Der Artikel besteht aus Auszügen meiner Bakk.-Arbeit.
Es ist der 7. Juni 2010. Eine spektakuläre Nachricht verbreitet sich im Minutentakt via Copy & Paste in der ganzen Welt. Überall ist zu lesen: „Australien: Surfer boxt Hai in die Flucht„.
Klingt unglaublich. Ist es auch. Was war passiert?
The West Australian und die Australian Broadcasting Corporation berichten als erstes. Letzere titeln:
Surfer recovering after shark attack
In den Artikeln steht, Michael Bedford sei von einem Hai attackiert worden, habe sich aber im letzten Moment an den Strand retten können. Der einzige Zeuge, sein Freund Lee Cummuskey, sagt, er wäre 150 Meter weit weg gestanden und hätte den Fisch gar nicht richtig sehen können.
Im Bericht der ABC meldet sich Cummuskey zu Wort: „(…)he gave it a good whack he reckons, a good punch and that doesn’t surprise me knowing Mick“. Eine eher scherzhafte Vermutung eines Mannes, der 150 Meter weit weg vom Geschehen stand, sollte zur Faktengrundlage alle weiteren Medien werden. Ob er das damals geahnt hatte?
Durch die Agence France Press wird die Story gobal: „Australian man punches shark, surfs to safety“, lautet der Titel. Die Meldung wird kurz darauf ins Deutsche übersetzt. Cummuskeys Aussage steht im Mittelpunkt des Artikels. Hier wussten die JournalistInnen auf einmal sogar, dass Michael Bedford mit einem beherzten Faustschlag todesmutig zugeschlagen hatte. Woher bloß?
Danach geht es schnell. Im Minutentakt übernehmen Medien die Story. Das Lehrbuch für Journalismus zwingt quasi zu Meldungen nach dem „Mann beißt Hund“-Prinzip.
Spiegel Online und Focus gehören im deutschsprachigen Raum zu den ersten. Auch die APA übernimmt die Story. Danach hat man sich wohl in den Redaktionen gedacht- „Hey, wenn die AFP, APA und Spiegel Online darüber berichten, wird’s wohl stimmen. Irgendwer wird’s schon überprüft haben.“
Die Meldung erscheint auf Derstandard.at, Diepresse.com, der Wiener Zeitung, Krone.at, Oe24.at, Kurier.at (Artikel nicht mehr online), den Oberösterreichischen Nachrichten und noch ein paar Seiten mehr. Sämtliche Artikel sind mehr oder weniger ident.
Von der ursprünglichen Meldung bis zur Veröffentlichung in Österreich vergingen ungefähr zwölf Stunden. Irgendwo in der Kette wurde auch aus der Mutmaßung des Freundes Gewissheit: Das Tier sei ein Weißer Hai gewesen.
Die Meldung schafft es neben Deutschland und Österreich in die Schweiz, die USA, England, die Niederlande, Frankreich, Spanien und in viele weitere Ecken der (Medien-)Welt.
Die Auflösung
Michael Bedford wird noch am selben Tag von der ABC interviewt. Im Video erzählt er hauptsächlich, wie froh er ist am Leben zu sein. Seltsam. Man könnte meinen, er würde damit prahlen, wie mutig er den großen bösen Hai geschlagen hat.
Aufmerksame Kobuk-LeserInnen wissen bereits: Wenn eine Nachricht in der Welt die Runde macht, die Medien vor Ort aber nichts dazu bringen, dann passt wahrscheinlich etwas nicht.
8 Kommentar(e)
Auf kosmo.at wurde der Held sogar zum Serben gekrönt: https://www.kosmo.at/index.php?option=com_content&view=article&id=613:serbe-toetet-hai&catid=107:themen&Itemid=459
@Olja: Aber nur wenn der Held nach seiner Heldentat in Australien nach Ägypten gereist ist, um dort noch eine zu vollbringen.
Bloß nicht aufwärmen, sonst steht’s morgen in der Österreich.
mit was man heut heute schon zum Bakk. kommen kann….
@ Helge:
Naja, ist es nicht naheliegend, dass die Idee „Hai punchen – coole Sache“ da war (oder eben der erste Artikel dazu), und dass dann dazu einfach unabhängig Meldungen erfunden wurden? Um ein bisschen von meiner Unachtsamkeit abzulenken 😀
Wieder einmal ein perfektes Beispiel für die ausgeprägte Vorstellungskraft der Medien. Klassische Meldungen über Haiangriffe waren wohl schon zu abgedroschen – aber ein Mann, der einen Hai mit einem bloßen Faustschlag vertreibt – so was hat es noch nicht gegeben. (Im wahrsten Sinne des Wortes)
Traurig ist jedoch, dass die Recherchetätigkeit heutzutage anscheinend nicht mehr Bestandteil eines vernünftigen Artikels zu sein scheint, beziehungsweise dass die verfügbaren Mittel und Wege in Vergessenheit geraten zu sein scheinen – zu Gunsten des Internets. Noch viel erschütternder ist aber, wie schnell die Verbreitung dieser „Nachricht“ vor sich gegangen ist und welche Strecke diese dabei zurückgelegt hat. Die Frage, die sich hier doch stellt ist: Wie soll man als ZeitungsleserIn feststellen können, dass die Nachricht von dem heroischen Faustschlag nicht so ganz wahrheitsgetreu dargestellt wurde? Medienkompetenz hin oder her – wenn schon die „Qualitätsmedien“ ihre Recherchearbeit vernachlässigen, wem kann man dann noch Glauben schenken?
Im Endeffekt nur ein weiterer Beweis, dass man heute sogar vermeintlichen Qualitätsmedien nicht mehr trauen kann. Es ist ja schon schlimm genug, dass Spiegel Online und Focus diese unrealistische Story berichtet haben, aber dass auch die APA diese übernimmt ist unfassbar. Besonders interessant ist es ebenfalls, dass immer mehr Fakten dazu erfunden wurden, oder die Geschichte sogar ident abgedruckt wurde, beides lässt an der Qualität der Recherche und den Autoren zweifeln, ein wahres Musterbeispiel an schlechter Recherche also. Man sieht wie leicht die Gerüchteküche zu brodeln beginnen kann.
Schlimm auch, dass sich diese falsche Meldung über Kontinente hinweg durchsetzen konnte. Eine falsche Meldung kann in unglaublich kurzer Zeit eine bemerkenswerte Strecke zurücklegen.
Ein tolles Beispiel um zu zeigen wie schnell sich die Medien heutzutage schon verbreiten und wie schnell sich ohne ausführliche Recherche hierbei Fehler einschleichen. Etwas schockierend finde ich die Tatsache dass auch Medien, die als qualitativ hochwertig gelten, die Nachricht mehr oder weniger einfach übernommen haben. Ebenso schockierend ist es, dass sich diese falsche Nachricht innerhalb kürzester Zeit auf der ganzen Welt verbreitet hat. Die Aufgabe der Journalisten ist es uns über Tatsachen, Fakten, Geschehnisse und Neuigkeiten zu informieren. Wir vertrauen darauf dass diese Informationen auch der Wahrheit entsprechen. Für die Journalisten ist es daher wichtig alles genau zu recherchieren und sich mit den Themen wirklich auseinanderzusetzen, was bei dieser Nachricht eindeutig nicht der Fall war. Ich hoffe die Medienunternehmen, die diese falsche Nachricht übernommen haben, wissen darüber Bescheid. Nur so können sie aus diesem Fehler lernen.