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Mehr als 3000 SMS senden und empfangen Jugendliche im Monat- also etwa 100 am Tag. Zu diesem Ergebnis kommt eine Experten-Studie.

Dieses interessante Ergebnis war in der Rubrik „Österreich Heute“ in „Heute“ vom 19.10. zu lesen. Die Tageszeitung beruft sich dabei jedoch keienswegs auf das SMS-Nutzungsverhalten von österreichischen Jugendlichen. Die zitierte Studie von Nielson Wire hat nämlich lediglich Daten von U.S-Jugendlichen erhoben und ausgewertet.

Vielleicht sind die Jugendlichen hierzulande jenen in den USA ja ähnlich, könnte man sich bei „Heute“ gedacht haben. Blöd nur, dass am 27.9. der örtliche Mobilfunkbetreiber tele.ring die Ergebnisse einer heimischen SMS-Studie veröffentlich hat. Demnach liegt der Durchschnitt bei den Österreichern zwischen 14 und 27 bei lediglich 15,3 SMS täglich. Der „Heavy User“, also jeder Zehnte, verschickt 30 SMS pro Tag und damit immernoch deutlich weniger als „Heute“ berichtet.

Immerhin bringt „Heute“ die Ergebnisse der überraschenden Studie, wenn auch in der falschen Rubrik. Ganz so überraschend ist die Nielson Wire Studie aber eigentlich gar nicht. Denn schon im April veröffentlichte Pew Internet eine Studie, deren Ergebnisse sich inhaltlich mit jenen der Nielson Wire Studie fast gänzlich decken. So steht bereits dort, dass jeder dritte US-Jugendliche am Tag über 100 SMS sendet. Der Unterschied zur Nielson Wire Studie: Hier spricht man von gesendeten und empfangenen SMS.

Die Medien waren sich uneinig, in welcher Tiefe die Kumpel eingeschlossen waren. Sie haben sich nicht nur untereinander widersprochen- auch innerhalb eines Mediums gab es keine einheitlichen Nennungen.

Am 12.10 berichtet der Online-Ableger von „Österreich“, die Bergleute seien in einer Tiefe von mehr als 600 Metern eingeschlossen. Einen Tag später, am 13.10 um 08:46 Uhr waren es exakt 620 Meter. Bereits am Abend des selben Tages war der Schutzraum jedoch in 700 Meter Tiefe.

Die Tageszeitung „Heute“ berichtet am 12.10 über einen 700 Meter tiefen Schutzraum. Am 13.10 waren es exakt 622 Meter. Am nächsten Tag 624 Meter. Kurios ist auch, dass „Heute“ berichtet, 29 Angehörige der Kumpel würden insgesamt 8,8 Millionen Euro fordern. Krone.at berichtete zwei Wochen zuvor von 27 Angehörigen, die insgesamt 27 Millionen Dollar fordern würden. Das entspricht einem Wechselkurs von 1:3.

Auch bei den „Qualitätsmedien“ wurden enorme Höhenunterschiede beobachtet. Derstandard.at ist sich am 11.10 sicher, die Kumpel seien in einer Tiefe von 624 Meter eingeschlossen. Allerdings steht schon auf dem Fotocredit, dass die Kumpel in 700 Meter festsitzen würden. Einen Tag darauf fällt der Schutzraum dann offiziell auf 700 Meter ab. Schließlich klettert der Raum am 13.10 jedoch wieder auf 622 Meter. Am 14.10 einigte man sich auf über 600 Meter Tiefe.

Beim ORF konnte man die Bewegungen des Schutzraums quasi im Minutentakt verfolgen. Hannelore Veit berichtet in einer ZiB-Special um 20:15 von 620 Meter Tiefe.  Gegen Mitternacht wusste ihr Kollege Roman Rafreider in der ZiB 24, dass die Kumpel in 622 Meter Tiefe festsitzen würden.

Die New York Times rechnete sich übrigends eine Tiefe von knapp einer halben Meile aus, was etwas weniger als 800 Metern entspricht.

Eine knifflige Situation für Journalisten, keine Frage. Was tut man da am besten? Man kann etwa dem Beispiel von Armin Wolf in der ZiB 2 folgen. Obwohl Chile knapp elf Minuten- der insgesamt 28 Minuten langen Sendung- gewidmet wurden, kam es zu keiner Nennung bezüglich der Tiefe. Frei nach dem Motto also: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal…“

Mit einem kontroversionellen Auftritt bei der ARD-Talkshow „Beckmann“ versuchte „No Angels“-Sängerin Nadja Benaissa letzten Dienstag ein neues Kapitel im Drama rund um ihren sogenannten HIV-Prozess aufzuschlagen. Man möchte meinen, dass die „Österreich“ – Redaktion, die den Fall seit geraumer Zeit detailliert dokumentiert, es für wichtig erachten könnte, diesen Auftritt auch tatsächlich anzusehen, was im Zeitalter von On-Demand kein Problem darstellen kann.

Abschreiben statt Recherche?

Stattdessen vermittelt der Artikel von Oe24 den Eindruck, als hätte man den Artikel der BILD-Zeitung Stück für Stück umformuliert. So ähneln sich schon die Schlagzeilen „No Angels-Nadja gibt Opfer Mitschuld!“ (BILD) und „Nadja Benaissa gibt Opfer Mitschuld“ (Österreich).

Dann der erste Absatz:

Die Sängerin stellte sich in Begleitung ihres Anwalts den Fragen des Moderators – sprach aber fast nur über die Zeit vor ihrer Verhaftung und die „Riesen-Lawine“, die danach über sie hereinbrach! (BILD)

Das wird zu:

Nadja erschien in Begleitung: An ihrer Seite war ihr Anwalt. Die meiste Zeit sprach sie über die Zeit vor der Verhaftung und über die Zeit danach, über die „Riesen-Lawine“, die da über sie hereinbrach. („Österreich“)

Dem zweiten Absatz widerfährt ein ähnliches Schicksal

Oe24 berichtet weiters:

Über ihre Schuld schwieg Benaissa. Sie räumte nur ein: (..) Sich selbst sieht die 28-Jährige als ‚lebendiges Beispiel und auch ein lebendes Mahnmal, was das Thema HIV betrifft.‘ („Österreich“)

BILD hatte dies zehn Stunden früher fast wortgleich formuliert:

Über ihr Opfer, ihre Schuld verlor sie dagegen kaum ein Wort, sagte nur: (..) Bei Beckmann sah sich Nadja nun als „lebendiges Beispiel und auch ein lebendes Mahnmal, was das Thema HIV betrifft.“ (BILD)

Der Rest des „Österreich“-Artikels scheint sich ähnlich am BILD-Artikel zu orientieren. Dass es auch anders geht, zeigen Bunte, Gala oder Welt, einzig der Schweizer Blick scheint auch bei BILD abzukupfern.

In eigener Sache: Heute beginnt die Wintersemester-Ausgabe der Lehrveranstaltung am Publizistikinstitut, für das ich Kobuk.at letztes Frühjahr gestartet habe. Allerdings ist Kobuk längst mehr als ein Uniprojekt, dank vieler engagierter Gastautoren, allen voran Hans Kirchmeyr.

Von ihm stammt auch der Artikel „Implosion einer Krone-Titelstory„, den auch der „Falter“ in seiner heutigen Ausgabe erwähnt. Dieser beehrt uns mit einem Artikel unter dem Titel „Die Wachhunde der Wachhunde“ – im Volltext nachzulesen im Blog von Autorin Ingrid Brodnig. Gleich mache ich mich auf den Weg in die Marc-Aurel-Straße, um die 20 Falter-Exemplare abzuholen, die uns dankenswerterweise zur Verfügung gestellt werden.

(Danke an Robert Harm für den Scan!)

Der Wien-Korrespondent der ARD vergleicht das äußerst umstrittene Projekt Stuttgart 21 mit dem Bau des Wiener Hauptbahnhofs:

In Wien passiert Ähnliches wie in Stuttgart: Auch hier soll ein neuer Durchgangsbahnhof den bisherigen Kopfbahnhof ersetzen. Aber Proteste gibt es hier nicht.

Doch der Vergleich hinkt massiv. Dass wir Wiener – selbst die Opposition! – den neuen Hauptbahnhof mehrheitlich begrüßen, während die Stuttgarter das Projekt S21 mehrheitlich ablehnen, könnte an einigen ganz wesentlichen Unterschieden liegen:

  1. Der Wiener Hauptbahnhof ersetzt zwei Kopfbahnhöfe, zwischen denen eine Taxifahrt oder eine mühsame Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln liegt. Er schließt eine Eisenbahnlücke zwischen West- und Osteuropa und verknüpft erstmals die österreichischen Linien Westbahn, Südbahn, Ostbahn und Nordbahn. S21 wandelt lediglich einen Kopfbahnhof in einen Durchgangsbahnhof um.
  2. Der Wiener Hauptbahnhof kostet € 930 Mio. (Bahninfrastruktur) bzw. € 1,2 Mrd. (Gesamtprojekt). S21 kostet hingegen nach Schätzung des Bundesrechnungshofes € 5,3 Mrd. Umgelegt auf die Bevölkerungszahlen ist S21 damit etwa zwölfmal so teuer als der Wiener Hauptbahnhof. Die Kosten in Wien sind im Projektverlauf relativ stabil geblieben (plus 130 Mio) während die Kosten in Stuttgart bereits um Milliarden Euro gestiegen sind.
  3. Der Hauptbahnhof wird oberirdisch in einem relativ unattraktiven Teil Wiens gebaut, den abgerissenen Bauten weint niemand eine Träne nach, auch nicht das Denkmalamt. S21 wird unterirdisch mitten im Zentrum gebaut, betroffen sind denkmalgeschützte Bauten und der Stuttgarter Schlosspark.
  4. Wien ist ein deutlich wichtigerer Bahnknotenpunkt als Stuttgart, das nur an einer transeuropäischen Achse liegt. Auch hat Wien drei Mal so viel Einwohner – und damit vermutlich Bahnreisende – als Stuttgart.
  5. Die verkehrsplanerische Reife von S21 ist strittig, die des Wiener Hauptbahnhofs nicht. Hier wird lediglich die mangelhafte Anbindung an das innerstädtische Verkehrsnetz bemängelt.
  6. Auch die Einbindung der Öffentlichkeit dürfte in Wien, wo ein Zentralbahnhof seit beinahe hundert Jahren diskutiert wird, deutlich besser gelaufen sein. In Stuttgart hingegen verhinderte der Oberbürgermeister trickreich eine Volksabstimmung, die 60.000 Bürger per Unterschrift gefordert hatten – 40.000 mehr als notwendig, um die Stadt zu einer solchen zu verpflichten. Er schuf frühzeitig vollendete Tatsachen, das Volk fühlt sich um sein Recht auf Mitbestimmung betrogen.

Lässt sich Andreas Meyer-Feist, der Wien-Korrespondent der ARD, der diese augenfälligen Unterschiede kennen müsste, vor den Karren der S21-Befürworter spannen?

Dieser Gastbeitrag von Robert Menasse erschien zuerst auf seiner Facebook-Seite, unter dem Titel „Die herrschende Meinung ist noch dümmer als die Meinung der Herrschenden“.

Gestern, am 12. September 2010 schrieb der KURIER-Kolumnist A. S. auf Seite 1, im sogenannten „Einserkastl“, über das „Thema Integration“ und die „Thesen“ von Thilo Sarrazin:

Wer hat jetzt recht? Sarrazin, der auch überzogen hat? Seine Kritiker, die ihn in vorauseilendem Gehorsam (wem gegenüber eigentlich?) mundtot machen wollen und damit eigentlich die Demokratie abschaffen?

Man weiß bei Herrn S. nie, ob er einen schlampigen Gedanken perfid formuliert, oder ob er bloß unfähig ist, einen naturtrüben Gedanken klarer zu formulieren. Versuchen wir einmal, ihn zu verstehen:

Er meint also, dass die Kritiker von Thilo Sarrazin „eigentlich“ die Demokratie abschaffen. Wir ersparen uns jetzt einen Exkurs über den „Jargon der Eigentlichkeit“, über den Adorno ein Buch geschrieben hat, das am Beispiel von (immerhin Heidegger) vorführt, wie Sprache zum Werkzeug der Täuschung wird, die sich gegen Kritik darüber immunisiert, dass sie jederzeit das Gegenteil des Geschriebenen als „eigentlich“ Gemeintes, das Gegenteil des Verstandenen als „eigentlich“ Geschriebenes, das Gegenteil von Sinn als „eigentliche“ Wahrheit behaupten kann. Man darf Herrn S. nicht vorwerfen, dass er auch dieses Buch nicht kennt, aber man muss ihn doch fragen, ob ihm klar ist, was er, um es in seinem Jargon zu sagen, „eigentlich“ geschrieben hat:

Die Kritiker von Thilo Sarrazin schaffen also „eigentlich“ die Demokratie ab. Das ist ein Satz, der ein Faktum behauptet. Nun ist aber, trotz heftiger, massiver, breiter Kritik an Sarrazin nirgendwo im deutschen Sprachraum, in dem „die Thesen“ von Sarrazin diskutiert werden, nachweislich abgeschafft worden, was hier unter Demokratie verstanden wird. Das ist ein Faktum, das völlig widerlegt, was er als Faktum behauptet. Ich habe den Verdacht, dass Herr S. eigentlich etwas anderes „eigentlich“ schreiben wollte, etwas anderes „gemeint“ hat: nämlich, dass das „wollen“ vom ersten Satzteil sich auch auf den zweiten bezieht, er also schreiben wollte: „mundtot machen wollen“ und damit auch die „Demokratie abschaffen wollen“ – allerdings hat er in der fünften Klasse Gymnasium gelernt, „unschöne Wortwiederholungen“ zu vermeiden, also hat er das zweite „wollen“ weggelassen“, statt das erste an das Ende des Satzes zu ziehen.

Aber selbst wenn er es „eigentlich“ so gemeint hatte – es wird dadurch nicht viel besser. Denn selbst für den Satz, dass die Kritiker von Sarrazin die Demokratie abschaffen WOLLEN, gibt es keine einzige faktische Bestätigung. Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass auch nur ein einziger Kritiker Sarrazins irgendwo, ganz entlegen, gesagt oder geschrieben hat: Wir wollen Thilo Sarrazin mundtot machen, weil wir wollen die Demokratie abschaffen.

Warum schreibt der Journalist einer Tageszeitung, die den Fakten verpflichtet sein sollte, also einen solchen Satz? Weil er ihn „eigentlich“ nicht so gemeint hat?

Wenn man länger darüber nachdenkt, kommt man zu dem Gedanken, dass Herr S. vielleicht „eigentlich“ etwas anderes gemeint hat: nämlich nicht „Demokratie“, also Wahlen, die Entsendung von Volksvertretern nach bestimmten, in der Verfassung geregelten Verfahren, die Bildung einer Regierung etc., sondern „Meinungsfreiheit“. Vielleicht hat Herr S. nur dies gemeint: die Gegner von Thilo Sarrazin schaffen die Meinungsfreiheit ab, oder wollen die Meinungsfreiheit abschaffen. Nun haben aber die Gegner von Thilo Sarrazin nachweislich die Meinungsfreiheit nicht abgeschafft – denn sie verbreiten ja sogar seine Meinung, indem sie mit ihm in allen Talkshows auf und ab diskutierten. Und sie WOLLEN auch die Meinungsfreiheit nicht abschaffen, weil es just die Gegner von Thilo Sarrazin sind, die genau wissen, dass im Fall der Abschaffung der Meinungsfreiheit es ihre Meinung ist, die zuallererst abgeschafft wird. Also wieder ein faktischer, und dazu noch ein interpretativer Unsinn von Herrn S.

Lesen wir die Sätze von Herrn A.S. nochmals, um zu begreifen, was er gesagt hat – und wir entdecken eine weitere Technik, bei der „eigentlich“ (im Sinn des „Jargons der Eigentlichkeit“) nicht nachgewiesen werden kann, ob Herr S. sie in bewusster Perfidie oder bloß mit naturtrüben Bewusstsein eingesetzt hat:

Herr Sarazin, schreibt er, „hat überzogen“ – das heißt: ein bissl übertrieben, aber das wird man doch noch dürfen, um etwas zuzuspitzen.

Seine Kritiker aber, schreibt er, wollen ihn Mundtot machen und die Demokratie abschaffen, also ihn zum Schweigen bringen und jede vernünftige Grundlage eines gedeihlichen Zusammenlebens zerstören.

Diese Formulierung drückt klar aus, welcher Seite die Sympathie von Herrn S. gilt. Sie ist allerdings so formuliert, dass Herr S. jederzeit behaupten kann, „eigentlich“ habe er das nicht so gemeint.

Wenn Herr S. geschrieben hätte: „Der Ku Klux Clan hat übertrieben, als er auf soziale Probleme in den Südstaaten der USA hinwies, aber Martin Luther King wollte diese besorgten Bürger mit ihren schicken Kapuzen mundtot machen“, wäre die S.-Technik heute augenfällig. Er hätte umgekehrt auch schreiben können: „Herr Sarrazin betreibt Volksverhetzung, aber ein erfreulich großer Teil der deutschen Zivilgesellschaft und der deutschen Medien übt daran Kritik“ – dies wäre, auf Grund der FAKTENlage genauso gerechtfertigt gewesen…. und da stellt sich natürlich die Frage, warum Herr S. seine Formulierung so gewählt hatte, wie er es „eigentlich“ tat (wenn wir immer noch voraussetzen, dass Herr S. seine Formulierungen bewusst wählt!)

Aber es wird ja noch abenteuerlich und zugleich auch verräterisch, wenn wir Herrn S. genau lesen: er schrieb ja nicht nur, dass die Kritiker Herrn Sarrazin „mundtot machen wollen“,  sonder auch, dass sie dies „in vorauseilendem Gehorsam (wem gegenüber eigentlich?) tun.“

Ich kann mir gut vorstellen, dass Herr S. beim schnellen Tippen plötzlich die Formulierung „in vorauseilendem Gehorsam“ hinschrieb, das kam plötzlich, ganz schnell, es muss ja schnell gehen, es muss eine Tageszeitung produziert werden. Da schreibt sich schon mal etwas ganz schnell von selbst, Floskeln, Phrasen, das fliegt einem routinierten Lohnschreiber, der ganz schnell für morgen etwas Geharnischtes schreiben soll, flott zu, und ich kann mir vorstellen, wie Herr S. in diesem Moment kurz stutzte und sich fragte: „Wem gegenüber eigentlich?“

Und da kam ihm diese Frage plötzlich sehr originell vor, kritisch, und dabei völlig logisch, da er, als ein Mann, der jede Zeile für Lohn schreibt und dabei weiß, wer die Eigentümer seines Mediums sind, und wem gegenüber er gehorsam zu sein hat, und wie er seinen Nimbus als „unabhängiger Journalist“ aufrecht erhalten kann, wenn er NICHT fragt, was er schreiben soll, sondern schreibt, was er WEISS, dass er schreiben soll, so eilig, so schnell…. für morgen! ….. Ich kann mir vorstellen, wie er, als ihm diese Frage einfiel („vorauseilend gehorsam. Wem gegenüber eigentlich?“),  sie ihm ungemein kritisch und kess vorkam, aber nicht so schmerzhaft, wie es eine selbstkritische Frage (die da so nahe lag) gewesen wäre, dass er gar nicht weiter darüber nachdachte und sie  tatsächlich gleich mit martialischem Gefühl hinschmierte: „Die Kritiker von Thilo Sarrazin wollen in vorauseilendem Gehorsam (!Mann, das ist kritisch!) aber wem gegenüber eigentlich? (Mann, das ist reflektiert!) ihn mundtot machen, Demokratie abschaffen……“

Tatsächlich ist diese Formulierung in diesem Kontext so unsinnig, dass es sogar bei einem Journalisten eine Entlassung rechtfertigen würde: Nicht jede Phrase passt in jeden Kontext. „Vorauseilender Gehorsam“ war noch nie der Grund für Kritik, die von der Zivilgesellschaft geäußert wird.

Wie wäre es zum Beispiel, wenn Herr S. statt „vorauseilendem Gehorsam“ den schönen, alten Begriff „Einsicht“ verwendet hätte, oder „Erinnerung“, „Wissen“, „Verpflichtung: Die Kritiker von Thilo Sarrazin üben Kritik in der Einsicht, wohin Volksverhetzung führt, die Spaltung der Gesellschaft, das Schüren von Hass. Sie haben noch die Erinnerung daran, was just in diesen Landen eine pseudowissenschaftliche Argumentation, die sich auf „Rassen“-Spezifika stützt,  schon einmal bedeutet hat, sie wissen, wohin Eugenik, Rassenlehre, Sterilisationsprogramme, SOZIALE Reinheitsgebote geführt haben, sie haben die Verpflichtung, dagegen aufzustehen und diesen Rückfall in die Barbarei, der mit dem unschuldigen „Ist-ja-wahr“-Gestus daherkommt, zu verhindern!!!! —- Da ist weit und breit kein „Gehorsam“, sondern, im Gegenteil, Widerstand gegen Tendenzen am Werk, die Menschen Grundrechte absprechen wollen – und dies wäre nach Herrn S. vom KURIER die „Abschaffung der Demokratie“?

Warum?

Dummheit?

Es wäre schön, wenn es Dummheit wäre.

Am selben Tag erschien in derselben Zeitung ebenfalls auf Seite Eins: „Die Blauen führen bei den unter Dreißigjährigen!“

Kann es sein, dass Herr S. seinen Unsinn, wie immer er ihn „eigentlich“ gemeint hat, „in vorauseilendem Gehorsam“ an die künftige Mehrheit in diesem Land geschrieben hat? Kann es sein, dass ein Zeilenschreiber-Idiot so luzid ist, dass er daran denkt, in einer „Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen“- Gesellschaft die Annonce aufzugeben: „Ich will auch morgen noch für Euch schreiben dürfen!“?

  • Journalism Warning Labels https://www.tomscott.com/warnings/„Geek Comedian“ Tom Scott hat Warnaufkleber für Gratiszeitungen und gegen billigen Journalismus entworfen. Die englische PDF-Druckvorlage gibt’s hier zum Download. Deutsche Twitterer haben bereits Interesse an einer Übersetzung bekundet.  (Danke @Luca für den Hinweis.)
  • Der Fall machte im Juli Riesenschlagzeilen: Sechs Stunden sei ein Tiroler Altlandeshauptmann bewusstlos und schwer verletzt in einer Tiefgarage gelegen, Passanten laut seiner Aussage in einem ORF-Interview quasi über ihn drüber gestiegen, bevor sich einer erbarmt habe. „Die Zeitungsente des Jahres“ berichtet nun dietwag.org (bekannt als Aufdeckerin des „Schwein-Sagers“ eines anderen Tiroler Altlandeshauptmanns) und wirft ein völlig neues Licht auf diesen Fall.
  • Und 669 Milliarden Euro schließlich soll laut Profil die U2-Verlängerung in Wien kosten. Wenn das mal nicht dem Häupl auf den Kopf fällt… Diese und andere Seltsamkeiten hat wie immer nömix zusammengetragen.

(Foto: m. freundl. Genehm. v. Tom Scott)

Bevor uns das Sommerloch schluckt und mit etwas Regen nachspült, ein paar Lesetipps:

  • News networks giving a greater voice to viewers because the social web is so popular are like a chef on the Titanic who, seeing the looming iceberg and fleeing customers, figures ice is the future and starts making snow cones.„Tangst“ und „Textaphrenie“ gehen unter SMS-Vieltippern um, glaubt man den Viel-, Ver- und Abtippern bei APA, Kurier, Standard, Futurzone et al. Einzig die traditionell APA-fernere Krone scheint das skeptischer zu sehen („ausgemachter Blödsinn“) — und hat Recht. Die ganze Story hat Anatol Stefanowitsch mit übermenschlichemjournalistischem Rechercheaufwand (eine E-Mail an die vorgebliche Forscherin) hier zusammengetragen. (Via BILDblog).
  • Blogger wissen es halt meist besser als die Journalisten. Ob wir’s allerdings auch besser machen, wenn wir die Chance dazu kriegen, daran darf gezweifelt werden. Die „Scroll-Edition“ (PDF), ein WELT KOMPAKT-Experiment mit Bloggern als Redakteuren, ist jedenfalls grandios gescheitert. „Blogger sind auch nur Menschen„, sagt dazu die Redaktion. „Blogger sind keine Journalisten“ und im gedruckten Wort trete die „Belanglosigkeit des Webs“ halt erst richtig zutage, meinen hingegen Blogger. Eine Übersicht über die verschiedenen Reaktionen, positiv wie negativ, hat die ZEIT in ihrer Blogschau zur Scroll-Edition gesammelt.
  • Grandios gelungen hingegen dürfte ein anderes Zeitungs-Zukunfts-Experiment sein: Das Fontblog hat die iPad-Version von WIRED mit der gedruckten Ausgabe verglichen und scheint zu Recht tief beeindruckt — kein Vergleich zum Verriss der SPIEGEL-App, einige Wochen zuvor. (Via EnlargeYourPen)
  • Grandios daneben — und längst vom Lauf der Dinge Lügen gestraft — schließlich noch die Erklärungen des deutschen Bundestrainers zu angeblich genetischen Vorteilen der Afrikaner und die unkritische Rezeption solcher Aussagen in den Medien, findet zumindest „Blogkow“.
  • Ja, und falls auf Kobuk grad mal nix läuft, können wir immer einen kurzweiligen Abstecher zu nömix empfehlen.

(Foto: CC xkcd)

Großartige Medienkritik zweier Studenten, über die Fernsehkritik.tv berichtet:

Text: „Hartz IV TV – Gegen Niveaulosigkeit im Nachmittags-TV“. Live auf Sendung beim WM-Spiel Kamerun gegen die Niederlande.

Vol.at hat ein paar Handyfotos von einer jungen Frau, die sich erdreistet als Verkäuferin zu arbeiten, aus der untersten Schublade gezogen.

Danke an Johannes M. für den gehaltvollen Tip zum geschmacklosen Artikel!