Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Das Titelseitenreisebüro von „Österreich“

Wir hatten ja schon viel hier auf Kobuk: Spalten– oder seitenweise ungekennzeichnete Werbung, 1:1 abgedruckte Presseaussendungen, von der Schoko-Industrie finanzierte Gesundheitsstudien oder überhaupt „Berichterstattung wie vereinbart“.

Aber Reisevertrieb per Tageszeitung-Titelstory, das ist neu:

Die „259 Euro für 1 Woche Luxus“ der Titelseite finden sich auf Seite 6 wieder: Als ein Angebot der Joe24.at GmbH, eine 100%-Tochter der Media Digital GmbH, die wiederum zur Gänze der Fellner Medien GmbH gehört. Genau wie die Tageszeitung „Österreich“.

Joe24-Geschäftsführer Peter Grossmann darf auch gleich die Begründung liefern, warum derzeit ein „neuer Reise-Boom“ dafür sorgt, dass die „Jets ausgebucht“ sind:

Zu besten Zeiten flogen wöchentlich 2.000 Österreicher nach Ägypten. Laut Grossmann könnte das bald wieder so sein.

Der „neue Run auf Reisen ans Rote Meer“ ist nicht nur eine Titelstory wert, sondern offenbar auch so massiv, dass Grossmann seine Reisen zu Spottpreisen verschleudern muss, um die Flieger voll zu kriegen: „Im Schnitt sind die Preise um 40% günstiger.“

Immerhin sind vier der zehn aufgelisteten „besten Ferien-Angebote“ von der Konkurrenz. Doch sind sie das wirklich? Zwei der vier Reisen werden von ETI angeboten, ein auf Ägypten spezialisierter Reiseveranstalter, der auch der Veranstalter von 10 der 12 derzeit von Joe24 vermittelten Pauschalreisen ist. Zu erkennen auch am Scan unten am ETI-Sonnenlogo auf den drei Reisen. Der ETI-Chef kommt neben seinem Geschäftspartner Grossmann auch im Artikel zu Wort.

Die beiden übrigen Reisen werden von Ltur angeboten – zumindest theoretisch. Praktisch konnte ich auf Ltur.com weder eine derart günstige Ägypten-Reise finden, noch überhaupt irgendeine, die von österreichischen Flughäfen aus starten würde. (Screenshots verfügbar.) Es dürfte also der gesamte Umsatz, der durch diese Titelgeschichtenkampagne erzielt wird, bei Joe24 und seinen Geschäftspartnern landen.

Eine kleine Formulierung eines anscheinend von Gewissen und Herausgeber geplagten Redakteurs lässt einen Lichtblick am düsteren Himmel der journalistischen Prostitution erhoffen:

Seit Mubarak abtrat, wollen scheinbar alle nach Ägypten reisen.

Wen dieser Schein bis hierhin nicht getäuscht hat, den überzeugt vielleicht die Rückseite derselben Tageszeitung (unten) – oder der eine oder andere redaktionelle Beitrag à la „Urlaub jetzt so billig wie nie“ und „Last-Minute ist Sommer-Reise-Trend„.

Für alle Beteiligten gilt übrigens die völlige Unschuldsvermutung.

Update: Oben zwei Absätze zu den Reiseveranstaltern ETI und Ltur eingefügt. Danke Hans für den Hinweis!

Update 2: They did it again.

(Scans: „Österreich“ Gratisausgabe, Freitag 18. 2. 2011; via Chorherr)

Hausdurchsuchung by Wolfgang Fellner
Krone und "Österreich" bringen Spaßvoting als ernste Titelstory

9 Kommentar(e)

Hans Kirch​meyr - Am 19. February 2011 um 01:19

Helge, da bist du mir zuvorgekommen (aber ev. gibt es nach Aufhebung der Reisewarnung ja Stoff für einen Teil II :-))

Wer übrigens denkt, mit ETI hätte „Österreich“ wenigstens einen unabhängigen Anbieter mit ins Interview und ins Ranking aufgenommen, der irrt. Das ist nämlich jener Anbieter, über den joe24.at alle beworbenen Ägypten-Reisen abwickelt! Siehe auch das halbrunde ETI-Sonnenlogo im letzten Screenshot bei allen drei Ägyptenwerbungen, in der rechten oberen Ecke der Werbefotos.

Hans Kirch​meyr - Am 19. February 2011 um 01:21

Kurze Frage noch an die Rechtsexperten: Ist das nicht unlauterer Wettbewerb?

Ich mein, wenn eine Zeitung „Die besten Ferien-Angebote“ veröffentlicht und den Eindruck erweckt, diese Liste sei journalistisch recherchiert. Während hinter 6 der 10 Angebote das Reisebüro des Herausgebers steht und hinter weiteren 2 der Veranstaltungspartner.

Da sind doch andere Reiseveranstalter, die für ihre Werbung auf keine Zeitungsredaktion Durchgriff haben, schwer im (Wettbewerbs-)Nachteil — oder?

Bodenseepeter - Am 19. February 2011 um 12:53

Selbstverständlich unlauter.

nömix - Am 19. February 2011 um 22:49

Bin kein Rechtsexperte, aber soweit ich weiß, gilt die Kennzeichnungspflicht nach § 26 MedienG *) nur für “entgeltliche Ankündigungen, Empfehlungen sowie sonstige Beiträge und Berichte“. Im vorliegenden Fall hat das “hauseigene“ Unternehmen für die Werbung mutmaßlich eh nix bezahlt.
*) (soweit die Bestimmungen ein Blatt wie ÖSTERREICH überhaupt betreffen, weil die mit einem über 50%igen Gratisanteil der Auflage das Kriterium einer Kaufzeitung gar nicht erfüllen – und deshalb auch keine Presseförderung erhalten.)

Jan - Am 20. February 2011 um 23:18

Hallo,

[off topic]

unter [email protected] scheint keiner mehr erreichbar. Ist die Mailaddresse noch gültig?

Jan

Hans Kirch​meyr - Am 21. February 2011 um 17:49

@Jan
Ja alles in Ordnung . Nur manchmal denkt jeder, ein anderer würde sich schon drum kümmern, wenn ne Frage reinkommt 😉 Sorry, ich schau mir das am Abend noch mal an.

@nömix
Ja, die Kennzeichnungspflicht dürft hier nicht greifen. Aber ich vermute, es gibt viell. ja auch noch andere Kriterien für unlauteren Wettbewerb…

Helge Fahrnberger
Helge Fahrnberger (Autor) - Am 21. February 2011 um 19:04

@Jan, Hans: Ich habe https://kobuk.at/hinweise/ entsprechend aktualisiert.

» Armin Thurnher über Kobuk: Musterhafte Aufklärung im Netz · Helge's Blog - Am 23. February 2011 um 15:05

[…] Thurnher schreibt im aktuellen Falter über Fellner, meinen Titelseitenreisebüro-Kobuk-Artikel und Kobuk als “ein Beispiel musterhafter Aufklärung im […]

Gekauft | Loub 2.0 - Am 21. March 2011 um 13:36

[…] im “Reisejournalismus” gibt es recht drastische Beispiele, etwa dann, wenn “Österreich”-Chef Wolfgang Fellner während der Ägypten-Krise via Aufmacher erklärt, …. Auch die jüngste Schwemme an Reise”berichten” aus der Antarktis ist ein […]