Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Krone-Autor Michael P. hat ein seltsames Verhältnis zu Resozialisierungseinrichtungen. Die eine Woche schreibt er sie in den Himmel, preist in schillernsten Farben den „Luxus hinter Gittern„. Die andere Woche schreibt er sie zur Hölle auf Erden herbei. Beide Male fabriziert er hanebüchenen Unsinn.

Ausgangspunkt war diesmal die Entscheidung des Landesgerichts Eisenstadt, einen 14-jährigen Straftäter in ein Internat für schwer erziehbare Jugendliche in den USA zu schicken — „The Glen Mills Schools“ in Pennsylvania.

Diese Einrichtung versteht sich nicht als „Boot Camp“, sondern verfolgt den Ansatz der Peer-Education. Den Jugendlichen werden keine zweifelhaften Autoritäten vorgesetzt, die mit Druck, militärischem Drill und Repression arbeiten. Vielmehr wirft man sie in eine Art „Gang“ Gleichaltriger. Allerdings eine mit gesellschaftlich erwünschten Normen und Werten. Die Problemkinder bekommen hier eine Ausbildung, müssen gemeinsame Ziele erreichen, lernen in Gruppengesprächen Konfliktsituationen zu meistern und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Bei entsprechenden Fortschritten ist ein Aufstieg in der Hierarchie mit entsprechenden Privilegien möglich. Bei Rückfall in unerwünschte Verhaltensmuster folgt sozialer Abstieg in der Gruppe und im Erziehungsprogramm.

Soviel ganz grob zum nicht völlig unumstrittenen Glen Mills-Konzept.
Weitere Einblicke gibt es hier oder in diesem Video.

Und so hat die Kronen Zeitung am Sonntag ihren (tlw.) zahlenden Lesern die Geschichte erzählt:

Kronen Zeitung, 21.3.2010, S. 12/13

[…] Strafzellen, Isolationshaft und täglicher Drill […]

In den Staaten heißen sie „amerikanische Gulags“ […] Jetzt hat auch die österreichische Justiz diese Besserungs-Camps für sich entdeckt.

„Sir, yes Sir“ — das bleibt vielleicht der einzige Satz, den der 14-jährige […] risikolos sagen darf.

[…] Die Zeit hinter Gittern [in Österreich] wird dem Schwererziehbaren […] wie das Paradies vorkommen, zumindest im Vergleich zum Tagesablauf in „Boot Camps“ […]

Denn die Camps sind in vielen Punkten schlimmer als die Armee. Die Jugendlichen werden rund um die Uhr angebrüllt, oft herrscht Redeverbot, es gibt Isolationshaft und Fußketten.

[…] durch die harten Züchtigungsmethoden verlieren die Insassen schnell die Nerven, erleiden Kreislaufzusammenbrüche. 30 Teenager sind seit 1980 in elf Staaten bereits ums Leben gekommen.

PS: oe24.at vergaloppiert sich in seiner Meldung weniger tief ins Reich der Fantasie, steuert aber wie gewohnt das schönste Symbolbild bei… Nein, der „Burgenländer kommt [nicht] in diese amerikanische Umerziehungsanstalt [in North Carolina]“.

Richard Schnabl weist unter berliner-journalisten.com auf das Cover der aus München stammenden, deutschen Klatsch-Illustrierten BUNTE hin. Dort wird der österreichische Schauspieler Christoph Waltz als „Unser Star“ bezeichnet. Möglicherweise hat die Redaktion den Film Inglorious Bastards Inglourious Basterds für eine Dokumentation gehalten. In diesem hat Waltz für seine Rolle als SS-Standartenführers Hans Landa den Oscar als bester Nebendarsteller erhalten.

Als weiterer Faux-Pas wurde statt dem Oscar die Goldene Spectra abgedruckt.

Nachricht (Journalismus)
„Die Nachricht ist eine journalistische Darstellungsform und teilt eine Neuigkeit mit […].“

Boulevardisierung
„[…] Die Auswahl der Nachrichten orientiert sich […] nicht mehr ausschließlich an journalistischen Aktualitätskriterien […].“

Update: Da habe ich ORF.at Unrecht getan, ein ganz wenig. Denn diese Boulevard-Meldung ohne Newswert wurde ihm offenbar — man höre und staune — von der APA als Nachricht verkauft. Und der Standard hat da natürlich auch zugeschlagen.

Meuchelt der Onkel seine Nichten,
wird sofort sie groß berichten.
Asylanten, Dealer, Kriminelle,
auf Seite 1, da rollt die Welle.
Nicht beim kleinsten Fehler der EU,
drückt gnädig sie ein Auge zu.
Doch dass Gottes Haus zur Hölle wenden,
Priester, die dort unsre Kinder schänden,
(ein Horror, der sich täglich mehrt)
ist der „Krone“ kaum die Rede wert.

Wotan Mirfl

 

Am interessantesten sind in der Krone ja oft jene Themen, über die sie nicht berichtet. Oder auffallend leise, für ein Boulevard-Blatt ihres Charakters.

(Schlagzeilen von 10. bis 15.3.)

Hier zum Vergleich die Titelseiten anderer Medien im selben Zeitraum:

Selbst in den zahlreichen kleinen News-Kästchen der Krone-Titelseiten wurde das Thema totgeschwiegen (jdf. in den OÖ-Ausgaben). Lediglich im Blattinneren gab es so etwas wie eine Kathpress-Minimalabdeckung der Nachrichtenlage: Nahezu ausschließlich O-Töne von Kirchenvertretern, sonst kaum ein kritisches Wort. Und ein Brief von Jeannée an die „Liebe Kirche“, in dem er bedauerte — nein, nicht die missbrauchten Kinder — sondern, dass die…

schwarzen Priester- und Klosterbrüderschafe, […] den Philistern, Selbstgerechten, Puristen und Kirchenhassern nun scharfe Munition im Überfluss liefern für ihr heiß ersehntes Armageddon … die große Abrechnung, das finale Gefecht, die Mutter aller Schlachten kontra Kreuz und Glauben.

(Das Krone-Blog — nicht verwandt mit dem Blatt — hat sich des Themas ebenfalls angenommen.)

Das Meinungsforschungsinstitut IMAS veröffentlichte jüngst einen „Report“ unter dem zurückhaltend seriösen Titel „Hilferuf nach mehr Sicherheit“, der speziell vom Boulevard dankbar aufgegriffen wurde.

So schlagzeilte die OÖ-Ausgabe von „Heute“:

Stoppt endlich die Kriminalitätswelle
[…]
Dramatisch: Jeder 2. Linzer traut sich nachts nicht mehr auf die Straße


Man muss sich das bildlich vor Augen führen: Jeder zweite Linzer geht nachts nicht mehr aus dem Haus. Die anderen Hauptstädte liegen da ähnlich, am Land ist’s ein bisserl besser und in Wien am allerschlimmsten. Insgesamt sind es wohl bereits Millionen Österreicher, die sich nach Sonnenuntergang nicht mehr ins Theater trauen, ins Lieblingscafé ums Eck oder auch nur ihren Hund gassi führen, weil sie Angst haben, Opfer eines Verbrechens zu werden. Das ist die erschütternde Realität in Österreich 2010.

Wenn wir „Heute“ glauben.

Stefan Niggemeier geht im BildBlog der kuriosen Frage nach, warum die BILD den natürlichen Tod eines (bislang) namenlosen unter 4000 Bewerbern für eine Castingshow Stefan Raabs als Meldung des Tages auf den Titel hebt. Lesenswert.

Ausriss: BildBlog.

Der Medienbeobachter Max Kossatz hat 24h lang ORF1 geschaut und auf seinem Blog ein paar interessante Findings dazu veröffentlicht. So sendet ORF1 mehr Werbung als Nachrichten. 52% des Tages, also ganze zwölfeinhalb Stunden sind mit US-Serien voll. Rechnet man die deutschen Telenovelas dazu, kommt man gar auf 14 Stunden.

Max hat diese 24h auf aufschlussreiche fünf Minuten komprimiert:

Ich bin froh, keinen Fernseher zu besitzen und diesen Leuchtturm des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags nicht mit meinen Gebühren finanzieren zu müssen.

Die APA — und somit auch nahezu alle angeschlossenen Newsredaktionen des Landes — berichtete zum großartigen Oscar-Erfolg von Christoph Waltz:

18 internationale Auszeichnungen hat der Vater von vier Kindern seither für die Rolle erhalten

Bildzitat von https://www.picturedesk.com/de/infografik.htmlDas ist eine kleine Ehrabschneidung. Die renommierte Internet Movie Database listet nämlich bereits 27 Ehrungen, samt Oscar. Übereinstimmend zählen auch internationale Medien „nearly 30 awards“ in diesem Zusammenhang.

Lediglich wenn man in der deutschen Wikipedia in Waltz‘ Preisliste (die aber klar als „Auswahl“ gekennzeichnet ist) die Zeilen mit den Basterds zählt, kommt man genau auf … Bingo!

Aber das ist sicher nur Zufall, denn eine professionelle Nachrichtenagentur zählt nicht auf Wikipedia.

______________
(Bildzitat: APA)

Du bist Krone-Redakteur und feierst große Party. Die Stimmung ist ausgelassen. Du unterhältst dich prächtig und fühlst dich richtig wohl im Kreise deiner Freunde und Kollegen. Dummerweise haben sie beschlossen, dir für deine Verfehlungen eine Abreibung zu verpassen. Du wirst in einen Nebenraum gebracht, die Tür wird versperrt und so musst du dort den Rest des Abends verbringen, während nebenan die Feier munter weitergeht.

Und weil du in deinem 10 m²-Gefängnis vielleicht sogar nen Fernseher, ein Bett und eine schöne Aussicht aus dem Fenster hast, wissen auf der Party alle: „Das ist ja gar keine Strafe für dich. Du hast es da so schön, du würdest auch freiwillig drin bleiben (vielleicht sollten wir dich besser in den Keller, zu den Ratten…?)“.

Ja — alles was hinkt, ist ein Vergleich. Doch wie sonst soll man dem gemeinen Krone-Redakteur und -Leser eine nur ansatzweise Vorstellung vermitteln, was Gefängnis bedeutet? Dass die Strafe nicht in möglichst menschenunwürdigen Haftbedingungen besteht, sondern in der Isolation vom Leben da draußen. Im Entzug der Freiheit. Der Freiheit, zu gehen, wohin man will. Zu sehen und zu spüren, jene, die man liebt. Zu tun und zu lassen, was man gedenkt. Und das nicht an einem einzigen, launigen Party-Abend, sondern über Monate, oft Jahre hinweg.

Keine Sorge, wir wollen jetzt nicht sozialromantisch das Leid verklären, von Menschen, die nur ihre gerechte Strafe erfahren — aber vielleicht doch einen kleinen Ausgleich schaffen und einen etwas entzerrten Blick auf Beschreibungen wie jene in der letzten Sonntags-Krone:

Luxus hinter Gittern
Willkommen im schönsten Gefängnis der Welt. „Hier in Leoben bleibt man freiwillig“, sagen die Täter. Ihre Opfer müssen meist viel mehr leiden.

[…] die Justizanstalt Leoben in der Steiermark sieht nicht aus wie ein Gefängnis, sie sieht aus wie ein Vier-Sterne-Wellnesshotel mit Wohlfühlcharakter. Hier spielen Kinderschänder gegeneinander Tischfußball, hier borgen sich Drogendealer in der Bibliothek Bildbände aus, hier genießen Serienvergewaltiger auf der Sonnenterrasse ein bisschen die Frühlingsluft.

Quelle: https://www.krone.at/krone/S32/object_id__188802/hxcms/index.html

Man hat entweder viel richtig oder viel falsch gemacht, wenn die ganze Welt nach Leoben blickt. Wenn selbst Brasilien ein Fernsehteam in die Steiermark schickt. Wenn das „Times Magazine“ die edle Architektur lobt. Wenn Georgier im Internet mit den Fotos Kriminelle anwerben: „In Leoben bleibt man freiwillig, da bricht man nicht aus.“

Quelle: https://www.krone.at/krone/S32/object_id__188802/hxcms/index.html

Ob kinderschändende, serienvergewaltigende Drogendealer zur repräsentativen Stammbelegung der JVA Leoben gehören, die vorwiegend für U-Häftlinge und Kleinkriminelle konzipiert wurde, wissen wir nicht. Aber das „Luxus“-Gefängnis erregt die Krone offenbar so sehr, dass sie es, dreieinhalb Jahre nach ihrem ersten Bericht, nun aufs Neue ins Blatt hebt. Ohne neue Erkenntnisse zwar, aber dafür groß auf einer Doppelseite aufgemacht, als „Die Reportage“.

Am 25.08.06 waren es allerdings noch nicht „die Täter“, denen in den Mund gelegt wurde, hier bliebe man freiwillig. Auch gab’s noch keine dubiosen „Georgier im Internet“, die angeblich Kriminelle mit zufällig den gleichen Worten werben. Damals schrieb die Krone dieses Zitat noch einer harmlosen georgischen Website zu, die die JVA ironisch mit einem Hotel verglichen haben soll. Wie übrigens auch einige andere Websites und Foren es weltweit taten — aber das soll nicht unseren angstschweren Blick auf die finsteren Georgier trüben.

Als kleinere Seitenfüller der Reportage dienen zwei weitere Anstalten, die etwas arg bemüht auch ihr Luxus-Fett abkriegen. Vielleicht um eine Art System im österreichischen Luxus-Strafvollzug zu belegen. So wird das „Landl“ in der Wiener Josefstadt zum „Gourmet-Paradies“ erkoren. Steht da wirklich, wörtlich so! Weil es Menüs für unterschiedliche Bedürfnisse anbietet. Unter uns, das tun auch andere Haftanstalten, Graz-Karlau zum Beispiel. Auch wenn also im „Landl“ der ultimative Gaumenkitzel lockt, warten wir vor dem Bankraub lieber noch das Urteil der Haute Cuisine ab. Manchmal sagt eine Haube mehr als eine Krone.

Ja, und die Justizanstalt Favoriten, in der Drogensüchtige entwöhnt werden, bei notorischer Überbelegung, aber laut Krone immerhin „offenen Türen“ (des öfteren auch Pulsadern, aber das passte wohl nicht in „Die Reportage“), die ist sicher auch ein bislang schwer verkannter Hort des Luxus, in den man sich gerne zurückzieht um sich von seinen Raubzügen zu erholen.

Quelle: https://www.krone.at/krone/S32/object_id__188802/hxcms/index.html

Er möchte dennoch „keinen Tag eingesperrt sein“, darf ein JVA-Beamter aus Leoben den Luxus-Spuk dann doch noch etwas relativieren — in der ihm gewährten Zweifragen-Interviewzelle.

Die treffendste Antwort hätte aber ohnehin schon das von der Krone angeführte, leider nicht weiter berücksichtigte, Times Magazine in seinem lesenswerten Artikel gegeben:

Jeder [der die Bilder aus Leoben sieht] sagt — so oder ähnlich: „Ich glaube, Verbrechen lohnt sich doch.“ […] Oder: „Vielleicht sollte ich nach Österreich ziehen und ein paar Banken ausrauben.“ Das ist eine absolut nachvollziehbare Reaktion, dennoch aber auch töricht und falsch — in etwa so vernünftig, als würde man einen neuen Spitalstrakt betrachten und sagen: „Wow, ich wünschte ich hätte Krebs.“

Laut Times komme der menschlichere Strafvollzug übrigens auch jenen sehr zugute, die dort — manchmal tatsächlich lebenslang — ihren harten Dienst versehen. Und vielleicht sollten wir auch nicht vergessen, dass „die“ fast alle irgendwann wieder raus kommen. Wetten, auch der Krone-Autor wünschte sich — wenn’s unvermeidbar wäre — als Nachbar lieber einen „Ehemaligen“ aus dem Musterstrafvollzug, als aus dem Kerker seiner Träume?

Schließen wir mit Fjodor Dostojewski den Kreis zum Titel der Geschichte:

«Den Grad der Zivilisiertheit einer Gesellschaft kann man beurteilen, wenn man in ihre Gefängnisse schaut.»

Luxus hinter Gittern

Wenn die Tage im Frühling kürzer werden ist das natürlich eine Story. Und so berichtet auch „Heute“, das Beben in Chile habe die Tage um 1,26 Millionstel Sekunden verkürzt. 2004, nach dem Tsunami-Beben, seien es sogar ca. acht Millionstel Sekunden gewesen.

Dennoch gäbe es in Zukunft…

Kein Mittagessen im Mondschein
Um diese Verkürzungen auszugleichen, wird in der Silvesternacht alle paar Jahre eine Sekunde eingefügt, die sogenannte Schaltsekunde. Ein Mittagessen im Mondschein wird es in Zukunft also nicht geben.

Doch!

PS: Falls die Astrophysiker in der „Heute“-Redaktion Sie jetzt auch verwirrt haben, „netto“ dreht sich die Erde trotz Erdbeben nach wie vor jedes Jahr etwas langsamer. Und um die daraus resultierende Verlängerung der Erdtage auszugleichen, ergeben Schaltsekunden natürlich weiterhin Sinn.

(Foto: cc Robbert van der Steeg)