Am 29.11. ging ein Artikel auf OE24.at online, der live vom Begräbnis des kleinen Berk, dessen Vater ihn Tage zuvor erschossen hatte, berichtete:
12.30 Uhr: In diesen Sekunden ist der Sarg mit dem kleinen Berk eingetroffen.
12.25 Uhr: +++ Vor dem Alevitischen Veranstaltungszentrum bei St. Pölten sind etliche Trauergäste bereits angekommen +++ von Minute zu Minute werden es mehr +++
Auf Medienethik wurde bei „Österreich“ in diesem Fall offenbar wenig Wert gelegt. Warum muss auf diese persönlichkeitsrechtsverletzende und niveaulose Art über ein Kinderbegräbnis berichtet werden? Das fragten sich auch Einige auf Twitter:
Warum wundert sich wer über den unsäglichen Begräbnis-„Liveticker“ auf oe24.at? Seit Tagen ist unverpixeltes Foto des Kindes in der Zeitung.
— Armin Wolf (@ArminWolf) Mai 29, 2012
oe24 macht Liveticker zum Begräbnis eines Kindes. Wolfgang Fellner muss geächtet werden. Von allen, die in unserer Branche Geld verdienen.
— Hanno Settele (@HannoSettele) Mai 29, 2012
was kommt als nächstes…bilderstrecke vom leichenschmaus? exklusivinterview mit dem bestatter? #fail #oe24
— Jürgen Hofer (@hofaj) Mai 29, 2012
Live-Ticker vom Kinderbegräbnis: Wegen euch muss man sich oft schämen Journalist zu sein #oe24
— Florian Gasser (@FlorianGasser) Mai 29, 2012
Dazu ergiebige Facebook-Diskussionen und Kritik von DerStandard.at, Presse.com, Horizont online, Futurezone und Kurier.at. DerStandard.at integrierte sogar einen umfangreichen „Live-Ticker Shitstorm“ und bat Medienanwältin Maria Windhager um eine rechtliche Stellungnahme:
„Ein Begräbnis ist ein klassischer Fall von Privatsphäre, die in der Öffentlichkeit stattfindet. Es ist ein absolutes Tabu, dort einzudringen, es sei denn, die Medien werden speziell zugelassen. Sich dem über einen Liveticker zu nähern ist genauso unzulässig und verpönt. Aus medienethischer Perspektive ist es selbstverständlich, dass man diesen Bereich achtet.“
Medienanwalt Alfred Noll ergänzt dazu:
„Medienrechtlich ist das – leider – unbedenklich. Derlei wäre aber Anlass für den Gesetzgeber, den Umfang des Persönlichkeitsschutzes zu überdenken.“
Futurezone bat den Presserat-Geschäftsführer Alexander Warzilek um seine Meinung: Dieser erklärte ausdrücklich, dass es bei diesem Fall eindeutig ist, „dass wir es mit einer medienethischen Übergreifung zu tun haben“. Nur mit welchen Sanktionen ist seitens des Senats zu rechnen, wenn „Österreich“ nicht zu den teilnehmenden Medien im Presserat zählt? Warum ist die Einhaltung des Ehrenkodexes der Presse noch immer freiwillig und diese Art der Berichterstattung rechtlich zulässig?
Beste Voraussetzungen für einen Live-Ticker bat außerdem die Tatsache, dass es Medienvertretern verboten war, am Begräbnis teilzunehmen, wie DerStandard.at schreibt:
„Polizisten schützten das Areal, für Medienvertreter war der Zutritt verboten.“
Aufgrund dieser großen Resonanz blieben auch Konsequenzen der Berichterstattung nicht aus. Die Sponsoren „Bet-at-home“ und „Microsoft“ bedauern die Werbeplatzierung und kündigten die weitere Unterstützung:
@georgholzer bet-at-home.com bedauert die unglückliche Werbe-Platzierung auf #oe24 und setzt diese mit sofortiger Wirkung aus.
— bet-at-home.com (@betathomecom_de) Mai 29, 2012
Microsoft Österreich hat die aktuelle Kampagne auf #oe24 mit sofortiger Wirkung ausgesetzt und ist um eine Klärung des Sachverhaltes bemüht.
— Microsoft Österreich (@MicrosoftAT) Mai 29, 2012
Darauf reagierte der Herausgeber Wolfgang Fellner mit folgender Stellungnahme auf DerStandard.at:
„Als ich davon erfahren habe, habe ich den Ticker sofort einstellen lassen.“ Der Liveticker selbst habe „sicher nicht in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingegriffen. In dem ganzen Ticker steht wörtlich nichts anderes als auch in den APA-Meldungen oder den Berichten anderer Online-Medien“, so Fellner.
Aus dem Originalartikel wurde die Live-Berichterstattung gelöscht und um eine User-Entschuldigung ergänzt. Zumindest etwas.
Wenn ein W. Fellner was zurücknimmt, dann ist echt was passiert. Der muss heute getobt haben. Glaub ich jedenfalls. derstandard.at/1336698140491/…
— Roman Rafreider (@RomanRafreider) Mai 29, 2012
1 Kommentar(e)
Über Medienethik sollte man meiner Ansicht nach einmal fundamentaler (auch beim ORF) diskutieren. Der Wiener Soziologe Peter Jedlicka hat unlängst dazu „Zehn Gebote für Nachrichtenredaktionen“ vorgeschlagen (Buch: „Medienverantwortung durch Nachrichtenauswahl“). Ein kompaktes Büchlein, das Sinn macht.
T. Binder