Die Plattform AUF1 berichtet oft über die Folgen der Pandemie – frei von Fakten und voller Verschwörungstheorien. Der Verein dahinter definiert sich als gemeinnützig. Will er das weiter sein, muss er sich künftig an journalistische Regeln halten
Mit strengem und direktem Blick in die Kamera berichtet der Moderator bei den Nachrichten AUF1 am 26. Februar von einem massiven Anstieg des gefährlichen „Turbo-Krebs“. Immer mehr junge Menschen sollen seit der Einführung der Corona-Impfung daran erkranken. Dass der Arzt, auf den sich AUF1 als Quelle beruft, längst keine Zulassung mehr hat, bleibt dabei unerwähnt – ein Detail, das nicht nur irreführend, sondern auch gefährlich ist. Doch genau solche fragwürdigen Behauptungen sind bei AUF1 Teil der täglichen Berichterstattung.
Vor genau fünf Jahren begann die Pandemie. Die ersten beiden positiv auf den Corona-Virus getesteten Personen in Österreich wurden entdeckt, wenige Tage später erklärte die WHO Corona zur Pandemie, die Regierung beschloss den ersten Lockdown ab 16. März 2020. Es war eine belastende Zeit, die viele Menschen inzwischen verdrängt oder einfach hinter sich gelassen haben. Für das AUF1-Publikum ist Corona und die Folgen nach wie vor ein „heißes“ Thema.
Montag bis Freitag erscheint täglich um 18 Uhr die Sendung “Nachrichten AUF1” mit einer Länge von circa 15 bis 20 Minuten. Und fast immer wird folgendes thematisiert: Corona, die fehlende Corona-Aufarbeitung und angebliche Todesimpfungen. Eine Inhaltsanalyse von vierzig Nachrichtensendungen im Zeitraum vom 28. Oktober bis zum 20. Dezember 2024 auf AUF1 zeigt: Nur viermal waren Corona oder Impfungen kein Thema.
AUF1 ist längst kein Nischensender mehr. Fast 300.000 Abonnenten auf Telegram hat der 2021 gegründete „Alternatives Unabhängiges Fernsehen, Kanal 1“ oder kurz AUF1 – und ist damit mittlerweile eines der größten sogenannten „Alternativmedien“ im deutschsprachigen Raum. Es verfügt über ein großes Fernsehstudio mit mehreren Kameraeinstellungen und liefert professionell produzierte Beiträge. Jeder sechste FPÖ-Wähler schaut AUF1-TV mindestens einmal pro Woche, zeigt eine Autnes-Studie. Beliebter sind nur express und FPÖ-TV.
AUF1 ist somit eines der Lieblingsmedien von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Am Wahlabend gab er dem Sender sein erstes und auch einziges Einzel-Interview. Für die FPÖ ist AUF1 ein „echtes Qualitätsmedium“. Wären Sie an die Regierung gekommen, wollten sie „Alternativmedien“ wie dieses gerne mit Medienförderungen unterstützen.
Aber jetzt könnte es für AUF1 schwieriger werden, mit Verschwörungstheorien und verdrehten Fakten sein Publikum zu bedienen. Denn der „Verein für basisgetragene, selbstbestimmte, pluralistische und unabhängige Medienvielfalt“ (ZVR-Nr.1739571508), der hinter AUF1 steht, definiert sich in Absatz 2.3 seiner Statuten, in die der Falter und Kobuk! Einsicht nahmen, als „ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke“ verfolgend, wie es im Absatz 2.3 heisst. Dafür gibt es Begünstigungen bei der Umsatz- oder Körperschaftssteuer. „Vor nicht einmal drei Wochen sind die gründlich überarbeiteten Vereinsrichtlinien des Finanzministeriums bekannt gegeben worden“, weist der Jurist Thomas Höhne auf die neue Gesetzeslage hin. Vereine dürfen natürlich „Bildungsarbeit“, die auf einer „bestimmten politischen oder weltanschaulichen Grundlage beruht“, ausüben. Aber die neue Richtlinie besagt: „Voraussetzung dafür ist die Einhaltung anerkannter journalistischer Grundsätze, wie zB der Ehrenkodex des österreichischen Presserats. Die Verbreitung von Desinformation, Fake News und Propaganda ist jedenfalls nicht gemeinnützig.“ Höhne: „Somit ist klar, dass der Staat die Verbreitung von Fake News so, wie es AUF1 macht, nicht für gesellschaftlich nützlich hält.“ Die Plattform muss zukünftig die Standards ihrer Berichterstattung deutlich professionalisieren – oder mehr Steuern zahlen.
Corona zu thematisieren ist freilich nichts Unanständiges. Doch wenn man sich die AUF1-Beiträge genauer anschaut, erkennt man, dass sie nicht nur von Falschmeldungen geprägt sind, sondern Studien fehlinterpretiert und sich auf vermeintliche Experten und Expertinnen beruft.
Ein Beispiel: Am 22. November 2024 berichtet AUF1 mit möglichem Zusammenhang zu der Covid-Impfung von einer Häufung des „Turbo-Krebs“, ein sich besonders schnell ausbreitender Krebs. Laut dem kanadischen Forscher William Makis, seien es vor allem Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, die betroffen sind.
Aber Makis gilt als umstritten. Bis Oktober 2016 arbeitete er als Nuklearmediziner am Cross Cancer Institute in Edmonton. Wegen Beschwerden über berufliches Fehlverhalten wurde er entlassen. 2019 entzog ihm die Hochschule dann die Praxiserlaubnis. Seitdem verbreitet er wiederholt Falschinformationen über die Covid-19-Impfung. Die Behauptung mit dem „Turbo-Krebs“ gehört ebenfalls dazu.
Der Onkologe David Gorski widerlegt die Aussagen von Makis in seinem Blog. Demnach soll Makis oft eine Studie zitieren, die einen Anstieg von Krebsfällen bereits vor der Pandemie (1990–2019) zeigt. Seine Behauptungen sollen oft auf anekdotischen Quellen wie GoFundMe-Seiten basieren, die andere Ursachen wie fehlende Versicherungen oder alternative Behandlungen widerspiegeln. Seriöse Studien stützen Makis Behauptungen demnach nicht.
Stichwort Studien: Ergebnisse von Studien sind oft schwer verständlich, denn Begriffe wie Korrelation, Kausalität und andere statistische Fachbegriffe können schnell für Verwirrung sorgen. Bei der Verbreitung von Falschmeldungen kann das von Vorteil sein.
Für besonders viel Aufregung bei AUF1 sorgt am 11. Dezember eine Studie aus Südkorea. Die Covid-Impfung soll zu psychischen und sexuellen Störungen führen, heißt es aus dem Studio. Zwei Millionen Menschen sollen für diese Studie untersucht worden sein. Tatsächlich liefert die Studie aber keine Belege dafür, dass die Impfung tatsächlich das menschliche Verhalten verändert.
Der Anstieg von Depression, Angst- und Schlafstörungen sei nur so leicht, dass statistisch gesehen keine Zusammenhänge belegt werden können. Es fehlt einmal mehr der Beweis für Kausalität. Die gleiche Untersuchung kommt beispielsweise ebenfalls zum Schluss, dass die Erkrankung an Schizophrenie oder bipolaren Störungen zurückgeht – allerdings ebenfalls minimal. Deswegen behauptet aber niemand, dass die Covid-Impfung Schizophrenie heilen kann.
Und dann gibt es auf AUF1 regelmäßig schlicht Falschmeldungen, die sich als „wissenschaftlich bewiesen“ tarnen. Artikel, die sich auf veröffentlichte Studien oder Papers beziehen, die auf Wissenschaftsplattformen oder in Journals publiziert wurden, wirken besonders glaubwürdig. Doch Wissenschaftsplattform ist nicht gleich Wissenschaftsplattform. In manchen Fällen sind diese Plattformen selbst die Erfinder von Fehlmeldungen.
Eine AUF1-Meldung vom 28. Oktober klingt erschreckend. Die Erkrankungen der Geschlechtsorgane seit Corona-Injektionen seien um 700 Prozent gestiegen. Krebs habe um 500 Prozent zugenommen und Fehlgeburten um mehr als 300 Prozent. Angeborene genetische Erkrankungen verzeichnen angeblich einen Anstieg von 275 Prozent. Als Quelle zieht AUF1 „Sciencefiles“ her. Als angeblich „größter Wissenschaftsblog Deutschlands“ sollen sie die Informationen aus der WHO Datenbank haben. Das klingt im ersten Moment seriös. Aber: Mimikama widerlegt die Behauptungen. ScienceFiles gilt als kein anerkanntes wissenschaftliches Medium, und hat keine überprüfbare Methodik.
Es ist also nicht überraschend, dass seriöse Medien nicht über den „Turbo-Krebs“ oder Enthüllungen zu „Todesimpfungen“ berichten. AUF1 bedient sich hier eines Frames, das auch die FPÖ gerne nutzt: Die anderen Medien – die sogenannten „Systemmedien“ – stecken angeblich alle unter einer Decke.
AUF1 hat auf eine Anfrage von Falter und Kobuk und die Bitte um eine Stellungnahme nicht reagiert. Wer seinen Auftritten folgt, lernt sein Weltbild schnell kennen. Es geht um «Weltversklavung», um die «gezielte Überfremdung Europas» und um die «Lügen der Systemmedien». «Die Faulen, Dummen und Bösen haben die Politik übernommen, und die Medien auch und die Kultur sowieso».
AUF1-Gründer Stefan Magnet hat eine einschlägige Vorgeschichte. Als Jugendlicher war er Teil der Spitze der Neonazi-Gruppe „Bund freier Jugend“ (BfJ). In der „Kampfschrift der nationalen Jugend in Österreich“ sammelt Magnet erste publizistische Erfahrungen. 2007 landet er in Untersuchungshaft. Der Verdacht: zahlreiche Verstöße gegen das NS-Verbotsgesetz. Nach einem halben Jahr U-Haft wird er freigesprochen. Später leitet er eine Medienagentur, zu deren Kunden auch die FPÖ zählte. Auch der Rest der Redaktion stammt aus dem extrem rechten Milieu. Andreas Retschitzegger, Generalsekretär für AUF1, ist ein ehemaliger BfJ-Funktionär, der auch in der FPÖ-Jugendorganisation, im Ring Freiheitlicher Jugend, tätig war. Der AUF1 „Innenpolitik-Redakteur“ Phillipp Huemer ist ehemaliger Leiter der Identitären Bewegung Wien. Elsa Mittermannsgruber ist AUF1 Moderatorin. Bis 2017 war sie bei der Kronen-Zeitung tätig, wurde danach aber Chefredakteurin der rechten Zeitschrift Wochenblick. Parallel zum AUF1-Start bekommt sie dort eine eigene Sendung, in der sie als ehemalige Krone-Redakteurin und damit „Insiderin“ über gekaufte Mediensysteme berichtet.
Gesellschaftsrechtlich ist AUF1 in ein Dickicht aus Vereinen und Firmen eingebettet, mit Stefan Magnet als Eigentümer. Wer an den bereits erwähnten „Verein für basisgetragene, selbstbestimmte, pluralistische und unabhängige Medienvielfalt“ spenden will, muss auf ein Konto bei der ungarischen MBH-Bank überweisen, die im Zusammenhang mit der Finanzierung als rechtsextrem eingestufter Parteien steht.
Auf der AUF1-Website heißt es, der Sender werde durch die Zusehenden finanziert. Zum einen durch Spenden und zum anderen durch den AUF1 Shop. Dort kann man neben einem Alice-Weidel-Shirt, auch Artikel für die Krisenversorgung, Gewürze und spirituelle Artikel kaufen. Auf der Website selbst wird aber auch Werbung geschaltet, unter anderem von der FPÖ.
Man könnte AUF1-Berichte als schwachsinniges Geschwätz abtun. Doch die bereits vorhandene Reichweite verleiht der Plattform Gewicht. Langfristig untergräbt diese Art der Berichterstattung das Vertrauen in die Wissenschaft, die Medien und demokratische Institutionen.
Wieso geht das überhaupt?
Warum dürfen AUF1 und ähnliche Plattformen Fake News verbreiten? Über das Vereinsrecht lässt sich zukünftig zumindest die Steuerbegünstigung steuern, sofern Vereinskonstruktionen hinter den Anbietern stehen. Aber die österreichische Medienaufsichtsbehörde KommAustria ist für die Inhalte der Plattform AUF1 nicht zuständig. Einmal strafte die Medienbehörde Magnets Verein ab, weil er im Jahr 2022 täglich über mehr als acht Monate hinweg ein Sendefenster auf dem oberösterreichischen Regionalsender RTV betrieb und damit terrestrisches Fernsehen ohne Lizenz machte, quasi zum Piratensender wurde. Magnet musste 5000 Euro Strafe zahlen, das Urteil bewertete die Inhalte ausdrücklich nicht, sondern nur die Verbreitungsform. On-Demand-Angebote, die einzig über das Internet verbreitet werden, müssen die journalistischen Standards wie Wahrheitspflicht und Ausgewogenheit nicht erfüllen. Für sie gelten das Strafrecht, das Persönlichkeitsrecht und das NS-Verbotsgesetz, aber an dem schiffen Magnets Mitarbeiter geschickt vorbei.
„Ein gewisses Maß an Unfaktizität muss man vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit also rechtlich hinnehmen“, sagt Walter Strobl vom Rechtsdienst Journalismus des Presseclubs Concordia. Würde AUF1 hingegen Livestreams senden, müsste man sich an die anerkannten journalistischen Grundsätze halten und Informationen auf Wahrheit und Herkunft prüfen. Concordia-Jurist Strobl: „Es gibt aber durchaus rechtspolitische Überlegungen, diese strengeren Anforderungen auch auf On-Demand-Angebote auszuweiten.“
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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien und erscheint parallel im Falter.