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und schauen fern.

Kategorie: OE24/Österreich

Die Tageszeitung „Österreich“ musste letzten Freitag im redaktionellen Teil eine interessante Gerichtsentscheidung veröffentlichen: „Österreich“ hatte offenbar im Rahmen der Bildberichterstattung Fotos, auf denen ein Krone-Logo zu sehen war, überarbeitet und das Sponsorenlogo entfernt.

Die „Krone“ klagte dagegen vor dem Handelsgericht Wien und gewann den Rechtsstreit gegen die Mediengruppe „Österreich“ GmbH.

Der Text der Entscheidung ist in der Großansicht des Scans lesbar.

Sensationelles weiß die Samstagsausgabe von „Österreich“ in ihrer Titelgeschichte zu vermelden:

Umfrage: Erstmals SPÖ vor der ÖVP
[…] Knalleffekt in der brandaktuellen ÖSTERREICH-Umfrage: Das renommierte Gallup-Institut sieht die SPÖ im koalitionsinternen Umfrage-Duell erstmals seit fast einem Jahr wieder vorn. Konkret kommt die Partei Werner Faymanns auf 31 Prozent – die ÖVP von Josef Pröll nur noch [sic!] auf 30. […] Doch Faymann kann sich nicht nur darüber freuen: Auch in der Kanzlerfrage liegt er erstmals seit 28. Juni 2009 (!) wieder vorn: Der Amtsinhaber kommt demnach auf 38 Prozent, Gegenspieler Josef Pröll auf 37.

Wie geht das eigentlich? 500 bis 1000 Leute befragen, und dann genau wissen, wie sechs Millionen wählen würden? Die schlechte Nachricht: Es geht gar nicht. Zumindest nicht so exakt, wie es „Österreich“ uns hier weismachen möchte.

Die Ergebnisse repräsentativer Umfragen unterliegen naturgemäß einer gewissen Unschärfe. Die Experten nennen das Schwankungsbreite. Eine Schwankungsbreite von z.B. 3 % bedeutet, dass die realen Werte um plus/minus drei Prozentpunkte abweichen können.

Hinzu kommt noch die Einschränkung auf ein Vertrauensintervall von üblicherweise ca. 95 %. Keine Sorge, das klingt jetzt komplizierter als es ist. Das Vertrauensintervall (auch Signifikanzniveau) besagt nur: „Die plus/minus drei Prozentpunkte Abweichung gelten mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 %“ Anders gesagt: Es besteht eine Fünf-Prozent-Wahrscheinlichkeit, dass die wahren Werte die Schwankungsbreite sprengen und mehr als plus/minus drei Prozentpunkte vom Umfrageergebnis abweichen.

Die Schwankungsbreite selbst hängt naturgemäß von der Zahl der Befragten ab, aber auch von den ermittelten Ergebnissen. Kurz: Je weiter ein Ergebniswert von der 50-Prozent-Mitte entfernt liegt, desto geringer wird seine Schwankungsbreite. Sagen also z.B. 50 % der Befragten, sie wählen diese oder jene Partei, so schwankt dieses Ergebnis um ca. 4,4 % (bei 500 Befragten), während die 10 % für eine andere Partei in der selben Umfrage nur 2,6 % Schwankungsbreite aufweisen (das selbe würde für 90 % gelten, weil es gleich weit von der Mitte entfernt liegt).

Bevor’s jetzt aber doch zu kompliziert wird: hier wird alles sehr anschaulich und verständlich erklärt. Und es gibt wunderbare Tabellen (hier z.B. von Gallup), die ohne großes Nachrechnen zeigen, wie groß die Schwankungsbreiten, abhängig von den genannten Einflussgrößen sind.

Muss man jetzt auch alles gar nicht so genau verstehen. Wichtig ist nur, zu wissen: das Ganze ist ein bisserl so, wie der Versuch, den Ausgang eines Rennens bereits einige Meter — manchmal auch einige hundert Meter — vor dem Ziel vorherzusagen. Liegen die Läufer klar auseinander, nicht weiter schwierig. Aber liegt das Feld eng beinander, nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.

Das führt uns zurück zum „Knalleffekt“ von „Österreich“ und zur Anwendung des eben Gelernten in der Praxis. Leider verschweigt das Blatt alle relevanten Daten zur Umfrage, so kann die Größe der Stichprobe nur geschätzt werden. Üblicherweise werden für die wöchentliche Sonntagsfrage aber nicht mehr als 500 Menschen befragt. Die Schwankungsbreite läge in diesem Fall laut Tabelle bei über vier Prozentpunkten.

Das bedeutet, Faymann der laut „Österreich“ sensationell führt, könnte derzeit ebenso gut bei nur 34 Prozent liegen und Pröll bei satten 41. (Und mit fünf Prozent Wahrscheinlichkeit, liegt der Wert vielleicht sogar noch höher.)

Na, das wär doch ein Knalleffekt, oder?

PS: Der Standard berichtet auf seiner Samstags-Titelseite erschütternd ähnlich, auf Basis einer anderen Umfrage.

Jetzt ist schon wieder was passiert. In einer Linzer Straßenbahn wurde ein 50- bis 51-Jähriger (hier gehen die Überlieferungen auseinander) niedergeschlagen, nachdem er sich über die laute Handy-Musik eines Jugendlichen beschwert hatte.

Hier ein paar Auszüge aus den Überschriften und Anreißern zu dieser Geschichte:

Weil sich ein Fahrgast über seine Musik am Handy aufgeregt hat, schlug ein Bursche zu. („Österreich“, 21.5.2010)

Ein 51-jähriger Fahrgast beschwerte sich bei einer Gruppe Jugendlicher. Ein 19-Jähriger rastete daraufhin aus, schlug und trat auf sein Opfer ein. (OÖN, 21.5.2010)

Ein Jugendlicher, 19, ging in einer Linzer Straßenbahn auf einen 50-Jährigen los, weil sich dieser über die laute Musik aus dem Handy des Burschen beschwert hatte. (Kurier, 21.5.2010)

In einer Straßenbahn ist am Mittwochabend ein Fahrgast (50) von einem 19-Jährigen verprügelt worden; der Mann hatte sich vorher über die laute Handymusik des Jugendlichen beschwert. (Die Presse, 21.5.2010)

Der Jugendliche ging auf den 50-Jährigen los, nachdem sich dieser über die laute Musik aus dessen Handy beschwert hatte. (Der Standard/APA, 21.5.2010)

Den detailliertesten Bericht lieferte überraschenderweise die Kleine Zeitung. Hier erfährt der geneigte Leser nicht nur, an welcher Haltestelle die Jugendlichen zustiegen (Hauptbahnhof), in welche Linie (Nr. 1), ja sogar fast bei welcher Türe („in den mittleren Wagen der Straßenbahngarnitur“) — auch der arabische Migrationshintergrund des Jugendlichen wird dezent thematisiert.

Kein Detail schien der Kleinen zu … klein, um ihren Lesern den Vorgang möglichst anschaulich und nachvollziehbar darzulegen. Bis vielleicht auf dieses hier:

Als der Bursch den 51-Jährigen auch noch mehrfach antippte, schlug ihm dieser entnervt das lautstark tönende Handy aus der Hand — und wurde daraufhin vom 19-Jährigen niedergeschlagen und auch noch mit Fußtritten attackiert. (Kronen Zeitung, 21.5.2010)

Ja, dass der ältere Herr, der sich bei dem Vorfall glücklicherweise nur leichte Prellungen zuzog, nicht bloß nett gefragt, sondern dem Jugendlichen das Handy aus der Hand geschlagen hatte, bevor die Lage eskalierte, das stand meines Wissens tatsächlich nur in „Österreich“ und Krone.

Die Gratiszeitung „Österreich“ illustriert die Finanzhilfe für Griechenland und Euro mit einer Fotomontage zweier österreichischer Politiker in Unterwäsche. Zulässig oder nicht?  Es ist nicht das erste Mal, dass ein Politiker in einer gefälschten und intimen Situation gezeigt wurde: So hat der OGH 1996 die „profil“-Montage des nackten Kanzlers am Cover für unzulässig erklärt:

§ 78 UrhG soll nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers jedermann gegen den Mißbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit, namentlich (ua) dagegen schützen, daß sein Bildnis auf eine Art benützt wird, die zu Mißdeutungen Anlaß geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt. Auch allgemein bekannte Personen, wie der Kläger, haben Anspruch darauf, daß die Allgemeinheit auf ihre Persönlichkeit Rücksicht nimmt. Deshalb ist die Privat- und Intimsphäre einer solchen Person geschützt und die Verbreitung von Bildern unzulässig, die entstellend wirken oder die – allenfalls erst im Zusammenhang mit der Bildunterschrift oder dem Begleittext – den Abgebildeten der Neugierde und Sensationslust der Öffentlichkeit preisgeben.

Korn schreibt dazu in „Einführung in das Kommunikationsrecht“ (2010):

Die Verletzung berechtigter Interessen liegt hier in der Verletzung des aus dem Grundsatz der Achtung der Privatsphäre erfließenden Selbstbestimmungsrechts, wobei der Bereich des Privatlebens nicht auf den Intimsbereich beschränkt ist. Hierher zählen auch Fragen der Gesundheit, der Religion bzw. Weltanschauung. Als Beispiel gilt hier die Fotomontage auf dem Cover einer Wochenzeitschrift, auf welchem der ehemalige österreichische Bundeskanzler Dr. Franz Vranizky nur mit einem Feigenblatt abgebildet ist. Eine derartige Veröffentlichung könnte zu Missdeutung Anlass geben, zumal die abgebildete Person eine führende Stellung im Staat einnimmt und in dieser Funktion Würde und Ansehen zu wahren hat.

Update: Online wurde die Fotomontage mittlerweile entfernt.

  1. Suchen Sie sich zuerst eine alte Statistik, irgendeine: Ein wahrer Profi macht aus allem eine Story. Geeignet sind das nationale Statistikamt oder Pressemitteilungen der EUROSTAT. Und siehe da: EUROSTAT hat vor 4 Monaten veröffentlicht, dass die Armutsgefährdungsquote in der EU bei 17% liegt und Österreich im Vergleich dazu mit 12% überdurchschnittlich gut auf Platz 4.
  2. Kontrollieren Sie kurz, ob und was ihr Medium schon mal darüber berichtet hat und wie lange das her ist. Das kann Ihnen Anhaltspunkte liefern, wie Sie über das Thema schreiben könnten.
  3. Beziehen Sie eine europäische Statistik immer einseitig auf das eigene Land. Dichten Sie was dazu und lassen Sie was weg. Schreiben Sie:

    Dass die Statistik nicht neu ist, und ihr Medium selbst schon vor Monaten davon berichtet hat, spielt keine Rolle.  Aktuell ist ein dehnbarer Begriff und niemandem wird es auffallen, dass es sich um keine echten News handelt.
  4. Jetzt müssen Sie als Boulevard-Journalist noch Stimmung machen. Vergleichen Sie ihr Land mit anderen EU-Ländern. Hier können Sie erstmals entscheiden, ob Sie die Ergebnisse der Statistik unterschwellig positiv oder negativ transportieren. Entscheiden Sie sich für Ersteres, sieht der Vergleich, wie folgt aus:

    Platz 4 hinter Tschechien, Slowakei und den Niederlanden klingt jedoch fad. (Noch dazu ex aequo mit vier weiteren Ländern.) Ein Podiumsplatz wäre viel schöner, und die Niederlanden sind kein Nachbarland, also raus damit! Jetzt ist Österreich mit 12% auf Platz 3. Denken Sie daran: Begründen müssen Sie nichts. Eine Korrektur werden Sie auch nicht schreiben müssen.
  5. Aber halt! Ein passender Titel fehlt noch. Im Artikel selbst kommt Österreich gut weg, aber als Boulevard-Journalist wissen Sie: Ihre Leser werden sich langweilen, wenn der Titel lautet:

    Österreichs Armutsquote eine der besten in der EU

    oder

    Österreich: Armutsquote so niedrig wie schon lange nicht mehr!

    Nein. Ihre Leser wollen Bad News:

  6. Wenn Sie ihr Gewissen jetzt plagen sollte, dann schmücken Sie den Artikel online einfach etwas aus und verpassen ihm einen positiven Titel, in etwa so:

Alle Scans vom Artikel „Eine Million Österreicher sind armutsgefährdet“, Tageszeitung „Österreich“, 17. Mai 2010, Seite 10, links oben, Screenshot von hier.

Während die Zeitung „Heute“ vom Freitag, den 30. April (links im Bild) Wladimir Putin gemeinsam mit einem Forschungstrupp zeigt, schreibt „Österreich“ (rechts), dass Putin die ohnehin schon seltenen Eisbären auf Franz-Josefs-Land jage. Ein Check über die Googlesuche deutet auf die Richtigkeit der Version von „Heute“, nämlich die der harmlosen Forschung. Abgesehen davon müsste es bei „Österreich“ in der Überschrift „auf Franz-Josefs-Land“ heißen – sie selbst schreiben von einer Inselgruppe.

In einem Resumé der vergangenen Präsidentenwahlen inklusive Gegenüberstellung der beiden Großparteien wird unter anderem die Entscheidung Erwin Prölls, keinen Kandidaten aufgestellt zu haben, kritisiert. Oder war es doch Josef?

Scan: „Österreich“ am 30.4.2010


„Thema des Tages“ beim Gratisblatt „Österreich“ war am 29. April Cyber-Mobbing:

Laut Unterrichtsministerium wurde bereits jeder fünfte Teenager zwischen 12 und 19 Jahren – also etwa 150.000 Burschen und Mädchen – Opfer von Schikanen im Internet oder per Handy.

Abgesehen davon, dass man mit 15-16 Jahren die Schulpflicht beendet haben kann und damit die 150.000 betroffenen Teenager kaum alle Schüler sind: Die Teenager sind – siehe Zitat – angeblich „von Schikanen im Internet oder per Handy“ betroffen. Doch das Internet ist groß und umfasst nicht nur Facebook und gemobbt wird offenbar ebenso mit Telefonanrufen.

Wenn man mit der Überschrift implizit aussagt, dass all das böse Mobbing in Facebook passiere – ist das nicht irgendwie Mobbing?

Wechselkurse ständig im Auge zu behalten, kann auf die Dauer anstrengend sein. Das stellte die „Österreich“-Redaktion in einem Artikel über die Liste der 100 wertvollsten Marken 2010 (PDF) des Marktforschers Millward Brown unter Beweis.

In dieser Liste rangiert Red Bull mit 8,917 Millarden US-Dollar aktuell auf Platz 82. Mit dem aktuellen Wechselkurs von 1 US-Dollar = 0,76 Euro macht das 6,78 Milliarden Euro.

Nicht so für „Österreich“:

Der aufmerksame Leser wird bereits bemerkt haben, dass da was nicht stimmen kann.

Im Artikel selbst, indem sich „Österreich“ munter mit Angaben aus diesem Ranking bedient, ist  dann wieder von US-Dollar-Werten die Rede, außer in dem Absatz, der sich explizit mit Red Bull beschäftigt. Dort werden dem österreichischen Energiedrink-Hersteller, wie bereits im Titel abermals rund 2,1 Milliarde Euro zusätzlichen Markenwert zugesprochen, die er laut Ranking gar nicht besitzt. Didi Mateschitz würde die Schlagzeile wohl freuen, wenn sie denn wahr wäre.

Es wird jetzt noch skurriler – in der Tabelle, direkt neben besagtem Artikel steht dann:

Die 9,0 stehen für den Milliarden-Wert der Marke Red Bull. Woher die 100 zusätzlichen Millionen zu den 8,9 aus der Headline auf einmal kommen, weiß die „Österreich“- Redaktion wahrscheinlich selbst nicht so genau.

Überhaupt wurde z.B. ALDI (auf Platz 83) 8,7 Milliarden Marktwert (tatsächlich 8,747 Milliarden) ab-, Red Bull (Platz 82) jedoch wie bereits erwähnt (mit tatsächlichen 8,917 Milliarden Marktwert)  auf 9,0 Milliarden aufgerundet.

Das Boulevardblatt „Österreich“ titelt in seiner Ausgabe vom 29. April, dass rund 2 Milliarden Euro österreichischer Steuergelder an das stark gebeutelte Griechenland  verschenkt würden.

Allerdings räumt es in einem Artikel mit dem ebenso reißerischen Titel „Österreich spendet 2 Milliarden“ auf Seite 5 dann doch kleinlaut ein, dass es sich dabei lediglich um einen Kredit handelt und fügt in typischer Stammtisch-Polemik fragend hinzu:

aber kriegen wir das Geld jemals wieder?

Abgesehen davon ist die Anhebung von derzeit versprochenen 858 Millionen Euro auf 2 Milliarden Euro österreichischer Kredithilfe noch nicht fix, im Gegensatz zur irreführenden Darstellung in „Österreich“.

Kann es sein, das „Österreich“ den BILDblog-Leitfaden „Wie hetze ich gegen ein Land auf?“ gelesen hat?