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Nein, in China gibt es keine selbstschießenden Polizeiautos

Kann das wirklich sein? Dieses putzige selbstfahrende Polizeiauto in China soll automatisch auf Menschen schießen können? Ja, jedenfalls, wenn es nach dieser Schlagzeile im Feuilleton der FAZ geht: „Das selbstschießende Polizeiauto aus China“.

Alt Text

faz.net, 30.08.2025

Dort heißt es:

In China wurde jetzt das erste selbstschießende autonome Polizeiauto vorgestellt. […] das neue autonome Polizeiauto guckt freundlich wie ein alter VW-Bus, hat allerdings eine blinde Frontscheibe, hinter der keine Menschen sitzen, sondern Kameras – und automatische Waffen.

Der Autor fragt sich, ob noch ein Mensch die Schießanweisung geben müsse und auch sonst bringe die „Verwandlung des öffentlichen Raums in ein Kriegsgebiet voller autonomer Waffensysteme […] einige Fragen mit sich“, die dann auch in schönster deutscher Angstlust ausführlich erörtert werden.

Nur die Frage, ob das denn alles überhaupt so stimmen könne, ist da leider nicht dabei. Und unter Berufung auf die FAZ zieht die Meldung nun weitere Kreise. Über „Watson“ in der Schweiz („In China gibt es jetzt unbemannte, selbst schiessende Polizeiautos“), bis hin zum völlig eskalierenden Computermagazin „Chip“: „Keiner sitzt drin: Polizeiauto in China schießt von selbst mit scharfer Munition“.

Ein bisschen verdächtig ist nur, dass sich alle Medienberichte ausschließlich auf den deutschen Sprachraum beschränken. Die ganze restliche Welt scheint noch nie von selbstschießenden Polizeiautos in China gehört zu haben. Und das hat einen guten Grund.

Exklusiv im deutschen Sprachraum

Die Quelle für die Kolumne in der FAZ dürfte nämlich dieses Newsvideo von „KameraOne“ sein, das große deutsche Mailprovider schon Anfang August in ihre Newsportale eingebunden haben:

Bericht von „KameraOne“ (eigene Sicherung).

„KameraOne“ ist ein niederländischer Contentprovider, der unter anderem verspricht, Medienwebsites mit zugkräftigen Videos zu versorgen. Oder in ihren eigenen Worten:

Erhalten Sie exklusiven Zugang zu Videomaterial von Elite-Inhalten, das nirgendwo sonst verfügbar ist […]

Zumindest das dürfte hier eindeutig gelungen sein. In besagtem Video sieht man ein autonomes Polizeiauto, das durch die Straßen einer chinesischen Stadt fährt. Eingeblendete Texttafeln erklären dazu:

In Tianjin ist erstmals ein fahrerloses Polizeipatrouillenfahrzeug unterwegs. Das autonome Fahrzeug ist mit einem Schusssystem ausgestattet. […]

Und tatsächlich wirkt das Video, oberflächlich betrachtet, durchaus glaubwürdig. Denn es ist nicht nur oben rechts das eher unbekannte Logo von KameraOne (k!) eingeblendet, sondern unten, in selber Größe, auch das Logo der renommierten Nachrichtenagentur Associated Press (AP), von der das Bildmaterial stammen dürfte.

„KameraOne“ Newsclip, Ausschnitt unten.

Das kann man als legitime Quellenangabe sehen, schafft hier aber natürlich auch zusätzlich Vertrauen in die Korrektheit der Inhalte.

Ein Vertrauen, das in diesem Fall allerdings völlig unberechtigt ist. Denn gräbt man sich bis China zum Ursprung dieser Ente durch, dann stößt man auf die Originalmeldung von chinanews.com.

Die Wahrheit hinter dem autonomen „Schießgerät“

Und wer hier den Fehler macht, seinem eingerosteten Mandarin mit dem erstbesten automatischen Übersetzer auf die Sprünge zu helfen, erfährt tatsächlich:

Es wird berichtet, dass der Streifenwagen nicht nur über ein Schießgerät, sondern auch über eine One-Touch-Alarmfunktion verfügt.

Erst ein genaueres Übersetzungstool zeigt, was es mit diesem ominösen „Schießgerät“ auf sich hat:

Es wird berichtet, dass diese Streifenwagen nicht nur mit Kamerasystemen, sondern auch mit einer Notruf-Funktion […] ausgestattet sind.

Das Einzige, was hier geschossen wird, sind also Bilder. In ein „Kriegsgebiet“, wie die FAZ befürchtet, wird das die Straßen in China vorerst zum Glück nicht verwandeln.

Ob das „KameraOne“ künftig zum vorsichtigeren Umgang mit unbeaufsichtigten automatischen Tools bewegen wird, darf allerdings bezweifelt werden. Das Unternehmen hat schon im Mai angekündigt, dass sie für ihre Clips nun vermehrt auf KI setzen wollen. Aber selbstverständlich nur …

unter menschlicher redaktioneller Aufsicht, […] um die Produktivität zu steigern, das Inhaltserlebnis zu verbessern, ohne die journalistischen Standards zu beeinträchtigen […].

 


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