„Festnahme nach Mordverdacht“ lautet die Polizeimeldung am Morgen des 19. Februar. Keine fünf Stunden später hat die Gratiszeitung Oe24 schon ihr eigenes Bild konstruiert:
„Beide sind aus Wien und trotz des großen Altersunterschiedes offenbar ein Liebespaar“, spekuliert Oe24 wild drauflos. Zeitgleich stellt die Polizei fest: „In welchem Verhältnis die beiden stehen, ist noch Gegenstand der laufenden Ermittlungen.“
Doch nicht nur mit Oe24 geht die Fantasie durch. Auch die Krone titelt „Frau in Liebesnest getötet“, spricht von ihr als „die ältere Sexpartnerin“ und dem Täter als „ihre nicht mal halb so alte Turtelei“. Auf Heute.at ist man sich ebenso sicher, das Opfer sei die „Liebhaberin“.
Die Polizei dementierte die Gerüchte sogar explizit, wie die APA und viele Tageszeitungen berichteten. Klar ist nur, dass sich die beiden vor ein paar Jahren bei einem Spitalsaufenthalt kennengelernt haben. Das Dementi tangiert den Boulevard aber nicht. In den Printausgaben am Folgetag ist die Erzählung nämlich dieselbe.
Die Berichte sind nicht nur spekulativ. Wenn eine sexuelle Beziehung unterstellt wird – und noch dazu der Altersunterschied skandalisiert wird („einem jungen Mann, der ihr Sohn sein könnte“ (Oe24)) – verletzt das auch den Opferschutz.
Der aktuelle Fall ist laut dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser der dritte Femizid im noch jungen Jahr. Mit diesem Begriff soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Tötung von Frauen durch Männer oft systemische Probleme zugrunde liegen: patriarchale Strukturen, frauenfeindliche Einstellungen, sexistische Erwartungen.
Wie über Gewalt an Frauen berichtet wird, beeinflusst die öffentliche Wahrnehmung. Das gilt insbesondere bei Femiziden, dem Gipfel der Gewalt. Vor allem Boulevardmedien betreiben aber oft Täter-Opfer-Umkehr und missachten den Persönlichkeitsschutz der Verstorbenen. Das zeigt übrigens nicht nur der aktuelle Fall – es ist ein systemisches Problem. Doch dazu kommen wir noch.
Persönlichkeitsrechte sind am Boulevard leider aus
Oe24 hat das Opfer anscheinend über Social Media ausfindig gemacht und bringt nun für die Tat völlig irrelevante, aber identifizierende Details ans Licht: es geht um die Tätowierungen der „auffälligen Frau“ und ihre Haustiere. „Katzen-Mama“ wird das Opfer daher im Titel genannt.
Heute und Krone gehen noch weiter: Sie geben den Vornamen und weitere Merkmale des Opfers preis. Oe24 zieht am nächsten Tag nach, nun ist auch der Anfangsbuchstabe des Nachnamens und sowohl Wohn- als auch Herkunftsort bekannt. Außerdem wird ein Foto des Opfers veröffentlicht. Das ist zwar verpixelt, die Frau ist aber nicht zuletzt aufgrund eines Tattoos auf der Schulter erkennbar. Zwei Tage später findet das Blatt auch die Frisur des Opfers berichtenswert und veröffentlicht zudem ein zweites Foto. Normalerweise belegen wir unsere Kritik an dieser Stelle mit den kritisierten Bildern. Aus Respekt vor dem Opferschutz tun wir das diesmal nicht.
Für den Presserat ist die Veröffentlichung von Portraitfotos nur dann legitim, wenn eine Einwilligung der Hinterbliebenen vorliegt oder zumindest großflächig verpixelt wird. Ob eine solche Einwilligung vorliegt, können wir nicht überprüfen, zumal es sich mutmaßlich um Fotos von den Social-Media-Accounts des Opfers handelt. Auf unsere schriftliche Anfrage bekamen wir von Oe24 keine Antwort.
Fotos wichtiger als Opferschutz
Das Boulevardblatt fällt damit nicht zum ersten Mal auf. Als vor einem Jahr in Wien Erdberg ein Mann seine Frau und seine Tochter tötet, zeigt Oe24 online Fotos des Hauses und der Wohnungstür und nennt sogar die Türnummer. Zusätzlich gibt das Blatt identifizierende Informationen der Opfer preis – Beruf und Hobbys – und zeigt ein Portraitbild der getöteten Frau, das zwar verpixelt ist, aber als öffentlich verwendetes Foto mittels Google-Suche schnell zu öffentlichen Profilen des Opfers führt. Auch dieses Foto zeigen wir daher an dieser Stelle nicht.
Am selben Tag werden in einem Wiener Bordell drei Frauen ermordet. Oe24 entscheidet sich zur Bebilderung für ein Werbefoto von der Website des Etablissements, das die Opfer leicht bekleidet zeigt. Der Österreichische Presserat hat das Medium deshalb gerügt, die Fotos verletzen den Persönlichkeitsschutz sowie die Intimsphäre der Opfer. Oe24 „hätte sich bewusst sein müssen, dass das Bildmaterial einen sexualisierten Gehalt aufweist und im Kontext der brutalen Ermordung pietätlos ist.“
Oft sind zwar die Augen und/oder Gesichtszüge verpixelt, aber dank großflächigem Bild inklusive Kleidung und Umgebung, sind die Opfer trotzdem leicht identifizierbar. Und auch vor unverpixelten Bildern scheut Oe24 nicht zurück. Im Juli 2024 sterben drei Frauen in einer Londoner Wohnung, getötet vom Ex-Freund einer der beiden Töchter. Auf Oe24.at kann man sich wie durch ein Familienalbum durch private Fotos der drei Opfer und des hinterbliebenen Ehemanns und Vaters klicken.
Wenn man alle Aspekte, die Opfer und Täter identifizierbar machen, unkenntlich macht, dann sieht das so aus:
Nicht nur die Gratiszeitung fiel mit unsensiblen und identifizierenden Fotos auf. Gegen die Kronen Zeitung leitete der Presserat ebenfalls ein Verfahren ein. Anlass war die Berichterstattung über den Fall einer 19-Jährigen, die im Februar 2023 von ihrem 18-jährigen Freund mit einer Schneestange ermordet wurde. Die Tageszeitung veröffentlichte online ein sexualisierendes Foto des Opfers in kurzer Partykleidung. Warum der Fotocredit „zVg“ (zur Verfügung gestellt) verwendet wurde, konnte die Zeitung in der mündlichen Verhandlung nicht beantworten. Das Foto wurde entfernt, auch auf Bitte der Hinterbliebenen.
In der Printausgabe wurde damals ein weiteres Selfie in Partyoutfit des Opfers veröffentlicht. Der Artikel war aber nicht nur aufgrund des Selfies problematisch. Unter dem Titel „Samuel war so feinfühlig“, ein Zitat von Angehörigen des Täters, bekommt dessen Familie Platz, den „tödlichen Ausraster“ unbegreiflich zu nennen und von „falschen Freunden“ zu erzählen. Vom Opfer keine Rede (aber ein Foto, das wir hier zensieren).
Der Presserat stellt dazu in einem Brief an Chefredakteur Klaus Herrmann klar:
Gerade beim Thema „Gewalt gegen Frauen“ bzw. Femizide sollten Medien auf eine ausgewogene und sensible Berichterstattung achten und sich nicht einseitig auf die Perspektive des Tatverdächtigen bzw. seines Anwalts konzentrieren; eine ausgewogene Vorgehensweise erfordert es, der Perspektive des Opfers ausreichend Raum zu geben, so z.B. durch Einholung von Statements der Angehörigen oder Opferschutzeinrichtungen.
Auf unsere Anfrage antwortet die Kronen Zeitung, dass Bilder und Details zu den Opfern „im Normalfall im Austausch mit den Angehörigen“ veröffentlicht werden. Seit 2024 gebe es außerdem „eine Foto-Chefin, um in Fragen des Persönlichkeits- und Urheberrechts besser und schneller reagieren zu können.“
„50 Shades of“ geschmackloser Berichterstattung
Der sogenannte postmortale Persönlichkeitsschutz der Opfer wird ebenso verletzt, wenn Medien sehr detailreich über die Tat berichten. Eine Rekonstruktion, die lediglich einem voyeuristischen Interesse dienen soll, kann außerdem retraumatisierend wirken, wie der Presserat schon öfter festgehalten hat. Er empfiehlt daher, „grausame Details zum Tathergang“ zu unterlassen.
Dazu gehören Beschreibungen zum Zustand des Opfers, wenn die Frau zum Beispiel gefesselt und „mit einem ‚Armbrustbolzen in der Brust‘ noch lebend am Tatort entdeckt“ wird (Heute) oder Details der Obduktion mit dem Zusatz „die Schmerzen müssen unerträglich gewesen sein“ (Krone) versehen werden.
Fragwürdig sind vor allem intime Details, die mit dem Femizid an sich nichts zu tun haben. Im Fall der 19-jährigen, die mit einer Schneestange umgebracht wurde, hält es die Kronen Zeitung für notwendig, von einem „amourösen Zwischenstopp am Waldweg“ vor dem Mord zu berichten. Eine für den Sachverhalt völlig irrelevante Information, die abermals den höchstpersönlichen Lebensbereich des Opfers betrifft. Und die Monate später anlässlich des Prozesses mit der Erzählung vom „nächtlichen Schäferstündchen“ erneut aufgegriffen wird.
Über sexuelle Ereignisse im Vorfeld der Tat zu spekulieren, scheint ohnehin Spezialgebiet der Krone zu sein. Im April 2023 tötet in Graz ein Mann seine Lebensgefährtin und danach eine weitere Person bei einem Autounfall. Als es ein halbes Jahr später zum Prozess kommt, erachtet es die Kronen Zeitung als einziges Medium für wichtig, basierend auf Aussagen des Täters auf dessen „Sado-Maso-Beziehung“ mit dem Opfer hinzuweisen.
Anfang Juni setzte dann die Kronen Zeitung ein Gerücht in die Welt, das in der nachfolgenden Berichterstattung die Runde machte. Unter dem Titel „Steierin ermordet: Todesschüsse nach Sex-Spiel“ berichtet die Tageszeitung in Print und online, Täter und Opfer hätten „ähnlich wie bei ’50 Shades of Grey‘“ „heimliche Sex-Vorlieben entwickelt.“ Die Polizei dementierte die Gerüchte.
Der Bericht wurde mit dem Stock-Foto einer Frau in Unterwäsche und mit Peitsche in der Hand bebildert. Wir finden: 50 Shades of Geschmacklos.
Sie ist auch schuld…
Zurück zum aktuellen Fall – dem Femizid im zweiten Bezirk in Wien, dem Fall um die sogenannte „Katzen-Mama“. In der Berichterstattung darüber beobachtet man eine weitere problematische Tendenz im Boulevard: Suggerieren, dass das Opfer eine Teilschuld am Mord habe. „Irgendwann kippte die Situation – ein Wort zu viel, eine falsche Bewegung? Fest steht: Der Abend endete tödlich“, mutmaßt beispielsweise die Gratiszeitung Heute.
„Eher sieht alles danach aus, dass das Opfer den jungen Schönling mit Worten oder einer Handlung derart etwa in seiner Männlichkeit gekränkt haben könnte, dass Nurullah komplett ausrastete“, spekuliert auch Oe24 unbeirrt weiter. Später wurde der Schönling zum „Austro-Türken“.
Wieder handelt es sich hier nicht einfach nur um unbestätigte Mutmaßungen. Zu behaupten, das Opfer habe „mit Worten oder einer Handlung“ zum eigenen Tod beigetragen, verharmlost die Tat.
Headlines wie „Frau wollte Trennung – dann stach Ehemann auf sie ein“ (Heute) oder „Eifersuchts-Bluttat: Steirerin wegen Affäre mit Afghanin erstochen“ (Oe24) suggerierten schon bei Femiziden in der Vergangenheit eine Mitschuld des Opfers. In einem weiteren Femizid aus dem Jahr 2023 spekuliert die Krone: „Im Jänner folgte allerdings die Trennung des Paares. Hat er diese nicht verkraftet, oder gab es gar schon einen Neuen an ihrer Seite?“
Oft wird die Teilschuld des Opfers bei Femiziden dann medial verbreitet wird, wenn es zum Prozess kommt. Medien sind hier in einer Zwickmühle. Denn vor Gericht spricht naheliegenderweise nur mehr der (mutmaßliche) Täter – das Opfer ist ja tot. Wenn sich die Berichterstattung über den Prozess darauf beschränkt, wiederzugeben, was dort gesagt wurde, dann dominiert die Täter-Perspektive. So zum Beispiel in diesem Artikel der Gratiszeitung Heute vom 05. April 2024:
Die Anwältin nimmt hier Bezug auf die „wenige Zeit mit den Kleinen“ als Auslöser der Tat und die Notwendigkeit einer besseren Männerbetreuung in Trennungssituationen. Der ganze Artikel dient lediglich dazu, die Tätersicht wiederzugeben. Auch bei Femiziden gibt es offensichtlich Litigation PR.
… und er immer weniger
Beim mutmaßlichen Mord von vergangener Woche steht ein Prozess noch aus. In einer ersten Reaktion behauptete der Täter, er habe sich gegen Angriffe gewehrt. Ob es tatsächlich so war, wird vor Gericht zu besprechen sein, aber möglicherweise auch dort nie restlos geklärt werden.
In den Boulevardblättern des Landes übernimmt man die Täterperspektive gerne ohne Einordnung, wie ein Blick auf vergangene Prozessberichte zeigt. Der Oe24-Bericht „Eifersuchtsbluttat: Steirerin wegen Affäre mit Afghanin erstochen“ ist übersät von den beschwichtigten Aussagen des Täters, der seine Ex-Frau mit dutzenden Messerstichen getötet hat. „Sandra war meine große Liebe“ und „Ich hatte offenbar eine rosarote Brille auf“ heißt es dort zum Beispiel.
Im Prozessbericht der Krone zum gleichen Fall lautet die Erzählung ebenfalls: Der Täter habe sich für seine Frau aufgeopfert und wurde schließlich von ihr betrogen und verlassen. Weinend sagt er, sein „Leben zerbrach in tausend Teile“. Der Bericht endet mit der Aussage des Verteidigers, die Tat sei „ein klassischer Affektsturm“ gewesen. Zuvor werden erneut intime Details über das Sexualleben der getöteten Frau veröffentlicht, die ihren Persönlichkeitsschutz verletzen.
Manchmal lesen sich die Berichte über Einvernahmen schon fast wie eine Rechtfertigung für den Femizid. Zum Beispiel, wenn in der Kronen Zeitung steht, das Opfer sei die „Liebe seines Lebens“ gewesen, deren „offene Zurückweisung“ für ihn „zu viel“ war – und das sei dann „ihr Todesurteil“ gewesen. Die Zeitung verweist auch auf die Attraktivität des Opfers – und veröffentlicht ein (verpixeltes) Foto von ihr in weißem Kleid, dass diese augenscheinlich bestätigen soll.
Als ein Steirer im März 2023 seine Lebensgefährtin umbringt, geben Krone und Oe24 die abermals Tätersicht auf die Tatnacht wieder. Der ständige Alkoholkonsum des Opfers und die Überforderung mit dem Haushalt soll der Grund für beidseitige Handgreiflichkeiten gewesen sein. Die Verteidigung des Täters – er habe versucht, weitere Attacken zu verhindern, indem er Gewalt gegen ihren Hals ausübte – dominiert die Berichte. Unerwähnt bleibt, was zuvor schon bekannt wurde: Die Frau dürfte laut Obduktionsbericht schon tagelang körperlich misshandelt worden sein.
Keine Grenze für Spekulationen
Der Boulevard beherrscht das Spiel mit Spekulationen, grausamen Details und Täter-Opfer-Umkehr. Der Voyeurismus wird ausgeschlachtet, wo es nur geht. Dafür kann die Geschichte auch ruhig über den Femizid selbst hinaus gehen: Am 24. Februar 2025 liest man auf Heute.at: „Erst letzte Woche wurde hier ein Mensch brutal ermordet. Jetzt könnte die Wohnung bereits wieder buchbar sein – gereinigt und bereit für Gäste.“
Nochmals wird ausgeschmückt, was sich dort wohl abgespielt habe: „Wo jetzt frisch überzogene Kissen auf dem Sofa liegen, könnten noch vor Kurzem dunkle Flecken den Boden bedeckt haben.“
Erst am Schluss heißt es: „Offiziell gibt es keine Bestätigung, dass es exakt dieselbe Wohnung ist.“ Heute hat also einfach spekuliert, wieder einmal – auf Kosten des Opferschutzes einer Frau, die vor kurzem getötet wurde.
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