Sebastian Kurz lädt ausgewählte Medienvertreter:innen nach Tel Aviv ein – sie sollen sein neues Projekt „Dream“ kennenlernen, ein KI-Start-up. Die meisten Medien kennzeichnen nicht, dass „Dream“ die Reise bezahlt hat. Und auch inhaltlich rückt das Unternehmen in den Hintergrund: Die Berichte drehen sich vor allem um Kurz.
Vergangenes Wochenende lud Sebastian Kurz einige deutsche und österreichische Journalist:innen ein, sein Unternehmen „Dream“ in Israel zu besichtigen. Oder wie die Kronen Zeitung schreibt: Er führte durch „sein sagenumwobenes und milliardenschweres Reich in Tel Aviv“. Das klingt tatsächlich wie die Einladung, eine „Traum“-Welt zu betreten, und genau so lesen sich auch viele der Berichte quer durch die Medien.
Über Kurz’ neues „Reich“ erfährt man dabei recht wenig, abgesehen von ein paar PR-Floskeln und -Bildern. Dem Großteil der Beteiligten dieser dreitägigen „außergewöhnlichen Israel-Reise“ (Kurier) ging es wohl nur am Rande um das Start-up.
Der Rockstar mit seinem Einhorn
„Dream“ ist ein Cybersecurity-Unternehmen, das mit künstlicher Intelligenz arbeitet. Anfang des Jahres stieg die Firmenbewertung auf 1,1 Milliarden US-Dollar – das macht „Dream“ zum „Unicorn“. Und Sebastian Kurz gleich selbst zum Einhorn, zumindest laut Titel in der Presse:
Was „Kurz’ Beitrag zum Erfolg“ ist, will Die Presse im Artikel wissen. Die Antwort kommt von „Dream“-Mitgründer Shalev Hulio: Sein großes politisches Wissen und „Verständnis für die Möglichkeiten und Zwänge der Regierenden.“ Außerdem sei er ein „Rockstar“, wird Hulio in der Krone, im Kurier und in Österreich/Oe24 zitiert.
Die Beschäftigung mit dem israelischen Start-up bleibt auch sonst sehr oberflächlich. Hulio war zuvor für die Entwicklung der Spionage-Software „Pegasus“ verantwortlich, mit der nicht nur Kriminelle, sondern auch fast 200 Journalist:innen ins Visier genommen wurden. Die Presse formuliert es vorsichtiger: „Manche Regierungen sollen ‚Pegasus‘ auch genutzt haben, um Kritiker und Journalisten auszuspionieren.“
Die Krone streift die „umstrittene Software“ überhaupt nur kurz. Aber mit Bekannten, die man nach langer Zeit wieder sieht, spricht man nun mal nicht gleich über die harten Brocken. Und tatsächlich dürfte die Krone schon Sehnsüchte gehabt haben:
„Seit dessen Paukenschlag-Abgang aus der Politik liest man ja relativ wenig“, schreibt tatsächlich jenes Blatt, das den Ex-Kanzler allein im vergangenen Monat viermal in den Schlagzeilen hatte („Kern und Kurz: Rückkehr an die Macht?“ (3. November), „Falscher Sebastian Kurz zu Talkshow eingeladen“ (1. November). „Ex-Kanzler Sebastian Kurz legt nun Chat-Beweis vor“ (29. Oktober) und „Wird Sebastian Kurz von der Leyen-Nachfolger?“ (21. Oktober)).
Aber jetzt weiß es die Krone endlich: „Der hemdsärmelige Ex-Politiker ist in der Tech-Welt angekommen“, steht unter einem Foto, auf dem Kurz drei anderen Männern gestikulierend etwas Wichtiges erklärt. Geschossen hat es der Kurz-Vertraute und ehemalige ÖVP-Sprecher Paul Olsacher.
Die Fotos zur Berichterstattung sind überhaupt ein Traum – aus PR-Sicht. Kurz mit breitem Grinser und Schulterblick im Zentrum von Tel Aviv, Kurz fröhlich lachend mit seinen Geschäftspartnern, Kurz mit richtungsweisender Armbewegung im Kreise der Journalist:innen.
Die Bilder, die alle Zeitungen – mit Ausnahme der Presse – verwenden, wurden von der „Dream Group“ bereitgestellt.
„Die Fotos: Sebastian Kurz spielt Basketball in Tel Aviv“ heißt es hingegen auf Heute.at. Die Gratiszeitung war nicht Teil der Reisegruppe – sehr wohl aber war sie in Gedanken dabei. Und sie hatte Glück: Einen Teil der Pressefotos postete Kurz auch auf seiner Facebook-Seite. Jenes, auf dem Kurz „zum Ball greift“, hat es dem Blatt besonders angetan.
Die Anmerkung, dass Kurz eh auch „etwa durch Interviews mit ‚Heute‘“ medial präsent bleibt, hat es zur Ehrenrettung trotzdem gebraucht.
Frühstück mit Netanjahu, Besuch bei der Armee
Was blieb sonst vom Dream-Trip? Viel Politisches.
Kurz fädelte vor Ort mehrere politische Gespräche ein: Off the record frühstückten die Teilnehmenden mit Avner Netanjahu, dem Sohn des rechtsextremen Regierungschefs. Sie sprachen dank Kurz auch mit dem Minister für Diaspora, Amichai Chikli, und dem Parlamentspräsidenten Amir Ohana.
„Den Besuch in der Knesset in Jerusalem mussten die Journalisten ohne Kurz absolvieren“, bedauert die Presse. Dafür gibt sie ganz ohne Einordnung wieder, was die Politiker von Netanjahus Likud-Partei dort sagen: „Der Krieg war notwendig– und wurde letztlich gewonnen.“ Danach ging es noch in die Zentrale der israelischen Armee, wo Videos vom Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 vorgeführt wurden.
Das Programm passte zur Gästeliste. Zur eigentlich-mehr-als-eine-Unternehmensvorstellung kamen nämlich erstaunlich wenig Wirtschaftsredakteur:innen: Für die Presse flog der Innenpolitik-Ressortleiter Oliver Pink nach Tel Aviv, vom Kurier kam ebenfalls ein Politikredakteur, die Kronen Zeitung schickte einen Chronik-Journalisten und bei Oe24 führte Politik-Chefin Isabelle Daniel die Interviews mit Kurz und Co.
Ihr 20-minütiges Interview mit dem Ex-Kanzler kann man auf oe24.TV nachsehen. Es startet mit der traumhaften Frage: „Ihr Partner hat erklärt, Sie seien so etwas wie ein Rockstar. Was heißt das eigentlich?“
Bei Minute sechs ist man bereits im politischen Teil angelangt. Es geht um die FPÖ, um Migration, um die Zustimmungswerte der regierenden Dreier-Koalition. Und damit man von der Israel-Reise auch wirklich mit allem Erwartbaren zurückreist, fragt die Redakteurin Kurz auch nach dessen Lieblingsthema: der geschlossenen Balkanroute.
Der Medien-Dream vom Kurz’schen Comeback
Eine Frage darf freilich nicht fehlen: Wie schaut es mit dem politischen Comeback aus? Habe er daran Interesse? „Nein, das habe ich nicht“, so Kurz. „Aber ausschließen können Sie es nicht?“, wird nachgehakt. „Oh ja, kann ich.“
Damit ist klar, was auf Seite 2 der Gratiszeitung „Oe24“ landet: „KURZ: ›Rock-Star‹ in Israel und Comeback-Gerüchte“.
Dass der letzte Absatz eines jeden Berichts eine Anspielung auf Kurz’ Polit-Comeback sein muss, stand wohl irgendwo in den Reiseunterlagen. Denn sogar im Brutkasten, bei dem ausnahmsweise wirklich das Start-up im Vordergrund stand, gibt der letzte Satz den Versuch einer Antwort darauf: „Er fühle sich in seiner Rolle als Unternehmer derzeit ‚sehr glücklich‘.“
Oder wie die Krone schreibt: „Es darf also auch weiterhin spekuliert werden.“
Kurz-Fieber als journalistische Reisekrankheit
Diese Pressereise war eine Einladung – die „Dream Group“ übernahm die Reise- und Übernachtungskosten. Aber in einer Traumwelt gelten bekannterweise nicht immer die Regeln der echten Welt. Ziffer 4.5 des Ehrenkodex für die österreichische Presse schien zumindest für die meisten nicht zu existieren:
In Berichten über Reisen, die auf Einladung erfolgten, soll auf diese Tatsache in geeigneter Form hingewiesen werden.
Lediglich Die Presse und der Brutkasten hatten einen entsprechenden Compliance-Hinweis in ihren Beiträgen. Kronen Zeitung, Kurier und Österreich/Oe24 verzichteten darauf.
Wir wollten von Krone, Kurier und Oe24 wissen, warum sie die Einladung nicht transparent gemacht haben. Außerdem haben wir die teilnehmenden Medien gefragt, warum der Ausflug zum Traum-Unicorn nicht von Wirtschaftsredakteur:innen absolviert wurde. Wir haben keine einzige Antwort bekommen.
Wir können es ihnen nicht verübeln. Das viele Schwärmen muss anstrengend gewesen sein.
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