Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Die Salzburger Krone schrieb im vergangenen Jahr monatelang gegen einen geplanten Windpark an. Mit einseitigen Informationen, verzerrten Fakten und Verunglimpfungen der Gegenseite. Die Kampagne endete schlagartig, als der Chefredakteur in Pension ging, was möglicherweise kein Zufall war.

Über Windräder kann man sich schon mal streiten. Groß sind sie, ja. Und auch nicht wirklich schön. Wenn sie so mitten im Salzburger Lungau stehen würden, dann könnten sie schon manchen ein Dorn im Auge sein, diese hunderte Meter hohen Monster. Auf der anderen Seite hat so ein Windrad auch seine Vorteile. Die ressourcenschonende Energieproduktion zum Beispiel, oder dass der Bau so eines Windradparks einige Arbeitsplätze schafft.

Acht Stück hätte die Lungauwind GmbH gerne errichtet, in Salzburg, auf dem Fanningberg in Weißpriach, einem Skigebiet. Sie musste das aber Projekt stoppen. Der Grund: Man wollte die Bevölkerung nicht spalten – zu viel war schon über die Windräder gestritten worden.

Die Posse um den Fanningberg

Woran das wohl liegen kann? Immerhin gibt es einige Windparks in Österreich, etwa in Bruck an der Leitha, wo 2000 mit Bürgerbeteiligung Windräder errichtet wurden, oder den Tauernwindpark, der lange Zeit den Rang als höchstgelegener Windpark Europas hatte. Auch wenn es immer wieder Kritik an Windradprojekten gibt– die Kritik an Fanningberg hatte ein völlig anderes Ausmaß.

Denn weder in Bruck an der Leitha, noch in den Niederen Tauern fuhr die Krone eine derart exzessive Kampagne gegen den Bau der Windräder. Zum Vergleich: Ganze zwölf Texte widmete die Krone damals der Errichtung des Tauernwindparks. Lesebriefe eingeschlossen veröffentlichte die Krone im vergangenen Jahr hingegen 210 Texte über Windräder – der weitaus größte Teil betraf den Windpark im Lungau.

Übersicht über erschienene Texte

Sind Windräder vielleicht einfach interessanter geworden über die Jahre? Wenn, dann nur für die Krone. Laut einer Auswertung der APA widmete der Kurier dem Thema Windräder in der selben Zeit 70 Texte, bei Österreich waren es 29 und bei Heute gar nur neun. Selbst die lokalen Salzburger Nachrichten beschäftigten sich nicht einmal in halb so vielen Texten mit dem Thema, wie die Krone.

Der Startschuss für die Kampagne fällt am 16. Juni 2018 mit einer Doppelseite. „Was in Salzburg droht“ prangt am Titel. Bilder der Idylle und eines massiven Windrades verdeutlichen, welche Monster im Anmarsch sind. Und wer Schuld ist? Die Grünen. Diese seien „eine Gefahr“. Hier handelt es sich wohlgemerkt um keinen Kommentar, sondern um einen scheinbar neutralen Bericht.

Faksimile aus der Salzburger Krone vom 16. Juni 2018

Am 22. Juli dann folgt der erste Leserbrief – ein beliebtes Mittel der Krone, um eine öffentliche Meinung darzustellen, die so vielleicht nicht unbedingt die tatsächliche Meinung der Menschen abbildet.

In dem Leserbrief ist ironischerweise die Rede von einer Kampagne der Windradinitiatioren. Dankenswerterweise wird auch gleich angeführt, was denn so eine Kampagne kennzeichnet. Vier Dinge seien das, nämlich:

  1. Die Bevölkerung wird nur einseitig informiert (einzig von den Windkraftbetreibern und –befürwortern).
  2. Wichtige (negative) Fakten werden zurückgehalten.
  3. Kritiker kommen nicht zu Wort, werden ignoriert oder gar unter Druck gesetzt.
  4. Alle Beteiligten am Projekt werden mit dem Versprechen eines regelrechten „Geldregens“ geködert.

Lassen Sie uns gemeinsam prüfen, ob denn die Krone ihre eigenen Anforderungen einer Kampagne erfüllt. Ich habe sämtliche zum Windpark im Lungau in der Krone erschienenen Texte analysiert und geprüft, wie ausgewogen, wie groß, wie angsteinflößend das Boulevardblatt berichtet.

Das Ding mit den Titelseiten

Die Titelseite einer Zeitung hat eine klare Funktion: Auf den ersten Blick zu zeigen, was die wichtigsten Nachrichten an diesem Tag sind. Blätterte man die Krone im Zeitraum von August bis November durch, wurde klar: Windräder bewegen die Welt. Immerhin auf neun Titelseiten erwähnt die Krone die Windräder.

Collage aus Titelseiten der Salzburger Krone zwischen August und Oktober 2019

Mal sind es nur Zweizeiler, mal riesige Bilder, doch sie alle haben gemein: Ihre Aussage ist, dass keiner die Windräder haben will.

Im Blattinneren findet sich ein Konvolut an mehr oder weniger ausgewogenen Berichten, ganze Doppelseiten sind voll mit Stimmen von Wirten, deren Geschäft verübelt wird, von Kämpfern gegen den Windrad-Wahnsinn und von Argumenten gegen den geplanten Park. Seitenweise argumentieren Alpenvereine gegen die Zerstörung der Idylle, werden Bilder von Vögel gezeigt, die den Monstern zum Opfer fallen würden, und Titel wie „Salzburg braucht keine riesigen Windräder“ veröffentlicht. Nicht zu kurz kommen dabei selbstverständlich die Grünen, die an allem Übel schuld sein sollen.

Collage aus Texten, die zwischen Juni und Oktober 2018 in der Salzburger Krone erschienen

Der Chef selbst schreibt

Bei der Lektüre des facettenreichen Verrisses fällt eine Sache auf: Viele der Texte sind vom damaligen Chefredakteur der Salzburger Krone, Hans Peter Hasenöhrl, höchstpersönlich geschrieben. Auch mit Kommentaren geizt er nicht, Mitte Oktober etwa vergleicht er das drohende Windradungeheuer mit einer Erdbebenkatastrophe und einer Hitzewelle und betet den Lesern vor: „Herr, bewahre den Lungau vor den Windrädern“.

Faksimile aus der Salzburger Krone vom 14. August 2018

Ende September dann ruft er auf, Salzburg vor den Grünen zu schützen, weil sie – was sonst – mit ihrem Öko-Strom alle in Gefahr bringen.

Faksimile aus der Salzburger Krone vom 29. September 2018

Ganz Salzburg hasst Windräder

Doch was wäre die Krone, würde sie nur die Meinung ihres Chefredakteurs wiederspiegeln? Selbstverständlich steht doch sicher ganz Salzburg hinter ihm, oder nicht? Diesen Eindruck erweckt das Blatt jedenfalls, in dem alle paar Tage wütende Leserbriefe gedruckt werden. Von Windrädern als „Störfaktor“ ist da etwa die Rede, oder von einem „Verbrechen an der Natur und den Bergen“. Ja, ganze Gedichte widmen die Krone-Leser dem Thema – wohlgemerkt, diese drei Beispiele wurde in nur einer Woche veröffentlicht. Dutzende weitere Beispiele lassen sich in der Salzburger Krone finden.

Collage aus Leserbriefen, die zwischen 23. und 30. August 2018 in der Salzburger Krone erschienen

Sieht so die Meinung der Salzburger aus? Wer nur die Krone liest, könnte das denken. Wäre da nicht eine repräsentative Umfrage unter 800 Salzburgerinnen und Salzburgern über 16 Jahren, in der sich 93 Prozent der gefragten für Windräder aussprechen.

Wie ist das mit der Einseitigkeit?

Zurück also zu den Merkmalen einer Kampagne: Die einseitige Information, die Fakten, die zurückgehalten werden, die Kritiker, die nicht zu Wort kommen und falsche Versprechungen. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Doch halt, eine Sache darf man der Krone nicht unterschlagen. Sie hat sehr wohl Stimmen von Lesern veröffentlicht, die Windkraft gegenüber positiv eingestellt sind. Nämlich exakt eine.

Faksimile aus der Salzburger Krone vom 10. August 2018

„Windräder sind schirch“

Was also ist der Grund für eine dermaßen breit aufgestellte Kampagne? Sind es finanzkräftige Inseratenkunden, in deren Interesse die Krone Salzburg schon einmal eine massive Kampagne fuhr, wie das Beispiel Spar zeigt? Oder gibt es eine viel einfachere Erklärung?

Möchte man Franz Baksa, einem der Geschäftsführer der Lungauwind GmbH glauben, so ist der Grund erschreckend simpel: Hans Peter Hasenöhrl mag keine Windräder. „Er vertritt persönlich die Meinung, Windräder sind schirch“, sagt Baksa. Er habe versucht, mit Hasenöhrl Kontakt aufzunehmen, sei aber leider nicht zu ihm durchgedrungen. Die Lungauwind GmbH legte jedenfalls schlussendlich die Widmung zurück, und das Projekt auf Eis, bis sich die Stimmung in der Region vielleicht wieder ändert. „Wie wollten endlich raus aus den Medien“, sagt Baska, „sonst hätten wir keine Ruhe mehr gehabt.“ Laut Baksa verbreitete die Krone zahlreiche Unwahrheiten gegen das Projekt, rechtlich dagegen vorgehen wolle er jedoch nicht: „Was bringt’s denn?“, fragt Baksa, „Die Krone schreibt, wovon sie glaubt, dass die Mehrheit es denkt. Und dann übernehmen die Krone-Leser diese Meinung.“

Die dünnen Nerven der Politik

Könnte es vielleicht sein, dass Windräder am Fanningberg tatsächlich fehl am Platz sind? Projektentwickler, die Windräder bauen müssen, müssten diverse Kriterien prüfen. Sie müssen den Vogelzug beobachten, Schallemissionsberechnungen durchführen und Abstandregeln überprüfen. Ob der geplante Windpark am Fanningberg diesen Kriterien entspricht, kann ich als Laie in Windradfragen freilich nicht beantworten.

Es gibt aber jemanden in Salzburg, dessen Meinung zu dieser Kampagne spannend zu hören ist: Franz Kok. Der ist nämlich nicht nur Politikwissenschafter an der Universität Salzburg, sondern war dazu lange Zeit im Windrad-Business – er war Gesellschafter zweier Windkraft-Unternehmen von deinen eines in Konkurs ging und ein anderes sich in Liquidation befindet. Und er ist Teil der Berichterstattung in der Krone: Weil er sich einst für einen Platz auf der Grünen Liste bei der letzten Nationalratswahl bewarb, ihn aber nicht bekam, ist Kok laut Krone mitten in der Grünen Verschwörung, die das Skigebiet zerstören will.

Er sagt: „Wir haben in Salzburg noch keine Erfahrung mit Windenergie, das öffnet Tür und Tor für Veto-Player“, und meint damit, dass komplexe Genehmigungsverfahren und eine Politik, die kurz vor der nächsten Gemeinderatswahl dünne Nerven hat, dazu führen, dass mediale Kampagnen noch stärker einschlagen als ohnehin schon. Dazu komme, dass die Tourismusindustrie der Politik im Nacken sitze und sich darum sorge, ob Windräder in einem Skigebiet ein schlechtes Image für die Region bringen würden. Laut Kok gebe es außerdem einen interessanten Schnittpunkt: Chefredakteur Hasenöhrls Abneigung gegen Windräder und seine Abneigung gegen die Salzburger Grünen – die einzigen, die realpolitisch den Ausbau der Windkraft in Salzburg forcieren würden. Auch Franz Kok sagt, er hätte Hasenöhrl mehrmals das Gespräch angeboten. Erfolglos.

Was der Chefredakteur dazu sagt

Aber kann das wirklich stimmen? Hat hier tatsächlich ein Chefredakteur seine publizistische Macht missbraucht und sein persönliches Ästhetikempfinden als Berichterstattung verkauft? Kobuk hat Hans Peter Hasenöhrl kontaktiert und ihn mit den Vorwürfen konfrontiert. Wir wollten von ihm wissen, was der Grund für die ungewöhnlich vielen negativen Berichte war, warum es in vergleichbaren Fällen diese Art der Berichterstattung nicht gab, warum die Gegenseite so selten zu Wort kam, ob er auf die Gesprächsangebote von Baska und Kok einging und wie er die Berichterstattung zu den Windrädern rückblickend sieht. Er antwortet schriftlich und schreibt: „Persönliche Befindlichkeiten spielen in der Krone keine Rolle. Ich habe weder was gegen Windräder noch gegen Flusskraftwerke, es sei denn (…) Naturlandschaften werden zerstört.“ Andere Windparks „in der unendlichen Weite von St. Pölten“ fände er gut, außerdem wäre nicht nur die Krone, sondern auch der Alpenverein gegen das Projekt. Weder von Kok, noch von Baksa seien schriftliche Stellungnahmen bei der Krone eingelangt.

Doch der Windrad-Spuk nahm ohnehin im November sein Ende. Nämlich dann, als Hans Peter Hasenöhrl in Pension ging. Seitdem erschien keine Titel- oder Doppelseite, kein Kommentar, kein Artikel oder Leserbrief mehr zu dem Thema. Der letzte Text dazu war, wie sollte es anders sein: Ein Leserbrief, in dem Hans Peter Hasenöhrls Einsatz gegen die Windräder gelobt wird.

Faksimile aus der Salzburger Krone vom 11. September 2018

Von über mehr als 100 Sex-Attacken berichteten alleine Österreichs größte Medien im vergangenen Jahr. Dabei ging es um so genannte „Sex-Unholde“, „Sex-Strolche“, „Sex-Richter“,  „Sex-Opas“. Aber wer sind diese Leute? Ist ein Sex-Lehrer also einfach ein professioneller Ausbildner? Kostet ein Sex-Opa einfach seinen Lebensabend aus? Und welchen Lausbubenstreich hat sich wohl ein Sex-Strolch schon wieder erlaubt? Tatsache ist, dass all diese Begriffe Vergewaltiger bezeichnen oder Menschen, die im Verdacht stehen, jemanden sexuell belästigt oder missbraucht zu haben – zumindest auf den bunten Seiten des österreichischen Boulevards.

Gang und gäbe ist aber der Begriff „Sex-Attacke“. Das Wort muss als Synonym für so ziemlich alles herhalten, was irgendwie mit sexueller Gewalt zu tun hat. Vor allem in „Österreich“ und der „Kronen Zeitung“ wimmelt es von „Sex-Attacken“. Alleine in der gedruckten Ausgabe von „Österreich“ kam das Wort im Jahr 2018 38-mal vor, in der Print-Krone 29-mal. Die seltsame Wortschöpfung ist aber keine Eigenheit des Boulevards. Auch Regionalmedien, die „Presse“ und sogar etwa APA bedienen sich des bequemen Wortes „Sex-Attacke“.

Fehlende Differenzierung

Bequem deshalb, weil es alles bedeuten kann: von belästigenden Aussagen über Berührungen bis hin zur Vergewaltigung. Hier liegt das erste Problem des Begriffs: Er wirft alle Taten in einen Topf. Denn auch wenn alle Übergriffe – egal ob verbal oder physisch – furchtbar sind, müssen sie unterscheidbar bleiben. Wie wenig das Wort „Sex-Attacke“ aussagt, zeigt eine Auswertung aller Vorkommen des Wortes im Jahr 2018.

Gewalt ist nicht einvernehmlich

Mit dem Begriff verletzen Medien aber nicht nur einen journalistischen Grundsatz – nämlich den der Genauigkeit – sondern verharmlosen auch sexuelle Gewalt. Denn Sprache schafft bis zu einem bestimmten Grad auch Realität. Das Wort „Vergewaltigung“ enthält das Wort „Gewalt“ bereits, „Sex“ suggeriert hingegen Einvernehmlichkeit. Damit wird Gewalt heruntergespielt oder sogar verniedlicht. Dass der Begriff „Sex“ für gewaltsame Handlungen zu neutral ist, stellte auch der Presserat schon einmal fest.

Dazu kommt, dass „Sex-“ als Vorwort auch in anderen, positiven oder zumindest gewaltfreien Zusammenhängen verwendet wird. „Österreich“ schreibt etwa von „Sex-Stars“, „Sex-Ehepaaren“ oder „Sex-Unfällen“. Sogar „Sex-Attacke“ kommt einmal in einem Kontext vor, der nichts mit sexueller Gewalt zu tun hat:

In Clown-Schminke, knappen Röcken und mit viel nackter Haut machten drei sexy Clowns die Wiener City unsicher. Hinter der Sex-Attacke steckt die Stripperin und Agenturchefin Stella von Sydney, die zumindest den Männern die Angst vor Clowns nehmen wollte
.

„Solche Bezeichnungen verhöhnen die Betroffenen, den TäterInnen signalisiert man, es sei ‚alles halb so wild.‘ Und wir, als Gesellschaft, bekommen das Gefühl, es sei eh irgendwie nur ein Kavaliersdelikt“, sagt Maria Mayrhofer vom Verein Aufstehn, der Ende 2017 eine Unterschriftenaktion gegen die verharmlosende Sprache gestartet hat. Bis dato haben über 4.200 Menschen die Aktion unterstützt.

„Sex“ beruhe auf Konsens, sagt Mayrhofer, alles andere sei ein Übergriff, eine Belästigung, eine Vergewaltigung oder ein Missbrauch. „Das Strafgesetzbuch kennt in der jeweiligen Situation die richtigen Bezeichnungen.“ Gerade bei Berichten über sexuelle Gewalt würden Medien oft die Unschuld der Betroffenen in Frage stellen, indem sie klischeehafte Ausdrücke verwenden, die auf das Aussehen der Opfer verweisen oder mit Ausreden die Schuld der TäterInnen relativieren. Das nennt man Victim Blaming.

Vergewaltigung ist kein Sex

Bleibt nur die Frage: Warum machen Medien es trotzdem? Anfragen an „Krone“ und „Österreich“ blieben unbeantwortet. „Wir befinden uns derzeit in einem Prozess der redaktionellen Neuausrichtung“, lässt Heute.at-Chefredakteurin Jacqueline Büchi per E-Mail wissen. Der Ausdruck “Sex-Attacke” werde nicht mehr verwendet, auch „ähnliche Boulevard-Komposita“ werde man auf Heute.at künftig „deutlich seltener“ lesen. Print-Chef Christian Nusser hält den Begriff „Sex-Täter“ für falsch, „Heute“ habe deshalb schon vor „geraumer Zeit“ die Entscheidung getroffen, den Begriff nicht mehr zu verwenden.

Wolfgang Höllrigl, ehemaliger Chefreporter bei „Heute“ und inzwischen in Pension hat hingegen eine andere Meinung zu dem Begriff Er sprach im Jänner bei der „Aufmacher Medienrunde“ offen über die Wortwahl in der Berichterstattung bei Sexualdelikten. Er begründet das häufige Vorkommen von „Sex-Attacke“ mit dem begrenzen Platz im Zeitungslayout. „Wenn du zwei Mal 18 Anschläge hast, ist Sex-Attacke schon ziemlich gut“, antwortete er auf eine Frage aus dem Publikum. Ob er den Begriff als verharmlosend empfindet? „Diese Sensoren habe ich nicht so.“ Dass das Wort verallgemeinernd ist, gab er allerdings selbst zu – das sei für ihn allerdings nichts negatives. „Sex-Attacke ist einfach alles“, sagte Höllrigl.

Dass „Sex-Attacken“-freie Berichterstattung auch auf engstem Raum funktionieren kann, zeigen allerdings etliche Beispiele, auch aus der „Krone“ und „Österreich“. Möglicherweise auch deshalb, weil das Wort „Vergewaltigung“ gar nicht so viel mehr Platz im kostbaren Print-Layout braucht als „Sex-Attacke“, nämlich gerade einmal um drei Zeichen mehr.

Auch der Verein Aufstehn hat 2017 eine E-Mail an alle Chefredakteure von Österreichs Medien gesendet. Manche Zeitungen hätten sich daraufhin in Artikeln kritisch mit dem Thema auseinandergesetzt, andere hätten auch zugesichert, sich mit der Problematik intern auseinanderzusetzen, erzählt Mayrhofer.

Was sie als Alternative zu den „Sex“-Begriffen vorschlägt? „Die Medien müssen die Dinge beim Namen nennen“, sagt Mayrhofer. Auch wenn in der Titelzeile wenig Platz ist.

Der Presserat ist der gerüchteweise zahnlose Kopf der freiwilligen Selbstkontrolle von Printmedien in Österreich. Für diesen Freitag lädt er zu seinem Rückblick auf das Jahr 2018. Grund genug, sich anzusehen, welche unmittelbare Wirkung seine Entscheidungen bei den betroffenen Medien zeigten. (Spoiler: es gibt noch Luft nach oben.)

Nachfolgend alle im letzten Jahr festgestellten Verstöße gegen den journalistischen Ehrenkodex, wo vom Presserat zumindest eine freiwillige Veröffentlichung der Entscheidung im jeweiligen Medium gefordert wurde.

Grün: das Medium ist der Aufforderung anstandslos gefolgt
Gelb: es gab zumindest eine wahrnehmbare Reaktion (außer Löschungen, die niemand mehr mitbekommt)
Rot: der Presserat wurde mehr oder weniger ignoriert

(Der erste Link verweist stets auf das PDF des Presserats mit Falldarstellung und Entscheidung)


23.01.2018 – Krone:  Vorwürfe gegen das Grazer „Forum Stadtpark“, es gäbe Verbindung zu Vandalismus bei Protesten gegen das Murkraftwerk, ohne den Beschuldigten eine Stellungnahme zu ermöglichen

Reaktion: Keine. Artikel steht unverändert online.


25.01.2018 – Krone: Berichterstattung über Suizid eines kroatischen Generals („Starker Abgang wie einst von Göring“)

Reaktion: Keine


01.02.2018 – News: Überschießende Berichterstattung über Suizid eines 11-jährigen Asylwerbers

Reaktion: Erwähnung der Entscheidung im Editorial. Zudem hob der Senat bereits in seiner Entscheidung positiv hervor, dass in der Folgeausgabe ein Essay zum Thema „sensible Medienberichterstattung über Suizide“ veröffentlicht wurde.


08.03.2018 – Österreich: Bericht über „Hausverbot für Nikolo“ nicht ausreichend recherchiert – erforderliche Stellungnahme erst in Folgeartikel nachgereicht

Reaktion: Keine


08.03.2018 – OÖN: „Marchtrenker feiert Ende seiner Ehe mit Scheidungsparty für 350 Gäste“ — Berichterstattung über (zu) private Details einer Scheidung

Reaktion: Da es sich um ein Schiedsverfahren aufgrund der Beschwerde einer direkt betroffenen Partei handelte, musste in diesem Fall die Entscheidung nach den Vorgaben des Presserats veröffentlicht werden. Zudem wurde der Online-Artikel entfernt.


20.03.2018 – Krone: Falsche Zahlen zu straffälligen Asylwerbenden („45,9% der kriminellen Ausländer sind Asylwerber“)

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel ohne Berichtigung gelöscht.


03.04.2018 – Wochenblick: In einer Artikelserie über Migration in Schweden wurde das Land dargestellt, „als wäre es auf  dem Weg in den Untergang“ — die Leser wurden von der Autorin „auf geradezu systematische Art und Weise getäuscht“

Reaktion: Mehrere Bildschirmseiten lange Erwiderungen von Chefredakteur und Autorin (Archivlinks), in denen dem Presserat u.a. unlautere (Konkurrenz-)Motive unterstellt werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den detaillierten Kritikpunkten des Presserats erfolgte nicht, trotz Beteuerung, die Autorin habe in einem Kommentar „ausführlich sämtliche Anschuldigungen widerlegt“.


08.05.2018 – Krone: Veröffentlichung des unverpixelten Bildes eines Mordopfers verstößt gegen Ehrenkodex — Persönlichkeitssphäre ist auch über den Tod hinaus zu wahren

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel gelöscht.


13.06.2018 – Krone: Unverpixeltes Foto von Mordopfer

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Privates Facebook-Foto aus Artikel gelöscht.


26.06.2018 – Österreich /14.09.2018 – Krone, Heute: Detaillierte Berichterstattung über Suizid von DJ Avicii erhöht Gefahr von Nachahmung

Reaktion (alle drei Medien): Keine. Alle Artikel mit den Details des Suizids stehen unverändert online.


Zeit für einen leichteren Zwischengang: Hier die abgewiesene Beschwerde der „Gräfin vom Naschmarkt“, samt Feststellung des Presserats: „Vernichtende Restaurankritik [ist] kein Ethikverstoß“

Reaktion: Severin Corti unter seinem Artikel für den selbstlosen Einsatz danken.


03.07.2018 – OÖN, Trend: Video von Ikea in redaktionellem Online-Artikel nicht ausreichend gekennzeichnet

Reaktion: OÖN veröffentlichen die Entscheidung und räumen ein: „[Das] Video […] hätte mit dem Wort ‚Quelle: Ikea‘ versehen werden müssen. Wir entschuldigen uns dafür.“ Im Originalartikel bleibt es dennoch ungekennzeichnet.

Der Trend löscht das Video aus dem Artikel. Keine Erwähnung der Entscheidung.


09.10.2018 – Wochenblick: SPÖ und ÖGB wird Gewaltbereitschaft unterstellt und zu Unrecht vorgeworfen, strafbare Handlungen bis hin zu Körperverletzungen und Mord gutzuheißen.

Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)


24.10.2018 – Zur Zeit: Diffamierung von Roma und Sinti als „Zigeuner“ und ethnische Zuordnung einer schweren Straftat ohne Beleg

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel steht unverändert online.


24.10.2018 – Österreich: Veröffentlichung zahlreicher Fotos von ermordeten Frauen stellt Persönlichkeitsverletzung dar

Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. „Österreich“ verpixelt nun aber meist die Augen minimal, was die Erkennbarkeit der Opfer jedoch nur unwesentlich einschränkt.


11.12.2018 – alles roger: Artikel über „Österreich-Netzwerk“ von George Soros nicht ausreichend recherchiert, persönlichkeitsverletzend und diskriminierend

Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)


Resümee

Dass sich die üblichen Verdächtigen eher wenig um Verurteilungen durch den Presserat kümmern und diese in manchen jeann… journalistischen Parallelwelten sogar als Ritterschlag gehandelt werden, überrascht nicht weiter. Wenn aber sogar grenzwertige Suizidbeschreibungen bei den größten Boulevardmedien des Landes trotz Presseratsurteil unverändert online bleiben, dann wird die Grenze zwischen freiwilliger Selbstkontrolle und -aufgabe fließend.

Die Kronen Zeitung beherrscht das Kunststück, ihre Leser mit „fast“ korrekten Fakten gezielt in die Irre zu führen. Hier ein klassisches Beispiel:

(Bild anklicken für vollständigen Artikel)

Steiler Anstieg bei Abschiebungen […] 8254 Personen außer Landes gebracht […] 42 Prozent strafrechtlich verurteilt […] fast jeder zweite Aslywerber […]

Viele, die das schnell lesen, werden glauben, es seien über 8.000 Asylwerber abgeschoben worden und 42 Prozent davon waren vorbestraft. Allein, das stimmt nicht …

Die „Abschiebungen“

Laut Innenministerium wurden nicht 8.254 Asylwerber abgeschoben, sondern 2.909 Fremde, zuzüglich 1.754 Dublinüberstellungen in andere EU-Länder. Der Rest sind, anders als die Überschrift suggeriert, freiwillige Ausreisen. Dem Artikel kann man das nur entnehmen, wenn man ihn sehr aufmerksam liest, seine Überschrift ignoriert und bei den Detailzahlen nicht aussteigt.

Und nicht alle Abgeschobenen sind Asylwerber, wie der fettgedruckte Artikelvorspann suggeriert. Unter den 2.909 Fremden befinden sich auch viele straffällige Europäer und ähnliche asylferne Fälle, was uns zum nächsten Punkt führt …

Die „42 Prozent“

Alarmierend falsch ist diese „Krone“-Behauptung:

Alarmierend: […] fast jeder zweite Asylwerber, der Österreich verlassen muss, wurde zuvor wegen einer begangenen Straftat verurteilt

Denn dieser Prozentwert enthält laut Auskunft des Ministeriums auch alle Nicht-Asylwerber, die abgeschoben wurden. Und um z.B. als Europäer aus Österreich abgeschoben zu werden, muss man in der Regel schon was angestellt haben (die letzte aussagekräftige Statistik dazu stammt aus der Zeit, bevor 2014 das BFA übernommen hat, und deutet auf über 70 Prozent Straftäter unter den abgeschobenen Nicht-Asylwerbern hin). Das heißt, hier wurden Asylwerber mit einer überwiegend kriminellen Personengruppe zusammengefasst, was den Prozentwert der Vorbestraften zwingend nach oben treibt.

Auf der anderen Seite wurden aber jene Asylwerber, die diesen Wert deutlich gesenkt hätten, nicht in die Rechnung einbezogen: Nämlich alle, die nach Aufforderung das Land freiwillig verlassen haben und die naturgemäß deutlich weniger mit dem Gesetz in Konflikt kamen.

Ein korrekter Prozentwert, statt den 42,8 der „Krone“, lässt sich im Nachhinein leider nicht berechnen, weil das Innenministerium laut eigener Aussage keine Abschiebestatistik führt, in der Asylwerber und andere Fremde gesondert aufscheinen. Das heißt auch, jeder Medienbericht, der eine konkrete Zahl von Asylwerbern nennt, die in ihre Heimat abgeschoben wurden, ist falsch — weil das Ministerium hier immer Asylwerber und andere Fremde vermischt.

Und noch ein Trick?

Getrickst wurde aber möglicherweise auch noch an anderer Stelle: So beziehen sich alle Abschiebezahlen auf Jänner bis August, aber der Anteil der Vorbestraften auf ein weitaus engeres Zeitfenster von Mai bis August. Das könnte erfassungstechnische Gründe haben, legt aber auch den Verdacht einer willkürlichen statistischen „Optimierung“ nahe, um den Innenminister in der Kronen Zeitung dann wie folgt zu zitieren:

„Behauptungen, die Behörden würden vor allem ‚gut integrierte Personen‘ abschieben, sind damit ja wohl widerlegt“, erklärt Innenminister Herbert Kickl.

Diese Widerlegung wäre noch überzeugender, wenn die Unbescholtenen nicht in der Mehrheit wären, aber die „Krone“ ist seither geradezu besoffen von dieser etwas dubiosen Statistik des Ministers. Sie berichtete nicht nur am 9. September, sondern brachte die gleiche Story exakt eine Woche darauf erneut:

 

Und in der Printversion noch mal deutlich zugespitzt:

Hälfte der Illegalen vor Rückführung kriminell
Bis Ende August mussten 8254 Illegale Österreich verlassen — fast die Hälfte von ihnen hatte davor eine Straftat begangen

„Kriminell“ ist hier vor allem die großzügige Aufrundung und wie sehr der Kronen Zeitung schon alles egal ist: Freiwillig Ausgereiste (auf die sich die höchst zweifelhafte Vorstrafenstatistik gar nicht bezieht), europäische und sonstige Straftäter, Asylwerber, ein Achtmonatszeitraum und ein viermonatiger — hier wurde alles in einen Topf geworfen und fleißig umgerührt, um beim Leser den von „Krone“ und Politik gewünschten Eindruck zu erzeugen.

Inzwischen sind wieder sieben Tage vergangen, wir sind schon gespannt auf das überfällige wöchentliche Update.

Es regnet, es schneit, es hagelt, es scheint die Sonne – so, oder zumindest so ähnlich neutral stellt man sich die Wetterberichterstattung vor. Doch Österreich illustriert Wetterberichte fast immer mit Bikinibildern.

Von den 37 Ausgaben von Österreich vom 1. Mai bis zum 10. Juni, die ich mir angesehen habe, enthielten 13 sexualisierte Wetterberichte – also mehr als ein Drittel. Vier Mal schmückte eine knapp bekleidete Frau sogar das Titelblatt.

Interessant dabei war, dass die Häufigkeit der Bikinibilder mit der Temperatursteigerung zunahm. Vom 1. bis zum 31. Mai wurden sechs Bikinibildern in Zusammenhang mit dem Wetterbericht abgebildet. In den ersten zehn Junitagen waren es bereits sieben – drei davon auf dem Titelblatt.

Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser beim Baden

In diesen 37 Ausgaben wurde übrigens genau ein oberkörperfreier Mann im Rahmen der Wetterberichterstattung gezeigt: Der Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser am 26. Mai  – von Sexualisierung hier aber keine Spur.

Dass der Wetterbericht die meiste Zeit eher unspannend ist, ist wohl nicht zu leugnen. Es bleibt die Frage, ob es deshalb nötig ist, das Wetter mit Bikinibildern zu illustrieren und somit unnötig zu sexualisieren.

Dass fremde Menschen sich ein Krankenhauszimmer teilen müssen, ist für die Erste-Klasse-Patienten in der Wiener Muthgasse offenbar so unvorstellbar, dass sie heute tatsächlich diesen Schocker titeln:

„Im Spitalszimmer war fremder Mann“ (Kronen Zeitung, 13.7.2018)

Was war geschehen? Ein Säugling mit Mutter und eine siebenjährige Patientin mit ihrem Vater teilten sich dasselbe Krankenhauszimmer. Zur Wahrung der Privatsphäre wurden mehrere Paravents zwischen den Betten aufgestellt. Die Mutter wollte aber dennoch unbedingt ohne den Mann im Raum stillen. Dieser allerdings wollte seine kranke Tochter nicht verlassen, bevor sie eingeschlafen war.

Nach erfolglosen Interventionen verließ die Mutter „genervt die Klinik“ und irgendwer informierte wohl die Kronen Zeitung über den Skandal, dass sie ein Mehrbettzimmer mit anderen Menschen teilen musste. Wie das zur Geschichte werden konnte, bleibt ein Rätsel — wobei, Moment — über dem Titel steht noch was:

„Kultur-Aufreger“

Ach ja, der fremde Vater war Syrer — aber das hatte sicher keinen Einfluss auf den „Newswert“ dieser „Story“.

Mit Dank an Alexander R. für den Hinweis

Die »Kronenzeitung« behauptet, die Unfallhäufigkeit zwischen RadfahrerInnen und FußgeherInnen hätte sich in Wien verdoppelt und nennt »elf getötete Fußgeher«. Doch derartige Todesopfer existieren nicht, Radfahren wird in Wien tendenziell sicherer, und Wiens FußgeherInnen müssen sich heute weniger fürchten als früher. 

In der aufgeheizten Berichterstattung des Boulevards wird regelmäßig von »aggressiven Radfahrern« geschrieben, von »rücksichtslosen Kampf-Radlern« oder gar von »Rad-Rowdys«, die wehrlose FußgeherInnen in Angst und Schrecken versetzen und offenbar eine blutige Spur der Verwüstung durch unsere Stadt ziehen.

Ein Ende Juni in der »Kronenzeitung« und auf krone.at erschienener Artikel ist voll von derart dramatischen Formulierungen und Schuldzuweisungen. So heißt es, »Radfahrer gegen Fußgeher (…) Die Zahl der getöteten Fußgeher stieg 2017 auf elf Menschen«:

krone.at: »Radfahrer gegen Fußgeher: In nur vier Jahren erhöhte sich die Zahl von 44 auf 74. Und ein weiterer Negativrekord: Die Zahl der getöteten Fußgeher stieg 2017 auf elf Menschen.«

Über in Wien von RadfahrerInnen getötete FußgeherInnen ist der »Mobilitätsagentur Wien« auf Rückfrage jedoch »seit vielen Jahren gar nichts bekannt«. Die FußgeherInnen wurden in Unfällen mit PKWs, LKWs und Straßenbahnen getötet – nicht von RadfahrerInnen.

Unklare, nicht öffentliche Zahlen

Zudem schreibt die »Kronenzeitung«, 74 Menschen seien allein 2016 in Wien »von Rad-Rowdys niedergemäht« worden, eine Zahl die sich »in vier Jahren verdoppelt« habe. Dies gehe aus soeben von der Polizeidirektion Wien veröffentlichten Zahlen hervor.

Da ist ein Re-Check natürlich verlockend. Mein Anruf bei der Pressestelle der Polizeidirektion Wien verläuft jedoch ergebnislos: Nein, man könne die im Artikel erwähnten Unfalldaten nicht zur Verfügung stellen. Veröffentlichungen derartiger Zahlen würden ausschließlich über offizielle Presseaussendungen erfolgen und eine solche Aussendung habe es in letzter Zeit nicht gegeben. Auf die Frage, ob es bei der Wiener Polizei vielleicht zwei verschiedene »Öffentlichkeiten« gebe, nämlich eine für Kronenzeitung-Redakteure und eine andere für Normalsterbliche, wird ausweichend beantwortet.

Nach einigen Bemühungen gelingt es mir über Umwege, an den von der Polizei der »Kronenzeitung« zur Verfügung gestellten Datensatz heranzukommen (Bild links). Sofort fällt auf, dass es sich bei den Werten der Polizei nicht um die offiziellen, von der Statistik Austria erhobenen Unfallzahlen handeln kann (Datensatz 1 / Datensatz 2). Eine entsprechende Tabelle würde nämlich aussehen wie jene rechts im Bild:

Vergleich einer Tabelle der Polizeidirektion Wien mit offiziellen Daten der STTISTIK AUSTRIA

Betrachten wir die Anzahl der Unfälle zwischen Radfahrern und Fußgehern von 2012 bis 2016 (im linken Bild gelb markiert): Abgesehen davon, dass es statistisch immer problematisch ist, einzelne Jahre miteinander zu vergleichen, würde es sich bei dem von der Polizei behaupteten Anstieg von 44 auf 74 nicht um eine »Verdopplung«, sondern lediglich um eine Zunahme von 68,2% handeln.

Die offiziellen Ganzjahreszahlen der Statistik Austria (rechts) zeigen jedoch ein ganz anderes Bild: Die tatsächliche Anzahl der Unfälle liegt zwar mit 124 zu 143 höher als von der Polizei behauptet, die relative Zunahme betrug jedoch lediglich 15,3%. Wie die davon abweichenden und nirgendwo veröffentlichten Zahlen der Polizei zustande kamen, konnte ich nicht herausfinden.

Öfter, aber trotzdem unwahrscheinlicher

Dazu kommen zwei Faktoren ins Spiel, die die Zunahme der absoluten Werte um 19 Ereignisse weiter relativieren:

Da im betrachteten Zeitraum die Bevölkerung Wiens um 7,3% gewachsen ist, waren 2016 auch 7,3% mehr Menschen auf der Straße als 2012, und deshalb war auch mit einer Zunahme der Unfälle um 7,3% (oder 9 Ereignisse) zu rechnen: Statt 124 Unfällen wie im Jahr 2012 wären im Jahr 2016 also 133 Unfälle ganz logisch gewesen.

Dass es dann tatsächlich um 10 Ereignisse mehr waren ist vermutlich der im Zeitraum 2012 bis 2016 verzeichneten Zunahme des Radverkehrsanteils von 6 auf 7 Prozent geschuldet – auch hier behauptet die »Kronenzeitung« die Unwahrheit –, und nicht der Tatsache, dass Wiens RadfahrerInnen immer mehr zu »Rowdys« geworden wären.

Im Gegenteil: Durch die Zunahme des Radverkehrsanteils hätte es bei gleichbleibender Unfallwahrscheinlichkeit wie 2012 im Jahr 2016 eigentlich 155 Unfälle geben müssen, also um 12 mehr als dann tatsächlich passiert sind. Auf Basis dieser Zahlen sind Wiens RadfahrerInnen also keineswegs rücksichtsloser geworden.

Radfahrer wie immer an allem schuld?

Tatsächliche Zusammenstöße zwischen FußgeherInnen und RadfahrerInnen haben noch lange nicht automatisch etwas mit »Rowdytum« zu tun. Die Verursacher der Unfälle sind aus solchen Statistiken nicht ablesbar, die Schuld wird oft viel später von unabhängigen Gerichten festgestellt. Selbst jene von RadfahrerInnen verschuldeten Unfälle passieren nicht immer aus Aggression und Rücksichtslosigkeit. Hier kommt etwa auch Unachtsamkeit in Frage. Auch zu schmale Radwege, die auf Gehsteige gepinselt wurden, dürften bei Konflikten mit den dort Gehenden eine Rolle spielen.

Das größte Risiko ist und bleibt für Wiens FußgeherInnen das Auto. Das belegen die rund 7- bis 8-mal so hohen Unfallzahlen zwischen PKW und FußgeherInnen, und diese Unfälle haben in der Regel noch wesentlich dramatischere Auswirkungen.

Die Schlagzeile »Tausend Fußgeher von Auto-Rowdys niedergemäht!« hat man in der »Kronenzeitung« jedoch noch nicht gelesen.

Update 10. Juli:

Einer der Autoren des kritisierten Artikels, Richard Schmitt, hat angekündigt, Kobuk zu verklagen. Wir stehen jedoch weiterhin zu dieser Medienkritik.

Ich gestehe gerne zu, das Gratisblatt „Heute“ versucht so was wie einen „guten Boulevard“. Die andernorts übliche Angst- und Stimmungmache fehlt weitgehend auf dem Titelblatt und die launigen „Theaterkritiken“ des Print-Chefs zu den Inszenierungen der österreichischen Innenpolitik werden auf Twitter regelmäßig abgefeiert — auch von mir.

Aber manchmal bricht dann doch die ursprüngliche DNA durch. Zu groß die Versuchung, einen Klickköder für rechte Multiplikatoren auszulegen, wenn er sich scheinbar anbietet. „91-jährige Oma von Flüchtling vergewaltigt“, titelte „Heute“ am Freitag online:

Eine klare Falschmeldung. Nach dem Hinweis auf Twitter umgehend korrigiert und im Artikel selbst transparent dokumentiert (da ist er wieder, der gute Boulevard).

Der Schaden allerdings ist getan. Kaum ein Leser kehrt zurück und liest die kleine Korrektur ganz am Ende des Artikels. Und in den „sozialen“ Medien quakt die Ente untot weiter. Allein auf der Facebookseite des blauen gf. Klubobmanns wurde die Falschmeldung seit der Korrektur (!) durch „Heute“ über 100 Mal neu geteilt und doppelt so oft mit einem (meist) wütenden Smiley versehen. Trotz vielfacher Hinweise in den Kommentaren.

Es scheint, Johann Baptist G. würde sich eher umtaufen lassen, als einen Fehler zu korrigieren, der seiner Agenda nützt. Wär das nix für den nächsten launigen Kommentar, Herr Chefredakteur? Zweg’n dem guten Boulevard wär’s, an den wir alle gerne glauben würden.

(Via Thomas Hoisl auf Twitter)

Update 25.6.2018
Nachdem auch der Online-Standard und das deutsche BILDblog die Geschichte aufgegriffen haben, hat Johann Gudenus die Falschmeldung kommentarlos von seiner Facebookseite gelöscht.

Der Ötztaler Bergbauer Markus Wilhelm ist der wohl politisch einflussreichste Blogger Österreichs. Armin Wolf schrieb mal über ihn, Wilhelm sei mit seinen außergewöhnlich gut dokumentierten Enthüllungen bei der Tiroler ÖVP gewissermaßen Landesfeind Nummer eins geworden und habe es tatsächlich geschafft, …

[…] eine Art Gegenöffentlichkeit in Tirol herzustellen, mit Geschichten, die auch von den etablierten Landesmedien nicht ignoriert werden können.

Nun, die Geschichten können sie nicht ignorieren, aber wie die größte Tageszeitung Tirols über Markus Wilhelm und sein Blog dietiwag.org nicht berichtet, das ist schon bemerkenswert.

1. Der „Blogger“

Journalisten meiden Wiederholungen, es ist schlechter Stil. Noch mehr meidet die „Tiroler Tageszeitung“ nur den Namen Markus Wilhelm. Ihre Leser kennen den Dissidenten daher nur unter dem Codenamen „Blogger“:

      

Doch die TT kann auch anders. Hier nennt sie den Namen und schreibt sogar anerkennend: „der populärste Blogger des Landes“:

Tja, bloggte Wilhelm in China, hätte er in Tirol einen Namen — das wär doch ein Gewinn für alle Seiten …

2. Die leicht modifizierte APA-Meldung

Eine „Schweinerei erster Ordnung“ will Hans Peter Haselsteiner, gewohnt instinktsicher, in der „Tiroler Tageszeitung“ geortet haben. Er meint natürlich nicht diese kleine Änderung der APA-Meldung, die aus Platzgründen leider unumgänglich war — sonst hätte man das schöne Bild beschneiden müssen:

[Haselsteiner] ortete politische Motive des Tiroler Bloggers Markus Wilhelm, auf dessen Homepage die Vorwürfe veröffentlicht worden waren ortete politische Motive hinter den Vorwürfen, die online veröffentlicht worden waren.

 

Was nicht so alles in diesem Internet kursiert. Auch hier hat die APA leider den falschen Einstieg gewählt, die TT hat’s für ihre Leser korrigiert:

Nach den auf „dietiwag.org“ des Bloggers Markus Wilhelm veröffentlichten Nach den im Internet kursierenden Vorwürfen gegen die Festspiele Erl und deren Künstlerischen Leiter „Maestro“ Gustav Kuhn, will Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) nun eine Sitzung des Stiftungsvorstandes einberufen.

 

3. Die TT — Eine Klasse für sich

Allein über Wilhelms Festspiel-Coup haben in den letzten Monaten im deutschsprachigen Raum und in Südtirol diese Medien berichtet:

Der Standard ● Die Presse ● Kleine Zeitung ● Kronen Zeitung ● Kurier ● Neue Vorarlberger Tageszeitung ● OÖN ● ORF ● „Österreich“ ● Profil ● Salzburger Nachrichten ● Tiroler Tageszeitung ● Vorarlberger Nachrichten ● Wiener Zeitung ● Abendzeitung (D) ● Die Welt (D) ● Süddeutsche Zeitung (D) ● Weltwoche (CH) ● Dolomiten (ITA)

 

Das einzige Medium, das dabei kein einziges Mal den Namen des Aufdeckers oder seines Blogs genannt hat, ist die … Trommelwirbel …

Tiroler Tageszeitung

 

 

Bonustrack

Dabei hat das Blatt gar nichts gegen Blogger, im Gegenteil. Hier gibt die TT anhand einer Tiroler Modebloggerin mit Hund sogar richtig gute Tipps, wie man erfolgreich Vollzeitblogger wird:

„Die Themen sollen aktuell sein, einen Nutzwert für die Leserschaft erzeugen und Emotionen hervorrufen“ […] Unter Emotionen können auch gerne provokative und freche Noten einfließen.

Vielleicht sollte Markus Wilhelm das einfach mal beherzigen.

„Fast 38.000 Beamte im Dienst verletzt“, diese schockierende Zahl titelte die Kronen Zeitung am Freitag. Und das ist allein schon deshalb erstaunlich, weil das um 8.000 Polizisten mehr sind, als es in ganz Österreich gibt.

Tief im Blattinneren löst sich dann für aufmerksame „Krone“-Leser des Rätsels erster Teil: die beiden Redakteure haben schlicht alle verletzten Polizisten bis zurück ins Jahr 2000 (!) addiert — ebenso gut hätten sie bis Metternich gehen können, aber das wäre wohl doch zu sehr aufgefallen:

Das Aufsummieren über eine willkürliche Anzahl Jahre ist statistisch eine eher nutzlose Übung, hat aber den Vorteil, dass es zu einer beeindruckenden Zahl führt, die auch praktischerweise immer nur steigen kann. Der Kronen Zeitung gefällt dieser Trick so gut, dass sie ihn nun regelmäßig bringt. Hier, vor vier Monaten, der selbe Polizeialarm, die gleiche Grafik, nur Beipacktext und Zahlen unterscheiden sich:

Kobuk-Basteltipp: Grafik ausschneiden und sammeln. Am Ende des Jahres geht sich vielleicht ein Daumenkino aus.

Der Täuschung zweiter Teil

Wer nun dem Rest der Schlagzeile vertraut und glaubt, dass diese 38.000 dann immerhin „im Dienst“ Opfer von „Gewalt gegen Polizisten“ geworden seien, geht der „Krone“ erneut auf den Leim. Denn diese Zahl enthält zur Hälfte auch all jene Beamten, die sich im Dienst ganz „normal“ verletzt haben oder wie es im Februar die Oberösterreich-„Krone“ noch fast häretisch formulierte:

Hälfte ist selbst schuld

[…] Dabei geht die Gefahr aber in kaum 50 Prozent von irgendwelchen bösen Buben aus, mit denen die Beamten sich herumschlagen müssen. Öfter verletzen sie sich beim Sport oder im Dienstalltag.

 

Was bleibt von der Schlagzeile?

Wenn man die Kampagnen-Hysterie abzieht, bleiben von den 38.000 Übergriffen auf der Titelseite ca. 1.100 im letzten Jahr. Knapp 90 Prozent davon waren leichte Verletzungen und ca. jeden dritten Tag wurde ein Polizist wegen einer Amtshandlung schwer verletzt.

Und ja, die absolute Zahl steigt. Das könnte zum Teil aber auch strukturelle Gründe haben:

 

Was macht die Kronen Zeitung hier?

Was wir in der „Krone“ zum Thema Polizei lesen, ist kein Journalismus. Es ist die ungefilterte Position des Innenministeriums, der Polizeigewerkschaft und einer Redaktion, die von exklusiven Geschichten aus diesen Quellen lebt. Eine andere Seite kommt — trotz Doppelseite — nicht vor.

Am Ende dieses Weges werden wir wie selbstverständlich „wissen“, welche Maßnahmen nun absolut nötig, ja längst an der Zeit seien. Und dass es angesichts der Nachrichtenlage geradezu absurd wäre, diese Pläne infrage zu stellen.

Für welche Pläne das Triumvirat aus „Krone“, Kanzler, Vizekanzler hier gerade den Boden bereitet, ist auch kein großes Rätsel mehr:

„… daher braucht es ein Ende der Täter-Opfer-Umkehr.“