil das Parlament damals erst im September die Finanzierung übernahm, decken die ausbezahlten Fördersummen für 2008 auch nur vier Monate ab (alles hier nachzulesen, incl. PDF mit Kostenaufstellung).

Das heißt, die Kronen Zeitung hat nicht nur zwei Jahre übersprungen, was alleine schon unseriös wäre. Sie hat in ihrem blinden Eifer auch noch die Zahlen für zwölf Monate im Jahr 2011 mit jenen für vier Monate im Jahr 2008 verglichen und regt sich nun fürchterlich über eine „Spesen-Explosion für Propaganda“ um ca. das Dreifache auf. Fast wäre es zum Lachen, stünde dieser haarsträubende Unsinn nicht auf der Titelseite der einflussreichsten Zeitung Österreichs.

Update: Die Krone bezieht sich auf die jüngst beschlossenen Zahlen für 2011, nicht wie ursprünglich hier geschrieben 2010 — hat also sogar zwei Jahre übersprungen. (Jahreszahlen wurden oben entsprechend korrigiert.)

Denn sie hat hier tatsächlich das Kunststück zuwege gebracht, faktisch nichts Falsches zu schreiben und dennoch die Leser komplett in die Irre zu führen. Wie nennt man das mit einem Wort? Ach ja.

Jetzt ist schon wieder was passiert. In einer Linzer Straßenbahn wurde ein 50- bis 51-Jähriger (hier gehen die Überlieferungen auseinander) niedergeschlagen, nachdem er sich über die laute Handy-Musik eines Jugendlichen beschwert hatte.

Hier ein paar Auszüge aus den Überschriften und Anreißern zu dieser Geschichte:

Weil sich ein Fahrgast über seine Musik am Handy aufgeregt hat, schlug ein Bursche zu. („Österreich“, 21.5.2010)

Ein 51-jähriger Fahrgast beschwerte sich bei einer Gruppe Jugendlicher. Ein 19-Jähriger rastete daraufhin aus, schlug und trat auf sein Opfer ein. (OÖN, 21.5.2010)

Ein Jugendlicher, 19, ging in einer Linzer Straßenbahn auf einen 50-Jährigen los, weil sich dieser über die laute Musik aus dem Handy des Burschen beschwert hatte. (Kurier, 21.5.2010)

In einer Straßenbahn ist am Mittwochabend ein Fahrgast (50) von einem 19-Jährigen verprügelt worden; der Mann hatte sich vorher über die laute Handymusik des Jugendlichen beschwert. (Die Presse, 21.5.2010)

Der Jugendliche ging auf den 50-Jährigen los, nachdem sich dieser über die laute Musik aus dessen Handy beschwert hatte. (Der Standard/APA, 21.5.2010)

Den detailliertesten Bericht lieferte überraschenderweise die Kleine Zeitung. Hier erfährt der geneigte Leser nicht nur, an welcher Haltestelle die Jugendlichen zustiegen (Hauptbahnhof), in welche Linie (Nr. 1), ja sogar fast bei welcher Türe („in den mittleren Wagen der Straßenbahngarnitur“) — auch der arabische Migrationshintergrund des Jugendlichen wird dezent thematisiert.

Kein Detail schien der Kleinen zu … klein, um ihren Lesern den Vorgang möglichst anschaulich und nachvollziehbar darzulegen. Bis vielleicht auf dieses hier:

Als der Bursch den 51-Jährigen auch noch mehrfach antippte, schlug ihm dieser entnervt das lautstark tönende Handy aus der Hand — und wurde daraufhin vom 19-Jährigen niedergeschlagen und auch noch mit Fußtritten attackiert. (Kronen Zeitung, 21.5.2010)

Ja, dass der ältere Herr, der sich bei dem Vorfall glücklicherweise nur leichte Prellungen zuzog, nicht bloß nett gefragt, sondern dem Jugendlichen das Handy aus der Hand geschlagen hatte, bevor die Lage eskalierte, das stand meines Wissens tatsächlich nur in „Österreich“ und Krone.

In Laakirchen wurde letzte Woche ein Rentner vor seinem Haus von Polizeibeamten erschossen, nachdem er diese mit einer Waffen-Attrappe bedroht hatte — vermutlich, weil er sie in der Dunkelheit für Einbrecher hielt. Die Kronen Zeitung berichtete, dass der 84-Jährige…

[…] eine geradezu panische Angst vor Einbrechern hatte. Deshalb hat [er] Attrappen einer Überwachungskamera und einer Wehrmachtspistole angeschafft. Und deshalb wollte der gehbehinderte Witwer offenbar auch sein Haus und seinen darin schlafenden Enkel bewaffnet verteidigen, als Mittwoch um 1.45 Uhr Früh ein Zeitungsausträger in der […]straße Nr. 10 an die falsche Adresse kam.

Die richtige Adresse, die steht jetzt in der Krone und weil Tote eher selten klagen, gleich auch noch sein voller Name. Ja, gegen Krone Crime View wirkt selbst Google mit seinen vorwitzigen Kameraugen wie ein strenger Datenschützer. Was im Nebel des bunten Faktenfeuerwerks aber untergeht, sind die wirklich spannenden Fragen zu diesem Fall:

  • Was versetzt einen Menschen, der in einer beschaulichen Wohngegend auf dem Land lebt, in derartige Panik vor Verbrechern?
  • Und wie kommt er auf den Gedanken, es sei eine gute Idee — ja vielleicht gar nicht mal so außergewöhnlich — Einbrechern mit der Waffe in der Hand entgegenzutreten?

Es wäre nun müßig, hier über den konkreten Fall zu spekulieren. Doch ganz allgemein gibt es durchaus Anhaltspunkte, was Menschen in ähnlicher Lage zu derart fatalem Denken und Tun bewegen — oder sagen wir mal — zumindest darin bestärken könnte.

Gehen wir einfach nur zwei Tage zurück, vor das tragische Ereignis, und dann noch etwas tiefer ins Archiv der Krone-Leserbriefe:

Amerika, du hast es besser
[…] „Und was gedenkt die österreichische Regierung gegen die ausufernde Kriminalität zu tun?“ Die Antwort lautet: Entwaffnung der potenziellen Opfer! […] Die USA gingen den umgekehrten Weg. Dort erlaubte man den unbescholtenen Bürgern das verdeckte Tragen von Schusswaffen. Und siehe da – die Schwerkriminalität sank eklatant. […] (Franz S., Ilz, 27.4.2010)

Pro FPÖ-Strache
[…] Ich habe in den letzten Monaten bereits zweimal „ungebetene“ fremdsprachige Personen in unserem Stiegenhaus (und Keller) angetroffen […] Ich bin ein alter Mann und habe keine Möglichkeit gehabt, diese Leute (Burschen im Alter zwischen 20 und 25 Jahren) anzuhalten, bis die Polizei kommt. Da diese Kerle bei unserem kurzen Gespräch ständig eine Hand in der Hosentasche hatten, musste ich annehmen, dass sie zum sofortigen Einsatz einer Waffe (z. B. Messer) bereit waren. […] Mit einer erlaubten Waffe könnte man diese Gauner wenigstens so lange anhalten, bis die Polizei kommt! (Gustav Z., Wien, 26.4.2007)

Für Fußballmeisterschaft Waffenschein besorgen!
[…] die internationalen Kriminellen […] werden massenweise nach Österreich strömen […] Jeder Geschäftsmann und Haus- bzw. Wohnungsbesitzer sollte sich einen Waffenschein besorgen und mit Pistole oder Gewehr bei Fuß sein Eigentum verteidigen […] (Martha W., Wien, 12.12.2007)

Oft zählen Sekunden…
Positiv überrascht nahm ich den Leserbrief von Frau W. [s. oben] zur Kenntnis, die den rechtschaffenen Bürgern angesichts der explodierenden Ost-Kriminalität rät, sich Waffen anzuschaffen und diese zur erlaubten Notwehr im eigenen Heim bereitzuhalten. Da in unseren Medien üblicherweise nur weltfremde Waffengegner zu Wort kommen, die uns Bürger wehrlos machen und der Gnade der Verbrecher ausliefern wollen, danke ich der „Krone“ für diese Veröffentlichung ganz besonders. […] (Mag. Christoph L., Wien, 18.12.2007)

Selbstschutz!
Tagtäglich erreichen uns immer mehr Meldungen von Einbrüchen. Gleichzeitig wird den Opfern bzw. zukünftigen Opfern geraten, sich möglichst wenig zu wehren. Kein Wunder, dass die Einbrecher gerne wiederkommen, wenn sie so behandelt werden. Das Ziel sollte die Wiederherstellung der inneren Sicherheit sein, statt Täter- sollte Opferschutz betrieben werden. Wenn nötig, dann auch mit Einsatz von Waffen, solange diese in Österreich noch frei ab 18 erhältlich sind. (Georg O., per E-Mail, 10.2.2008)

Notwehr!
Tatsache ist, dass die neuen Räuber mit einer ungekannten Keckheit in unsere „bewohnten“ Häuser und Wohnungen eindringen. […] Kriminologische Studien haben ergeben, dass Verbrecher in erster Linie das „bewaffnete Opfer“ fürchten. Andere Schutzmaßnahmen sind wünschenswert, aber die Pistole in der Hand ist besser als die Polizei am Telefon! […] Ich werde einen Einbrecher mit in Anschlag gehaltener Waffe empfangen. (Franz S., Ilz, 10.02.2008)

Neuartige Raubüberfälle
Der ORF-Teletext berichtet, dass Österreich unter einer „neuen“ Art von Raubüberfällen leide. So legen es Räuber und Einbrecher – offenbar seit der gänzlichen Öffnung der Ostgrenzen – darauf an, ihren Opfern persönlich zu begegnen. […] Ich verstehe jeden Hausbesitzer, der nichts auf die politische Gutmenschlichkeit gibt und sich nun zum Selbstschutz bewaffnet. (Roland R., Wien, 26.2.2008)

Sicheres Österreich? Bei jedem allerkleinsten Geräusch steh ich auf, die geladene Waffe im Anschlag!
[…] Bei jedem kleinsten Geräusch stehe ich auf und kontrolliere meine Wohnung, die geladene Waffe im Anschlag. Ich komme mir in meiner eigenen Wohnung bedroht vor wie Rambo im Dschungel. […] (Herbert S., Mistelbach, 28.7.2009)

Wenn Jugendliche mit tragischem Erfolg zur Waffe greifen, wissen wir sofort, was schuld war: Fernsehen, Internet und Killerspiele. Die unheilige Trinität der medialen Jugendgefährdung. Doch wie ist das bei älteren Semestern, wenn die mal aus dem Ruder laufen? Durch welches Medium werden sie verdorben? Wo holen die sich ihren täglichen Kick an Nervenkitzel und Gewalt? Sollten wir statt Killerspielen hier vielleicht nach Krone-Abos suchen?

Die Leser sind Dichands Medium. Durch sie spricht er zu uns und offenbart Einblicke in die Abgründe der österreichischen Seele — die vielleicht doch nur die seinen sind. Es geht das Gerücht, die meisten Briefe im „freien Wort“ seien von ihm höchstselbst erwählt. Manche auch geschrieben? Das scheint kaum nötig. Der Herausgeber nutzt geschickt das Potenzial seiner Millionen Leser — lange bevor Crowdsourcing im Internet ein Thema wurde. Und der „intelligente Schwarm“ spielt, was der Meister wünscht und virtuos zu seinem Bild der Wirklichkeit zusammenfügt. Nahezu täglich, auf drei (!) ganzen Seiten.

Viele Blätter distanzieren sich formal von den Inhalten der veröffentlichten Zuschriften. Die Krone nicht. Im Gegenteil, sie ging den umgekehrten Weg: Von seltenen Ausnahmen abgesehen, hat sie die Leserbriefe der Blattlinie unterworfen und ihre Schreiber zu einer Art Schattenredaktion formiert. Mit fixer Stammbesetzung und wechselnden freien Mitarbeitern für das von Freiheit befreite, letztlich nur mehr kosten-„freie Wort“.

Zugegeben, der Killerspiel-Vergleich, er trifft nicht ganz. Denn Killerspiele sind nicht real. Sie bewegen sich in den Grenzen einer virtuellen Welt und praktisch alle Spieler sind sich dessen bewusst. Was in der Krone steht, hingegen, ist real. Die täglichen Bedrohungen und fallweise drastischen Anleitungen zu deren Abwehr werden wahr, sobald nur ein Leser sie für wahr hält. Er wird, in welcher Form auch immer, darauf reagieren. Und damit wird das Wort zur Wirklichkeit, Teil unserer Welt und des echten Lebens. Oder frei nach Foucault: Der Diskurs erzeugt Realität. Das macht die Krone — im Vergleich zum Killerspiel — gefährlich.

Am 27. April titelten die Printausgaben von „Österreich“ und Kronenzeitung mit der Geschichte einer Frau, die ihren betrunkenen Ehemann auf der Autobahn aussetzte.

Doch die beiden Artikel sind ziemlich unterschiedlich. Schon beim Ziel des Paares sind sich beide Zeitungen – links die Krone, rechts „Österreich“ – uneinig:

Die Trennung der Tschechoslowakei wurde 1992 besiegelt, aber für die Kronenzeitung und „Österreich“ lässt sich ja vielleicht eine kurzzeitige Wiedervereinigung erwirken, damit beide Zeitungen Recht behalten.

Und was wurde aus dem betrunkenen Ehemann? Rechts die Krone, links „Österreich“:

Wohin seine Reise tatsächlich ging, bleibt wohl der Fantasie überlassen.

Auf einem Linzer Schutzweg wurde der einheimische 83-jährige Radler Walter F. vom Auto des 80-jährigen Hermann H. erfasst und zu Boden geworfen.

(OÖ-Krone, 24.4.2010)

Was die Krone ihren Lesern überraschend verschweigt:
Der Täter fuhr einen Ausländer.

Es gibt Tage, da merkt man schon beim ersten Blick – es stimmt was nicht, auf dem Boulevard:

Mord, weil Mutter Internet verbot (Österreich, 15.4.2010)

Fernseh-Verbot als Mordmotiv! (Kronen Zeitung, 15.4.2010)

Werden komplexe Sachverhalte in Schlagzeilen gegossen, läuft meist einiges daneben. Allzu einfache Erklärungen, oft widersprüchlich und falsch dazu, sind aber noch der kleinste Kollateralschaden…

Es mag in manchen Redaktionen ungläubiges Staunen hervorrufen, aber jugendliche Opfer und Straftäter genießen vor dem Gesetz einen besonderen Schutz. Über sie dürfen keinesfalls Informationen veröffentlicht werden, die dazu führen, dass sie außerhalb des unmittelbar informierten Personenkreises (wieder)erkannt werden könnten. Es sei denn, das öffentliche Interesse (nicht zu verwechseln mit Neugier) überwöge.

Bei Namen ist noch einigermaßen unstrittig, wie’s geht. Der Familienname wird auf einen Buchstaben gekürzt und der Vorname, sofern nicht allzu ungewöhnlich, ist in der Regel nicht weiter problematisch. Bei Fotos hingegen verhält es sich nahezu umgekehrt. Je tiefer im Boulevard, desto öfter entsprechen die Verfremdungen einem Namen, der lediglich um einen Buchstaben gekürzt wurde.

Und es scheint ja wirklich nicht ganz einfach, hier eine allgemeine Regel zu finden. Viele glauben irrtümlich, ein schwarzer Balken über den Augen reiche. Andere meinen, das ganze Gesicht sei unkenntlich zu machen. Naja, und die ganz Naiven fragen sich, wozu überhaupt ein Foto…?

In Deutschland gibt es seit einem Urteil des LG Hamburg immerhin einen gewissen Orientierungsrahmen, wie korrekte Anonymisierung jedenfalls nicht aussieht. Das Gericht sprach einer Klägerin 25.000 EUR zu, weil sie trotz Pixelung erkennbar gewesen sei. Zitat aus der Urteilsbegründung:

Auf dieser [Aufnahme] sind zwar die Einzelheiten der Gesichtszüge der Klägerin infolge der „Pixelung“ nicht zu erkennen; deutlich zu sehen […] sind aber ihre Kopfform, Ohren, Frisur, Körperhaltung und ihre Kleidung.

(LG Hamburg, 20.10.2006 – 324 O 922/05)

Das LG Hamburg ist zwar berüchtigt für seine rigiden Entscheidungen im Medienrecht, aber dass seine Einschätzung durchaus etwas für sich hat, wird klar, wenn wir uns vor Augen führen, wie österreichische Medien die Verdächtige im jüngsten Fall in etwa abgebildet haben:

Es handelt sich um nachgestellte Symbolfotos. Die Dame auf dem Bild ist definitiv unschuldig, vermittelt aber vielleicht einen Eindruck, warum „Anonymisierungen“ der gewählten Art nur bedingt zielführend sind.

Weitaus zielführender, wenngleich im negativen Sinne, waren da noch die zusätzlichen Angaben zu Umfeld und Person der mutmaßlichen Täterin:

  • Die „Kronen Zeitung“, eher offline orientiert (s. Titelbild), brachte nicht nur das unverfror… unverfremdetste Foto der 14-Jährigen, sondern als Leserservice für Kriminaltouristen auch noch eine Aufnahme des Hauses, in dem die Tat geschah, samt Bezirk und Straßenname(!) in der Bildunterschrift gleich mit dazu. Dass Fotos von Nachbarin und Wirt die Geheimhaltung zusätzlich hintertreiben, ist da schon fast egal.
  • „Österreich“, eher online verwirrt, stand dem kaum nach und zitierte gleich über Tage aus den „Hunderten Internet-Blogs“ [sic!] der mutmaßlichen Täterin. Reines Glück, dass Googeln der wörtlichen Zitate nicht auf ihr „geheimes Tagebuch“ [sic!] führt, da die Einträge in einer fremden Sprache verfasst wurden. Aber kein Grund aufzugeben. Zu den Zitaten veröffentlichte das Blatt auch noch zwei verschiedene Pseudonyme, die das „Internet-Mädchen“ [sic!] benutzt hatte — nur die Differentialdiagnostik per geeigneter Suchmaschine blieb noch dem geneigten Leser überlassen.

Natürlich wissen die Blätter, dass dieses Vorgehen wahrscheinlich ein gerichtliches Nachspiel haben wird. Die nachträglichen Zeilen- und Fotohonorare für die vermutlich gestohlenen und ohne Einwilligung veröffentlichten Inhalte, sowie eine angemessene Entschädigung für die Verletzungen der Persönlichkeitsrechte liegen bestimmt schon in der Portokasse bereit.

Foto: Mona L., Wikimedia (gemeinfrei)

Mangelnde Geschichtskenntnisse in der dpa und den angeschlossenen Redaktionen adeln eine altbekannte Tatsache zur neu entdeckten Sensation. Zufällig ist dabei auch ein 2009 erschienenes Buch im Spiel, das sein umtriebiger Autor geschickt zu vermarkten weiß. Aber der Reihe nach. Beginnen wir 1988, mit diesem kurzen Buchauszug:

Wer die These vom im Leben verarmten Mozart, der hoch verschuldet und im Armengrab bestattet gewesen sein soll, erfunden hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Das Bild des „verarmten Genius Mozart“ stammt jedenfalls aus der Romantik. Jeder Biograph versuchte, Mozart noch ärmer zu machen […] Ist etwa jemand verarmt, der mit 35 Jahren ein Industrielleneinkommen hat, eine noble Wohnung sich leistet, ein Reitpferd besitzt — das kommt heute einem hochkarätigen Luxuswagen gleich –, ein Billardspiel und Zimmer dazu besitzt?

„Collectanea Mozartiana“, Mozartgemeinde Wien (1988)

Dass Mozart, entgegen der Legende, ganz ausgezeichnet verdiente — obgleich davon durch seinen ausschweifenden Lebensstil wenig blieb — ist also schon lange bekannt. Und spätestens seit 2004, als auch in der Wikipedia Mozarts Jahreseinkommen auf umgerechnet ca. 125.000 EUR beziffert wurde, handelt es sich dabei um kein geheimes Offline-Wissen mehr.

Außer für die Deutsche Presse-Agentur. Diese berichtete nämlich am 5. April 2010, also ca. 22 Jahre nach meiner Buchquelle, fast sechs Jahre nach Wikipedia und drei Jahre nach dem „Mozartjahr“, diese sensationelle Neuigkeit aus einem (fast) druckfrischen Buch:

Mozart war keinesfalls ein armer Schlucker, das Musikgenie hat aber weit über seine Verhältnisse gelebt. In akribischer Recherchearbeit will dies ein Team um den Salzburger Autor und Mozartforscher Günther G. Bauer nachgewiesen haben.

Nachzulesen ist das in seinem Buch „Mozart. Geld, Ruhm und Ehre“. Am 10. April stellt Bauer seine bereits im vergangenen Jahr erschienene Arbeit in der Salzburger Stadtbibliothek vor.

[…] Fünf Jahre hat das 24-köpfige Team führender internationaler Mozartforscher – von Salzburg und Wien über Zürich bis Tokio – die Finanzen von Mozart in dessen Wiener Jahren (1781-1791) bestmöglich auf Kreuzer und Pfennig recherchiert und nachgerechnet. Das Ergebnis: „Er war doppelt so reich, als man bisher wusste. Er hatte in dieser Zeit ein Jahreseinkommen von durchschnittlich 5000 Gulden“, sagt Bauer. Die Umrechnung früherer Währungen ist problematisch, aber laut Bauer könnten dies heute bis zu 150 000 Euro sein.

[…] Das Bild vom „armen Mozart“ stimmt also nur insoweit, als dass „Wolferl“ mit seinem vielen Geld nicht auskam: „Mozart hat sein Geld verlebt in einem eigentlich aristokratischen Lebensstil, der ihm nicht zugestanden ist“, erläutert Bauer.

Ein Buch, in dem scheinbar genauer nachgerechnet wurde, das aber nüchtern betrachtet, keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse bringt und bereits seit über einem halben Jahr auf dem Markt ist, wird plötzlich zur Nachricht. Und dann noch das „24-köpfige Team führender internationaler Mozartforscher“, obgleich nur ein Name am Cover steht. Eigentlich hätte spätestens bei derart bescheidener Selbstdarstellung jemand stutzig werden und kritisch nachfragen müssen. Aber stattdessen wird lieber Geschichte geschrieben. Oder genauer, auf gut österreichisch, a Gschichtl druckt:

Mozart war Großverdiener – und Verschwender (krone.at, 5.4.2010)

Neues [sic!] Buch zu Mozarts Leben: Reicher Geldverschwender (tt.com, 5.4.2010)

Enthüllt: Mozart spielte 150.000 Euro im Jahr ein!
Von wegen armer Schlucker […] (heute.at, 6.4.2010)

Zumindest der Online-Redaktion der „Presse“ hätte dabei aber schon was auffallen können:

Mozart war Spitzenverdiener, kein armer Schlucker (diepresse.com, 6.4.2010)Mozart war Spitzenverdiener, kein armer Schlucker
Das musikalische Genie verdiente außergewöhnlich gut, haben Forscher nun [sic!] herausgefunden.

[…] Das weist ein Forscherteam um den Salzburger Autor und Mozartforscher Günther G. Bauer nun [sic!] nach.

Die Presse, 6.4.2010

Und direkt daneben verlinkt „AUS DEM ARCHIV“:

Maestro Mozart, der Millionär (diepresse.com, 30.1.2010)Maestro Mozart, der Millionär
Die Einkommenssituation von Wolfgang Amadeus Mozart dürfte viel besser gewesen sein, als die Forschung bisher dachte. ein „verarmtes Genie“ war er jedenfalls sicher nicht.

[…] Folgt man Günther G. Bauer, dem ehemaligen Rektor der Universität Mozarteum in Salzburg, dann verdiente Mozart außerordentlich gut.

Die Presse, 30.1.2010

Offenbar hat das Buch vor der dpa heuer schon mal ne kleinere Runde in den österreichischen Medien gedreht. Und „Die Presse“ wiederholt, schwer begeistert oder vergesslich, ihre Empfehlung nun im Vierteljahrestakt. Passend zu Mozart, irgendwie.

Der Amazon-Link zu Buch und Provision ist praktischerweise auch gleich mit dabei. Den Verkaufsrang (292.758, bzw. unter Mozartbüchern 49 von ca. 100) scheint dies allerdings noch nicht wesentlich beflügelt zu haben. Ob’s am Blatt liegt oder am Buch? Ein 42-köpfiges Team internationaler Medienwatchblogger wird dies in den nächsten Jahren klären.

Sachdienliche Hinweise könnten aber bereits jetzt die Leserkommentare unter dem älteren der beiden Presse-Artikel liefern. Ich gebe hier mal einige dieser persönlichen Meinungen wieder. Ausnahmsweise ungeprüft und unrecherchiert — sollen ruhig auch noch ein paar Journalisten ihre Arbeit tun…

Die zahllosen Peinlichkeiten in Bauers neuem Buch
beginnen schon damit, dass er das Bild von Cignaroli „Miozart im blauen Morgenmantel“ für echt hält. Bauers grobe Unkenntnis der Mozart-Literatur und seine Unbedarftheit als abslouter Nicht-Historiker können angesichts hier des vorgeführten Publicity-Aufwands nur verwundern.

Re: Die zahllosen Peinlichkeiten in Bauers neuem Buch
Ein sehr seltsames Buch. Das beginnt schon mit dem peinlichen Namedropping in einer Liste von „Mitarbeitern“, von denen manche nur eine Frage oder ein E-Mail beantwortet haben und sich einer gegen die Vereinnahmung nicht wehren kann, weil er lange tot ist. Besonders kurios wird es, wenn sich der Autor gescheiter als Mozart selbst gebärdet: „Die Kutschenfahrten kosteten mehr als der Komponist vermutete“! (S. 82)

Re: Re: Die zahllosen Peinlichkeiten in Bauers neuem Buch
Dass Mozart viel Geld verdient und nicht gratis gelebt hat, wussten wir schon. Der Autor hat die „Genaue Rechnungstafel“ von 1788 gefunden, fasst aber sonst nur die fehlerhafte Sekundärliteratur zusammen. Er hält den Deiner-Bericht für echt, glaubt, dass der Eingang des Camesina-Hauses in der Domgasse 5 lag und wenn er behauptet, Mozart habe anlässlich der Begräbnisse seiner Kinder Leichenschmäuse(!) veranstaltet, so wird klar, dass das Wien des 18. Jahrhunderts für Bauer ein total fremder Planet bleibt.

Den Haupttreffer in dieser ganzen Geschichte landete allerdings zweifellos eine Autorin beim deutschen Tagesspiegel. Sie war von der scheinbar neuen Scheinerkenntnis so aufgewühlt, dass sie ihren Artikel zur Hälfte dem Irrtum an sich widmete. Und dessen mögliche Auswirkungen auf die Rezeption von Mozarts Werk. Der Irrtum im Irrtum sozusagen. Trotz falscher Prämisse und Verkennung der Fakten, ein meisterhaft formuliertes kulturphilosophisches Highlight, mit tröstenden Aspekten für alle Beteiligten (zur Gänze hier nachzulesen):

Champagner für Mozart
Christiane Peitz schreibt die Musikgeschichte um [sic!]

Die Wissenschaft hat festgestellt: Mozart war doch nicht arm. Er hat nur über seine Verhältnisse gelebt.

[…] Aber klingt die Jupiter-Symphonie anders, wenn wir wissen, dass ihr Schöpfer weniger Wasser als Wein trank?

[…] Der Mensch mag Irrtümer gerne. […] Irrtümer bringen die Menschheit weiter. Ähnlich wie der Zweifel sind sie die fröhlichen Anarchisten im Wissensbetrieb. Nichts ist sicher, keine Erkenntnis ist in Stein gemeißelt, nicht mal die eigene. Es lohnt sich, die Welt jeden Tag neu zu erfinden. Ich irre mich, also bin ich. […]

Die Kronen Zeitung berichtete jüngst über diesen zu Herzen gehenden Fall später Gerechtigkeit:

Enkel fand flüchtigen Mörder seines Opas
[…] Clem Pellet hat den Mörder seines Großvaters 38 Jahre nach dessen Flucht aus der Haft im US-Staat Arizona wiedergefunden. Der inzwischen 78-jährige Frank Dryman muss jetzt lebenslang hinter Gitter.

Kronen Zeitung: Enkel fand flüchtigen Mörder seines Opas

Schöne Geschichte. Leider nur halb so spannend, wenn man sie in einer seriösen Zeitung oder Agenturmeldung nachliest. Der Mörder war nämlich keineswegs „aus der Haft“ geflohen. Er hatte knapp 15 Jahre abgesessen und befand sich bereits mehrere Jahre in Freiheit, auf Bewährung. Eines Tages tauchte er dann unter, womit er sich erneut straffällig machte. Was übrigens auch krone.at einige Tage vor dem Printartikel noch wusste.

Ob der Mann nun erneut auf Bewährung frei kommt oder zurück ins Gefängnis, wird voraussichtlich erst im Mai entschieden. Dass er „jetzt lebenslang hinter Gitter“ muss, ist daher eine weitere frei erfundene Zuspitzung für den Boulevard.

Die Krone erzählt weiter:

[…] Der Privatdetektiv stieß […] auf ein Alias von Dryman — Victor Houston. Einen Mann mit diesem Namen und dem richtigen Alter gab’s nur in Arizona City. Der Detektiv verständigte die Polizei, die Houston anhand von Fingerabdrücken als Dryman identifizierte und festnahm.

Diese Version der Geschichte deckt sich ebenfalls mit keiner verfügbaren Quelle und dürfte daher auch frei erfunden sein.

Medien vor Ort berichten, der Detektiv verfolgte die Spur von Drymans Sozialversicherungsnummer bis zur Hochzeitskapelle des Städtchens Arizona City. Dort fragte er „Victor Houston“, den Inhaber der Kapelle, nach „Frank Valentine“ (einem früheren Alias des Flüchtigen). Bei der Befragung fielen dem Ermittler an „Houstons“ Händen Tatoos auf, die zwar verändert worden waren, aber jenen von Dryman ähnelten. Auch das Alter des Mannes schien in etwa zu passen. Die hinzugezogene Polizei fand die Fingerabdrücke „Houstons“ zwar überraschenderweise nicht in der nationalen Datenbank, aber die Übereinstimmungen mehrerer Tatoos am Körper waren erdrückend. Nach kurzem Verhör gestand er daher seine wahre Identität.

Das ist schon irgendwie erstaunlich. Die Krone bekommt eine Agenturmeldung. Gibt diese in ihrer Online-Ausgabe korrekt wieder. Lässt sie dann einige Tage in der Redaktion abliegen. Und erzählt in der gedruckten Ausgabe die Geschichte dann so, als wäre sie bereits einige Generationen mündlich ums Lagerfeuer gegangen.

Aber vielleicht ist das ja das Geheimnis einer „guten“ Krone-Story…?

Die Krone-Schlagzeile des Tages:

Drei Kinder und keine Arbeit: Verzweifelter Vater als Bankräuber!
800 Euro Arbeitslose, Schulden und drei hungrige Kinder — ein Kärntner Familienvater wusste nicht mehr weiter und beging einen Doppelbankraub!

To: [email protected], [email protected], [email protected]
Subject: Abokündigung!

IHR FEINEN GUTMENSCHEN IN EUREM POLITISCHEN KORREKTHEITSWAHN FINDET DOCH IMMER IRGEND EINE EINE ENTSCHULDIGUNG FÜR DIE SCHLIMMSTEN STRAFTÄTER – UND WER BITTE DENKT AN DIE OPER!?!!! ES RIECHT! ICH KÜNDIGE HIERMIT MEIN ABO!!!

Franz W. Polter