Dass jemand „plötzlich und unerwartet“ gestorben ist, war eigentlich immer eine traurige, aber auch banale Nachricht in den Medien. Doch dann kam Corona. Und die Corona-Impfung. Und Gruppen, die Angst vor ihr hatten – oder anderen Angst machen wollten. Es kam der Hashtag #plötzlichundunerwartet und mit ihm die Behauptung: Die Corona-Impfung sei schuld an „plötzlichen und unerwarteten“ Toden.
Jetzt soll eine Studie genau das bestätigt haben, berichtet der Exxpress.
Die Kernaussage: Knapp 74 Prozent von 325 untersuchten, plötzlichen Todesfällen seien auf die Impfung zurückzuführen. Diese Menschen seien also nicht „plötzlich und unerwartet“ gestorben, sondern weil sie geimpft waren. Das klingt brisant. Sieht man sich die Studie jedoch genauer an, bleibt von der Behauptung nicht viel übrig.
Die „brisante“ Studie ist eigentlich nur schlampig
Die Autoren sahen sich nämlich 44 Autopsie-Studien an, in denen die Verstorbenen gegen Covid-19 geimpft waren. Die Autoren überprüften dann die beschriebenen Fälle und entschieden selbst, ob die Todesfälle im Zusammenhang mit der Impfung standen; wenn mindestens zwei von drei zustimmten, wurde der Tod als auf die Impfung zurückzuführen gewertet.
Was für den Laien so klingt, als würden sich drei Kinder untereinander die Regeln beim Hüpfspringen ausmachen, ging auch bei der anerkannten Fachzeitschrift The Lancet nicht als wissenschaftliche Methode durch. Schon im Juli 2023 lehnte sie das Manuskript ab. Der Grund: „the study’s conclusions are not supported by the study methodology“. Kurz: Die Methode ist ungeeignet. Sie kann keinen kausalen Zusammenhang zwischen Impfung und Tod beweisen – eine akademische Ohrfeige.
Im Juni 2024 wurde dieselbe Untersuchung erneut eingereicht und diesmal sogar vom Forensic Science International Journal veröffentlicht. Anfang August zog man aber auch dort das Papier zurück. Die Gründe fielen diesmal auführlicher aus:
- unzutreffende Zitierungen
- ungeeignetes Methoden-Design
- Fehler, falsche Darstellung und fehlende faktische Unterstützung für die Schlussfolgerungen
- Versäumnis, widersprüchliche Beweise zu erkennen und zu zitieren
Die Studie war schlicht wissenschaftlich unsauber. In einigen Fällen schlossen die Studienautoren der untersuchten Autopsieberichte sogar explizit aus, dass die Impfung und der Tod in einem kausalen Zusammenhang stehen. In einem dieser Berichte hielt man einen Zusammenhang in nur zwei von 18 Fällen für wahrscheinlich. Die Autoren der „brisanten Studie“ führten stolze 16 dieser Fälle anhand ihrer Methode auf die Impfung zurück.
Wer steckt dahinter?
Trotz dieser Verfehlungen waren sich die Autoren und ihre Unterstützer:innen einig: Man wurde bewusst zensiert. Auch der Exxpress-Artikel thematisiert die angebliche Zensur: „Die größte Autopsie-Studie zu Corona-Impfungen wurde nach erfolgreichem Peer-Review veröffentlicht, nachdem sie zuvor zensiert und zurückgezogen wurde.“
Am 17. November wurde das Papier ein drittes Mal veröffentlicht. Diesmal im Journal Science, Public Health Policy and the Law – das nennt sich selbst zwar peer-reviewed Journal, ist aber nicht auf PubMed verzeichnet, der US-Datenbank für medizinische Fachzeitschriften. Es will sich aber sowieso lieber von „der durch offizielle Narrative erzwungenen ‘Wissenschaft‘ fernhalten“, heißt es auf der Website. Das ist mit der Autopsie-Studie jedenfalls gelungen. (Interessanterweise wurde die PubMed-Datenbank aber sehr wohl für die in der Studie analysierten Autopsie-Berichte herangezogen.)
Spannend ist auch ein Blick auf die Autoren: Dr. Peter McCullough hat immer wieder öffentlich von der Impfung abgeraten und stattdessen das Medikament Ivermectin angepriesen, für das es weder eine Zulassung noch verlässliche Studien zur Wirksamkeit bei Covid gibt. Dr. Roger Hodkinson bezeichnete Corona 2020 als den „größten Schwindel, der je begangen wurde“ und als „nur eine weitere schlimme Grippe.“ Dr. William Makis verbreitete die absurde Falsch-Behauptung, die kanadische Regierung werde Menschen, die die Imfpung ablehnen, „psychiatrische Medikamente“ vorschreiben. Hodkinson und McCullough sind außerdem zusammen mit fünf anderen Autoren auch an The Wellness Company beteiligt, einem Unternehmen, das unter anderem Nahrungsergänzungsmittel zum angeblichen Schutz vor Impfstoffen verkauft. Hat da wer Befangenheit gesagt?
Was der Exxpress kann, können andere schon lange
Der Exxpress berichtet also von einer schlecht gemachten Studie mit zweifelhaften Ergebnissen, deren Autoren nachweislich Falschinformationen zu Corona verbreiten und ein Unternehmen betreiben, das genau daran verdient. Und das just einige Tage nachdem bekannt wurde, dass das rechtspopulistische Onlinemedium Nius nicht nur Partner, sondern auch Mehrheitseigentümer von Exxpress geworden ist.
Der Exxpress übernimmt regelmäßig Artikel von Nius – auch der „plötzlich und unerwartet“-Text gehört dazu. Ein Hinweis, in welche Richtung sich die Plattform wohl weiterentwickeln wird.
Die Seite befeuert den Mythos, die Corona-Impfung sei für haufenweise unerklärte Tode verantwortlich. Andere rechtspopulistische Medien sind dieser „plötzlich und unerwartet“-Erzählung schon weit voraus, allen voran Report24. Dort ist das Thema „Impfung“ auch heute noch ein Dauerbrenner.
Als Ende Oktober eine puerto-ricanische Volleyball-Spielerin plötzlich verstirbt, veranlasst das den Report24-Chefredakteur Florian Machl zu einem „offenen Brief an Medien, die den Tod einer 28-Jährigen im Schlaf als ‚natürlich‘ deklarieren.“ Es ist aber nicht so, als hätte Machl einen Beleg, dass die Frau nicht „natürlich“ gestorben wäre. Oder als hätte er überhaupt irgendeinen Beleg für das, was er insinuiert. Er vermutet nur, suggeriert, und stellt Fragen wie diese:
Haben Sie vielleicht irgendeine Idee, was der Grund für all diese Todesfälle sein könnte? Sie beide sollten als Sportreporter seit 2021 schon den einen oder anderen Fall gesehen und berichtet haben, wo die Herzen junger Sportler plötzlich den Dienst einstellten. Wie häufig kam das vor diesem Jahr vor? Wie häufig danach? Haben Sie sich mit den Statistiken beschäftigt?“
Das Narrativ ist seit Beginn der Covid-Impfungen bekannt: Angeblich sterben immer mehr Athlet:innen, weil sie geimpft waren. Würden sich Machl & Co ernsthaft für Statistiken interessieren, wüssten sie: Es gibt keinen Nachweis eines Anstiegs von Herzstillständen bei Sportler:innen, ungeachtet ihres Impfstatus. Im Gegenteil: Diverse Listen, die in den letzten Jahren im Internet kursierten und das Narrativ bestätigen sollten, wurden immer wieder als falsch entlarvt.
Schon vor der Pandemie trafen Herzstillstände überraschend oft junge, ambitionierte Sportler:innen. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie erklärt, warum: Junge, vermeintlich gesunde Menschen würden oft „unentdeckt unter kardiovaskulären Erkrankungen leiden, die dann zu schwerwiegenden kardialen Ereignissen führen können“. Auch ein zu kurzes Pausieren nach einer Infektion belaste das Herz oft besonders.
Worüber nicht berichtet wird
„Studien“ wie jene von McCullough und Kollegen nimmt man bei Report24 und Exxpress dankend an, egal wie schlecht sie gemacht sind. Hauptsache, es kommt raus: Menschen sterben aufgrund der Impfung. Andere, wissenschaftlich anerkannte Studie werden hingegen ignoriert. Zum Beispiel jene von Anfang August, nach der die Impfung mehr Leben gerettet habe als bisher angenommen.
Wenn man sich ernsthaft für die Risiken der Impfung interessieren würde, könnte man auch berichten, dass mRNA-Impfstoffe tatsächlich in seltenen Fällen zu einer Herzmuskelentzündung oder einer Herzbeutelentzündung führen können. Man müsste dann aber auch berichten, dass eine Studie – die wissenschaftlichen Ansprüchen entsprach – herausfand, dass die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, viel geringer ist als bei Herzmuskelentzündungen durch Infektionen. Genauso müsste man darüber schreiben, dass Herzmuskelentzündungen, die nach einer Erkrankung mit Covid entstanden, gefährlicher sind.
Das Problem ist größer als der Exxpress, und auch größer als der Mythos „plötzlich und unerwartet“. Es geht darum, wie bestimmte Medien seit Jahren ihr eigenes Verständnis von Wissenschaft propagieren. Wie sie fragwürdige Studien zitieren, über andere hingegen gar nicht berichten. Und wie sie dabei letztendlich die Sorge vieler Menschen vor Impfungen für eigene Zwecke ausnutzen.
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Weiterführende Quellen:
- Ausführliche Kritik an der „brisanten Studie“: Hier, hier, hier und hier
- Die Studie in Science, Public Health Policy and Law: Hier
- Faktenchecks zur Behauptung, es gäbe seit der Covid-Impfung mehr Herzstillstände: Hier, hier, hier und hier
- Faktenchecks zu Sportler:innen, die angeblich aufgrund der Impfung verstorben sein: Hier, hier, hier, hier und hier
- Studie zur Wirksamkeit der Covid-Impfung: Hier
- Zu den Risiken der Covid-Impfung: Hier
1 Kommentar(e)
Zu den Fällen plötzlichen Herztodes bei Sportlern gibt es einige anderen Kausalitäten wie zum Beispiel Anabolika-Einnahme, Amphetamine,aber auch Koffeinüberdosierung wie bei übermäßigem Konsum von v.a. Red Bull etc., (dieser Konsum ist im Allgemeinen nicht dokumentiert)
Hier wäre breitere Diskussion wichtig