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Hitler-Clickbait in österreichischen und deutschen Medien

Immer wieder nutzen Boulevardmedien Adolf Hitlers Namen zur Klick-Maximierung. Der Nachrichtenwert von Spekulationen über Hitlers Penisgröße, Sexleben und seine Fetische ist überschaubar. Wer Hitler auf biologische Kuriositäten und Sex reduziert, betreibt keine historische Aufarbeitung, sondern eine Form der Trivialisierung.

Hitler Clickbait

Jüngst machte folgende Nachricht in verschiedenen österreichischen und deutschen Medien die Runde: In einer Dokumentationsreihe des britischen „Channel 4“ mit dem Titel Hitler’s DNA: Blueprint of a Dictator wurde Adolf Hitlers Blut untersucht, das von einem Couch-Stofffetzen entnommen wurde, auf dem der Diktator sich das Leben nahm. Laut der DNA-Analyse soll Hitler am sogenannten Kallmann-Syndrom erkrankt gewesen sein – ein angeborener Hormonmangel. In seltenen Fällen ist ein Mikropenis eine Folge der Erkrankung. So weit, so trivial.

Für Boulevardmedien waren das schnelle Schlagzeilen. Oe24 titelte etwa: Hitler hatte einen Mikropenis (in weiterer Folge wurde der Titel geändert). Kosmo.at entschied sich für denselben Titel und ergänzte ihn mit der Dachzeile Diktator ohne Manneskraft?. Zur Illustration wurde ein Bild verwendet, das neben dem Portrait des Diktators eine kleine Gurke zeigt, die von einem Maßband umschlungen ist. (Ha. Ha. Ha!)

Wie man mit einem Mikropenis die Seiten füllt

Übermedien hat sich die Fasziniation mit dem angeblichen Mikro-Penis in deutschen Medien bereits genauer angesehen.

Treue Oe24-Leser:innen erlebten bei diesem Thema vermutlich ein Déjà-vu. In den vergangenen Jahren hat das Medium bereits des Öfteren über Hitlers Geschlechtsteile geschrieben. Schon im Jahr 2016 titelte das Blatt, dass Hitler einen deformierten Mikropenis gehabt hätte. Im Jahr davor hieß es, dass Dokumente beweisen sollen, der Diktator hätte nur einen Hoden gehabt.

Hitler ist insgesamt ein spezielles Clickbait-Genre. Man findet frühere Geschichten wie Adolf Hitler: Das war sein bizarrer Fetisch und „Hitler malte nackte Männer-Hintern“. Es wurde sein Drogenkonsum thematisiert (Hitler dröhnte sich mit Crystal Meth zu), dass er angeblich 62 Bier im Monat trank und es gab auch Raum für irre Theorien wie diese: Wurde Adolf Hitler von Aliens entführt?.

Auch der deutsche Medienmarkt ist geübt im Hitler-Clickbait. Im vergangenen Jahr berichtete beispielsweise Focus Online über Pikante Details über Hitlers Privatleben? Das angebliche Tagebuch der Eva Braun mit der Dachzeile „‚Serie pornografischer Obszönitäten‘“. Die Welt titelte über das neue Buch des Rechtmediziners Klaus Püschel Rechtsmediziner über Hitlers fehlenden Hoden und Glassplitter im Mund.

In der nun wieder aktuellen Debatte um die Geschlechtsteile des Diktators konnten auch deutsche Qualitätsmedien wie Der Spiegel und die Tagesschau von einem so sensationalisierten Thema nicht die Finger lassen. Der Spiegel titelte in einem Instagram-Posting: „Hatte Adolf Hitler einen Mikropenis? Womöglich“. Auch die Tagesschau postete auf Instagram: Sexuelle Störung, vielleicht Mikropenis“.

Während in den Kommentarspalten die Qualität des hier betriebenen Journalismus einerseits von User:innen kritisiert wurde, schlossen andere vereinfachende und auch gefährliche Rückschlüsse, die durch diese Berichterstattung begünstigt werden. Ein User schrieb: „Spannend, ein Mann der genetisch ‚in seiner Männlichkeit‘ gekränkt war, hat also Krieg angefangen. Auch iwie (sic) classic.“

Gefährliche Entpolitisierung einer Täterfigur

Immer wieder wird der Gesundheitszustand von Adolf Hitler zum medialen Spielball: ParkinsonSuchterkrankungen und sexuelle Störungen.

Wenn Medien Hitler in diesem Kontext darstellen, verschiebt sich der Fokus: Weg von den Schrecken des Nationalsozialismus und den von ihm verantworteten Verbrechen an der Menschheit und stattdessen hin zu sensationsgetriebenen Nebenschauplätzen. Meldungen über Hitlers Sexualleben oder die vermeintliche Größe seines Penis helfen nicht, die Geschichte eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte zu verstehen. Schon gar nicht, wenn die Faktenlage dazu äußerst dünn ist.

Der Name „Hitler“, der Medien Reichweite garantieren soll, wird somit zu einem Reizwort und weniger einem Erinnerungs-Begriff. Denn durch diesen Medienmechanismus werden historische Figuren entpolitisiert und verharmlosend dargestellt. Wer die Figur Adolf Hitler, einer der grausamsten Diktatoren der Menschheitsgeschichte, auf biologische Kuriositäten und sexuelle Fetische reduziert, betreibt keine historische Aufarbeitung. Das ist eine Form der Trivialisierung.


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