Man stelle sich folgende Szene vor: Die größten Fastfood-Restaurants in Österreich gehen gemeinsam zum ORF und wünschen sich dort eine neue Sendung. Ein wöchentliches „Infomagazin“ zum Thema Ernährung, aber ausschließlich mit Fokus auf Fastfood. Es werden die Vorzüge von Fastfood erläutert, es gibt hochglanzgefilmte Einblicke in die Produktion und Entwicklung. Probleme werden nur thematisiert, um auf die innovativen Lösungen der Hersteller zu verweisen. Kleinere Nachteile lassen die zahlreichen Vorzüge noch überzeugender erscheinen. Und was sich nicht kleinreden lässt, wird mittels lehrreicher Verbrauchertipps geschmeidig an die Eigenverantwortung der Kundschaft abgewälzt. Und die Programmverantwortlichen im ORF sagen: „Das ist eine wunderbare Idee, so machen wir das!“
Unvorstellbar? Nun, genau dieses Kunststück ist dem Arbeitskreis der Automobilimporteure (einem Zweig der österreichischen Industriellenvereinigung) gelungen. Vor knapp 14 Jahren haben sie dem ORF Autofocus ins Nest gelegt. Ein als „Servicemagazin“ getarntes 5-minütiges PR-Fenster für die Kraftfahrzeugindustrie. Immer am Mittwoch, auf dem hervorragenden Sendeplatz vor der Zeit im Bild 2. In den Anfangsjahren noch direkt von den Mitgliedern der Autolobby finanziert, trägt der ORF laut Recherchen von Dossier inzwischen die Kosten aber selbst – großteils wohl aus Gebührengeldern. Nähere Details dazu will man auf Anfrage nicht verraten.
Um ein Gefühl für den journalistischen Zugang dieses öffentlich-rechtlichen Automagazins zu bekommen, hilft es, sich das anzusehen, was oft am besten im Gedächtnis bleibt: Die ersten und letzten Sätze einiger typischer Ausgaben von Autofocus:
Immer mehr Österreicherinnen und Österreicher verspüren Lust auf Freiheit und Abenteuer. Das schlägt sich auch in den Verkaufszahlen von Pickup-Trucks nieder. […] Ob mit einem robusten Pickup-Truck auf abenteuerlichen Pfaden oder mit einem komfortablen Campervan auf Entdeckungsreise. Die Österreicherinnen und Österreicher haben ihre Lust auf Abenteuer neu entdeckt. (Autofocus, 31.07.2024)
Wer heute einsteigt, betritt kein Cockpit mehr, sondern einen Raum, der entschleunigen soll. Ein Raum, der zeigt, wie sich Mobilität verändert. Leiser, bewusster, menschlicher. (Autofocus, 29.10.2025)
Die neue Generation der Kleinwagen ist flexibler denn je. Sie kombiniert zeitgemäße Technik, Sicherheit und vielseitige Einsatzmöglichkeiten in einem kompakten Format, das den Anforderungen moderner Mobilität gerecht wird. Denn Kleinwagen sind schon lange keine Notlösung mehr, sondern vielmehr eine durchdachte Entscheidung. (Autofocus, 20.08.2025)
Die Mobilität verändert sich und mit ihr die Art, wie Menschen reisen und die Natur erleben. Outdoor-Trends boomen, sei es durch den Komfort eines Camper-Vans, einem spontanen Wochenendausflug im SUV oder das Campen mit einem Autozelt. […] Ob luxuriöser Campervan, geländegängiger SUV oder flexibles Autozelt, die Möglichkeiten für Outdoor-Enthusiasten sind vielfältig. Der Trend Outdoor und Auto entwickelt sich weiter, um mit immer neuen Angeboten den Bedürfnissen einer modernen mobilen Gesellschaft zu entsprechen. (Autofocus, 19.02.2025)
Und damit man auch sofort spürt, dass das seriöser Journalismus ist, werden diese Sätze nicht von irgendwem gesprochen, sondern von jener markanten ORF-Stimme, die auch in anderen journalistischen Aushängeschildern des Senders zum Einsatz kommt, wie zum Beispiel im ORF Report oder dem Wirtschaftsmagazin Eco.
Journalismus oder Sprachrohr?
Aber was ist Autofocus nun wirklich? Da gibt es durchaus widersprüchliche Darstellungen. Zum einen die des ORF. Der beschreibt die Sendung als journalistisches „Servicemagazin“ für die „Welt der automobilen Mobilität“ mit „unabhängigen und anerkannten Spezialisten“ und u.a. sogar „wissenschaftlicher […] Sichtweise“. Auf Anfrage versichert der ORF:
Ausgewählt werden die Themen von der ORF-Redaktion, die auch die gesetzeskonforme Umsetzung überwacht […]. (ORF-Stellungnahme)
Die Autobranche hingegen sah Autofocus immer schon als ihr Baby. Als das Fachmagazin AUTO & Wirtschaft 2012 berichtete, wie die Verantwortlichen nun „ihre“ TV-Sendung forcieren, bezog sich das nicht etwa auf eine Redaktion im ORF, sondern auf die Lobbygruppe der Autoimporteure und deren Geschäftsführer.
Unverblümt legte das Branchenmedium das wahre Wesen des ORF-Formats offen:

Als Sprachrohr dient den Importeuren unter anderem die TV-Sendung Autofocus, die im vergangenen Winter erstmals ausgestrahlt wurde. Abseits von Markenwerbung soll sie über die Leistungen der Branche aufklären. (AUTO & Wirtschaft, Nov. 2012)
Ein „regietechnischer Kompromiss“
Doch wie ging das jemals mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF zusammen? Auch dazu liefern die Brancheninsider eine aufschlussreiche Erklärung – sinnigerweise unter der Überschrift „Information im ORF“:

Reine Markenwerbung ist tabu, doch naturgemäß wollen alle (zahlenden) Mitglieder berücksichtigt werden: Daraus resultiert ein regietechnischer Kompromiss. Nichtsdestotrotz gelingt es, wichtige Botschaften in die Öffentlichkeit zu tragen. (AUTO & Wirtschaft, Nov. 2012)
Nach Sichtung vieler Folgen von Autofocus lässt sich mutmaßen, der „regietechnische Kompromiss“ besteht darin, Marken in der Regel nicht zu nennen, die Fahrzeuge dafür aber in Hochglanzvideos ins Bild zu setzen. Schrödingers Autowerbung sozusagen. Auch scheint es, dass zwecks Ausgewogenheit immer mindestens drei verschiedene Marken in einer Folge vorkommen müssen. Und auch wenn Modellnamen und Logos mittlerweile etwas dezenter ins Bild gesetzt werden, braucht es für die interessierte Klientel in der Regel kein forensisches Spezialwissen, um zu erkennen, welcher Hersteller da gerade durchs Bild fährt.
Vom ORF in die Werbebibliothek der Industrie
Die Autoimporteure jedenfalls können ihr Glück kaum fassen. Um zu verhindern, dass ihre wertvollen Informationen irgendwann aus der ORF-TVthek verschwinden, bieten sie daher auch über ihre eigene Homepage alle in den letzten 14 Jahren gesendeten Folgen – das sind nun schon weit über 300 – zum Nachsehen und sogar zum Download an. Autofocus ist so möglicherweise das einzige öffentlich-rechtliche Journalismusformat weltweit, bei dem alle Ausgaben auch von jener Lobby quasi co-gesendet werden, über deren Arbeit hier kritisch berichtet werden sollte.
Wenig überraschend sind auch Hersteller und Händler unisono über dieses ORF-Format begeistert.
So postet BYD im Frühjahr auf Facebook:
Der BYD SEAL imponiert mit seinen Farben, Formen und Materialien und setzt ein Statement. So schafft es das Elektroauto ins Rampenlicht – nämlich heute Abend, Mittwoch, 23.04. um 21:50 auf ORF 2!
Sei dabei und erfahre, was den BYD SEAL so besonders macht! ⚡️
Subaru zeigt, dass scheinbar kritische Themen den Werbewert nicht mindern:
Die neueste ORF Autofocus Folge beschäftigt sich mit dem Thema „Internet an Bord – Risiken und Chancen.“ Mit dabei in dieser Folge ist unser neuer Subaru Crosstrek.
Porsche hatte das Glück, dass ihr neuer Caddy zufällig zum Verkaufsstart in Autofocus gefeatured wurde:
Der Verkauf des neuen Volkswagen Nutzfahrzeuge Caddy PanAmericana hat gestartet […] An alle Caddy-Fans: heute Abend um 21:50 auf ORF 2, das Autofocus Sommerspecial mit dem neuen Caddy Maxi California nicht verpassen.
Ein Händler freut sich über die öffentlich-rechtliche Unterstützung beim Imagewandel seiner Pick-up-Trucks:
❗️❗️Heute um 21:50 eine neue Folge des AUTOFOCUS Sommerspecials auf ORF2. Nicht verpassen ❗️❗️ Es geht um den Image-Wandel eines Nutzfahrzeugs: der Pick-Up, schon lange kein Baustellenfahrzeug mehr sondern ein Lifestyleprodukt. Und wer darf da nicht fehlen? Natürlich unser Ford Ranger Raptor.
Und diese Spedition verkündet stolz, dass ihre LKW, natürlich mit Firmenname, vom ORF groß ins Bild gesetzt wurden:
Heute sind unsere LKW im ORF […] Die Sendung Autofocus beschäftigt sich heute mit dem Thema: LKW-Fahrer – ein Beruf mit Zukunft? Experten und LKW-Fahrer erzählen über Erfahrungen und ihren Berufsalltag. Auf der Mediathek zum Nachschauen […]
Autofocus sprengt die Grenzen der Physik
Moment, LKW…? In Auto…focus? Nun, der durchschlagende Erfolg des Formats blieb auch anderen Sparten der „automobilen Mobilität“ nicht verborgen und weckte drei Jahre nach Start neue Begehrlichkeiten. So kam es, dass seit 2014 mindestens einmal pro Season auch LKW, Busse und andere Nutzfahrzeuge fixer Bestandteil von Autofocus sind. Das auch hier wieder bestens informierte Fachblatt AUTO & Wirtschaft berichtete dazu:
Nach den guten Erfahrungen, die der ORF und der Arbeitskreis der Automobilimporteure in den vergangenen Jahren mit den Autofocus-Sendungen im ORF gemacht haben, denkt man nun an eine Fortsetzung: Dieses Mal sollen sich die Folgen aber nicht mit Pkws, sondern mit LKW beschäftigen. Laut […] Sprecher der Nutzfahrzeugimporteure in der Industriellenvereinigung, will man eine breite Bevölkerungsschicht über die Sicherheit und Umweltfreundlichkeit moderner LKW informieren. (AUTO & Wirtschaft, 07.07.2014)
Wie weit der ORF in diese inhaltliche Weichenstellung aktiv involviert war, ist nicht überliefert, aber beim Thema „informieren“ war er jedenfalls abwesend – zumindest in der ersten LKW-Folge. Deren Highlight hat dann nämlich so ausgesehen:
Mit gut sichtbarem ORF-Mikrofon in der Hand wurden Menschen auf der Straße gefragt, wer ihrer Vermutung nach bei einer Notbremsung schneller steht: Der LKW oder ein PKW? Die meisten tippten auf den PKW, was in der realen Welt auch tatsächlich die richtige Antwort gewesen wäre. Nicht so aber in der Wunderwelt von Autofocus. Um den LKW als überraschenden Sicherheits-Sieger darzustellen, durfte der unabhängige Experte vom ÖAMTC folgende Auflösung zum Besten geben:
Es wirkt unglaublich. Aber ein moderner 40-Tonnen-LKW hat aus Tempo 70, also seiner gesetzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf einer Landstraße, den deutlich kürzeren Bremsweg als ein PKW aus Tempo 100. Auf der Autobahn, bei Tempo 130, fällt dieser Unterschied noch viel deutlicher aus. (Autofocus, 22.10.2014)
Ich denke, wir müssen nicht erklären, dass ein Bremswegvergleich zwischen zwei Fahrzeugen mit völlig verschiedenen Ausgangsgeschwindigkeiten blanker Unsinn ist. Nur der Vollständigkeit halber, weil ja auch Kobuk sich einem Bildungsauftrag verpflichtet sieht: Bei einem Test des ADAC bei 80 km/h hatte der LKW einen 14 Meter längeren Bremsweg als ein PKW.
Dessen unbenommen haben sich auch die LKW-Folgen von Autofocus zur vollsten Zufriedenheit ihrer Initiatoren entwickelt. Zeitweise gelang es ihnen sogar, die Qualität der Zeit im Bild zu übertreffen – zumindest, wenn es nach dieser begeisterten Branchenmitteilung von 2016 geht:
Der von den heimischen Lkw-Importeuren initiierte Imagebeitrag „Vom Lkw zum Innovationsträger“ wurde im Teletest […] zur qualitativ besten Sendung des Tages auf ORF 1 und ORF 2 gewählt, womit man vor den ORF-Produktionen wie ZIB, Wetter, Seitenblicke etc. rangiert. (STRAGÜ, 15.03.2016)
Folgerichtig erkannte man im ORF in der Industriellenvereinigung, dass nur ein „Imagebeitrag“ zu LKW pro Sendejahr dem Newswert der gesamten Nutzfahrzeugsparte nicht annähernd gerecht wird. Und so folgte im Sommer 2017 „erstmals ein 5 Folgen umfassendes Nutzfahrzeug-Special“. Der Beginn einer Sommertradition im ORF-Programm, die bis heute besteht.
Der Status quo
Insgesamt hat sich über die Jahre am Kern von Autofocus nur wenig gewandelt. Die prominenteste Veränderung war wohl der Abgang von Moderator Christian Clerici nach dem ersten Sendejahr. Die Markenlogos werden, wie schon erwähnt, inzwischen etwas weniger prominent ins Bild gesetzt. Und zwischen den schönen Hochglanzbildern werden nun gelegentlich auch kritischere Töne angeschlagen, um dem Format eine journalistischere Anmutung zu verleihen, aber ohne den wahren Stars der Show jemals wirklich weh zu tun.
Dabei wäre Mobilität tatsächlich ein unglaublich spannendes und vielfältiges Thema. Es gäbe ein breites Feld der Berichterstattung, das weit über einen mit Gebührengeldern bezahlten Showroom für eine Industrielobby hinausreicht.
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