Jetzt ist schon wieder was passiert. In einer Linzer Straßenbahn wurde ein 50- bis 51-Jähriger (hier gehen die Überlieferungen auseinander) niedergeschlagen, nachdem er sich über die laute Handy-Musik eines Jugendlichen beschwert hatte.
Hier ein paar Auszüge aus den Überschriften und Anreißern zu dieser Geschichte:
Weil sich ein Fahrgast über seine Musik am Handy aufgeregt hat, schlug ein Bursche zu. („Österreich“, 21.5.2010)
Ein 51-jähriger Fahrgast beschwerte sich bei einer Gruppe Jugendlicher. Ein 19-Jähriger rastete daraufhin aus, schlug und trat auf sein Opfer ein. (OÖN, 21.5.2010)
Ein Jugendlicher, 19, ging in einer Linzer Straßenbahn auf einen 50-Jährigen los, weil sich dieser über die laute Musik aus dem Handy des Burschen beschwert hatte. (Kurier, 21.5.2010)
In einer Straßenbahn ist am Mittwochabend ein Fahrgast (50) von einem 19-Jährigen verprügelt worden; der Mann hatte sich vorher über die laute Handymusik des Jugendlichen beschwert. (Die Presse, 21.5.2010)
Der Jugendliche ging auf den 50-Jährigen los, nachdem sich dieser über die laute Musik aus dessen Handy beschwert hatte. (Der Standard/APA, 21.5.2010)
Den detailliertesten Bericht lieferte überraschenderweise die Kleine Zeitung. Hier erfährt der geneigte Leser nicht nur, an welcher Haltestelle die Jugendlichen zustiegen (Hauptbahnhof), in welche Linie (Nr. 1), ja sogar fast bei welcher Türe („in den mittleren Wagen der Straßenbahngarnitur“) — auch der arabische Migrationshintergrund des Jugendlichen wird dezent thematisiert.
Kein Detail schien der Kleinen zu … klein, um ihren Lesern den Vorgang möglichst anschaulich und nachvollziehbar darzulegen. Bis vielleicht auf dieses hier:
Als der Bursch den 51-Jährigen auch noch mehrfach antippte, schlug ihm dieser entnervt das lautstark tönende Handy aus der Hand — und wurde daraufhin vom 19-Jährigen niedergeschlagen und auch noch mit Fußtritten attackiert. (Kronen Zeitung, 21.5.2010)
Ja, dass der ältere Herr, der sich bei dem Vorfall glücklicherweise nur leichte Prellungen zuzog, nicht bloß nett gefragt, sondern dem Jugendlichen das Handy aus der Hand geschlagen hatte, bevor die Lage eskalierte, das stand meines Wissens tatsächlich nur in „Österreich“ und Krone.
DerStandard.at berichtet über die gescheiterte BAWAG-Volksbanken-Fusion am Donnerstag Abend mit Hinweis auf die Printausgabe am Freitag. ORF.at zitiert jedoch erst die Montagausgabe. Doch nicht jeder freie Tag ist ein Sonntag.
Die Presse berichtet ebenfalls unter Berufung auf den „Standard“, allerdings auch mit Bezug auf die APA. Wie passt dies mit der Meldung von ORF.at vom gleichen Tag zusammen, wonach von „der APA bis dato keine Stellungnahme“ vorliege?
Korrektur: Im Artikel steht „gegenüber das APA“, also kein Problem.
Das Rezept ist einfach:
- Copy and Paste, eine passende Überschrift, für ganz fleißige noch eine Unterüberschrift. Und nach 5 Minuten bei 280°C haben Sie einen fertigen Törtchen- Bericht für Ihre Online-Ausgabe. Weiterverwendung für Print, TV und Radio möglich.
- Auch wenn die APA-AGBs (pdf) dies eigentlich verbieten: Verzichten Sie auf Quellenangaben, denn auch gute Köche verraten ihre Rezepte nie.
Wenn es Ihnen gelungen ist, können Sie dieses Rezept mit anderen Freunden teilen und dann haben Sie viele identische APA-Törtchen. Viel Spaß beim Nachbacken!
Sie zweifeln noch? Backen Sie einfach dieser APA-Meldung nach. Orientieren Sie sich dabei an Kleiner Zeitung, OÖ Nachrichten, Krone.at oder Vorarlberg-Online.
Nachricht (Journalismus)
„Die Nachricht ist eine journalistische Darstellungsform und teilt eine Neuigkeit mit […].“
Boulevardisierung
„[…] Die Auswahl der Nachrichten orientiert sich […] nicht mehr ausschließlich an journalistischen Aktualitätskriterien […].“
Update: Da habe ich ORF.at Unrecht getan, ein ganz wenig. Denn diese Boulevard-Meldung ohne Newswert wurde ihm offenbar — man höre und staune — von der APA als Nachricht verkauft. Und der Standard hat da natürlich auch zugeschlagen.
Die APA — und somit auch nahezu alle angeschlossenen Newsredaktionen des Landes — berichtete zum großartigen Oscar-Erfolg von Christoph Waltz:
18 internationale Auszeichnungen hat der Vater von vier Kindern seither für die Rolle erhalten
Das ist eine kleine Ehrabschneidung. Die renommierte Internet Movie Database listet nämlich bereits 27 Ehrungen, samt Oscar. Übereinstimmend zählen auch internationale Medien „nearly 30 awards“ in diesem Zusammenhang.
Lediglich wenn man in der deutschen Wikipedia in Waltz‘ Preisliste (die aber klar als „Auswahl“ gekennzeichnet ist) die Zeilen mit den Basterds zählt, kommt man genau auf … Bingo!
Aber das ist sicher nur Zufall, denn eine professionelle Nachrichtenagentur zählt nicht auf Wikipedia.
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(Bildzitat: APA)
Wenn es bei einer Volksbefragung nach Auszählung von erst zehn Prozent der Stimmen in einer Frage 11.184 : 13.987 steht und zudem noch nachträglich eine Woche lang Wahlkarten eingesandt werden können, was kann man dann heute seriös über das Ergebnis in dieser Frage sagen?
„Überraschung: Wiener gegen Nacht-U-Bahn“ (oe24.at)
„Ein ‚Nein‘ gab es zur Nacht-U-Bahn“ (kleinezeitung.at)
Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass das Votum tatsächlich gegen die Nacht-U-Bahn ausfällt. Ebenso gut könnten aber unter den zuerst eingelangten Stimmen jene Wähler stärker vertreten sein, die immer schon als Erste abgegeben haben und bislang eher selten in den Nightlines anzutreffen waren. Genau deshalb ist die Hochrechnung von Wahlergebnissen ja auch eine eigene Wissenschaft für sich.
Ausgeschlossen ist aber jetzt schon, dass diese Schlagzeilen heute richtig sind. Sie erweisen sich bestenfalls in einer Woche, mit etwas Glück, als nicht falsch — aber das ist etwas anderes.
Fairerweise muss man sagen, dass dieser Fisch schon beim Kopf zu riechen begann. Denn wenn die oberste Presseagentur des Landes eine „Infografik“ veröffentlicht, ohne Hinweis auf den extrem niedrigen Auszählungsstand, dafür unter der frei erfundenen(?), jedenfalls aber irreführenden Bezeichnung „Endergebnis ohne Briefstimmen“ (in der Aussendung der Stadt Wien ist von Endergebnis keine Rede), dann ist das zumindest — wie hieß das bei der Volksbefragung gleich? — sehr suggestiv.
Eine Agenturmeldung besonderer Tragweite hatte dieser Tage die Austria Presse Agentur auf Lager:
Papst Benedikt XVI. bestaunte dichten Schneefall am Petersplatz
Utl.: Angezuckerte Kuppel des Petersdoms begeistert Touristen –
Verspätungen auf römischem Flughafen Fiumicino =Rom (APA) – Benedikt XVI. hat am Freitag aus dem Fenster seiner Wohnung im Apostolischen Palast im Vatikan geschaut, um den dichten Schneefall über dem Petersplatz zu bestaunen. Dies berichteten einige seiner Mitarbeiter nach Angaben italienischer Medien. Dutzende von Touristen versammelten sich unter den Kolonnaden des Petersplatzes und fotografierten die angezuckerte Kuppel des Petersdoms.
Die Meldung inspirierte Niko Alm zu Alm hat Husten. Wie geht’s euch?