Man stelle sich folgende Szene vor: Die größten Fastfood-Restaurants in Österreich gehen gemeinsam zum ORF und wünschen sich dort eine neue Sendung. Ein wöchentliches „Infomagazin“ zum Thema Ernährung, aber ausschließlich mit Fokus auf Fastfood. Es werden die Vorzüge von Fastfood erläutert, es gibt hochglanzgefilmte Einblicke in die Produktion und Entwicklung. Probleme werden nur thematisiert, um auf die innovativen Lösungen der Hersteller zu verweisen. Kleinere Nachteile lassen die zahlreichen Vorzüge noch überzeugender erscheinen. Und was sich nicht kleinreden lässt, wird mittels lehrreicher Verbrauchertipps geschmeidig an die Eigenverantwortung der Kundschaft abgewälzt. Und die Programmverantwortlichen im ORF sagen: „Das ist eine wunderbare Idee, so machen wir das!“
Unvorstellbar? Nun, genau dieses Kunststück ist dem Arbeitskreis der Automobilimporteure (einem Zweig der österreichischen Industriellenvereinigung) gelungen.
Am 1. September berichtete die Financial Times über GPS-Sabotage im Flugzeug von Ursula von der Leyen. Der Flugradar-Dienst Flightradar24 widerspricht und sieht keine Unregelmäßigkeiten. Die Fakten beinhalten viele Grau-Töne, die in den meisten Medien zwischen Alarmismus und „Fake News“-Rufen untergehen.
Henry Foy ist Chef des Brüssel-Büros der Financial Times. Er hat Ursula von der Leyen zuletzt auf ihrer viertägigen Tour durch Osteuropa begleitet. Am Sonntag, den 31. August, sind sie von Warschau nach Bulgarien geflogen. Aber im Landeanflug auf die Stadt Plovdiv im Zentrum des Landes passierte etwas Merkwürdiges: „(…) we lost altitude. We came down to praying for landing, and then all of us on board realised that we were circling the airport. We had been for a while“, erzählt Foy zwei Tage später im hauseigenen Podcast FT News Briefing.
In den Stunden und Tagen nach dem Amoklauf in Graz zeigten einige Medien eine besonders unrühmliche Seite – geprägt von Spekulationen, verstörenden Bildern und unangebrachten Besuchen.
Am Dienstag erschütterte ein Amoklauf an einer Grazer Schule das ganze Land. Während Einsatzkräfte versuchten, die Lage unter Kontrolle zu bringen und Angehörige betreut wurden, übertrafen sich viele Medien in medienethischen Verfehlungen: Sie spekulierten über Motive, zeigten Aufnahmen der Opfer und veröffentlichten identifizierendes Material. Ein Überblick über die schwerwiegendsten Verstöße gegen journalistische Sorgfaltspflichten der letzten beiden Tage.
Klicks über alles – das Problem mit dem Opferschutz
In zahlreichen Medien ist zu lesen, dass Österreichs Luftraum „unüberwacht“ sei. Das hat faktisch nie gestimmt. Das Verteidigungsministerium dementierte die Berichte allerdings nicht – und hat dafür offenbar Gründe.
„Luftraum über Österreich seit Freitag ungeschützt“, berichtet die Kronen Zeitung am 17. November. Und weiter: „Seit Freitagnachmittag kann am Himmel über Österreich theoretisch jeder machen, was er will.“ Man meint einen neuen Missstand beim österreichischen Bundesheer aufgedeckt zu haben.
Zahlreiche Medien übernahmen die Geschichte, mal reißerischer, mal weniger. Die Kernbotschaft vermittelten sie jedenfalls allesamt: Der Luftraum über Österreich sei ungeschützt. Neben Heute und Oe24 verbreiteten auch Der Standard, Kurier und der ORF die Schreckensnachricht.
Dabei hätte schon ein bisschen Recherche gereicht, um erstens die Fakten zu ermitteln und zweitens den Spin zu riechen, der hier offenbar verbreitet wurde.
Doch der Reihe nach. Mit „Luftraum ungeschützt“ ist gemeint, dass am 16. und 17. November die Eurofighter nicht starten konnten. Der Grund dafür ist ein Überstundenabbau bei Fluglotsen.
In vielen österreichischen Onlinemedien erscheint regelmäßig Werbung für illegale Online-Casinos. Dazu kommt noch Werbung für legales Glücksspiel, die oft nicht als solche zu erkennen ist. Unsere Recherche zeigt: Das sind keine Einzelfälle, sondern hat System.

Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt dutzende Pressereisen organisiert und bezahlt. Über 480 Berichte in allen großen Printredaktionen sind dazu erschienen. Eine Auswertung von Kobuk zeigt, dass in nur 17,5 Prozent der Artikel transparent gemacht wird, wer diese Reise eigentlich bezahlt hat. Ein klarer Verstoß gegen den Ethikkodex des österreichischen Presserates.
Pressereisen sind so eine Sache. Bei vielen Journalist:innen sind sie beliebt – man kommt zur Abwechslung mal raus aus dem Büro und kann sich niederschwellig ein eigenes Bild von einem Ort oder einem Event machen. Wenn Politiker:innen die Reise bezahlen, dann bekommen Journalist:innen außerdem oft wertvolle Gelegenheiten, sich mit ihnen und ihren engsten Mitarbeiter:innen besser bekannt zu machen. Kontakte, die im kleinen Österreich Gold wert sein können.
Politiker:innen finanzieren solche Reisen freilich nicht ohne Hintergedanken. Sie wollen von der Berichterstattung in irgendeiner Weise profitieren. Dafür haben sie auch viele Hebel in der Hand: Sie organisieren die Reise und damit auch den Ablauf – und haben so einen großen Einfluss darauf, wer, wann, was zu sehen bekommt. Es wäre illusorisch zu glauben, dass Journalist:innen auf solchen Reisen völlig frei berichten können. Dennoch stehen die Reisen quasi an der Tagesordnung – von Hanoi bis München.

Heute-Chefredakteur Christian Nusser sieht seine Zeitung zu unrecht an den Pranger gestellt. Auch andere Medien haben in den vergangenen Jahren ungewöhnlich viel Inseraten-Geld vom Finanzministerium bekommen. Hat er damit Recht? Die Kurzfassung: Er hat jedenfalls nicht völlig unrecht.
Inserate aus der öffentlichen Hand sind in Österreich so eine Sache. Die Regierung kann über die Ministerien praktisch unbegrenzt viel Steuergeld an Medien überweisen. Es gibt keine Gesetze, die etwa den Rahmen, den Zweck, oder eine verpflichtende Evaluierung über die Wirksamkeit solcher Werbeausgaben festlegen. Und sagen wir mal so: Nicht nur wir bei Kobuk hatten in den letzten Jahren immer wieder die Vermutung, dass mit diesen Geldern wohlwollende Berichterstattung gekauft wird; oder umgekehrt: Dass PolitikerInnen niedergeschrieben werden, wenn sie zu wenig bezahlen.
Seit vergangener Woche steht die Zeitung „Heute“ und ihre Herausgeberin Eva Dichand im Fokus dieses Verdachts. Der Falter hat die Causa hier und hier sehr lesenswert zusammen gefasst. Wir erinnern uns: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Thomas Schmid und Wolfgang Fellners OE24, weil dort über das „Beinschab-Tool“ mutmaßlich gefälschte Umfragen publiziert wurden. Als „Belohnung“, so der Verdacht, öffnete das Finanzministerium den Geldhahn und ließ Inseratengelder in die Kassen der Fellners fließen. Soweit, so bekannt.
Der Falter schreibt nun über den neuen Vorwurf der Staatsanwälte: „Damit der Deal, den die Türkisen mit Fellners Österreich-Gruppe mutmaßlich geschlossen haben, um Kurz mit frisierten Umfragen zu pushen, nicht auffliegt, wurden auch die Blätter der Dichands fett bedient.“
Diese Grafik aus dem Standard illustriert den Vorwurf sehr gut:

Welches Medium hat heutzutage schon Zeit zu recherchieren? Vor allem, wenn ein Bericht über eine vertrauensvolle Quelle wie eine Nachrichtenagentur kommt. Tja. Eine fehlerhafte Meldung der deutschen Presseagentur DPA wurde von zahlreiche Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz oftmals wortgleich übernommen und hat sich so verbreitet. In Österreich zum Beispiel von Der Standard, Orf.at, oe24 und motor.at, eine Plattform von Kurier. Aber der Reihe nach:
In all den Artikeln geht es um den Anteil von Elektroautos an Neuwagen in der EU. Der Fehler liegt im Satz „Auch Plug-in-Hybride legten leicht auf 22,6 Prozent zu.“
Die Meldung bezieht sich auf eine Statistik der European Automobile Manufacturer’s Association (ACEA). Dort liest man allerdings, dass Plug-in-Hybride lediglich 8,5 Prozent der neugekauften Autos ausmachen. Und mehr noch: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist der Anteil der Plug-in-Hybriden nicht gestiegen, sondern im Gegenteil sogar um 6 Prozent gefallen.
Der Fehler liegt darin, dass in den Berichten die Zahlen zu Hybride- und Plug-In-Hybride verwechselt worden sind. Der Unterschied ist keineswegs irrelevant: Plug-In-Hybride können – wie der Name schon sagt – mit einem Ladekabel aufgeladen werden. Bei einem Hybrid-Fahrzeug dient der Elektromotor eher zur Unterstützung des Verbrennungsmotors, weshalb sie meistens nicht als Elektroautos eingestuft werden und auch die entsprechenden Förderungen nicht bekommen.
Wie kommt es nun dazu, dass dieser Fehler durch die deutschsprachige Medienlandschaft kursiert, ohne dass es jemandem auffällt? Offensichtlich hat die Redaktion der deutschen Presseagentur die Zahl falsch abgeschrieben. Die österreichische Presseagentur APA hat den Bericht direkt übernommen, woraufhin die österreichischen Medien den fehlerhaften Bericht ebenfalls weiterverbreitet haben. Auch in Deutschland haben Medien wie Zeit.de, Frankfurt Allgemeine Zeitung, Merkur.de, RP Online, EU-Info.de und Westdeutsche Zeitung innerhalb von Stunden die fehlerhafte Statistik publiziert; in der Schweiz findet man sie auf Volksblatt und Nau.ch.
Sämtliche Medien hätten diesen Fehler erkennen und korrigieren können, wenn sie sich die Grafik der Original-Quelle angeschaut hätten. Ein Aufwand von nicht einmal einer Minute. Augenscheinlich ist aber auch das schon zu viel verlangt. Zumindest bei den meisten. Denn, ein kleiner Lichtblick in diesem Stille-Post-Spiel, in der blind voneinander abgeschrieben wird: Der Standard hat als einziges Medium den Bericht ausgebessert und das auch transparent ausgewiesen.
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.
Das hätte sich selbst Jan Böhmermann kaum träumen lassen. In seinem Österreich-Special hatte er er noch gemeint, dass unser Kanzler zu viel Einfluss auf den ORF nehme – und keine acht Tage später überträgt genau dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk live in seiner TVthek den Bundestag der Jungen ÖVP, wo sich die Nachwuchshoffnungen der Partei präsentieren. Über zwei Stunden am Stück, ohne jede journalistische Störung.
Ich hab mir das mal hier für euch angesehen und ein kleines „Best-of“ zusammengeschnitten. Eigentlich sind Parteisender ja nicht unser Revier, aber wo der ORF hingeht, folgen auch wir. Und so komprimiert gab’s dann ja vielleicht doch ein paar aufschlussreiche Momente, die sich in der mehrstündigen Hochglanzinszenierung sonst verspielt hätten:
Höhepunkt dieser ORF-Übertragung war übrigens die Wahl einer neuen JVP-Bundesobfrau. Sie nannte im Vorfeld tatsächlich den Eurovision Song Contest als Vorbild für die aufwendig durchgestylte Veranstaltung. Zumindest was die realpolitische Relevanz betrifft, dürfte der Vergleich durchaus zutreffen. Und auch den ESC-affinen ORF scheint man damit überzeugt zu haben, bzw. Thomas Prantner, den Chef von ORF Online. Der, so hört man gerüchteweise, auch Chef von ORF Offline werden möchte. Die Generalintendantenwahl steht im August an, die Kanzlerpartei verfügt über die entscheidende Mehrheit im Stiftungsrat und für den Reichweiten-Push des türkisen „Song Contests“ gibt’s von der Jury ja womöglich ein paar Extrapunkte.
Im ORF Redakteursrat hingegen denkt man eher an Disqualifizierung: Bei dieser Übertragung habe es sich mangels Relevanz um keine journalistische Entscheidung gehandelt und der Eindruck politischer Wunscherfüllung im Vorfeld der Generalintendantenwahl schade der Glaubwürdigkeit. ORF-Chef Wrabetz legte nach und ordnete an, dass künftig ausschließlich die ORF 2-Chefredaktion über derartige Übertragungen zu entscheiden habe.
Vielleicht hätte man bei der Gelegenheit auch bestimmen sollen, wer die zweistündige Rekord-Belangsendung wieder aus der TVthek entfernen darf? Denn sie ist dort immer noch bis Samstag abrufbar. Als virtuelles Omen, welche Art von ORF uns demnächst blühen könnte.
Was ist unabhängige Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen? Nicht: Die Politik-Doku-Reihe „Baumeister der Republik“ auf ORF III. Das Format glorifiziert in seiner jüngsten Folge zwei ehemalige steirische Landespolitiker. Gegner kommen keine zu Wort. Dafür viele Freunde und ÖVP-nahe Experten. Nicht das erste Mal, dass die Doku-Reihe so Altpolitiker historisch verklärt.
„Josef Krainer versteht die Sprache des Volkes. Und das Volk ihn.“
So tönte es im Oktober 2020 nicht etwa auf einem ÖVP-Parteisender über den ehemaligen steirischen Landeshauptmann Josef Krainer senior, sondern auf ORF III. Im Rahmen der Dokumentationsreihe „Baumeister der Republik“ werden da nämlich „Die Krainers. Eine steirische Dynastie“ portraitiert: Josef Krainer senior (steirischer ÖVP-Landeshauptmann 1948-71) und sein Sohn Josef Krainer junior (steirischer ÖVP-Landeshauptmann 1981-96).
„Sein Verständnis der Macht ist ebenso einfach wie seine Prinzipien“ stimmt die Off-Moderation an und der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) setzt fort: „Schau den Leuten in die Augen, wenn du mit ihnen redest, schau den Leuten aufs Maul, aber rede ihnen nicht nach dem Mund.“
Ein Grundsatz, den die Dokumentation gegenüber ihren Porträtierten auch beherzigen könnte, es aber nicht tut.
„Josef Krainer führt die Steiermark (…) zu Prosperität und Wohlstand und steht dabei für Stabilität und Optimismus. (…) Josef Krainer junior (…) findet einen vom Vater aufbereiteten Boden vor.“
Das berichtet die Erzählstimme über die Nachkriegszeit. Mit keinem Wort wird erwähnt, mit welchen internationalen Mitteln die Steiermark da wiederaufgebaut wurde, beispielsweise jenen aus dem Marshallplan. Nein, nein, das waren alles genuin Krainer’sche Errungenschaften. Denn, so die Off-Stimme: „Es sind Vater und Sohn, die zu Wegbereitern für die moderne Steiermark werden. Zwei Ausnahmepolitiker vom selben Schlag (…) – eine steirische Dynastie“. Als wären Dynastien eine tolle Sache, und nicht etwas, das man demokratiepolitisch hinterfragen kann.
In der Doku kommen zahlreiche Fans zu Wort: „Volksverbunden, wie kaum ein anderer“ (Arnold Schwarzenegger), „immer herzlich, sehr humorvoll“ (Gerald Schöpfer, steirischer Ex-ÖVP-Landesrat) werden die Krainers da genannt. Und: „Es wäre die Steiermark in der Entwicklung wahrscheinlich überhaupt nicht zu erkennen, hätte es nicht diese beiden Menschen Krainer gegeben“ (Waltraud Klasnic, Nachfolgerin, steirische ÖVP-Landeshauptfrau 1996-2005). Kritische Stimmen von politischen Gegnern sucht man vergebens.
Der Schauspieler Cornelius Obonya, der auch in anderen Folgen der „Baumeister der Republik“ den Erzähler gibt, beschreibt, wie Josef Krainer senior „mitten unter den Menschen“ im Wirtshaus Wein getrunken und „sich so ganz nebenbei die Nöte und Sorgen der Menschen angehört“ hat. Auch bei sich daheim habe er die Steirer empfangen: „Sein Haus war für alle offen. Immer.“
Doch Krainer senior soll nicht nur volksverbunden, politisch geschickt gegenüber der Bundes-ÖVP, sondern auch international orientiert gewesen sein. So weiß die Off-Stimme:
„Als 1969 die britische Königin Elizabeth (…) in die Steiermark kommt, wird sie weltgewandt von Josef Krainer empfangen. Für viele sogar ein Besuch auf Augenhöhe: der steirische Landesfürst empfängt die Queen.“
Ein österreichischer Landespolitiker auf Augenhöhe mit der Queen also. Und überhaupt: Fürst? Als wäre Österreich nicht bereits seit 1918 eine Republik.
Krainer pflegt zu dieser Zeit auch Kontakte zum jugoslawischen Staatschef Tito, „da kommen möglicherweise auch zwei sehr ähnliche Typen aufeinander zu“, sagt Historiker Dieter-Anton Binder (Mitglied im katholischen, traditionell ÖVP-nahen Kartellverband). Warum ORFIII den Landeshauptmann eines international mäßig bedeutenden österreichischen Bundeslandes in eine Reihe mit weltweit bekannten historischen Figuren des 20. Jahrhunderts stellt, bleibt offen.
Nach diesen größenwahnsinnig anmutenden Vergleichen ist es nur logisch, dass der Doku-Erzähler Obonya auch aus einer Erinnerungstafel an Josef Krainer senior zitiert: „Er starb in der freien Weite des steirischen Landes, dem er entstammte und dem er –siebenmal zum Landeshauptmann gewählt– über 24 Jahre mit allen Kräften seines Herzens und Geistes diente. Als Landesvater bleibt er unvergessen.“ Ok, Boomer.
Josef „Joschi“ Krainer junior, dem die zweite Hälfte der Dokumentation gewidmet ist, schließt in den Augen von ORFIII an die Herrlichkeit seines Vaters an. „Er gilt als strategisches und organisatorisches Ausnahmetalent. Als moderner Intellektueller“, schwärmt die Off-Stimme.
Dabei gäbe es durchaus Kritisches über Josef Krainer junior zu berichten. So hat er während seiner Amtszeit einem Historiker und ehemaligen SS-Obersturmbannführer das Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark verliehen. In der Doku kommt das aber nicht vor.
Dass Josef Krainer junior bei der Landtagswahl 1995 mit einem Minus von 8 Prozentpunkten eine saftige Niederlange einfährt und zurücktritt, wird im Film zwar angedeutet, aber die Off-Stimme beschwichtigt: „Josef Krainer junior geht aus freien Stücken, frei von Wehmut und Bitterkeit.“ Die lobendenden Abschlussworte über Josef Krainer junior leitet in der Dokumentation Krainers ehemaligen Sekretärin Anneliese Weixler ein: „Er ist immer am Heiligen Abend zu mir nachhause gekommen. (…) Das war für mich immer der schönste Moment des Jahres.“ Krainer als Heilsbringer? Das passt tatsächlich in das Gesamtbild der Dokumentation. Eine bemerkenswert unkritischen Mythisierung zweier steirischer Landeshauptmänner.
Aufmerksamen Medienkonsumenten ist die Doku-Reihe „Baumeister der Republik“ bereits im März 2019 mit ihrer Folge über Franz Dinghofer (1873-1956), deutschnationaler Politiker in der Zwischenkriegszeit, aufgefallen. Wie zahlreiche Zeitungen (darunter Die Presse, Der Standard, Kurier, Süddeutsche Zeitung) berichteten, hatte die Dokumentation die nicht ganz unwesentliche Information, dass Dinghofer NSDAP-Mitglied war, ausgelassen, und auch sonst ein freundliches Bild des deutschnationalen Dinghofer gezeichnet. Das Mauthausen Komitee hatte die Sache ins Rollen gebracht und Dinghofers NSDAP-Mitgliedschaft nachgewiesen.
Auch damals kamen fast nur freundliche Stimmen zu Wort. So etwa der FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt, der Dinghofer als „Patriot“ bezeichnet, die erzkonservative NÖN-Herausgeberin Gudula Walterskirchen, die sich wundert, warum Dinghofer „da irgendwie aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden“ ist, und zahlreiche FPÖ-Politiker, darunter HC Strache.
Die Off-Erzählung verortet Dinghofers „politisches Vermächtnis in der Mitte“. Laut der Doku war Dinghofer ein „Demokrat“, ein „Mann der Kompromisse“ und ein „pragmatischer, aber wertbewusster Politiker“. Wie gesagt: Der Mann war NSDAP-Mitglied.
Die FPÖ veranstaltete im Februar 2019 eine Premiere des Films im Parlament. Auf Einladung der damaligen dritten Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller (FPÖ) und des damaligen FPÖ-Vizekanzlers HC Strache stellte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz die Dokumentation vor: „Der ORF versteht sich als elektronisches Gedächtnis dieses Landes. (…) Dieses zu bewahren, zu vervollständigen, ist ein öffentlich-rechtlicher Kernauftrag, den wir gerne und umfassend (…) erfüllen“, sagte Wrabetz.
Leidet dieses Gedächtnis möglicherweise an einer selektiven Amnesie, bei der positive Informationen hervorgehoben und unangenehme schlichtweg vergessen werden?
Der Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.








