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und schauen fern.

Putins Propaganda-exxpress

Dieser Artikel erscheint parallel im Falter. Co-Autoren sind Florian Klenk und Barbara Toth.

Wie ein kleines, aggressives Online-Medium mit Steuergeld und Gerüchten die öffentliche Arena mit Putin-Propaganda flutet – und dennoch von ÖVP-Ministern hofiert und finanziert wird. Eine Dokumentation. 

Putin und Russland Propaganda im Exxpress

Schwarze Schrift auf lachsfarbenem Hintergrund: das Design der Website erinnert an die besten Blätter der Welt. Wie die Financial Times will der exxpress offenbar auf seine Leserschaft wirken. Aber was auf der Plattform geschrieben steht, das hat mit dem Qualitätsanspruch der Weltblätter nichts zu tun. Im Gegenteil, es liest sich wie Propaganda aus dem Kreml. Finanziert vom österreichischen Steuerzahler.

„Der Westen befindet sich momentan in einem regelrechten Anti-Russland-Wahn“, behauptete der exxpress etwa in einem Beitrag vom 22. Oktober 2022 im Ressort Politik. „Wäre es für die EU nicht sinnvoller, statt nach Selenskijs Geige zu tanzen und die Ukraine mit Waffen vollzupumpen, sowie Mörder ausbilden zu lassen, sich wieder an Begriffe wie „Frieden“, „friedliches Miteinander“, „gegenseitige Sicherheit“ oder einfach „Verhandlungstisch“ zu erinnern?“

Man muss zwei Mal hinschauen, um zu erkennen, dass diese Zeilen nicht exxpress-Chefredakteur Richard Schmitt geschrieben hat, dessen Name links neben dem Pamphlet in der Autorenzeile steht. Sondern der Botschafter der Russischen Föderation in Wien, Dmitrij Ljubinskij, ein Propagandist des Kriegstreibers Wladimir Putin, dessen Regime die Ukraine bombardiert und auslöschen will.

Ein österreichisches Medium druckt die Propaganda des russischen Regimes? Natürlich sei das „heikel“, gibt Schmitt in einer kurzen Einleitung zu bedenken, aber „nach zwei Tagen der Überlegung und Diskussion entschied sich der eXXpress dennoch dazu, diesen Gastbeitrag im Sinne unserer Unabhängigkeit und der in unserem Medienhaus stets gelebten Redefreiheit zu bringen“.

So wie es wohl im Sinne der „Unabhängigkeit“ war, den Angriffskrieg Russlands in einer Frage an den Botschafter als „Spezialoperation“ zu verharmlosen, so wie Putin den Terrorkrieg genannt wissen will. Geschehen im Frühjahr 2022. Schon damals hatte Schmitt den russischen Botschafter in einem schriftlichen Interview seine Phrasen abwerfen lassen. Die Leserschaft – oder das, was der exxpress dafür ausgibt –  jubelt. „Danke der Redaktion des exxpress für diese mutige Initiative“ schreibt einer. Ein anderer sekundiert: „Bravo, sowohl Zeitung, als auch Botschafter“: Ein dritter postet: „Diese links-grüne kriegstreiberische EU-Schickeria wird Europa in den Untergang führen.“

Die Welt, wie sie dem exxpress gefällt: da die „links-grüne kriegstreibende EU-Schickeria“ – dort der vom Westen in den Krieg gezwungene Wladimir Putin.

Man könnte all das als irrelevant abhaken. Ein Online-Portal, das russische Propaganda verbreitet, derer gibt es ja im Netz genug. Und doch ist dieser Fall anders gelagert. Denn der exxpress ist ein Medium, das den Diskurs in Österreich bewusst manipuliert – und das dennoch von ÖVP-Ministern und sogar einem grünen Politiker hofiert und mit reichlich Steuergeld überschüttet wird. FPÖ-Accounts, aber auch die Retweets von ÖVP Ministern oder sogar von Ex-Kanzler Sebastian Kurz verbreiten die Propaganda der Gerüchtemaschine.

Was ist der exxpress und wem gehört er?

Es sei ein Medium „für Selberdenker“ lautet die Selbstdefinition des Online-Mediums.  2021 wurde es von einem nur auf den ersten Blick gegensätzlichen Gespann in die digitale Welt gesetzt. Die publizistische Front des Mediums betreut Richard Schmitt, eine der umstrittensten Medienfiguren Österreichs. Sohn eines angesehenen oberösterreichischen Krone-Journalisten, Ducati- und Bundesheer-Fan, lernte Schmitt das Boulevard-Geschäft im Dichand-Imperium, bei Heute und Krone. Als „Berater des Herausgebers“ durfte er sich bezeichnen. Er leitete Krone.at, das Onlineportal des Massenblattes.

Dann kam der Bruch. Schmitt stürzte, so wie sein Freund Heinz-Christian Strache, im Frühjahr 2019 über den Ibiza Skandal. Der redselige FPÖ-Chef wollte ein „Mediensystem wie der Orban“ und hatte in dem legendären Video Journalisten generell als „die größten Huren auf dem Planeten“ bezeichnet. Bis auf einen: Schmitt. Den sah er als einen „der besten Leute, die es gibt“. Schmitt flog aus der Krone, eine Demütigung, die ihn nachhaltig kränkte.

Er kam bei der Konkurrenz unter. Bei der Mediengruppe Österreich der Familie Fellner war sein Krawall- und Unterstellungsjournalismus erwünscht. Negativ aufgeladene Aufregerstorys, die die Algorithmen der sozialen Medien bedienen: das ist Schmitts Spezialität und dafür übertrat er immer wieder die Grenzen der journalistischen Ethik und des Strafrechts. „Wenn der Richard Schmitt was schreibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht stimmt, recht hoch.“, schrieb einmal der Kobuk-Gründer Helge Fahrnberger. Schmitt verklagte Fahrnberger wegen dieses Satzes und verlor.

Schmitts Masche: Er stellt eine Unwahrheit als Frage in den Raum und verzerrt die Fakten so, dass sie gerade nicht klagbar, aber dennoch falsch sind. Dann stalkt er sein Opfer publizistisch über Wochen. „Wir sagen laut, was andere nur flüstern“, lautet ein exxpress-Claim. Schon in seiner Zeit bei der Krone perfektionierte er diese Methode. Im Online-Ping-Pong mit großen Social Media Accounts, die seine Stories posteten, pushte er seine Berichte.

Lange war Strache Schmitts Turbo, mit Strache bastelte er sogar phasenweise an der Gründung eines eigenen Mediums, wie Chatnachrichten zeigten, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ausgewertet hatte. „Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen“, erklärte es Schmitt einmal dem Magazin Fleisch.

Strache ist Geschichte. Aber „Traffic“ bringt natürlich auch, wenn man in den sozialen Netzwerken Geld einwirft. Und reichlich Geld sowie politische Rückendeckung steuert der zweite Teil des Gründerpaars bei: Herausgeberin Eva Schütz, ehemalige Hochleistungssportlerin, Juristin, Millionärsgattin. Sie arbeitete unter der türkis-blauen Regierung Sebastian Kurz I (2017-2019) im Kabinett des Ex-Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) und wurde in den Aufsichtsrat der ÖBB Rail Cargo entsandt.

Das Jahresbudget von 1,7 Millionen, das bei Gründung des Mediums für drei Jahre als gesichert galt, steuerte Eva Schütz auch aus ihrem Privatvermögen bei. Sagt sie. Viele vermuten, dieses Geld stamme in Wahrheit von ihrem Ehemann, dem Investor Alexander Schütz, einem nunmehrigen Geschäftspartner von Sebastian Kurz.

Schütz steht auf der Spendenliste der ÖVP, residiert privat in einem prachtvollen Schloss am Stadtrand, sein Büro bietet einen fantastischen Blick auf den Stephansdom. Mit dem exxpress will er nichts zu tun haben, wie er gerne betont, die Texte teilt er aber gerne auf seinen sozialen Netzwerken.

Schütz ist alles andere als ein Freund kritischer Berichterstattung. Im Februar 2019 riet er in einer privaten Emailnachricht an den mittlerweile inhaftierten Ex-Wirecardchef Markus Braun, er solle die Wirtschaftszeitung Financial Times wegen ihrer kritischen Berichte über Wirecard „fertigmachen“. Braun steht nun wegen Milliardenbetruges vor Gericht. Als diese Nachrichten im März 2021 publik wurden, kündigte Schütz seinen Rückzug aus dem Aufsichtsrat der Deutschen Bank an und entschuldigte sich. Ähnlich äußerte sich Schütz allerdings über die APA oder den ORF. Das „rote Zeckenparadies“, so chattete er, gehöre „aufgeräumt“.

Die Mehrheit im exxpress hält Eva Schütz, zweitgrößter Gesellschafter mit 25,1 Prozent ist die Libertatem-Stiftung mit Sitz in Liechtenstein. Die Namen der Stifter sind durch das strenge Stiftungsrecht im Fürstentum geschützt. Nur der Zweck der Stiftung ist öffentlich: „Förderung der Meinungsfreiheit“ und „die Förderung von kritischem Journalismus“. Beteiligt am exxpress ist auch Chefredakteur Schmitt mit rund zehn Prozent.

Im Zweifel steht Schmitt auf der Seite seiner Gesinnungsfreunde oder Financiers.  Die Ermittler der WKStA greift er als Teil eines roten Netzwerkes an. Justizministerin Alma Zadic unterstellte er wochenlang ein Plagiat – ein frei erfundener Vorwurf, wie die Uni Wien klarstellte. Den grünen Christoph Chorherr machte er jahrelang als mutmaßlichen Verbrecher fertig, mit dubiosen Zeugen, deren Aussagen offenbar frei erfunden waren. Im exxpress streut er gemeinsam mit dem strafrechtlich (nicht rechtskräftig) verurteilten Novomatic-Lobbyisten Gert Schmidt immer wieder Unwahrheiten über Ermittlungsbehörden und investigative Medien. Dennoch macht ihm die halbe Bundesregierung die Aufwartung: Immer wieder besuchen sie Schmitt demonstrativ in der Redaktion und gewähren ihm damit nicht nur ihre Präsenz, sondern versorgen ihn auch mit Steuergeld in Millionenhöhe.

Seit Putins Invasion in der Ukraine hat der exxpress eine neue Marktlücke gefunden:  Kreml-Propaganda in verschiedenen Variationen. Der „Leserbrief“ des russischen Botschafters Dmitri Ljubinskiy, in dem „der Westen“ als Hauptkriegsführer dargestellt wird, ist dafür nur ein Beispiel.

Woche für Woche bringt Schmitt Berichte über eine angeblich florierende russische Wirtschaft, die den westlichen Sanktionen trotze. Dem gegenüber: Berichte über drohende soziale und wirtschaftliche Schäden in der EU aufgrund der Sanktionen. Man könnte meinen, es handelt sich hierbei um Meldungen des in der EU verbotenen russischen Staatsmediums RT-News.

Schmitt setzt via Twitter – wo er nur 16.500 Follower hat – manchmal noch eins drauf und vergleicht die EU und Deutschland mit dem Nazi-Reich: „Warum sollten jetzt 40 Marder-Schützenpanzer das schaffen, was 3600 Panzer plus 3,6 Millionen Soldaten Eurer damaligen Regierung 1941 nicht geschafft haben? Wär´s nicht besser, dieses Mal auf Diplomatie zu setzen?)“, twitterte er im Januar 2023 in Richtung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz. Nachsatz „PS: Verurteile auch den russ Angriff auf die Ukraine“.

Russische Desinformationskampagnen und absurde Tweets verdichten sich im Blatt zu Schlagzeilen, die dann auf FPÖ-Facebook-Seiten geteilt werden. So schreibt der exxpress allen Ernstes, die Ukraine hätte “62.000 Liter Blut aus NATO-Beständen” erhalten. Davon seien  “6,3 % AIDS-verseucht”. Ein angebliches Dokument aus dem ukrainischen Gesundheitsministerium solle das belegen. Zusatz: „Die Echtheit dieser Dokumente kann von neutraler Seite aktuell noch nicht verifiziert werden.” Es handle sich möglicherweise um von Russland gefälschte Dokumente, so der exxpress selbst. Tatsächlich hat der russische Propagandakanal MASH die falsche Geschichte über Telegram verbreitet. Das ukrainische Gesundheitsministerium hat die Informationen offiziell dementiert.

Auffällig sind auch Häufigkeit und Frequenz, mit der Russland-freundlichen Stimmen eine Plattform geboten wird. Eine ganze Reihe an Artikeln gibt es etwa über Karin Kneissls Ansichten zum Krieg. Die Kommentatorin des Putin-Propagandasenders RT-News und nunmehrige Leiterin eines russischen Thinktanks, weltweit bekannt geworden durch ihren Hochzeitsknicks vor dem Diktator in der Südsteiermark, verbreitet seit Monaten auf ihrem Twitter-Account die Erzählungen des Regimes und romantische Fotos aus Moskau. Österreich sei nicht neutral, schreibt Kneissl. Die Sanktionen würden nicht funktionieren. Wladimir Putin habe vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag nichts zu suchen.

Weitere Wortspenden, mit denen der exxpress seine Kriegsberichterstattung stützt, kommen vom Schweizer Putin-Bewunderer Roger Köppel („Macht sich zum Sprachrohr Putins“, von Neue Zürcher Zeitung), Jacques Baud („Ein Schweizer Geheimdienstler auf Putins Mission“, Der Blick), Kim Schmitz („Putins bester Mann bei Twitter“, Die Welt), der deutschen Linkspolitikerin Sarah Wagenknecht oder dem russischen Propaganda-Account Geo_monitor.

All diese Berichte haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sind journalistisch unsauber, und sie transportieren die Lügen des Kremls unter dem Deckmantel der „Ausgewogenheit“. Drei Narrative sind im exxpress besonders beliebt:

Erstes Narrativ: Die Ukraine-Hilfe ist nicht mit der Neutralität vereinbar

Propaganda Narrativ: Ukraine-Hilfe ist nicht mit Neutralität vereinbar

Besonders skurril war etwa eine Presseaussendung der exxpress-Redaktion vom zweiten  Februar 2023. Der russische Botschafter in Wien warnte darin vor Vergeltungsmaßnahmen infolge der österreichischen Entscheidung, nach Bekanntwerden des Butscha-Massakers vier russische Diplomaten auszuweisen. Der exxpress schlussfolgert, dass es „massive Probleme“ für Österreich zur Folge hätte, wenn einem die Atommacht Russland die Neutralität abspricht.

Über einen “brisanten Anruf” Selenskyjs bei Karl Nehammer schrieb der exxpress in einer OTS-Aussendung. Auch andere Medien berichteten über das Telefonat. Sie zitieren Nehammer allerdings nur damit, dass er humanitäre Hilfe zugesichert habe. Der exxpress gab vor, wesentlich brisantere Exklusivinformationen zu haben: Der ukrainische Präsident habe Österreich aufgefordert, Munition zu liefern. Woher diese Information stammt, wird verschwiegen. Das Kanzleramt dementierte die Ente: Waffenlieferungen wären bei dem Gespräch kein Thema gewesen.

Artikel um Artikel zeichnet das Medium dennoch das Bild eines Österreichs, das seine Neutralität zugunsten der Ukraine verletze und damit Vergeltungsmaßnahmen Russlands riskiere. Die Quellen des exxpress?  Der Telegram-Kanal der russischen Botschaft, die russische Nachrichtenagentur RIA, das Facebook-Profil von Botschafter Ljubinskiy oder das russische Fernsehen. Reine Kreml-Propaganda also. Sie sickert in unzählige Geschichten. Das ist etwa  die Story vom kategorischen Ausschluss russischer Läufer beim Vienna City Marathon. Eine glatte Falschmeldung, eine Anmeldung war für Läufer jeder Nationalität offen. Der russische „VCM Ambassador“ Leon Terentiv bot seine Lauf-Unterstützung mit dem Slogan „Stop the war in Ukraine“ an.

Nun ist die Frage der Neutralität angesichts der nahen Grenze eines Krieges in den vergangenen zwei Jahren berechtigterweise auch von anderen Medien aufgegriffen worden. Dem exxpress scheint das Thema aber ein besonderes Anliegen zu sein. So druckt er im Oktober 2022 einen offenen Brief an die Bundesregierung, in dem zur Wiederherstellung der österreichischen Neutralität aufgerufen wird, in voller Länge ab. Urheber ist die „Union Souveränität“, die sich zuvor gegen die gesamte Pandemiepolitik der WHO und der EU stark gemacht hat. Chefredakteur Schmitt ruft zusätzlich auf seinem Twitter-Account dazu auf, diesen Brief zu unterschreiben. Zu den Unterstützern gehören bekannte Namen aus der rechten Szene und auch der Verschwörungs-Blog report24.

Was der exxpress ausspart: Völkerrechtsverletzungen zu verurteilen und sich politisch solidarisch mit einem angegriffenen Land zu zeigen, ist durchaus mit der militärischen Neutralität, wie sie die Verfassung festhält, vereinbar, wie der Völkerrechtsexperte Ralph Janik oder der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger betonen. Sogar Waffenlieferungen können im Übrigen von der Neutralität gedeckt sein.

Eine sachliche Diskussion der Neutralitätsfrage sucht man im exxpress vergeblich. Trotz etlicher Artikel zur angeblich verletzten Neutralität wird kein anerkannter Völkerrechtsexperte dazu interviewt.

Schmitt, mit den Vorwürfen von kobuk und Falter konfrontiert, sieht das so. „Die humanitäre Hilfe für notleidende Ukraine (sic!) ist selbstverständlich mit der Neutralität vereinbar – wir vom eXXpress-Team unterstützen selbst die aktuelle große Hilfsaktion der Caritas für die Familien in Kherson. Ebenso berichte der exxpress immer wieder über die großen Initiativen der Stadt Wien und der Bundesregierung über die Zusendung von Feuerwehrautos, etc an die Ukraine.“
Nicht zu verwechseln sei dies mit der exxpress-Kritik „an den Zahlungen der österreichischen Steuerzahler an das Consilium der Europäischen Friedensfazilität, aus dessen Budget Waffen und Munition für die Streitkräfte der Ukraine finanziert werden“. Eine sachliche Diskussion, behauptet Schmitt, finde nicht statt, weil die österreichische Innenpolitik dieses Thema „bewusst ignoriert“. Eine Gefährdung der Neutralität sei jedoch durchaus gegeben. 

 

Zweites Narrativ: Die Sanktionen schaden uns mehr als Russland

Propaganda Narrativ: Die Sanktionen schaden uns mehr als Russland

Auch die Sanktionen des Westens gegen Russland beschäftigen den exxpress. Die Conclusio der Onlineseite: der Westen schade sich massiv, Russland hingegen profitiere.

Berichte über die Resilienz der russischen Wirtschaft sollen dies belegen. “Von einem Rückzug im großen Stil kann [jedoch] keine Rede sein”, schreibt der exxpress beispielsweise und bezieht sich auf eine Liste angeblich in Russland tätiger westlicher Unternehmen, die sich als Fake herausstellte. Tatsächlich waren darin hauptsächlich russische Oligarchen und russische Firmen aufgelistet.

Für den europäischen Winter 2022/23 waren im exxpress auffällig viele Katastrophenprophezeiungen zu lesen: kein Gas mehr, kein Bargeld mehr, Unruhen, Blackout. Der Westen, so der Tenor der Redaktion, habe sich mit seiner Politik selbst in die Energiekrise gestürzt („Europas selbstverschuldete Energiekrise. Der eXXpress berichtet laufend darüber“).

Die Ablehnung der Sanktionen sieht der exxpress auch durch eigens in Auftrag gegebene Meinungsumfragen unterstützt. Weil zuletzt im April von 1.000 Befragten 41% für die Aufhebung stimmten, titelte der exxpress, dass die „meisten Östereicher“ ein Ende der Sanktionen wollen.

Schmitt kontert, er wiederhole also nicht “ein beliebtes Narrativ des eXXpress“, sondern es handelt sich um absolut seriöse Umfragen (Sample: 1000 Befragte) eines deutschen Meinungsforschungsinstituts, das auch in Österreich tätig ist.

Eine Aufhebung der Sanktionen zu fordern, ist im politischen Diskurs nichts Illegitimes. Der exxpress hat dennoch eine fragwürdige Art, darüber zu berichten. So schrieb er beispielsweise im November 2022, dass der EU-Außenbeauftrage Josep Borell eine Wohnung, in der es über 17 Grad hat, als ein Verbrechen gegen europäische Werte verurteile. Das Zitat Borrells wurde allerdings von einer russischen Propagandaseite frei erfunden. Als auch der exxpress dies bemerkte, fügte eine „Anmerkung der Redaktion“ hinzu: es sei ein Übersetzungsfehler aufgetreten. Der Artikel ist jedoch weiterhin in der Urfassung online. Schmitt betont, man sei noch ein „junges Startup“, da könnten schon mal Fehler passieren.

Drittes Narrativ: Wir sind zu großzügig gegenüber Ukrainer:innen

Porpaganda Narrativ: Wir sind zu großzügig gegenüber der Ukraine

Grüne Ministerin Gewessler schenkt Ukraine erneut 10 Millionen Euro“ titelt der exxpress im  Mai 2023. Wieder eine Falschmeldung: es handelt sich bei der Zahlung nämlich nicht um eine Schenkung, sondern um eine Zusicherung im Rahmen des EU „Ukraine Energy Support“. Mit den Geldern sollen ukrainische Energieunternehmen beim Wiederaufbau kritischer Infrastruktur geholfen werden, die durch Putins Bombardierungen zerstört worden war. „Die Empörung im eXXpress-Forum sowie in den sozialen Medien ist groß“, behauptet der exxpress in einem Folgeartikel und lässt erahnen, was die eigentliche Intention solcher Artikel sein könnte: den Neid auf die Ukraine zu schüren.

Immer wieder stellt der exxpress auch einen EU-Blitz-Beitritt der Ukraine in Aussicht. Fakt ist jedoch, dass der Ukraine nur der Kandidatenstatus zugesprochen wurde – wie beispielsweise auch der Türkei, Nordmazedonien oder Serbien. Damit tritt allerdings erst einmal ein komplexes Verfahren in Gang, die Erfüllung der sogenannten „Kopenhagen Kriterien“, das sich in der Regel über mehrere Jahre zieht. Der exxpress berichtete zwar korrekt, dass der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal im Vorfeld des EU-Gipfels am 3. Februar 2023 ambitioniert von einem Beitritt binnen zwei Jahren sprach. Dass dieser Optimismus von der EU nicht erwidert wurde, verschwieg das Medium allerdings.

Überhaupt hat es der exxpress besonders auf Ukrainer, die in Österreich leben, abgesehen, viele seien reich, korrupt oder feige. Hinter einer Schlägerei am Wiener Kärntnerring zwischen Ukrainern und Taxifahrern sah der exxpress die „ukrainische Prügel-Mafia“ am Werk. Tatsächlich eskalierte laut der Wiener Polizei ein Parkplatzstreit, die Taxifahrer wandten zuerst Gewalt an. Für das Onlinemedium bot der Vorfall aber Anlass, eine bevorzugte Behandlung – oder gar eine Vertuschung – der ukrainischen Streitparteien durch die Wiener Polizei in den Raum zu stellen.

In einem anderen Artikel lässt der exxpress seine Leserschaft abstimmen, was sie von den erfundenen 3.500 Euro, „die jede ukrainische Familie bei uns“ bekommt, halten. Kurios ist einerseits, dass es in dem Artikel um Sozialleistungen in Deutschland, nicht „bei uns“, geht. Wieder ist die Quelle fragwürdig. Es handelt sich um ein über Telegram publik gewordenes Video, in dem eine angeblich geflüchtete Ukrainerin von den deutschen Unterstützungsleistungen erzählt. Wie authentisch das Video und die Protagonistin sind, ist unklar. Der exxpress verlässt sich hier auf den Telegram-Kanal „UkraineHumanRightsAbuses“, der keine Gelegenheit zur Verunglimpfung der Ukraine auslässt – und sei es mit völlig aus dem Kontext gerissenen und falschen Zitaten Selenskyjs.

Artikel, in denen zu Spenden für Flutopfer in der Ukraine aufgerufen wird, wirken da eher wie ein Feigenblatt.

Wie kontert Schmitt? Man müsse dem exxpress zugestehen, dass „wir über Politiker, die in einer erwiesenen Wirtschaftsflaute und einer bedrohlichen Armutsentwicklung im eigenen Land österreichisches Steuergeld in Millionenhöhe aktuell an Kiew überweisen, kritisch berichten. Dass hier lebende Ukrainer „tausende Euro Staatsunterstützung“ bekommen, liegt aufgrund der über viele Monate andauernden Unterstützung durch die Grundversorgung auf der Hand und ist nicht neu. Auch die Prügelmafia gebe es und die untergetauchten „Promi-Flüchtlinge“.

Was also bleibt?

Das Medium, das als Sprachrohr für den russischen Botschafter in Wien dient, beruft sich auf das journalistische Prinzip audiatur et altera pars, also darauf, auch die Gegenseite anzuhören. Was der exxpress dabei ausblendet, ist, dass seit Februar 2022 die Bedingungen der  Kriegsberichterstattung gelten. Informationen aus kriegführenden Staaten sind immer von nationalistischen Interessen getrieben, Desinformation und Propaganda sind ein Teil davon. Die Propaganda, so urteilte jüngst der deutsche Zeit-Korrespondent Michael Thumann, ist die wohl wichtigste Stütze des Regimes. Sie diene auch dazu, die liberale europäische Gesellschaft zu verunsichern und zu spalten. Über dubiose Kanäle wie den exxpress sickert Putins Narrativ in den Mainstream.

exxpress übernimmt Putins Perspektive –  ohne Gegencheck oder Einordnung. Es geht um schnelle Klicks.  Unique Clients, nicht Qualität ist das Maß der Dinge. Dass Putins Russland gerne viel Geld in die Hand nimmt, um westliche Medien mit russischer Propaganda zu fluten, ist auch kein Geheimnis. Es setzt dabei auf einen Mix aus staatlichen Kanälen und anonymen Seiten oder Accounts in den sozialen Medien.

Im Zeitraum Jänner bis März 2022 haben sich die staatlichen Ausgaben in Massenmedien im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht, berichtet die Moscow Times. Ein Viertel des Jahresbudgets ging an RT, das wichtigste Medium, um ausländisches Publikum mit Russlandpropaganda zu versorgen. Umgekehrt schafft es das österreichische „Medien-Start-Up“ mit Schlagzeilen wie “78 % der Österreicher wollen wieder normale Beziehungen zu Russland” in den russischen Pressespiegel.

Die Stellungnahme von Herausgeberin Eva Schütz liest sich wie aus einer anderen Redaktion. Sie stehe für eine “unabhängige, kritische und wahrheitsgetreue Berichterstattung”, zu der eine “umfassende Beleuchtung aktueller Themen von allen Seiten” gehöre, schreibt sie auf Anfrage. „Das sollte aber nicht die Befürwortung pro-russischer Propaganda bedeuten oder damit verwechselt werden.“

Das alles fördert die Regierung mit Steuergeld.

2022 erhielt exxpress in Summe 1,1 Millionen Euro Medienförderungen. Zum Vergleich: Der Falter erhielt für seine gedruckte Zeitung und alle Online-Angebote ziemlich genau die Hälfte davon. Dahinter steckt ein intransparentes Fördersystem. 400.000 Euro gab es für den exxpress nämlich aus dem Privatrundfunkfonds für den Betrieb des Fernsehsenders exxpress-TV – in Wahrheit nicht nicht viel mehr als ein kleines Video-Kasterl, das unten auf der Startseite eingeblendet wird. Und um diesen “Fernsehsender” zu digitalisieren, gab es weitere 700.000 Euro Förderungen aus dem Digitalisierungsfonds.

Damit wurden eine exxpress-„Online-Lehrredaktion“, eine „Servererweiterung“, eine „Live-Streaming-Erweiterung“ und ihre Rundfunkübertragung „Content Delivery Network“ staatlich gestützt. Als reines Online-Medium wäre der exxpress in beiden Fällen nicht berechtigt, Förderungen zu erhalten. 2022 gab es außerdem das erste Mal Inserate von der Bundesregierung für den exxpress: Das ÖVP-Verteidigungsministerium von Claudia Tanner inserierte im vierten Quartal für rund 16.800 Euro.

Die Reichweite des Boulevardmediums ist auch dank massiver Social-Media Werbung nicht mehr zu unterschätzen. Im April 2023 lag diese laut einer ÖWA-Erhebung bei 1,8 Millionen Unique Clients (ein Endgerät, ein Browser). exxpress hat damit Portale wie die Salzburger Nachrichten oder Die Presse überholt, die zwar beide mit einer Paywall, aber auch mit deutlich größeren Redaktionen ausgestattet sind.

Im März 2023 wurde außerdem bekannt, dass der exxpress seit Februar von der Kuriertochter k-digital Medien vermarktet wird. Eva Schütz möchte „bald unter den fünf stärksten Onlinemedien in Österreichs vertreten zu sein“. K-Digital Chief Sales Director Martina Zadina nennt ein Plus von 1,2 Millionen Besucherzahlen als Ziel. Die Kurier-Belegschaft, Redaktionsausschuss und Betriebsrat, protestierte daraufhin. Ob die Zusammenarbeit nun gestoppt ist, wollte bis Redaktionsschluss von offizieller Seite niemand bestätigen.

Andersdenkende diskreditieren, das eigene Image als Außenseiter pflegen, der die wahre Wahrheit gegen den vermeintlichen Mainstream der klassischen Medien bringt: das ist die Welt des exxpress, eine Welt, die die ÖVP-geführte Regierung mit über einer Million an Steuergeld subventioniert – und durch Auftritte der ÖVP-Minister im exxpress-TV-Studio legitimiert. Vielleicht, weil im anschwellenden Kulturkampf vor den Nationalratswahlen die Plattform aus Sicht der FPÖ und ÖVP noch einen Zweck erfüllen könnte. Wenn die Linken ihren ORF haben, dann halten wir uns ein russophiles Revolverblatt.

Erst vor einem Jahr haben die exxpress-Gesellschafter laut Firmenbuch zwei Millionen Euro an Kapital zugeschossen. „Vorrangiges und zurzeit einziges Ziel ist es, mit dem aufgebrachten Kapital die Reichweite des Mediums wesentlich zu steigern“, erklärte Schütz einem potenziellen Geldgeber. Wolfgang Porsche, Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche Automobil Holdin SE, winkte aber ab. exxpress preiste Schütz dabei Porsche als „gesellschaftspolitisches Projekt“ an, mit dem sich gesellschaftliche und politische Haltungen verändern ließen: „Das Bedürfnis der Menschen, etwas anderes als die linken Mainstream-Medien zu lesen, ist auf jeden Fall vorhanden.“

 

Der Artikel entstand im Kooperation mit dem Falter. Wenn ihr Kobuk helfen wollt, denkt bitte darüber nach, ob ihr uns mit einer Mitgliedschaft unterstützen möchtet. Nur so können wir sicherstellen, dass wir auch in Zukunft große Recherchen machen können. Alle Infos findet ihr hier.

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So viel öffentliches Geld bekamen Medien 2022