Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Wie bereits berichtet dürfte die Zeitung „Österreich“ große Zuneigung zum Urlaubsziel Ägypten empfinden, denn vor Ostern warb sie wieder mit Urlaubsangeboten (Artikel vom 13.4., Seite 5). Der Reiseveranstalter Joe24.at, dessen Geschäftsführer im Artikel zu Wort kommt, hat die gleichen Eigentümer wie „Österreich“.

Profitieren tun jetzt die Reisenden.

Sicher nicht nur die.

Ein Kommentar im angesehenen Wall Street Journal lässt kein gutes Haar an den Steuerplänen Präsident Obamas, der die Besteuerung von Einkommen über $250.000 deutlich anheben will. Da sei nicht genug zu holen, die Mittelklasse würde über die meisten besteuerbaren Einkommen verfügen – That’s where the big money is – man solle doch gleich eine Massensteuer wie die Umsatzsteuer einführen oder eben weniger ausgeben.

Als Beweis, dass bei den Einkommen jenseits der $200.000 nichts zu holen sei, wird ein Diagramm gezeigt (unten links). Kevin Drum von Mother Jones fragte sich allerdings, wie dieses aussieht, wenn man die Superverdiener nicht auf sieben verschiedene Balken verteilt und zeichnete die Grafik neu (rechts):

Wie kurios diese Darstellung des Journal ist, sieht man an der Zahl der Menschen, die hinter dem letzten Balken stehen: Es sind nur 0,009% der US-Bevölkerung – während die ersten beiden Balken bis $5.000 10% der Bevölkerung ausmachen.

Glaube keinem Diagramm, das du nicht selbst gezeichnet hast.

Der Wikipedia-Artikel über Janet Jackson beginnt mit:

Mit mehr als 130 Millionen verkauften Tonträgern gilt sie als eine der erfolgreichsten Interpretinnen der 1990er Jahre.

Dem Satz konnte die APA offenbar nicht widerstehen, als sie erfuhr, dass Janet Jackson den diesjährigen Lifeball besuchen wird:

Die Presse.com:

Krone.at:

ORF.at:

Keiner Nur einer dieser Artikel ist übrigens mit dem Kürzel der APA versehen.

Update: Den Satz dürfte bereits die Presseabteilung des Life Balls abgeschrieben haben, denn er stand in deren Presseaussendung. Danke an „Fg68at“ für den Hinweis in den Kommentaren.

Ein schönes Beispiel zu unserem aktuellen Fokus Schleichwerbung lieferte letztes Monat das Gratisblatt „Österreich“:

Erster Akt: Dienstag, 5. April

Der lange Text zur Eröffnung eines Mediamarktes „mit tollen Preishits“ auf Seite 17..

..ist wahrscheinlich nur im Seitenspiegel verrutscht und eigentlich Teil des Inserats sechs Seiten weiter vorne:

Zweiter Akt: Mittwoch, 6. April :

Nur ein Inserat auf Seite 11. Na bitte, war am Vortag sicher nur ein kleiner Fehler.

Dritter Akt: Donnerstag, 7. April:

Ähh.. Also das ist so: Der Artikel auf Seite 18 hat..

"Österreich"-Werbung

..mit der bezahlten Werbebeilage natürlich nichts zu tun. Der wäre selbstverständlich auch so erschienen, denn es handelt sich ja um den „größten Mediamarkt Europas“!

Vierter Akt: Freitag, 8. April:

Liebes „Österreich“, jetzt bringst Du mich aber langsam in Verlegenheit. Der Artikel auf Seite 21 zum „Ansturm auf den neuen Mediamarkt“ und seine „Top-Angebote“ wird doch..

..nicht etwa… Schleichwerbung sein und mit der Werbebeilage in Zusammenhang stehen?

Schon etwas älter aber gut: Am 13.04. fand sich in „Heute“ der Artikel „Dieses Wunderkind (12) will Einstein blamieren“:

Schon im ersten Satz zwei Fehler:

Während seine Schulkollegen noch mit Autos spielen, stellt ein zwölfjähriger Knirps (li.) die Quantentheorie von Albert Einstein ( 1879) infrage.

Albert Einstein, der 1879 geboren wurde und erst 1955 verstarb, ist für seine Relativitätstheorie bekannt. Die Quantentheorie stammt nicht von Einstein sondern wurde von berühmten Physikern wie Heisenberg, Schrödinger, Bohr und anderen entwickelt.

Dort will der Knirps (..) an bislang ungelösten mathematischen Rätseln der Menschheit arbeiten – und unter anderem Einsteins Urknalltheorie widerlegen.

Bei Quanten- und Urknalltheorie dürfte es sich eher um physikalische als um mathematische Rätsel handeln, und die Urknalltheorie geht auch nicht auf Einstein zurück sondern auf den Physiker Lemaître.

Vor einem Jahr erschien auf Kobuk ein Artikel über die menschenverachtende und pietätlose Berichterstattung von „Österreich“ über den Mord an Stefanie P. Der Artikel hatte immerhin eine Verurteilung durch den Medienrat zur Folge.

Nun findet der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter statt. Hat „Österreich“ dazugelernt? Nein, im Gegenteil: Auch andere Medien unterlassen den gesetzlich vorgeschriebenen Schutz von Persönlichkeit, Identität und Intimssphäre von Opfer und Tatverdächtigem zugunsten reißerischer Berichterstattung über Sex & Crime.

Das Medienrecht sieht in § 7a den Schutz vor identifizierender Berichterstattung vor, um Opfer und ihre Angehörigen nicht ein zweites, öffentliches Mal zum Opfer werden zu lassen und um zu verhindern, dass Verdächtige oder Verurteilte in Form eines ‘Medienprangers’ anstelle oder neben einer gerichtlichen Bestrafung eine soziale Ersatz- oder Zusatzbestrafung erfahren. (Korn, 2010)

Da die Dokumentation der Verstöße gegen diese Bestimmung diesen Blogeintrag sprengen würde (siehe Collage oben), gibt es hier alle Zeitungsausschnitte zum Mordfall Stefanie P. in einem separaten Album (von uns anonymisiert).

Die auffälligsten Verfehlungen der letzten Tage:

  • Bilder des Angeklagten und des Opfers werden tagelang unverpixelt in Heute, Krone und Österreich abgedruckt. Dasselbe passiert in Onlineartikeln. Bei „Heute“ gibt man unverfroren zu, dass ein Foto des Opfers schlicht von Facebook stammt (siehe Bildcredit!).  Auch der Kurier hält sich bei Philipp K. und Opfer Stefanie P. nicht zurück.
  • Wie in den Zeitungsausschnitten ersichtlich, präsentieren „Österreich“ und die Krone (auf der Titelseite) den vollen Namen des Angeklagten und die Krone sogar den vollen Namen des Opfers und seiner Schwester. Der Beitrag ist zwar schon etwas älter, doch auch die Oberösterreichischen Nachrichten bringen ein unverpixeltes Foto und den vollen Namen des Opfers.  Überraschenderweise reihte sich sogar die „Presse“ in diese Riege ein, wie man im Google-Cache eines Berichts noch sehen kann, hier wurde aber mittlerweile (vergleichsweise vorbildlich) schon korrigert.
  • Allem Anschein nach herrscht in den Redaktionen Verwirrung darüber, wann und wie die Identität der Beteiligten geschützt werden muss. Beispiel Oe24.at: Online wird der Angeklagte verpixelt (das Foto kommt schließlich von der APA), aber trotzdem mit vollem Namen genannt. An anderer Stelle jedoch wieder abgekürzt. Auch die Krone gibt sich ungeschickt: Beim Video-Beitrag zum Prozess ist der Angeklagte zunächst unverpixelt und klar erkennbar, im Video selbst jedoch unkenntlich gemacht.
  • „Österreich“ nimmt in der Ausgabe vom 5. Mai gleich das Urteil vorweg, denn „Lebenslang ist beinahe fix!“ Die in Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgeschriebene Unschuldsvermutung scheint nicht zu gelten.
  • Ebenso unverschont bleibt das Privatleben der Beiden. Die Krone präsentiert, im öffentlichen Interesse natürlich, deren „Liebes-Collage“, das Magazin News zeigt in einer Online-Bilderstrecke Privatfotos und sogar intime Liebesbriefe.

Aus ihrem Interview in „Österreich“ schließen wir, dass die Mutter des Angeklagten ihr Gesicht bewusst in der Öffentlichkeit zeigen will. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass ihr Sohn, der mutmaßliche Täter, diese Ansicht teilt. Dass ein explizites Einverständnis vorliegt, ist zu bezweifeln, schließlich haben andere Medien brav verpixelt.

Wenn Philipp K. anonym bleiben wollte (was der Berichterstattung der APA nach durchaus denkbar ist), stellt sich die Frage, ob es zulässig ist, den Namen eines Verdächtigen abzukürzen, aber dann dennoch jedermann mittels des vollen Namens der Mutter über seine Identität zu informieren. Immerhin, rein rechtlich zählen sowohl Name als auch familiäre Beziehungen zu jenen Identifizierungsmerkmalen, die vom Identitätsschutzparagraphen (§ 7a MedienG) erfasst werden.

Der Ehrenpreis für den sinnfreiesten Versuch, die Persönlichkeitsrechte zu schützen, geht an Oe24.at: Sowohl Angeklagter als auch Opfer werden innerhalb der selben Seite je einmal verpixelt und einmal nicht:

Vielen Dank an Patrick, Alex, Petra, Tanja und Hannes, die alle an diesem Artikel mitgearbeitet haben!

Dass Information und Werbung oft nah beieinander liegen, wissen wir bereits.

„Heute“ informiert in ihrer Rubrik „Muttertag-Spezial“ in drei Artikeln über „NOAN-Olivenöl“, ein Produkt, dessen Hersteller verspricht, einen Teil des Umsatzes und den Reinerlös Kinderhilfsprojekten zugute kommen zu lassen. Mangels Spendegütesiegels sind wir gezwungen, die Angaben der in Griechenland registrierten Firma zu glauben. Was schwerer wiegt: „Heute“ verzichtet auf jegliche Offenlegung, warum dieses Produkt derart massiv redaktionell beworben wird und ob es dafür eine Gegenleistung gab. Ein „Wir freuen uns, diese Kinderhilfsprojekte mit diesem Muttertagsartikel kostenlos zu unterstützen“ hätte uns da schon genügt.

Bereits beim ersten Artikel „Meistermenü vom Starkoch für Mama“ wird uns das Produkt (von mir rot gekennzeichnet) ans Herz gelegt:

Auf der nächsten Seite gibt es gleich zwei informative „Berichte“ über das besagte Olivenöl, welches laut „Heute“ nicht nur Kinderprojekte fördert, sondern natürlich auch jedes Gericht verfeinert:

Interessant ist auch: Schon 2009 ist online ein Artikel zum Olivenöl zu lesen.

(Danke Alexander Cjzerny für den Hinweis.)

Der nette Herr im Bild rechts ist aus einer Szene aus Kottan ermittelt aus dem Jahr 1977:

Schremser: (Blättert in einer griechischen Zeitung.)
Kottan: Können Sie griechisch?
Schremser: Ka Wort, warum?
Kottan: Nur so.
Schremser: Ah, Sie meinen wegen der Zeitung? A österreichische Zeitung im österreichischen Fernsehen? Schleichwerbung – das geht nicht!

Auf Kobuk startet ab sofort ein Schwerpunkt zum Thema Schleichwerbung (hier die Sammlung aller Artikel dazu), denn: Wer wie die Kobuk-Autoren Medien quasi beruflich kritisch konsumiert, stellt unweigerlich früher oder später fest, wie unfassbar viele Artikel und Beiträge ganz offensichtlich mehr mit Scheckbuchjournalismus oder den Agenden irgendwelcher Interessensgruppen zu tun haben als mit tatsächlich Berichtenswertem.

Nicht immer kann nachgewiesen werden, dass für Berichterstattung tatsächlich Geld floss. Oft ist das kommerzielle Motiv hinter einem Artikel allzu offensichtlich, manchmal sieht Werbung trotz Kennzeichnung redaktionellen Beiträgen einfach nur täuschend ähnlich, bisweilen fragt man sich gar, ob nicht einfach einem befreundeten Unternehmer ein Gefallen getan werden soll, manchmal ist es vielleicht nur pure Faulheit, aber immer, immer ist Schleichwerbung elend!

Sie untergräbt die Glaubwürdigkeit der Medien, sie korrumpiert unsere Gesellschaft, sie täuscht und tarnt und lügt. Und die Politik hat kein Interesse dagegen vorzugehen, ist sie doch längst selbst verstrickt.

Dabei sagt das Medienrecht: Entgeltliche Beiträge sind als solche zu kennzeichnen. Der OGH leitet daraus ein Trennungsgebot zwischen redaktionellen und entgeltlichen Inhalten ab. (Genau besehen sind sogar wörtlich übernommene Presseaussendungen „entgeltlich“, denn die ersparte Arbeit stellt einen geldwerten Vorteil dar. Die Rechtslage dürfte für so eine Auslegung aber zu schwammig sein.) Auch hat der OGH bemängelt, dass es der Gesetzgeber unterlassen hat, „das Deutlichkeitsgebot (der Kennzeichnung) näher zu umschreiben“.

Da Schleichwerbung nur schwer beweisbar ist, müssen Verdachtsfälle öffentlich diskutiert werden. Übrigens gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung: Wir können nicht ausschließen, dass unser Eindruck von Schleichwerbung täuscht. Die abschließende Meinung müssen sich die Leser bilden. Unsere Definition von Schleichwerbung ist deshalb: Uns beschleicht der Verdacht, hier soll für etwas geworben werden.

Wie fix Schleichwerbung im Produktportfolio mancher Medien verankert ist, zeigt ein Experiment der taz: In einer verdeckten Recherche bat ein als Medienberater getarnter Journalist die Anzeigenabteilungen von zehn deutschen Verlagen um ein „geeignetes redaktionelles Umfeld“, das Codewort für Schleichwerbung. Die Verkäufer der Frankfurter Rundschau lieferten gar Artikelentwürfe (siehe Bild), die Steuerhinterziehungsmodelle in Österreich bewerben sollten. Das gesamte Experiment findet sich hier und dieser ARD-Beitrag fasst die Recherche gut zusammen:

Alle Kobuk-Artikel mit Schleichwerbeverdacht finden sich in der Kategorie Schleichwerbung.

PS: Danke an Hans-Peter Lehofer für die Kottan-Idee!


In der „Heute“-Ausgabe vom 20.04. fand sich neben der notorischen „Himmlischen SMS“ eine nicht als solche gekennzeichnete Bewerbung eines originellen Gedächtnistrainingsangebots.

Hübsch verpackt als vermeintliche Neuigkeit unter „Das Neueste kurz“.

 

Wie mangelnde Sorgfalt im journalistischen Alltag Aussagen von Politikern ins Lächerliche ziehen kann, beweist die Steiermarkausgabe der „Kleinen Zeitung“ vom 15.4.

Auf Seite 25 findet sich ein Artikel über die Landesbudgetdebatte in der Steiermark, in der u.a. die KPÖ für Vermögens- und Kapitalsteuern eintritt. So hätte man im Zuge einer Pressekonferenz vorgerechnet, dass man über Landesabgaben mindestens 45.000€ einnehmen könnte.

45.000€? Der Betrag würde vielleicht für einen besseren Dienstwagen reichen, aber ob er einen bedeutenden Beitrag zur Sanierung des Budgets darstellt, darf bezweifelt werden.

Aufklärung findet man dann auf der Homepage der KPÖ. Dort wird von „über 40 Mio. Euro pro Jahr“ gesprochen. Die „Kleine Zeitung“ hat also ganze drei Nullen weg gelassen.

(Vielen Dank an einen aufmerksamen Leser für den Hinweis.)