Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Der „Kurier“ illustrierte am 9. April ein großes Sebastian Kurz-Portrait mit einem Bild, das aussieht wie der feuchte Traum eines Partei-Werbefotografen. Junge, sympathische Menschen, die sich um ihren Anführer scharen und mit ihm lachen und klatschen.

Kein Wunder, stammt es auch von der JVP. Ein Einzelfall? Keineswegs.

Denn sowohl Außenminister als auch Kanzler beschäftigen Hausfotografen, deren Fotos immer öfter in der heimischen Presse zu sehen sind. So gut wie jede Tageszeitung verwendet diese von den PR-Teams der Politiker sorgfältig ausgewählten Bilder, die subtile Heldengeschichten transportieren und die für uns Zeitungsleser in der Regel nicht als PR-Bilder erkennbar sind.

Keine Redaktion käme auf die Idee, die PR-Texte von Politikern als Artikel abzudrucken, noch dazu ohne das Publikum über deren Urheberschaft aufzuklären. Kriterien, die bei PR-Bildern nicht zu gelten scheinen. Petra Bernhardt, die an der Uni Wien zu visueller Kommunikation forscht, dazu:

Hausfotografen müssen eine Situation nicht akkurat wiedergeben, sondern können einen Moment herausgreifen, der den Politiker in ein besseres Licht rückt. Das Anliegen von Medien sollte allerdings nicht sein, die imagepolitischen Deutungsangebote eines Politikers fortzuschreiben.

Wir haben die Zeitungsarchive der letzten Monate durchforstet und erschreckend viele Beispiele gefunden, wie österreichische Tageszeitungen die visuellen Heldenerzählungen von Kurz und Kern transportieren. Ein Drama in fünf Akten:

1. Sympathische Helden

 


Wie wertvoll es für Politiker ist, in der Kronen Zeitung mit süßen Tieren abgebildet zu werden, wissen wir nicht erst seit Karl-Heinz Grassers Vorliebe für Hundefotos ebendort. Die „plötzliche“ Begrüßung des süßen Streuners hat nicht etwa ein Fotograf der Krone dokumentiert, es war der Hausfotograf des Außenministers, Dragan Tatic.

Kern besucht einen Kindergarten – zu welchem politischen Zweck, bleibt verborgen. Für den Kanzler ein lohnender Termin: Der Standard macht aus dem Foto eine eigene Geschichte und verbreitet die visuelle Heldenerzählung von Kerns Hausfotograf Andy Wenzel, die Geschichte eines sympathischen und kinderlieben Helden. Als journalistischer Anlass genügt das baldige Weihnachtsfest.

Die Wiener Zeitung illustriert die Leserbriefseite mit einem herzerwärmenden Bild des Außenministers aus der Kamera von dessen Hausfotograf. Die Leserbriefe handeln allerdings weder von Äthiopien noch von österreichischer Entwicklungszusammenarbeit, sondern von der Kurz’schen Flüchtlingspolitik. Das freundliche PR-Bild wiegt hundert kritische Leserbriefe auf.

Die Presse am Sonntag bebildert des Kanzlers 100-Tage-Bilanz mit einem Bild, das ihn im eng-vertrauten Umgang mit Europas mächtigster Politikerin zeigt. Sieht aus wie Fotojournalismus, ist aber das Bild, das Kerns PR-Team zeichnen möchte.

Der Kanzler in „Wir schaffen das“-Pose vor der begeisterten EU-Spitze, klatschend. (Tiroler Tageszeitung)

2. Bilder, die zu Geschichten werden

 


Falls das Presseteam des Kanzlers zu dessen Start das Bild des Spielmachers vermitteln wollte, mit diesem Foto ist das gelungen. Das Bild färbte sogar auf die Wahl der Headline der ersten Zwischenbilanz des Standard ab.

Die Tiroler Tageszeitung gibt quasi schon im Titel zu, dass dieses Bild von Kurz auf „Tuchfühlung“ mit Ban Ki-Moon der Geschichte ihren speziellen Spin gibt. Auch dieses Bild stammt aus der Produktion und nicht zuletzt sorgsamen Vorauswahl von Kurz‘ Presse-Team.

Kurz, der eine EU-weit besonders harte Haltung gegenüber der Türkei einnahm, gefällt sich auch in der Bildauswahl in dieser Rolle: Aug in Aug mit dem Despoten vom Bosporus, augenscheinlich nicht bereit, zurückzuweichen. Die Wiener Zeitung überbringt die Bildbotschaft des Außenministers gerne.

3. Kurz und Kern als Anzugmodels

 


Ein besonders dreistes Genre an PR-Fotos sind jene, die ihre Protagonisten ohne erkennbaren Anlass einfach nur in Pose präsentieren. Petra Bernhardt zu diesem Foto im Kurier:

Das Foto wirkt wie eine flüchtige Aufnahme und suggeriert, dass der Minister auch abseits politischer Meetings ständig im Einsatz ist. Die Untersicht wäre für ein Nachrichtenfoto eigentlich tabu. Es handelt sich um ein Füllbild, das keine inhaltliche Funktion für den Text erfüllt.

 


Ähnlich bei diesem Bild des Kanzlers, in Verwendung der Oberösterreichischen Nachrichten. Dieses Bild wurde gar über die Nachrichtenagentur APA bezogen, die die Gratis-PR-Bilder an alle Medien verteilt, genau wie eigene fotojournalistische Arbeiten.

Der Top-Gun-Außenminister (es fehlt nur die Ray Ban-Brille), wieder in leichter Untersicht und mit Turboprop im Hintergrund. Ein Klischee wie aus einer 90er-Jahre-Werbekampagne, verbreitet von der Presseagentur APA und in journalistischer Verwendung in der Presse.

Die Wiener Zeitung illustriert eine Analyse seitenfüllend mit einem coolen Kurz-Posing vor dem Facebook-Firmenschild. Der vollkommen fehlende Konnex zwischen Sujet und Artikelinhalt wird mit einer Bildunterschrift an den Haaren herbeigezogen.

Ein Kanzler wie ein Wall Street-Manager, stilecht mit Empire State Building im Hintergrund. Das gefällige Bild erschien im Standard.

4. Bilder, die ein Macher-Image transportieren

 


Der Kanzler geht forschen Schrittes voran und hält dabei Augenkontakt mit dem Leser. Die Körperhaltung des ungarischen Regierungschefs, der Kern nachfolgt, ist in dieser Bildauswahl deutlich weniger dynamisch. Die Salzburger Nachrichten wählten das Bild als Aufmacher des Tages.

Der Außenminister besuchte nicht nur Frontsoldaten in der Ost-Ukraine, er wies ihnen dabei noch den Weg. Diese beachtliche Ortskenntnis schaffte es aufs Cover des Standard.

Den Weg zeigt Kurz auch EU-Kommissar Mimica, in der Tiroler Tageszeitung.

Und nicht zuletzt zeigt der Außenminister auch dem Papst, wo’s lang geht. Das sehenswerte Bild verschafft dem „kurzen Treffen“ einen sehr prominenten Artikel im Kurier.

5. Alle Welt lauscht Sebastian Kurz

 


Der iranische Präsident lauscht Sebastian Kurz. (Wiener Zeitung)

Der niederösterreichische Landeshauptmann lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)

Der libyische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)

Vitali Klitschko lauscht Sebastian Kurz. (News.at)

Der russische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse. Auch Der Standard illustrierte den Artikel zu diesem Treffen mit einem weiteren Foto aus der Kurz-PR-Werkstatt: Auch auf diesem lauschte Lawrow Kurz aufmerksam.)

Der chinesische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Der Standard)

Der amerikanische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (Die Presse)

Der britische Außenminister lauscht Sebastian Kurz. (DerStandard.at)

Der UNO-Generalsekretär lauscht Sebastian Kurz. (News.at)

Und auch der Papst lauscht Sebastian Kurz. (Kronen Zeitung)

Epilog

 

Die meisten dieser Bilder sind auf Auslandsreisen entstanden. Die Medienkrise macht es sicher für viele Redaktionen schwieriger, neben Redakteuren auch Fotojournalisten auf diese Reisen zu entsenden.

Das kann jedoch keine Entschuldigung dafür sein, unreflektiert und unkommentiert PR-Material von Politikern zu verbreiten. Zudem fast alle Tageszeitungen Kunden (und Eigentümer) der Austria Presse Agentur sind, über die sie solche Reisen durchaus von einen gemeinsamen Fotojournalisten begleiten lassen könnten.

Update:

In einer früheren Version dieses Artikels stand „Wladimir Klitschko“. Es handelt sich jedoch um Vitali Klitschko.

 

Glaubt man den Boulevardmedien, ist der österreichische Wintertourismus gleichzeitig in Höhenflug und Krise: Die „Krone“ schreibt über „weniger Wintertouristen“ während „Österreich“ am selben Tag von einem „Winter-Tourismus-Boom“ berichtet.

Tatsächlich verzeichnet der österreichische Wintertourismus laut Tourismusstatistik Österreich (PDF) schalttagbereinigt eine Steigerung von 2,2% der Ankünfte sowie einen Rückgang von 0,4% der Nächtigungen.

Die „Kronen-Zeitung“ stützt sich für ihre Aussage auf die knapp gesunkenen Nächtigungszahlen. Sie sind der Beweis für „weniger Wintertourismus“.

„Österreich“ verwendet die Ankunftszahlen. Der moderate Anstieg der Ankünfte um 2,2% ist hier der Beweis für „Winter-Tourismus boomt wie noch nie“.

Wieder ein Beispiel wie Medien mit der selben Quelle zu völlig unterschiedlicher Berichterstattung kommen.

 

 

Österreich.at, laut Niki Fellner die „spannenste URL des Landes„, glänzt mit Uralt-Sportschlagzeilen wie „Reichelt rast bei Theaux-Sieg auf Platz 2“ und „Salzburg Coach kämpft um Hinteregger“. Alle fünf Geschichten des Ressorts „Österreich-Sport“ auf der Frontpage stammen aus dem Jahr 2015.

oesterreich-aktuell

Die beiden Hauptstorys stammen vom 29. Dezember 2015 und auch die anderen drei Geschichten stammen aus dem Dezember des Vorjahres. Die österreichische Sportwelt hat also seit dem Ende des Letzen Jahres kein Update gesehen.

Das Ressort „Wien-Sport“ ist immerhin etwas aktueller, hier stammen die Geschichten immerhin nur aus Mai bis August dieses Jahres.

Die Kronen Zeitung hetzt in einer Kampagne gegen Kurse für Pflichtschulabschlüsse. Migranten könnten in nur 200 Tagen den Pflichtschulabschluss nachholen, für den Österreicher acht Jahre lang die Schulbank drücken müssen, heißt es in einem Artikel, der der Beginn einer vierteiligen Serie ist. Dabei verschweigt das Blatt offenbar bewusst entscheidende Informationen, um Stimmung gegen Zuwanderer zu schüren.

blitzkurse-titelbildDie Krone zweifelt an der Qualität dieser Kurse und stellt die Abschlüsse in Frage. Das Blatt stellt auch einen Zusammenhang zur Abwanderung von Unternehmen aus Wien her:

„Wundert sich da noch jemand, dass jetzt wichtige Unternehmen wie Hrachowina aus Wien abwandern, weil sie hier kein qualifiziertes Personal finden?“

In der offiziellen Stellungnahme des Unternehmens liest man davon nichts. Im Gegenteil heißt es sogar, man wolle „möglichst viele Mitarbeiter der Produktion“ im neuen Standort halten. Der Grund für die Übersiedlung sei, dass das Unternehmen für den alten Standort zu groß geworden ist.

Aber zurück zu den Kursen: Diese dauern beispielsweise bei den Wiener Volkshochschulen tatsächlich „nur“ zehn Monate. Schuldig bleibt das Boulevardblatt aber die Antwort auf das Warum: Warum dauern Pflichtschulkurse für Erwachsene nur so lange, während Schulkinder acht Jahre brauchen, um dieses Bildungsniveau zu erreichen? Die Antwort ist denkbar einfach, wie mir die Volkshochschulen auf Anfrage mitteilten: Die Kursteilnehmer beginnen nicht ohne jegliches Vorwissen. Sie haben bereits Schulen besucht, die sie entweder abgebrochen haben, oder deren Zeugnisse in Österreich nicht anerkannt werden.

Vor Beginn des Kurses durchlaufen alle potenziellen Teilnehmer zudem ein Beratungsgespräch, bei dem die Vorkenntnisse und Zeugnisse überprüft werden. Auch der Abschluss wird niemandem geschenkt, sondern muss während einer vom Stadtschulrat entworfenen Prüfung erlangt werden.

Laut der Sprecherin der Volkshochschulen wurden der „Krone“ diese Informationen genau so mitgeteilt. Wurden diese in der Berichterstattung bewusst ignoriert, wäre das ein Skandal.

Einen Tag später erscheint der nächste Artikel: „Jetzt Aufregung um teure Blitzkurse für Migranten“. Die Aufregung scheint wohl nur im Kommentarforum der „Krone„, und bei der FPÖ, die eine Presseaussendung zu dem Thema verfasst hat, groß gewesen zu sein, denn sonst hat niemand über besagte Kurse berichtet.

Als wäre das aber noch nicht genug Stimmungsmache, wirft die „Krone“ ein paar Tage später einen weiteren Artikel nach: „Mit 66 Unterschriften zu 3692,10 € netto vom AMS„. Nun unterstellt man, Migranten würden die Kurse nur besuchen, um Geld vom AMS zu bekommen. Eine Pädagogin erzählt anonym, die Anwesenheit werde kaum kontrolliert, das AMS zahle aber trotzdem. Außer, dass eine einzige Pädagogin das behauptet, fehlen aber jegliche Fakten.

Im bislang letzten Artikel titelt die Krone: „FPÖ: ‚Blitzschule‘ für Migranten ist ein ‚Wahnsinn'“. Mehr als eine Zusammenfassung der oben erwähnten Presseaussendung und aller anderen Behauptungen liest man hier aber nicht. Übrigens handelt es sich nicht um Kurse speziell für Migranten – sie können selbstverständlich von jedem besucht werden, der keinen Pflichtschulabschluss hat und in Österreich wohnt. Jährlich brechen etwa 53.000 Schüler die Schule ab. Diese Kurse sind auch für sie gedacht. Das erwähnt die Krone allerdings kein einziges Mal – passt eben nicht zur Kampagne.

Heute, Österreich und die Krone berichteten über die gestiegenen Gefahren für AMS-Mitarbeiter, übertreiben dabei maßlos und vergleichen Äpfel mit Birnen. Um 163 Prozent sollen die Angriffe auf AMS Mitarbeiter laut den Boulevardblättern gestiegen sein. 163 Prozent – das klingt nach einem schlimmen Skandal: Nach „Horror-Statistik“ und „Telefon-Terror“.

horrorstatistikTatsächlich sind die Berichte aber kompletter Blödsinn. Das sieht man, wenn man sich die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage ansieht, aus der die Zahlen stammen.

Die Übergriffe werden hier in zwei Kategorien geteilt: Jene an der Telefon-Hotline und jene in den Geschäftstellen.

An der Hotline stiegen die verbalen Übergriffe in Wien tatsächlich von 82 auf 450 an – ein Plus von etwa 450 Prozent. Eine Fußnote an dieser Stelle verrät jedoch, dass Wien im Jahr 2015 die Erfassungsmethodik änderte. Und genau deshalb ist es Unfug die Zahlen miteinander zu vergleichen.

163Bis 2014 wurden nur dann Zahlen erhoben wenn ein Mitarbeiter sich bedroht oder persönlich beleidigt fühlte und dies von sich aus meldete. Ab 2015 ordnete das AMS an, über jeden Übergriff Statistik zu führen. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, wirklich jeden Vorfall zu dokumentieren, unabhängig von den persönlichen Empfindungen, wie ein Sprecher des AMS auf Rückfrage erklärt. Dadurch tauchen in der Statistik zwar viel mehr Fälle auf, es lassen sich jedoch keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie sich der Alltag für die Mitarbeiter im vergangenen Jahr tatsächlich verändert hat.

In der zweiten Kategorie, den Geschäftstellen, sind die Angriffe in Wien um 40 Prozent gestiegen, auf 260 Fälle. Gemeint ist aber nicht nur körperliche Gewalt, sondern etwa auch mündliche und schriftliche Beschimpfungen. Eine Fußnote verrät auch hier, dass 137 dieser schriftlichen Angriffe nur eine Geschäftsstelle betrafen und „zum überwiegenden Teil einer Person zuzuordnen sind.“ Auch dieser Anstieg ist also kaum aussagekräftig. Die Krone und Heute erwähnen diese Person sogar, allerdings nur im direkten Zusammenhang mit den Angriffen, nicht jedoch bei der Interpretation des behaupteten Gesamtanstiegs.

Generell lassen sich von so kleinen Zahlen kaum handfeste Trends ableiten, wie genau solche Beispiele zeigen. Denn wenn eine einzige Person die Statistik derart verfälschen kann, wo bleibt dann die Relevanz?

Österreich wird immer gefährlicher“ titelt die Gratiszeitung „Österreich“ am 7. Mai. Die Kriminalität sei „stark gestiegen“. Dieses Cover ist der vorläufige Höhepunkt einer verantwortungslosen Panikmache, die seit Jahren andauert.

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Um es gleich vorwegzunehmen: Die Kriminalität nimmt leicht ab. Zahlen für 2016 gibt es noch nicht, in den letzten zehn Jahren wurden aber noch nie so wenige Anzeigen erstattet wie im Jahr 2015. Das scheint „Österreich“ allerdings nicht zu interessieren, denn egal was die Statistik sagt: In „Österreich“ wird Österreich immer gefährlicher.

 

Eine Chronologie der Kriminalberichterstattung:

13. Mai

13.5.

„Österreich“ schließt von einzelnen Fällen wie einer Vergewaltigung oder einem Angriff mit einer Eisenstange auf angeblich „explodierende“ Gewalt. Eine Formulierung, die im Gratisblatt sehr beliebt zu sein scheint.

1. Mai

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Die Zahl der schwersten Delikte, so schreibt „Österreich“ wörtlich, „schnellt alarmierend nach oben“. Nun, ganz so alarmierend ist es nicht: Im vergangenen Jahr stiegen sogenannte „Schwerstdelikte“ ganz leicht, sie nahmen um 0,4 Prozent zu  (pdf, S. 56).

29. April

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Massenschlägereien heißen in „Österreich“ prinzipiell Bandenkriege. Diese seien „außer Kontrolle“. Zwischen Tirol und Wien soll ein „täglicher Horror“ spuken. Wieder ist von steigender Kriminalität die Rede.

28. April

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Das Zentrum dieser „Kriege“ ist offenbar Wien, wo die Bürger „in Angst und Schrecken“ leben. Was ein echter Krieg ist, weiß hoffentlich jeder, der in den vergangenen Jahren etwas aus Syrien gehört hat.

20. April

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72 Prozent der Österreicher fürchten sich vor Verbrechen, in den Öffis habe jeder Fünfte Angst. Ob ein Zusammenhang zwischen „Österreich“-Lesern und verängstigten Menschen besteht, wäre allerdings zu untersuchen.

12. April

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Bahnhöfe, Ausgehmeilen oder ganze Stadtteile sind angeblich so gefährlich, dass „Österreich“ seine Leser rechtzeitig davor warnt. Die Leute dort „schlagen, erpressen, morden“. Außerdem werden die Hauptstädter „immer brutaler“ und wieder ist von irgendwelchen „Bandenkriegen“ die Rede.

1. April

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Die Nachrichten werden schlimmer. Nun behauptet das Blatt: „Einbrecher werden immer brutaler“. Wieder nimmt „Österreich“ zwei Einzelfällen und macht daraus einen allgemeinen Trend. Die Zahl der Wohnraumeinbrüche ist übrigens deutlich rückläufig (pdf, S. 56).

18. März

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Pünktlich zur neuen Kriminalstatistik beschwört das Blatt eine gesellschaftliche Katastrophe herauf. Da die Kriminalität in Wien sinkt, pickt sich „Österreich“ einen Wert heraus, der im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist (Gewaltdelikte) und behauptet, er sei „explodiert“. Tatsächlich gab es bei Gewaltdelikten einen Anstieg von sechs (!) Prozent, von 14.996 auf 15.928 Anzeigen.

16. Februar

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Und wieder eine „Explosion“. Damit niemand auf die Idee kommt, sich in den virtuellen Raum zurückzuziehen, erinnert „Österreich“ vorsorglich daran, dass Kriminelle ihr Treiben ins Netz verlagern würden. Tatsächlich stieg die Internet-Kriminalität im letzten Jahr, jedoch war sie in den Jahren 2012 und 2013 bereits höher – von „Explosionen“ sind wir also weit entfernt.

27. Jänner

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Eigentlich ist im Artikel von „Diebstählen, Sachschäden und Körperverletzungen“ die Rede – aber im Titel muss schon das reißerische Wort „Terror“ stehen, damit die Aussage richtig Feuer bekommt.

Diese Artikel sind alle in diesem Jahr erschienen. Die Jahre davor sieht die Berichterstattung aber auch nicht anders aus:

2015 berichtet „Österreich“ über minütliche Verbrechen. 2014explodiert“ der Fahrrad-Klau, 2013 gerät der Praterstern „völlig außer Kontrolle“.

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Auch 2012 „explodieren“ Gewalt, Kriminalität und Internet-Kriminalität.

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2011 liest man von einer „Explosion“ von Handtaschenraub. Interessant dabei: Vor allem montags und donnerstags solle man ganz besonders auf seine Tasche aufpassen. Und da das offenbar nicht angsteinflößend genug ist, zählt „Österreich“ zwei Monate später noch die größten Geiselnahmen der vergangenen zwei Jahrzehnte auf. Wir sagen danke, die hätten wir sonst fast vergessen.

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Schon 2010 pickte das Blatt einen steigenden Wert der Kriminalstatistik heraus und verbreitete mit einem vermeintlichen „dramatischen Anstieg an Mordfällen“ Angst unter seinen Lesern. Dass fast alle anderen Delikte rückläufig waren, wäre ja langweilig zu erwähnen.

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Und erinnern wir uns – so sieht die Kriminalstatistik für die vergangenen zehn Jahre aus:

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Co-Autorin: Gabriele Scherndl

Schon seit Jahren zirkulieren Theorien über die Identität des Gründers der digitalen Währung Bitcoin. Am 2. Mai behauptete die BBC, ihn gefunden zu haben. Ein Australier namens Craig Steven Wright habe sich ihnen, dem GQ und The Economist als der lange anonyme Erfinder offenbart. Schon früh gab es ernste Gründe anzunehmen, dass der Australier ein Hochstapler ist – oder zumindest zu zweifeln. Viele Medien glaubten die Geschichte trotzdem. In Österreich besonders prominent: Der Standard.

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Wohlgemerkt hat der Standard zumindest in einem dieser Artikel leise Zweifel geäußert. Im Portrait des Kopf des Tages steht: „Vorsicht ist angebracht, hat sich doch schon manche Enthüllung über den Herrn des Internetgelds als peinlicher Flop erwiesen.“ Liest man aber beide Artikel durch, wird klar, dass das Blatt in Summe der BBC zu sehr vertraute.

Die BBC selbst titelte zunächst: „Craig Wright revealed as Bitcoin creator Satoshi Nakamoto“ und schreibt von „technical proof to back up his claim“. Jedoch wurde der angebliche Beweis – Wright entschlüsselte eine Nachricht mit einer Signatur des anonymen Erfinders – wenige Stunden nach der Publikation von Usern der Bitcoin-Community als haltlos bezeichnet. Wright hatte lediglich eine frühere, öffentlich zugängliche Signatur wieder verwendet.

beide

BCC vorher & nachher

Die BBC änderte daraufhin zwar ihre Überschrift in „Australian Craig Wright claims to be Bitcoin creator“, sah sich aber nicht veranlasst, sonstige Hinweise darauf zu geben, dass sie womöglich falsche Informationen verbreitet hatten. Ein Tweet der „BBC Breaking News“ mit einem Video von Wright als Erfinder ist noch immer öffentlich.

Der Standard ist aber bei weitem nicht das einzige Medium, das die BBC-Meldung ohne kritische Gegenrecherche übernahm. Online berichtete beispielsweise auch der Kurier: „Craig Steven Wright ist der Erfinder der Bitcoins.“ Aber auch ein armenischer Radiosender und der SRF brachten diese Nachricht. Nicht einmal das PC Magazin äußerte Zweifel über den Wahrheitsgehalt ihrer Nachricht – und diese Liste könnte man zweifellos noch fortsetzen. Selbst auf Wikipedia war in der Nacht von 2. auf 3. Mai zu lesen, die Identität des Internetgigantens sei endlich geklärt. Mittlerweile wird Wright wieder nur als einer von mehreren möglichen Erfindern angeführt.

Andere Medien waren da vorsichtiger und nahmen die „Enthüllung“ als Anlass für eine kritische Recherche. Die Zeit etwa schreibt über die Zweifel, die auf Reddit laut wurden, die Financial Times hinterfragt recht deutlich, ob es sich tatsächlich um Satoshi Nakamoto handelt. Und Die Tagesschau lässt zumindest in ihrer Überschrift „‚Satoshi Nakamoto‘ ist offenbar Australier“ Luft für Zweifel.

Craig Wright ist übrigens nicht der erste, der irrtümlich für „Mr. Bitcoin“ gehalten wird. Schon 2014 wurde beispielsweise der Amerikaner Dorian Satoshi Nakamoto nach einer Newsweek-Reportage für den echten Erfinder gehalten.

Das Gratisblatt „Österreich“ behauptet, in Klagenfurt würden sich Flüchtlinge gezielt vor Autos werfen, um anschließend Schmerzengeld zu fordern. Das Klagenfurter Bezirksgericht weiß davon aber nichts.
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In dem Artikel vom 21. März ist die Rede von einer „irren Serie“, in der bereits zum vierten Mal ein junger Flüchtling absichtlich vor ein Auto gesprungen sein soll. Die Polizei hat da aber ganz andere Infos: Zwar gab es im März einige Fälle, in denen Menschen vor Autos liefen. Markus Dexl von der Landespolizeidirektion Kärnten sagt dazu aber: „Ein Zusammenhang zwischen diesen Fällen lässt sich nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht herstellen.“

Außerdem weiß man nur in einem Fall sicher, dass es um einen Flüchtling geht. Von den anderen ist die Identität nicht bekannt, sie fallen aber offenbar in die Kategorie des „südländischen Typus“. Da jedenfalls nur von diesem einen Asylwerber die Identität bekannt ist, könnte also auch nur er vor Gericht Schmerzengeld fordern. Beim Bezirksgericht Klagenfurt sind zur Zeit allerdings keine derartigen Klagen anhängig, wie Richterin Martina Löbel auf Nachfrage erklärt.

„Österreich“ schreibt: „Es wird spekuliert, dass die ‚Opfer‘ zu Schmerzengeld kommen möchten.“ „Es wird spekuliert“ ist eine raffinierte Formulierung, denn so vermeidet das Boulevardblatt zu benennen, wer da eigentlich spekuliert. Offenbar nämlich zuerst die Kronen Zeitung in einem Artikel vom 7. März, und jetzt vor allem es selbst. Markus Dexl von der Landespolizeidirektion Kärnten meint dazu: „Seitens der Polizei wurde diese Spekulation nie in den Raum gestellt. Die zuständigen Polizeiinspektionen haben die Anzeigen entgegengenommen und die Ermittlungen, wie gesetzlich vorgesehen, eingeleitet.“

Update: Die Kärntner Kronen Zeitung berichtete als erstes von den Vorfällen und stellte die Spekulationen in den Raum. Vielen Dank an unsere Leser, die uns darauf aufmerksam gemacht haben.

100 von 111.026 Flüchtlingen – also nur 0,09 Prozent. So viele Flüchtlinge studieren laut Kronen Zeitung in Österreich an einer Universität. Eine auf den ersten Blick überschaubare Zahl. Doch sieht man genauer hin fällt auf, dass sich die „Krone“ die Zahlen nur zurechtbiegt, um einen falschen Eindruck zu erwecken.

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Welchen Eindruck das Blatt erwecken will, merkt man schon am giftigen Unterton. So fragt die Krone provokant, wie viele der zu uns geflüchteten „Hoffnungsträger aus Syrien, Afghanistan, aus dem Iran und dem Irak“ nun bereits an den Wiener Universitäten studieren, um „in Kürze Österreichs Wirtschaft zu beleben und uns allen Wohlstand und Pensionen auf Jahrzehnte zu sichern“. Die Antwort gab die Universitätsverwaltung der Krone per Mail: 100 Vertriebene sind derzeit Studenten. Die Krone setzt diese Zahl in Relation zu 111.026 Flüchtlingen (88.151 Asylwerber und 22.875 Asylberechtigte) und kommt so auf 0,09 Prozent. Diese Rechnung ist aber Unfug. Und das aus mehreren Gründen.

  1. Das Blatt schreibt explizit von Flüchtlingen, die „seit Sommer 2015“ nach Österreich gekommen sind. Das waren aber nicht 111.026, und auch nicht 88.151, sondern deutlich weniger.  Die rund 88.000 Asylanträge gab es nämlich im gesamten Jahr 2015.
  2. Die Krone bezieht sich auf Flüchtlinge jeden Alters. Allein von den 86.175 Asylsuchenden, die aktuell in Grundversorgung stehen, sind nach Angaben des Innenministeriums jedoch 28.183 minderjährig – also Personen, die noch gar keine Universität besuchen können. Zieht diese ab, kommt man auf 57.992 Asylsuchende, die theoretisch studieren könnten.
  3. Aber auch diese Zahl passt nicht. Im Artikel der Krone ist nämlich nur die Rede von „Wiener Universitäten“. Die Universitäten außerhalb Wiens finden keine Berücksichtigung. In Wien selbst sind nach Angaben des Fonds für Soziales Wien – Stichtag 2. Februar – 13.540 Asylsuchende im studierfähigen Alter in der Grundversorgung, wie Kobuk auf Anfrage erfuhr. Wenn die Krone schon ausschließlich von Wiener Universitäten spricht, müsste sich der Artikel also auf diese Zahl beziehen – 13.540, nicht 111.026.
  4. Von den Asylsuchenden(1) Asylberechtigten, die aus Syrien, Afghanistan, aus dem Iran und dem Irak nach Österreich gekommen sind, haben laut AMS durchschnittlich 23 Prozent bereits ein Studium abgeschlossen. Wenn wir der Einfachheit halber annehmen, dass Asylwerber ähnlich gebildet sind und dann die 23 Prozent von den 13.540 weg rechnen, kommt man auf 10.426 Flüchtlinge. Weil der Artikel von Asylsuchenden an Wiener Universitäten spricht, ist das also am ehesten die passenden Zahl, die in Relation zu den 100 studierenden Flüchtlingen gesetzt werden müsste.

Die Berechnung des Prozentsatzes der in Wien studierenden Flüchtlinge sieht nun so aus:

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0,96 Prozent ist zwar deutlich näher an der Realität als die 0,09 der Krone. Im Grunde ist aber auch diese Zahl nicht aussagekräftig. Denn wenn Flüchtlinge in Österreich studieren wollen, gibt es ziemlich viele Hürden. So muss man beispielsweise ausreichend Deutschkenntnisse nachweisen. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld – der offizielle Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten kostet beispielsweise immerhin 465 Euro. Bei einer Grundversorgung von 40 Euro pro Monat in organisierter Unterkunft bzw. 320 Euro pro Monat für selbstständig wohnende Asylwerber sind solche Kosten keine Kleinigkeit. Die Krone ignoriert all das. Wer Stimmung machen will, lässt sich von Fakten eben nicht aufhalten.

Mitarbeit: André Marston Alvarez

* Zusatz

Die Krone schreibt von „88.151 Asylwerber und 22.875 Asylberechtigten“ und kommt so auf 111.026 Flüchtlinge. Der Einfachheit halber haben wir unsere Zahlen nur auf Asylwerber bezogen – für Asylberechtigte gelten die Argumente aber sinngemäß ebenso.

(1) In einer früheren Version bezogen wir den AMS-Kompetenzcheck irrtümlicherweise auf Asylsuchende. Tatsächlich ging es bei der Untersuchung jedoch um Asylberechtigte. Zum Bildungsstand von Asylsuchenden gibt es keine verlässlichen Daten. Wir bedanken uns für den Hinweis und bedauern den Irrtum

Krone-AsylwerberDie „Krone“ veröffentlichte am 11. Dezember 2015 einen Artikel unter dem Titel „Asylwerber begingen in 8 Monaten 8484 Straftaten“. Auf Basis einer parlamentarischen Anfrage berichtet das Blatt, dass im Jahr 2014 9513 strafbare Handlungen durch Asylwerber registriert wurden und 2015 bis August 8484. Die „Krone“ dividierte diese Zahlen durch die Anzahl der Tage (also 365 im Jahr 2014 und 240 Tage bis August 2015) und folgert daraus fälschlicherweise:

„Bezüglich der Gesamtzahl der Asylanträge ist das ein Anstieg  von 26 auf 35 Straftaten pro Tag“

Das stimmt zwar, berücksichtigt aber ein entscheidendes Faktum nicht: 2015 gab es viel mehr Asylanträge als 2014. Setzt man die Zahl der Asylanträge in Relation zu den Anzeigen gegen Asylwerber, sieht man: Die Kriminalitätsrate ist sogar rückläufig:

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(Zahlen vom Innenministerium: 2014, 2015).

Pro Asylwerber gab es 2014 0,34 Anzeigen, 2015 waren es bis August hingegen nur 0,18 Anzeigen. Diese rückläufige Rate bestätigt auch der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, in einem Interview mit dem ORF.

* Grundsätzlich ist aber selbst die Gegenüberstellung dieser Zahlen nicht geeignet für die Erfassung der straffällig gewordenen Asylwerber. Denn die Zahl der Asylanträge spiegelt nicht unbedingt wider, wie viele sich zu einem Zeitpunkt tatsächlich in Österreich aufgehalten haben. Durch laufende Neuanträge und positive oder negative Bescheide schwanken die Zahlen täglich.

Die „Krone“ verschweigt außerdem, dass  durch eine Anzeige noch nicht von der tatsächlichen Schuld des Betroffenen gesprochen werden kann. Nicht jeder, der angezeigt wird, ist automatisch ein Verbrecher. Ein einzelner Asylwerber könnte außerdem auch mehrere Anzeigen bekommen haben, was die Zahlen ebenso verzerren würde (darauf weist aber auch die „Krone“ hin).