Eine „Krone“ Titelstory über die „brutale Attacke“ einer „somalischen Asylantin“ auf eine Wienerin wegen ihrer „unreinen Hunde“ bringt es zu weltweiter Verbreitung in islamfeindlichen Kreisen. Es gibt nur ein Problem: Die Geschichte stimmt so nicht.
Das Titelblatt der Sonntags-„Krone“ vom 16. Juli verweist auf eine Geschichte, die fassungslos macht:
Ingrid T. (54) liegt nach einer brutalen Attacke durch eine Muslimin im Spital. Motiv: ihre beiden Hunde! „Die Tiere sind unrein“, so die Begründung der Angreiferin, einer somalischen Asylantin.
(Bild anklicken für Zoom)
Laut Kronen Zeitung wollte die Wienerin ihren jungen Hund „Poco“, der auf eine „hübsche Frau mit Schleier“ zulief, zurückholen. Daraufhin wurde sie von der „Somalierin (18 Jahre alt, offizieller Aufenthaltstitel in Österreich)“ — das scheint wichtig — so brutal attackiert, dass ein Knie „komplett zertrümmert“ wurde. „Erst drei Männer konnten die Frau von der 54-Jährigen zerren.“ Und „warum das alles?“
Weil es hier um die Kultur gehe, soll der somalische Ehemann im Spital gesagt haben, als er Ingrid T. zur Rede stellen wollte: „Wir wollen keine Hunde, die sind schmutzig!“
Michael Jeannée, der graue Starkolumnist des Hauses, verfasst gleich neben dem Artikel einen „Wutbrief“ , in dem er „unsere Hunde“ und „unsere Kultur“ einer „muslimischen Hundekultur“ gegenüberstellt, die „uns hier in Österreich einen Dreck interessiert“.
Tags darauf folgt eine im Ton noch mal aggressivere Zusammenfassung des Artikels vom Vortag:
Poco […] war einer muslimischen Frau ein Dorn im Auge. Angst habe sie gehabt, die 18-Jährige Asylantin, weil er „unrein“ sei. […] Die Somalierin attackierte Ingrid T., bis sie zu Boden ging und sich das Knie zertrümmerte. In der „Krone“-Leserschaft gehen die Wogen hoch (siehe Ausrisse links).
Einen weiteren Tag später, am Dienstag, eine volle Leserbriefseite, eingeleitet von Jeannée, der sich über die Ernte seines und seiner Kollegin Schaffens sichtlich freut, nämlich über …
Hunderte von empörten Wutbriefen und zornigen E-Mails. […] Was mich auf die „Krone“-Leserfamilie stolz macht.
Zwischenzeitlich „explodiert“ die Geschichte geradezu in den sozialen Medien und mit ihr der gewohnte Hass der User. Noch am Sonntag freut sich der Chefredakteur von Krone.at über „bereits 22.000 Shares“:
Politiker wie Heinz-Christian Strache (in zwei Postings), diverse FPÖ- und AfD-Facebook-Seiten sowie Blogs mit einschlägiger Reichweite verbreiten die Story, sodass sie bereits am Dienstag, nur zwei Tage nach Printveröffentlichung in Österreich, von Breitbart.com in den USA aufgegriffen wird. Breitbart ist ein populäres Rechtsaußen-Nachrichtenportal, das Stephen Bannon leitete, bis er Chefstratege in Donald Trumps Weißem Haus wurde.
Spätestens ab jetzt geht die Story global viral – hier z.B. eine japanische Version. Die beiden Krone- und der Breitbart-Artikel wurden bis dato übrigens rund 80.000 Mal auf Facebook geteilt, für österreichische Nachrichten beachtliche Zahlen.
Am Donnerstag und Freitag jener Woche veröffentlicht die Kronen Zeitung dann noch eine Reihe von Leserbriefen. Eine Schreiberin fragt fast anklagend:
Warum hat man nur in der „Krone“ darüber gelesen?
Ja, warum eigentlich?
Woran erkenne ich einen Kobuk?
Man muss kein Sherlock sein, um zu sehen, dass die Geschichte nicht ganz sauber ist. Im Grunde ist sie ein Lehrbeispiel dafür, wie man „Räuberpistolen“ am Boulevard erkennt:
- Ein außergewöhnliches Ereignis wird nur aus einer Perspektive erzählt. Kein anderer Beteiligter kommt direkt selbst zu Wort, auch keine offizielle Stelle. (Das ist bereits der wichtigste Punkt. Ist er erfüllt, sollte man eine Story niemals teilen.)
- Es wird ein menschlich völlig unbegreifliches Verhalten ohne schlüssige Motivation dargestellt, was in Räuberpistolen weitaus häufiger vorkommt als in der Realität.
- Der Ablauf ist nicht plausibel oder erscheint lückenhaft. Warum z.B. wollte der somalische Ehemann das Opfer im Spital zur Rede stellen?
- Die Geschichte wird von keinem einzigen seriösen Medium berichtet.
- Die Berichterstattung wirkt ungenau und enthält Widersprüche. Eine im Artikel erkennbar „hübsche Frau“, die laut Jeannées „Wutbrief“ nebenan „vollverschleiert“ war?
Die Auskunft der Polizei und ein Nach-Interview des Profil
Ich habe daher eine Anfrage bei der Landespolizeidirektion Wien gestellt und diese teilt mir mit, dass der Vorfall wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung angezeigt wird und von einem bewussten Angriff nicht auszugehen ist:
Ziemlicher Knaller, oder? Aber was hatte es dann mit der „brutalen Attacke“ auf sich?
Während die Kobuk-Anfrage noch lief, hat das „Profil“ mit der Verletzten im Spital gesprochen und da klang die Geschichte plötzlich viel harmloser und nachvollziehbarer als in der „Krone“:
Auf Nachfrage [bei der verletzten Wienerin] erscheint der „Angriff“ in einem etwas anderen Licht. […] Einer von T.s Hunden machte […] ein paar Schritte unangeleint auf die Fahrbahn. [Sie] folgte ihm, um ihn auf den Arm zu nehmen.
Daraufhin habe die Somalierin sie heftig umklammert, woraufhin beide zu Boden stürzten. […] Ihr Vater, der in der Nähe war, geht von einer „völlig unbegründeten Panikreaktion“ aus.
Wie die Reporterin der Kronen Zeitung zu ihrer martialischen Erzählung eines brutalen Angriffs aufgrund vermeintlicher Unreinheit der Hunde kam, bleibt ihr Berufsgeheimnis. Möglicherweise hat sie einfach nur ungeprüft übernommen, was ihr der Anwalt der Hundehalterin erzählt hat:
Bei aller Vorsicht dürfte nach aktuellem Stand ungefähr Folgendes passiert sein:
Ein nicht angeleinter Hund ohne Beißkorb lief auf eine Frau zu, die ausgeprägte Angst vor Hunden hat (was übrigens auch an wilden Hunden in Somalia liegen kann). Die Hundehalterin lief dem Hund hinterher, um ihn zurückzuholen. In einer Panikreaktion dürfte sich die Frau so an diese geklammert haben, dass beide stürzten und sich die Hundehalterin am Knie schwer verletzte.
Aber ich gebe zu, das wäre jetzt keine wahnsinnig aufregende Boulevard-Geschichte.
PS: Vice hat sich in seiner bekannt zurückhaltenden Art kürzlich mit der Frage beschäftigt „Was zur Hölle geht eigentlich mit der ‚Kronen Zeitung‘?“ Die Expertise von Kobuk-Gründer Helge Fahrnberger kommt darin auch vor – sehr lesenswert in dem Zusammenhang.
Update März 2018: Der Österreichische Presserat hat Chefredakteur Christoph Dichand dazu folgenden offenen Brief geschickt:
Der Senat hat beschlossen, in diesem Fall kein Verfahren einzuleiten. Wie sich die Geschichte genau zugetragen hat, konnte der Senat nicht restlos aufklären. Nach Auskunft der Landespolizeidirektion Wien wurde der Fall als fahrlässige Körperverletzung aufgenommen: Die somalische Frau habe sich vor dem Hund erschreckt und die Hundebesitzerin umklammert. Die Hundebesitzerin sei daraufhin zu Sturz gekommen und habe sich am Knie verletzt. Zu dem in der „Kronen Zeitung“ und auf „krone.at“ behaupteten Motiv, dass die somalische Frau Hunde als „unrein“ betrachte und die Hundebesitzerin deshalb attackierte, konnte die Polizei keine Auskunft geben.
Aufgrund der Faktenlage bei der Polizei betrachtet es der Senat als heikel, dass in den Artikeln der Eindruck vermittelt wurde, dass es sich bei dem Vorfall um eine (gezielte) „Attacke“ aus religiösen Gründen handelte. Durch die einseitige Berichterstattung bzw. die einseitige Wiedergabe der Sichtweise des Anwalts der Hundebesitzerin wurde anscheinend ein religiöser Hintergrund konstruiert.
Der Senat bewertet es auch als bedenklich, dass in den Leserbriefen nicht nur wütende, sondern auch persönlichkeitsverletzende Reaktionen abgedruckt wurden.
Der Senat ruft Sie daher dazu auf, in der Zukunft in derartigen Fällen genauer zu recherchieren und bei der Auswahl von Leserbriefen sorgfältiger vorzugehen.