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„Lichtnahrung“ und die falsche Ausgewogenheit des ORF

Ausgerechnet eine Doku über „Lichtnahrung“ markiert einen der dunklen Momente in der jüngeren Geschichte des ORF. Ich will das jetzt aber gar nicht vertiefen. Professor Ulrich Berger hat schon vor Jahren die interessantesten Rezensionen und aufschlussreiche Fakten zusammengetragen. „Der Standard“ hat hier die gestrigen Reaktionen auf Twitter gesammelt, die meisten zwischen Galgenhumor und Fassungslosigkeit.

Für mich stellt sich in diesem Zusammenhang eine andere spannende Frage: Wie sollen Medien korrekt damit umgehen, wenn anerkanntes Wissen von einer überzeugt wirkenden Minderheit lautstark infrage gestellt wird? Wir sehen das ja auch bei den Evolutions-Skeptikern, dem Klimawandel, 9/11 (auch ein sehr dunkler ORF-Moment) und nicht selten in der politischen Debatte.

Statt hier nun für ihre Leser Klarheit und Übersicht zu schaffen, begehen viele Journalisten — sei es aus Bequemlichkeit oder Überforderung — einen für Medienbeobachter eher unerwarteten Fehler. Sie besinnen sich auf ihre Verpflichtung zu Ausgewogenheit und Objektivität. Und das sieht dann so aus: Sie holen zwei Extremstandpunkte ein, stellen sie einander gleichberechtigt gegenüber und lassen das Publikum damit alleine.

Nobelpreisträger Paul Krugman hat diesen klassischen “He Said, She Said”-Stil mal so auf den Punkt gebracht:

Wenn die Liberalen sagen, die Erde sei rund und die Konservativen, sie sei eine Scheibe, steht am nächsten Tag in der Zeitung: „Form der Erde umstritten.“

Einige Medien haben diesen als Objektivität getarnten Nicht-Journalismus mittlerweile als echtes Problem erkannt. Zumindest im englischsprachigen Raum. „False balance“ heißt das dort — falsch verstandene Ausgewogenheit. Die New York Times schreibt dazu:

Falsche Ausgewogenheit ist die journalistische Gepflogenheit, beiden Seiten einer Story gleich viel Gewicht beizumessen, egal ob eine Partei die anerkannte Wahrheit auf ihrer Seite hat. Und viele Leute haben das satt. Sie wollen keine Lügen oder Halbwahrheiten, die der einen Seite geglaubt und gegen die andere verwendet werden. Sie wollen echte Antworten.

Und ich denke, der ORF wäre sogar verpflichtet, diese echten Antworten zu geben. Denn wörtlich heißt es im Gesetz:

„Der Österreichische Rundfunk hat im Dienst von Wissenschaft und Bildung zu stehen.“

Darf er da neutral bleiben und gleichberechtigt zur Wissenschaft Raum für Esoteriker und Obskuranten schaffen, die eine lebensgefährliche Form des Fastens propagieren?

Darf der ORF sich da zurücklehnen und im rhetorischen Zweikampf nach dem Film die Frage nach der Wahrheit ausfechten lassen, als wär’s eine 50:50-Angelegenheit?

Und sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk überhaupt für Gebührengeld eine Doku kaufen und zur besten Sendezeit austrahlen, wenn diese schwerwiegende journalistische Mängel aufweist und die Zuseher durch vielfache Auslassungen  hinter das Licht führt?

Was meint ihr?

 

PS: Haben wir schon mal erwähnt, dass der ORF eine hervorragende Dokumentation über die Kronen Zeitung nie gesendet hat, weil Dichand weil er befand, dass sie „nicht den Qualitätskriterien“ für ORF-Dokus entspräche? (Für ARTE hat’s gelangt.)

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