Was ist unabhängige Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen? Nicht: Die Politik-Doku-Reihe „Baumeister der Republik“ auf ORF III. Das Format glorifiziert in seiner jüngsten Folge zwei ehemalige steirische Landespolitiker. Gegner kommen keine zu Wort. Dafür viele Freunde und ÖVP-nahe Experten. Nicht das erste Mal, dass die Doku-Reihe so Altpolitiker historisch verklärt.
„Josef Krainer versteht die Sprache des Volkes. Und das Volk ihn.“
So tönte es im Oktober 2020 nicht etwa auf einem ÖVP-Parteisender über den ehemaligen steirischen Landeshauptmann Josef Krainer senior, sondern auf ORF III. Im Rahmen der Dokumentationsreihe „Baumeister der Republik“ werden da nämlich „Die Krainers. Eine steirische Dynastie“ portraitiert: Josef Krainer senior (steirischer ÖVP-Landeshauptmann 1948-71) und sein Sohn Josef Krainer junior (steirischer ÖVP-Landeshauptmann 1981-96).
„Sein Verständnis der Macht ist ebenso einfach wie seine Prinzipien“ stimmt die Off-Moderation an und der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) setzt fort: „Schau den Leuten in die Augen, wenn du mit ihnen redest, schau den Leuten aufs Maul, aber rede ihnen nicht nach dem Mund.“
Ein Grundsatz, den die Dokumentation gegenüber ihren Porträtierten auch beherzigen könnte, es aber nicht tut.
„Josef Krainer führt die Steiermark (…) zu Prosperität und Wohlstand und steht dabei für Stabilität und Optimismus. (…) Josef Krainer junior (…) findet einen vom Vater aufbereiteten Boden vor.“
Das berichtet die Erzählstimme über die Nachkriegszeit. Mit keinem Wort wird erwähnt, mit welchen internationalen Mitteln die Steiermark da wiederaufgebaut wurde, beispielsweise jenen aus dem Marshallplan. Nein, nein, das waren alles genuin Krainer’sche Errungenschaften. Denn, so die Off-Stimme: „Es sind Vater und Sohn, die zu Wegbereitern für die moderne Steiermark werden. Zwei Ausnahmepolitiker vom selben Schlag (…) – eine steirische Dynastie“. Als wären Dynastien eine tolle Sache, und nicht etwas, das man demokratiepolitisch hinterfragen kann.
In der Doku kommen zahlreiche Fans zu Wort: „Volksverbunden, wie kaum ein anderer“ (Arnold Schwarzenegger), „immer herzlich, sehr humorvoll“ (Gerald Schöpfer, steirischer Ex-ÖVP-Landesrat) werden die Krainers da genannt. Und: „Es wäre die Steiermark in der Entwicklung wahrscheinlich überhaupt nicht zu erkennen, hätte es nicht diese beiden Menschen Krainer gegeben“ (Waltraud Klasnic, Nachfolgerin, steirische ÖVP-Landeshauptfrau 1996-2005). Kritische Stimmen von politischen Gegnern sucht man vergebens.
Der Schauspieler Cornelius Obonya, der auch in anderen Folgen der „Baumeister der Republik“ den Erzähler gibt, beschreibt, wie Josef Krainer senior „mitten unter den Menschen“ im Wirtshaus Wein getrunken und „sich so ganz nebenbei die Nöte und Sorgen der Menschen angehört“ hat. Auch bei sich daheim habe er die Steirer empfangen: „Sein Haus war für alle offen. Immer.“
Doch Krainer senior soll nicht nur volksverbunden, politisch geschickt gegenüber der Bundes-ÖVP, sondern auch international orientiert gewesen sein. So weiß die Off-Stimme:
„Als 1969 die britische Königin Elizabeth (…) in die Steiermark kommt, wird sie weltgewandt von Josef Krainer empfangen. Für viele sogar ein Besuch auf Augenhöhe: der steirische Landesfürst empfängt die Queen.“
Ein österreichischer Landespolitiker auf Augenhöhe mit der Queen also. Und überhaupt: Fürst? Als wäre Österreich nicht bereits seit 1918 eine Republik.
Krainer pflegt zu dieser Zeit auch Kontakte zum jugoslawischen Staatschef Tito, „da kommen möglicherweise auch zwei sehr ähnliche Typen aufeinander zu“, sagt Historiker Dieter-Anton Binder (Mitglied im katholischen, traditionell ÖVP-nahen Kartellverband). Warum ORFIII den Landeshauptmann eines international mäßig bedeutenden österreichischen Bundeslandes in eine Reihe mit weltweit bekannten historischen Figuren des 20. Jahrhunderts stellt, bleibt offen.
Nach diesen größenwahnsinnig anmutenden Vergleichen ist es nur logisch, dass der Doku-Erzähler Obonya auch aus einer Erinnerungstafel an Josef Krainer senior zitiert: „Er starb in der freien Weite des steirischen Landes, dem er entstammte und dem er –siebenmal zum Landeshauptmann gewählt– über 24 Jahre mit allen Kräften seines Herzens und Geistes diente. Als Landesvater bleibt er unvergessen.“ Ok, Boomer.
Josef „Joschi“ Krainer junior, dem die zweite Hälfte der Dokumentation gewidmet ist, schließt in den Augen von ORFIII an die Herrlichkeit seines Vaters an. „Er gilt als strategisches und organisatorisches Ausnahmetalent. Als moderner Intellektueller“, schwärmt die Off-Stimme.
Dabei gäbe es durchaus Kritisches über Josef Krainer junior zu berichten. So hat er während seiner Amtszeit einem Historiker und ehemaligen SS-Obersturmbannführer das Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark verliehen. In der Doku kommt das aber nicht vor.
Dass Josef Krainer junior bei der Landtagswahl 1995 mit einem Minus von 8 Prozentpunkten eine saftige Niederlange einfährt und zurücktritt, wird im Film zwar angedeutet, aber die Off-Stimme beschwichtigt: „Josef Krainer junior geht aus freien Stücken, frei von Wehmut und Bitterkeit.“ Die lobendenden Abschlussworte über Josef Krainer junior leitet in der Dokumentation Krainers ehemaligen Sekretärin Anneliese Weixler ein: „Er ist immer am Heiligen Abend zu mir nachhause gekommen. (…) Das war für mich immer der schönste Moment des Jahres.“ Krainer als Heilsbringer? Das passt tatsächlich in das Gesamtbild der Dokumentation. Eine bemerkenswert unkritischen Mythisierung zweier steirischer Landeshauptmänner.
Aufmerksamen Medienkonsumenten ist die Doku-Reihe „Baumeister der Republik“ bereits im März 2019 mit ihrer Folge über Franz Dinghofer (1873-1956), deutschnationaler Politiker in der Zwischenkriegszeit, aufgefallen. Wie zahlreiche Zeitungen (darunter Die Presse, Der Standard, Kurier, Süddeutsche Zeitung) berichteten, hatte die Dokumentation die nicht ganz unwesentliche Information, dass Dinghofer NSDAP-Mitglied war, ausgelassen, und auch sonst ein freundliches Bild des deutschnationalen Dinghofer gezeichnet. Das Mauthausen Komitee hatte die Sache ins Rollen gebracht und Dinghofers NSDAP-Mitgliedschaft nachgewiesen.
Auch damals kamen fast nur freundliche Stimmen zu Wort. So etwa der FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt, der Dinghofer als „Patriot“ bezeichnet, die erzkonservative NÖN-Herausgeberin Gudula Walterskirchen, die sich wundert, warum Dinghofer „da irgendwie aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden“ ist, und zahlreiche FPÖ-Politiker, darunter HC Strache.
Die Off-Erzählung verortet Dinghofers „politisches Vermächtnis in der Mitte“. Laut der Doku war Dinghofer ein „Demokrat“, ein „Mann der Kompromisse“ und ein „pragmatischer, aber wertbewusster Politiker“. Wie gesagt: Der Mann war NSDAP-Mitglied.
Die FPÖ veranstaltete im Februar 2019 eine Premiere des Films im Parlament. Auf Einladung der damaligen dritten Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller (FPÖ) und des damaligen FPÖ-Vizekanzlers HC Strache stellte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz die Dokumentation vor: „Der ORF versteht sich als elektronisches Gedächtnis dieses Landes. (…) Dieses zu bewahren, zu vervollständigen, ist ein öffentlich-rechtlicher Kernauftrag, den wir gerne und umfassend (…) erfüllen“, sagte Wrabetz.
Leidet dieses Gedächtnis möglicherweise an einer selektiven Amnesie, bei der positive Informationen hervorgehoben und unangenehme schlichtweg vergessen werden?
Der Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.
Wenige Tage vor der wichtigsten Wahl des Jahres, der Wiener Landtagswahl, bringt die Kronen Zeitung eine Coverstory, der es an jeglicher Substanz fehlt und die auf faktisch falschen und irreführenden Zahlen basiert.
Zur Beurteilung der Corona-Lage kann man eine ganze Reihe an Daten heranziehen. Die Zahl der Tests insgesamt, den Anteil der positiven Tests, die Zahl der positiven Fälle, auf welche Altersgruppen sich die Fälle verteilen, wie viel Zeit vom Erstverdacht bis zum Testergebnis vergeht, wie gut die Infektionsketten nachverfolgt werden können, wie viele Menschen in Krankenhäusern behandelt werden und wie sich die Lage dort entwickelt. Und und und.
Wer ein so vernichtendes und pauschales Urteil am Cover der auflagenstarken Wien- und Burgenlandausgabe fällt, der hat sich sicherlich mit mehreren dieser Zahlen befasst, richtig? Na gut, sagen wir zumindest mit einigen – oder jedenfalls mit mehr als nur einer einzigen, richtig?
Weil was wäre das sonst für ein Journalismus?
Machen wir es kurz: Die Krone begründet ihr Urteil im Blattinneren tatsächlich mit nur einer einzigen Zahl. „Lediglich erschreckende 17,2 Prozent“ der aktuellen Fälle seien in Wien Clustern zuzuordnen, schreibt das Boulevardblatt. Sprich: Bei mehr als 4 von 5 Infektionen würden die Behörden nicht wissen, wie sich das Virus verbreitet hat. Das wäre tatsächlich beunruhigend. Allein: Diese Zahl stimmt nicht.
Die Krone gibt als Quelle ihrer Zahl die Ages an – jene Behörde, die in Österreich Cluster auswertet und daher den besten Einblick hat. Auch die Ampel-Kommission des Bundes greift auf die Daten der Ages zurück. Am gleichen Tag, an dem die Krone dieses Cover druckte, veröffentlichte die Ampel-Kommission ihre aktuellen „Indikatoren zur Risikoeinstufung“ (Excel file). Und siehe da – es zeigt sich ein ganz anderes Bild:
Wien gelingt es demnach nicht bei 17,2 Prozent der Infektionen die Quelle zu finden, sondern aktuell bei 61 Prozent. Damit ist die Bundeshauptstadt zwar Schlusslicht aller Bundesländer, der Abstand zur Steiermark, Salzburg, Niederösterreich und Oberösterreich ist aber überschaubar. Wenn diese eine Zahl also entscheiden soll, ob die Kontrolle über Corona verloren wurde (was lächerlich ist – eine einzige Zahl wird diese Frage nie beantworten können), dann müssten auf dem Cover noch ein paar Bundesländer mehr stehen.
Davon abgesehen, ist die Aufklärungsquote in Wien im Vergleich zur Woche davor von 51 Prozent auf 61 Prozent gestiegen. Wien hat die Kontrolle also nicht verloren, sondern (in diesem Punkt) zuletzt wieder Boden gut gemacht.
Wie kommt es nun zu so einem Cover? Ironischerweise gibt die Online-Ausgabe des Artikels zwischen den Zeilen ein paar Hinweise darauf. Dort kann man nämlich herauslesen, dass die Zahlen aus dem ÖVP-geführten Innenministerium stammen. Wie Kobuk in Erfahrung bringen konnte, dürfte es sich bei den 17,2 Prozent um einen Tageswert handeln, der dem Krisenstab von der Ages übermittelt wurde. Die Ages selbst weist darauf hin, dass Tageswerte beispielsweise wegen der Datenübermittlung stark schwanken und die Kommunikation solcher Daten daher sinnlos und „nicht zielführend“ ist – nur kommt es eben darauf an, welches Ziel man verfolgt.
Was hier also geschehen ist, ist dass aus ÖVP-Kreisen ein nichtssagender Wert an die Krone gespielt wurde, um gegen die Wiener-SPÖ wenige Tage vor dem Wahlsonntag Stimmung zu machen. Die Krone macht sich hier somit mindestens zum Erfüllungsgehilfen, wenn nicht gar zum Mittäter im Wahlkampf-Hick-Hack.
Der Presserat ist der gerüchteweise zahnlose Kopf der freiwilligen Selbstkontrolle von Printmedien in Österreich. Für diesen Freitag lädt er zu seinem Rückblick auf das Jahr 2018. Grund genug, sich anzusehen, welche unmittelbare Wirkung seine Entscheidungen bei den betroffenen Medien zeigten. (Spoiler: es gibt noch Luft nach oben.)
Nachfolgend alle im letzten Jahr festgestellten Verstöße gegen den journalistischen Ehrenkodex, wo vom Presserat zumindest eine freiwillige Veröffentlichung der Entscheidung im jeweiligen Medium gefordert wurde.
Gelb: es gab zumindest eine wahrnehmbare Reaktion (außer Löschungen, die niemand mehr mitbekommt)
Rot: der Presserat wurde mehr oder weniger ignoriert
(Der erste Link verweist stets auf das PDF des Presserats mit Falldarstellung und Entscheidung)
23.01.2018 – Krone: Vorwürfe gegen das Grazer „Forum Stadtpark“, es gäbe Verbindung zu Vandalismus bei Protesten gegen das Murkraftwerk, ohne den Beschuldigten eine Stellungnahme zu ermöglichen
Reaktion: Keine. Artikel steht unverändert online.
25.01.2018 – Krone: Berichterstattung über Suizid eines kroatischen Generals („Starker Abgang wie einst von Göring“)
Reaktion: Keine
01.02.2018 – News: Überschießende Berichterstattung über Suizid eines 11-jährigen Asylwerbers
Reaktion: Erwähnung der Entscheidung im Editorial. Zudem hob der Senat bereits in seiner Entscheidung positiv hervor, dass in der Folgeausgabe ein Essay zum Thema „sensible Medienberichterstattung über Suizide“ veröffentlicht wurde.
08.03.2018 – Österreich: Bericht über „Hausverbot für Nikolo“ nicht ausreichend recherchiert – erforderliche Stellungnahme erst in Folgeartikel nachgereicht
Reaktion: Keine
08.03.2018 – OÖN: „Marchtrenker feiert Ende seiner Ehe mit Scheidungsparty für 350 Gäste“ — Berichterstattung über (zu) private Details einer Scheidung
Reaktion: Da es sich um ein Schiedsverfahren aufgrund der Beschwerde einer direkt betroffenen Partei handelte, musste in diesem Fall die Entscheidung nach den Vorgaben des Presserats veröffentlicht werden. Zudem wurde der Online-Artikel entfernt.
20.03.2018 – Krone: Falsche Zahlen zu straffälligen Asylwerbenden („45,9% der kriminellen Ausländer sind Asylwerber“)
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel ohne Berichtigung gelöscht.
03.04.2018 – Wochenblick: In einer Artikelserie über Migration in Schweden wurde das Land dargestellt, „als wäre es auf dem Weg in den Untergang“ — die Leser wurden von der Autorin „auf geradezu systematische Art und Weise getäuscht“
Reaktion: Mehrere Bildschirmseiten lange Erwiderungen von Chefredakteur und Autorin (Archivlinks), in denen dem Presserat u.a. unlautere (Konkurrenz-)Motive unterstellt werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den detaillierten Kritikpunkten des Presserats erfolgte nicht, trotz Beteuerung, die Autorin habe in einem Kommentar „ausführlich sämtliche Anschuldigungen widerlegt“.
08.05.2018 – Krone: Veröffentlichung des unverpixelten Bildes eines Mordopfers verstößt gegen Ehrenkodex — Persönlichkeitssphäre ist auch über den Tod hinaus zu wahren
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel gelöscht.
13.06.2018 – Krone: Unverpixeltes Foto von Mordopfer
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Privates Facebook-Foto aus Artikel gelöscht.
26.06.2018 – Österreich /14.09.2018 – Krone, Heute: Detaillierte Berichterstattung über Suizid von DJ Avicii erhöht Gefahr von Nachahmung
Reaktion (alle drei Medien): Keine. Alle Artikel mit den Details des Suizids stehen unverändert online.
Zeit für einen leichteren Zwischengang: Hier die abgewiesene Beschwerde der „Gräfin vom Naschmarkt“, samt Feststellung des Presserats: „Vernichtende Restaurankritik [ist] kein Ethikverstoß“
Reaktion: Severin Corti unter seinem Artikel für den selbstlosen Einsatz danken.
03.07.2018 – OÖN, Trend: Video von Ikea in redaktionellem Online-Artikel nicht ausreichend gekennzeichnet
Reaktion: OÖN veröffentlichen die Entscheidung und räumen ein: „[Das] Video […] hätte mit dem Wort ‚Quelle: Ikea‘ versehen werden müssen. Wir entschuldigen uns dafür.“ Im Originalartikel bleibt es dennoch ungekennzeichnet.
Der Trend löscht das Video aus dem Artikel. Keine Erwähnung der Entscheidung.
09.10.2018 – Wochenblick: SPÖ und ÖGB wird Gewaltbereitschaft unterstellt und zu Unrecht vorgeworfen, strafbare Handlungen bis hin zu Körperverletzungen und Mord gutzuheißen.
Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)
24.10.2018 – Zur Zeit: Diffamierung von Roma und Sinti als „Zigeuner“ und ethnische Zuordnung einer schweren Straftat ohne Beleg
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. Artikel steht unverändert online.
24.10.2018 – Österreich: Veröffentlichung zahlreicher Fotos von ermordeten Frauen stellt Persönlichkeitsverletzung dar
Reaktion: Keine Erwähnung der Entscheidung. „Österreich“ verpixelt nun aber meist die Augen minimal, was die Erkennbarkeit der Opfer jedoch nur unwesentlich einschränkt.
11.12.2018 – alles roger: Artikel über „Österreich-Netzwerk“ von George Soros nicht ausreichend recherchiert, persönlichkeitsverletzend und diskriminierend
Reaktion: ? (Printausgaben nicht verfügbar)
Resümee
Dass sich die üblichen Verdächtigen eher wenig um Verurteilungen durch den Presserat kümmern und diese in manchen jeann… journalistischen Parallelwelten sogar als Ritterschlag gehandelt werden, überrascht nicht weiter. Wenn aber sogar grenzwertige Suizidbeschreibungen bei den größten Boulevardmedien des Landes trotz Presseratsurteil unverändert online bleiben, dann wird die Grenze zwischen freiwilliger Selbstkontrolle und -aufgabe fließend.
Es regnet, es schneit, es hagelt, es scheint die Sonne – so, oder zumindest so ähnlich neutral stellt man sich die Wetterberichterstattung vor. Doch Österreich illustriert Wetterberichte fast immer mit Bikinibildern.
Von den 37 Ausgaben von Österreich vom 1. Mai bis zum 10. Juni, die ich mir angesehen habe, enthielten 13 sexualisierte Wetterberichte – also mehr als ein Drittel. Vier Mal schmückte eine knapp bekleidete Frau sogar das Titelblatt.
Interessant dabei war, dass die Häufigkeit der Bikinibilder mit der Temperatursteigerung zunahm. Vom 1. bis zum 31. Mai wurden sechs Bikinibildern in Zusammenhang mit dem Wetterbericht abgebildet. In den ersten zehn Junitagen waren es bereits sieben – drei davon auf dem Titelblatt.
In diesen 37 Ausgaben wurde übrigens genau ein oberkörperfreier Mann im Rahmen der Wetterberichterstattung gezeigt: Der Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser am 26. Mai – von Sexualisierung hier aber keine Spur.
Dass der Wetterbericht die meiste Zeit eher unspannend ist, ist wohl nicht zu leugnen. Es bleibt die Frage, ob es deshalb nötig ist, das Wetter mit Bikinibildern zu illustrieren und somit unnötig zu sexualisieren.
„Fast 38.000 Beamte im Dienst verletzt“, diese schockierende Zahl titelte die Kronen Zeitung am Freitag. Und das ist allein schon deshalb erstaunlich, weil das um 8.000 Polizisten mehr sind, als es in ganz Österreich gibt.
Tief im Blattinneren löst sich dann für aufmerksame „Krone“-Leser des Rätsels erster Teil: die beiden Redakteure haben schlicht alle verletzten Polizisten bis zurück ins Jahr 2000 (!) addiert — ebenso gut hätten sie bis Metternich gehen können, aber das wäre wohl doch zu sehr aufgefallen:
Das Aufsummieren über eine willkürliche Anzahl Jahre ist statistisch eine eher nutzlose Übung, hat aber den Vorteil, dass es zu einer beeindruckenden Zahl führt, die auch praktischerweise immer nur steigen kann. Der Kronen Zeitung gefällt dieser Trick so gut, dass sie ihn nun regelmäßig bringt. Hier, vor vier Monaten, der selbe Polizeialarm, die gleiche Grafik, nur Beipacktext und Zahlen unterscheiden sich:
Der Täuschung zweiter Teil
Wer nun dem Rest der Schlagzeile vertraut und glaubt, dass diese 38.000 dann immerhin „im Dienst“ Opfer von „Gewalt gegen Polizisten“ geworden seien, geht der „Krone“ erneut auf den Leim. Denn diese Zahl enthält zur Hälfte auch all jene Beamten, die sich im Dienst ganz „normal“ verletzt haben oder wie es im Februar die Oberösterreich-„Krone“ noch fast häretisch formulierte:
Hälfte ist selbst schuld
[…] Dabei geht die Gefahr aber in kaum 50 Prozent von irgendwelchen bösen Buben aus, mit denen die Beamten sich herumschlagen müssen. Öfter verletzen sie sich beim Sport oder im Dienstalltag.
Was bleibt von der Schlagzeile?
Wenn man die Kampagnen-Hysterie abzieht, bleiben von den 38.000 Übergriffen auf der Titelseite ca. 1.100 im letzten Jahr. Knapp 90 Prozent davon waren leichte Verletzungen und ca. jeden dritten Tag wurde ein Polizist wegen einer Amtshandlung schwer verletzt.
Und ja, die absolute Zahl steigt. Das könnte zum Teil aber auch strukturelle Gründe haben:
- Die Aufstockung des Personals — über sieben Prozent seit 2009 — kann natürlich zu einem Anstieg der absoluten Verletzungszahlen führen.
- Und auch eine verstärkte Präsenz auf der Straße wirkt sich entsprechend aus, wie das Beispiel Basel zeigt.
Was macht die Kronen Zeitung hier?
Was wir in der „Krone“ zum Thema Polizei lesen, ist kein Journalismus. Es ist die ungefilterte Position des Innenministeriums, der Polizeigewerkschaft und einer Redaktion, die von exklusiven Geschichten aus diesen Quellen lebt. Eine andere Seite kommt — trotz Doppelseite — nicht vor.
Am Ende dieses Weges werden wir wie selbstverständlich „wissen“, welche Maßnahmen nun absolut nötig, ja längst an der Zeit seien. Und dass es angesichts der Nachrichtenlage geradezu absurd wäre, diese Pläne infrage zu stellen.
Für welche Pläne das Triumvirat aus „Krone“, Kanzler, Vizekanzler hier gerade den Boden bereitet, ist auch kein großes Rätsel mehr:
„Krone“ gegen „Falter“, das ist ein bisschen wie Simmering gegen Kapfenberg – nur die Fouls sind brutaler. So hat letzten Freitag der „Falter“ eine Geschichte veröffentlicht, die für weltweites Aufsehen sorgte. Da kam auch die Kronen Zeitung nicht am linken „Bolschewiken-Blattl“, wie sie den „Falter“ gerne nennt, vorbei — vorerst jedenfalls …
Hier ein Screenshot der ersten Meldung auf krone.at:
Elf Mal wird der „Falter“ superkorrekt als Story- und Bildquelle erwähnt. Aber am nächsten Morgen, als die Printausgabe der „Krone“ auf die Straße kommt, hat sich die Online-Meldung plötzlich (ohne redaktionellen Hinweis auf eine Überarbeitung) deutlich verändert:
Kein Wort mehr vom „Falter“ (nur einige Leserpostings sind noch Zeugen seiner vergangenen Existenz), dafür gleich nach dem ersten Absatz dieser überraschende neue Hinweis:
Der „Krone“ liegen die Aufnahmen vor – alle Details finden Sie hier.
Der Link führt auf einen Artikel, der noch mal beschreibt, was im Video zu sehen ist. Nur mit einem feinen Unterschied — als Video- und Fotoquelle steht hier nun zwölf Mal: „Krone“. Und diesen fliegenden Copyright-Übergang verdankt sie, will man ihr glauben [wir wollen, siehe Update ganz unten], einem verblüffenden Fund in der eigenen Redaktion:
Gerade noch rechtzeitig vor dem Andruck ist den Blattmachern also eingefallen, dass auch die „Krone“ das Falter-Video von einem „Whistleblower“ zugeschickt bekommen hat. Was ihnen praktischerweise die Verlegenheit erspart, in „ihrem“ Printaufmacher auch nur ein einziges Mal auf die unliebsame Konkurrenz zu verweisen. Wobei, ganz stimmt das nicht, der „Falter“ läuft jetzt unter „anderen Medien“:
Wie konnte die „Krone“-Redaktion das mit dem Whistleblower nur vergessen? Und warum hat sie diesen publizistischen Knüller, der ihr weltweit Beachtung eingebracht hätte, nicht sofort selbst verwertet?
Nun, der „Falter“-Chef und Autor besagter Geschichte hat da auf Twitter so seine eigene Theorie:
Man schickt die Originalvideos an Verteidigungsministerium und Justiz. Und tags darauf sind sie exklusiv in der Kronenzeitung zu sehen. Auch spannend zu beobachten. #golan
— Florian Klenk (@florianklenk) 28. April 2018
Update 6. Mai 2018:
Die „Krone“ hat das Video laut „Falter“ auch vom Whistleblower erhalten und „die Story schlicht verschlafen“. Aber zumindest beim Verwischen der „Falter“-Spuren war sie dann hellwach.
Mein Golan Informant hat mitgeteilt, dass er das Golan-Video auch an die Krone schickte. Das Blatt hat die Story also nicht abgeschrieben oder von Behörden bekommen (denen ich das Video gab), wie ich vermutete, sondern die Story schlicht verschlafen.
— Florian Klenk (@florianklenk) 6. Mai 2018
„Als Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum führt Wien das Ranking einer Städte-Studie an. Jeder achtzigste bewohnte Haushalt in der Bundeshauptstadt wurde bereits einmal von einem Einbrecher geknackt.“
Mit diesen beiden Sätzen beginnt ein Artikel der Gratis-Zeitung „Heute“ vom 21. November 2017 zum Thema „Wo die Kriminellen in Wien zuschlagen“. Begibt man sich nun auf die Suche nach der erwähnten Studie – zu der es keine Quellenangabe im Text gibt – wird man doch relativ schnell stutzig, denn die Studie scheint nicht auffindbar.
Man stößt allerdings auf einen Beitrag des Onlineportals trend.at vom 15.08.2012, in dem es heißt:
„Als Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum führt Wien das Ranking der Städte-Studie an. Jeder achtzigste bewohnte Haushalt in der Bundeshauptstadt wurde bereits einmal von einem Einbrecher geknackt.“
Wort für Wort ident mit dem Artikel aus „Heute“. Der Artikel von trend.at bezieht sich auf eine Studie des Online-Portals geld.de aus dem Jahr 2011, die allerdings inzwischen nicht mehr auffindbar ist. Jedoch erfährt man aus einem Artikel der Presse, dass die Zahlen, die der Studie zu Grunde liegen, aus dem Jahr 2009 stammen.
Heute schreibt also nicht nur von trend.at ab, sondern bezieht sich auch auf acht Jahre alte Zahlen.
Kann man nun aber noch immer behaupten, dass Wien die Einbrecher-Hochburg des deutschsprachigen Raumes wäre? Diese Frage kann ganz klar mit NEIN beantwortet werden. Der Vergleich mit beispielsweise Hannover macht sicher:
Im Jahr 2016 gab es in Wien laut Statistik Austria insgesamt 901.900 Privathaushalte, dem gegenüber stehen 6.173 Einbruchsdiebstähle in Wohnungen und Wohnhäuser. Daraus ergibt sich, dass in Wien 2016 in etwa jeden 146. Haushalt eingebrochen wurde, was einen deutlichen Rückgang gegenüber der Zahlen aus dem Jahr 2009 darstellt. Zum Vergleich: in Hannover wurde im Jahr 2016 etwa in jeden 101. Privathaushalt eingebrochen, was einen deutlich höheren Wert als jenen des selben Jahres in Wien darstellt. Das Beispiel Hannover soll nur beweisen, dass Wien nicht die „Einbrecher-Hochburg im deutschsprachigen Raum“ ist und soll nicht heißen, dass diese nun Hannover wäre.
Über die Gründe wieso hier dermaßen schlampig gearbeitet wurde, kann man nur mutmaßen. Betrachtet man die Seite, auf der der Artikel erschien jedoch als Ganzes, beschleicht einen ein Verdacht. Gleich drei Inserate zum Thema Einbruchsprävention scheinen direkt unter besagtem Artikel auf. Ein Schelm, wer böses denkt.
Da wundert es auch nicht, dass „Heute“ verschweigt, dass die Einbrüche in Wien weniger werden (PDF S. 72).
Roland Düringer protestiert in einem Facebook-Video „aufs Schärfste gegen die empörend falsche Berichterstattung“ über die Nummer 1 auf seiner Liste „Gilt“, Günther Lassi. Rudi Fussi, der die Liste mit seiner PR-Firma berät, schreibt auf Twitter vom „Ausdruck einer massiven Medienkrise in Österreich“. Stimmt das? Eine Spurensuche.
Tatsächlich hat Günther Lassi auf seiner mittlerweile abgedrehten Website (die sich weiterhin im Archiv der Wayback Machine findet) die antisemitische Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ als PDF zum Download angeboten. Und tatsächlich findet sich an anderer Stelle seiner Website auch Wilhelm Reichs Buch „Die Massenpsychologie des Faschismus“. An wiederum anderer Stelle bot Lassi den Text „Esoterische Ufologie und ihre rechtsextreme Schlagseite“ zum Download an, in dem die Protokolle der Weisen von Zion in einem halben Absatz behandelt und als „rassistisch“, „lebensverachtend“ und „unmenschlich“ bezeichnet werden.
Düringer argumentiert daher, Medien hätten zu Unrecht behauptet, Lassi sei Antisemit, und sie würden ihn „vorführen“. Und tatsächlich hat kein Medium in der Berichterstattung erwähnt, dass Lassi neben dem antisemitischen Text auch zwei Texte veröffentlicht hat, die man als antifaschistisch bezeichnen kann. Düringers Frustration über das Licht, in dem Lassi medial erscheint, ist also verständlich.
Eine „empörend falsche Berichterstattung“ kann man den Medien jedoch nicht vorwerfen:
- Entgegen Düringers Behauptung, hat, soweit ich sehen kann, kein Medium Lassi als Antisemiten bezeichnet. Die ZIB1 berichtete am Dienstag wahrheitsgemäß, Lassi „sorgt mit antisemitischem Posting für Aufregung“ und „hatte zur antisemitischen Hetzschrift verlinkt“. Die Oberösterreichischen Nachrichten sprachen vom Publizieren eines antisemitischen Pamphlets, der Standard vom Verlinken antisemitischer Inhalte, die APA-Meldung zur Angelegenheit von einem „Link zum antisemitischen Pamphlet“ und Heute, die als erstes über die Sache berichtet hatten, schrieben wahrheitsgemäß „Spitzenkandidat verbreitet Antisemitismus“. Lediglich Puls4 betitelt auf seiner Website den entsprechenden Nachrichtenbeitrag mit „Antisemitischer Spitzenkandidat?“, im Beitrag kam aber auch das nicht vor. Medien haben also faktentreu berichtet. Zumindest wenn man von der kleinen Unkorrektheit absieht, dass die meisten Medien von einer Verlinkung berichteten, das Pamphlet aber in Wirklichkeit als PDF auf der Seite selbst hochgeladen worden war.
- Auch der Nachrichtenwert ist gegeben: Wenn die Nummer eins der Bundesliste einer bundesweit zum Nationalrat kandidierenden Liste auf seiner Website einen antisemitischen Text veröffentlicht, ist das wohl berichtenswert.
- Entgegen der Darstellung Düringers waren die beiden antifaschistischen Texte nicht im gleichen Kontext veröffentlicht wie der antisemitische, sondern an anderer Stelle der Website. Kein Medium hat also eine Relativierung oder Einordnung des Pamphlets unterschlagen, eine solche gab es nicht.
Für die „massive Medienkrise“ müsste man sich also andere Beispiele suchen.
„Österreich“ dramatisiert die Zahlen der Kriminalstatistik 2016 maßlos und verbreitet (wieder einmal) Panik.
„Die Kriminalität in Österreich steigt. Ganz extrem sogar bei Gewaltdelikten“ – so steht es im ersten Absatz des Artikels. Der Anstieg der Gewaltkriminalität von 6,9 Prozent stimmt zwar, doch das Boulevardblatt verschweigt zwei wichtige Punkte:
Erstens ist die Entwicklung der Gewaltkriminalität viel weniger dramatisch als von „Österreich“ behauptet. Oder sieht so ein „ganz extremer“ Anstieg aus?
Zweitens gab es im Jänner 2016 einige Neuerungen im Strafrecht (beispielsweise eine Verschärfung der Gesetze bei sexueller Belästigung), wodurch mehr Anzeigen in der Statistik landen.
Zudem: Wenn für „Österreich“ die 6,9 Prozent Anstieg der Gewaltkriminalität schon „extrem“ ist, warum erwähnt die Redaktion mit keinem Wort den Anstieg der Cyber-Kriminalität? Hier verzeichnet die Statistik immerhin einen Zuwachs von 30,9 Prozent! Womöglich ja deshalb, weil Gewaltkriminalität ganz andere, viel furchterregendere Bilder im Kopf auslöst, als sperrige Begriffe wie „Cyber-Kriminalität“.
„Österreich“ schreibt außerdem von einem „Schock: Alle 90 Minuten wird eingebrochen“. Wir haben nachgerechnet. Nicht alle 90, sondern sogar alle 40 Minuten wird eingebrochen. Doch die Zahl der Einbrüche ging vergangenes Jahr deutlich zurück, um 16,4 Prozent. 2016 gab es damit die wenigsten Einbrüche der vergangenen 10 Jahre. Die Boulevardzeitung erwähnt das nur nebenbei, dabei gab es doch letztes Jahr laut „Österreich“ noch das Problem der „explodierenden“ Einbrüche. Wo bleibt denn jetzt der große Artikel zu den implodierenden Einbrüchen?
Die sinkenden KFZ-Diebstähle (-10,0 Prozent) passen scheinbar ebenso nicht in das gewünschte Bild der „Österreich“-Redaktion und werden komplett verschwiegen. Der ganze Artikel gibt einem also das Gefühl, dass man sich in Österreich nicht mehr sicher fühlen kann. Aber: Laut Global Peace Index 2016 ist Österreich auf Platz 3 der sichersten Länder weltweit!
Dass „Österreich“ gerne Panik um steigende (oder in ihren Worten: „explodierende“) Kriminalität verbreitet, wissen wir ja mittlerweile. Daher zur Erinnerung hier die Entwicklung der Gesamtkriminalität:
Heute, Österreich und die Krone berichteten über die gestiegenen Gefahren für AMS-Mitarbeiter, übertreiben dabei maßlos und vergleichen Äpfel mit Birnen. Um 163 Prozent sollen die Angriffe auf AMS Mitarbeiter laut den Boulevardblättern gestiegen sein. 163 Prozent – das klingt nach einem schlimmen Skandal: Nach „Horror-Statistik“ und „Telefon-Terror“.
Tatsächlich sind die Berichte aber kompletter Blödsinn. Das sieht man, wenn man sich die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage ansieht, aus der die Zahlen stammen.
Die Übergriffe werden hier in zwei Kategorien geteilt: Jene an der Telefon-Hotline und jene in den Geschäftstellen.
An der Hotline stiegen die verbalen Übergriffe in Wien tatsächlich von 82 auf 450 an – ein Plus von etwa 450 Prozent. Eine Fußnote an dieser Stelle verrät jedoch, dass Wien im Jahr 2015 die Erfassungsmethodik änderte. Und genau deshalb ist es Unfug die Zahlen miteinander zu vergleichen.
Bis 2014 wurden nur dann Zahlen erhoben wenn ein Mitarbeiter sich bedroht oder persönlich beleidigt fühlte und dies von sich aus meldete. Ab 2015 ordnete das AMS an, über jeden Übergriff Statistik zu führen. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, wirklich jeden Vorfall zu dokumentieren, unabhängig von den persönlichen Empfindungen, wie ein Sprecher des AMS auf Rückfrage erklärt. Dadurch tauchen in der Statistik zwar viel mehr Fälle auf, es lassen sich jedoch keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie sich der Alltag für die Mitarbeiter im vergangenen Jahr tatsächlich verändert hat.
In der zweiten Kategorie, den Geschäftstellen, sind die Angriffe in Wien um 40 Prozent gestiegen, auf 260 Fälle. Gemeint ist aber nicht nur körperliche Gewalt, sondern etwa auch mündliche und schriftliche Beschimpfungen. Eine Fußnote verrät auch hier, dass 137 dieser schriftlichen Angriffe nur eine Geschäftsstelle betrafen und „zum überwiegenden Teil einer Person zuzuordnen sind.“ Auch dieser Anstieg ist also kaum aussagekräftig. Die Krone und Heute erwähnen diese Person sogar, allerdings nur im direkten Zusammenhang mit den Angriffen, nicht jedoch bei der Interpretation des behaupteten Gesamtanstiegs.
Generell lassen sich von so kleinen Zahlen kaum handfeste Trends ableiten, wie genau solche Beispiele zeigen. Denn wenn eine einzige Person die Statistik derart verfälschen kann, wo bleibt dann die Relevanz?