Die Gratiszeitung Heute gibt freiheitlichen Aufreger-Geschichten viel Raum, übernimmt gerne FPÖ-Sprech und pflegt sogar einen gewissen Kickl-Kult. Warum?
„‚Hören Sie genau zu‘ – FPÖ-Chef Kickl sagt jetzt ALLES“ verspricht Heute.at vergangenen Donnerstag. Blau-schwarz ist am Vortag offiziell gescheitert. Und wer es nicht zur Primetime in der ZIB verfolgt hat, kann nun Kickls „45 Minuten Klartext“ im Wortlaut auf dem Onlineauftritt der Gratiszeitung nachlesen. Dabei wurde die Kickl-Rede schon Mittwochabend unter dem Titel „FPÖ-Chef packt aus“ in großen Teilen für Heute-Leser transkribiert.
Freiheitliche Botschaften bekommen im Heute-Universum viel Raum. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht aus einer Presseaussendung oder einem Social-Media-Posting der Freiheitlichen ein Bericht gemacht wird. Mit den journalistischen Kriterien Relevanz und Richtigkeit nimmt es die Online-First-Redaktion von Heute, seit Oktober 2023 geführt von Chefredakteur Clemens Oistric (33), dabei nicht immer so genau. Das ergab eine Kobuk-Auswertung von Geschichten und Kommentaren über die FPÖ rund um die Nationalratswahl 2024. Diese Anbiederung bringt dem Blatt aus seiner Sicht einige Vorteile: Exklusive Sager, mehr Klicks und eine Zweitverwertung in FPÖ-nahen Kanälen.
Vier Muster zeigen sich bei genauerer Analyse in der Heute-Berichterstattung über die FPÖ: das Blatt macht FPÖ-Themen zu ihren eigenen Themen, kampagnisiert sie also. Es bietet blauen Politikern und ihren Statements mehr Raum als andere Tagesmedien. Es berichtet aus deren Perspektive und verwendet dabei auch ihre Begriffe, spricht also Blausprech.
Erstens: FPÖ-Themen sind auch Heute-Themen
Ein Beispiel: „Regierung absetzen: Kickls Knallhart-Plan“ lautet am 22. August 2024 die Aufmacher-Schlagzeile der Gratiszeitung Heute. Auf Seite 4 präsentiert sie das FPÖ-Wahlprogramm: „Die Themenpalette reicht von blauen Klassikern wie Migration und Sicherheit bis hin zum (sic!) Sex.“
Mit „Knallhart-Plan“ meint Heute die „Absetzungsmöglichkeit der Regierung durch die Bürger“, wie es im FPÖ-Programm heißt. Wie die Absetzung konkret funktionieren soll, bleibt offen, nachgefragt hat die Redaktion nicht. Die Wahlprogramme der anderen Parteien präsentiert Heute im Wahlkampf nicht so prominent auf Seite 1. Doch das bleibt nicht die einzige Auffälligkeit.
„4.600 € Mindestsicherung für syrische Familie in Wien“ schreibt Heute.at am 31. Juli 2024 und eröffnet damit eine Debatte, die sich durch den gesamten Wahlkampf ziehen wird. Im Bericht findet sich ein Statement vom Wiener FP-Klubobmann Maximilian Krauss, der gegenüber Heute von einem „unfassbaren Skandal“ spricht. Direkt danach veröffentlicht Heute einen Artikel mit demselben Titel, aber dem Zusatz „Kickl entsetzt“. Noch am selben Tag folgen sechs weitere Artikel zur Causa. Der Fall polarisiert, verständlicherweise. Eine einzige Wiener Familie an nur einem Tag achtmal zum Thema zu machen, erzeugt aber auch eine große Portion künstlicher Aufregung. Doch die sieben Berichte sind nicht genug.
Zwischen 1. August und 4. September werden auf Heute.at stolze 61 Artikel veröffentlicht, in denen man von der „neunköpfigen syrischen Familie in Wien, die monatlich 4.600 Euro (netto) Mindestsicherung bekommt“, liest. Die Kronen Zeitung greift den Fall nur circa halb so oft auf. Und sie tut das vor allem differenzierter, spricht fallweise auch von einer Neiddebatte.
Heute macht den Fall indes in Interviews mit dem niederösterreichischen Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer, NEOS-Abgeordneten Yannis Shetty oder KPÖ-Spitzenkandidat Tobias Schwaiger zum Thema. Die Gratiszeitung zitiert ihn in der Analyse einer Rede von Karl Nehammer und spricht vier Tage vor der Wahl natürlich auch mit Herbert Kickl darüber. Am 13. August schreibt Heute, es handle sich um „DAS Wahlkampfthema der FPÖ“. Es war aber auch DAS Wahlkampfthema der Gratiszeitung selbst. Zur Einordnung: In Wien gibt es 13 neunköpfige Familien, die von der Mindestsicherung leben, so Bürgermeister Michael Ludwig im Ö1 Mittagsjournal vom 13. August.
Immer wieder spielt Heute Ping-Pong mit der FPÖ – auf der Suche nach dem nächsten großen Aufreger. „Muslim-Ware statt Dessous – Burka-Shop in Wien eröffnet“ berichtet Heute zum Beispiel Ende August. Die Story hat ihren Ursprung in einem Gespräch mit Maximilian Krauss. Der neue Shop bringe ihn „auf die Palme“. Nach fünf Artikeln ist die Geschichte abgearbeitet.
Heute berichtet auch, als sich Krauss über eine arabische Mülltrenn-Info in einem Ottakringer Wohnhaus beschwert oder als Generalsekretär Christian Hafenecker die staatliche Hochwasserhilfe als „Lüge“ bezeichnet, weil der Großteil aus bestehenden Töpfen mobilisiert wird. Ende September macht der Artikel „Asyl für Mann, weil er schwul ist! Er hat 5 Kinder…“ die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für einen positiven Asylbescheid zum Thema. Wieder zitiert Heute nur eine Stimme aus der Politik. Krauss nennt die gerichtliche Entscheidung „Verarschung unseres Staates“.
Noch ein weiteres Thema verbindet die Gratiszeitung und die freiheitliche Partei: Die Kampagnisierung gegen den ORF.
Als FPÖ Generalsekretär Christian Hafenecker auf Youtube ein Video veröffentlicht, indem er sich über den ORF als „verlängerten Arm der Einheitspartei“ beschwert, wertet heute das ORF-Bashing ohne erkennbaren Mehrwert zu einem Artikel auf: „FPÖ-Attacke auf ORF: ‚Wichtige Themen fehlten‘“.
Heute übernimmt auch Hafeneckers Behauptung, alle von ORF-Moderator Martin Thür angesprochenen Vorwürfe rund um die Causa „Ideenschmiede“ seien widerlegt worden. Das ist faktisch falsch. Ungeklärt ist etwa die Frage, ob illegale Parteienfinanzierung stattgefunden hat. Wegen einer mutmaßlichen Falschaussage im U-Ausschuss wurde Kickls Immunität erst im Dezember vom Nationalrat aufgehoben. Die WKStA ermittelt nun. Diese Meldung war Heute übrigens nur vier Sätze in der Printausgabe wert. Für ihre Onlineseite hat die selbsternannte „Online-First“-Redaktion keinen entsprechenden Artikel angelegt.
Doch zurück zum ORF. Auch nach dem Wahlsonntag lässt sich Hafenecker in einer Presseaussendung über die ORF-Berichterstattung aus. Heute titelt daraufhin: „FPÖ-Streit mit ORF eskaliert“. Konkret werden dem „Report Spezial“ manipulative Umfragen vorgeworfen. Eine Gegendarstellung vom ORF gibt es nicht zu lesen. Neben Heute springen nur Player aus der FPÖ-Medienbubble auf Hafeneckers Aussendung an: neben Der Status ist das auch unzensuriert.at, die FPÖ-Propagandaseite gegründet vom ehemaligen blauen dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf.
Was dem österreichischen Boulevard seit einem Jahr verlässlich Material liefert, ist die ORF-Haushaltsabgabe. Heute ist da keine Ausnahme, im Gegenteil. Am 30. August ist für Heute die wichtigste Meldung des Tages: „Unternehmer soll 2 Mal ORF zahlen“.
Der Mann, dessen Wohn- und Betriebsadresse ident sind, wurde zweimal zur Zahlung der Haushaltsabgabe aufgefordert. Er, sein Anwalt und das Gratisblatt fragen sich, wie das passieren kann. Die Antwort ist eigentlich simpel: Eine Adressidentität muss nämlich aktiv gemeldet werden. Das dürfte der Mann vergessen haben. Diese Erklärung sucht man in der Printausgabe vergeblich, online wurde sie erst Stunden später nachgereicht.
Ein weiterer scheinbarer Skandal versteckt sich hinter der Headline „ORF schafft Männer ab: Kickl wird zur ‚Klubobfrau‘“. Tatsächlich ist dem ORF in einer Infografik zur Nationalratswahl ein Fehler unterlaufen. Auch die Funktionen von Andreas Babler und Johannes Rauch wurden dort in der weiblichen Form dargestellt. „Dem ORF dürfte der Fehler mittlerweile aufgefallen sein, die verfälschte Grafik wurde bereits aus dem Artikel entfernt“, lautet immerhin der letzte Satz des Berichts. Auch die Gratis-Konkurrenz Oe24 berichtete über die „Genderpanne“ – machte aber im Unterschied zu Heute von Beginn an klar, dass hier keine böse Absicht hinter der falschen Anzeige steckt.
Dass es gerade die falsche Angabe bei Herbert Kickl in die Titelzeile geschafft hat, dürfte kein Zufall sein. Denn die Onlineredaktion hat wohl bemerkt, dass sein Name besonders gut zieht. Zwischen 1. August und 15. Jänner kam Kickl ganze 352-Mal in der Titelzeile vor – ein Symptom der zweiten Anbiederungs-Maßnahme.
Zweitens: Eine Plattform für FPÖ-Stimmen
Die 352 Titelerwähnungen sind tatsächlich etwas Besonderes. Zum Vergleich: Nehammer (auch als „Kanzler“ oder „Bundeskanzler“ in der Suche inbegriffen) wurde nur 207-mal getitelt. Für Babler liegt der Wert bei 109. Natürlich war der Name des blauen Spitzenkandidaten vergangenes Jahr überall besonders oft zu lesen. Aber auch auf krone.at schafft man es nur auf 170 Kickl-Titel. Ähnlich Kickl-affin zeigt sich auch die Print-Heute: Kickl schaffte es als einziger Parteichef und Spitzenkandidat über 20 Mal auf die Titelseite und damit siebenmal öfter als der damalige Kanzler. Die Schlagzeilen lassen ihn in den meisten Fällen in gutem Licht dastehen; Kickl droht, Kickl gibt nicht auf, Kickl stellt Ultimatum.
Schlagzeilen wie „Am 29.9! Kickl prophezeit ‚Mauerfall‘ in Österreich“ könnten ebenso direkt aus der FPÖ-Feder stammen. Was auffällt: Mit Kickl werden stets Begriffe verbunden, die Stärke und Durchsetzungsvermögen insinuieren. „Hier will Kickl schon in 23 Tagen die Macht übernehmen“ heißt es zum Beispiel am 1. Oktober, als alles auf einen ersten Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz hinausläuft. Als die FPÖ Anfang September ihren Wahlauftakt in Graz begeht, nennt das Heute „Kickls Großangriff“.
Ende des Jahres publiziert Heute.at dann eine „Neujahrs-Ansage“ – nicht von Kanzler Nehammer oder Bundespräsident Van der Bellen, sondern vom freiheitlichen Parteiobmann. Es geht darin um „sein persönliches Highlight“, die Nationalratswahlen. Gefragt nach seinen Vorsätzen, spricht er acht Zeilen lang davon, „das Leid und die Not und die Sorgen zu mindern“. Wenige Stunden später schreibt Heute auch Kickls Neujahrs-Presseaussendung ab.
Wenn Kickl gegen andere austeilt, ein Grundelement seiner politischen Kommunikation, kann er sich einer Heute-Schlagzeile fast sicher sein. „Was macht Nehammer eigentlich beruflich?“, „Jetzt kommen sie dahergekrochen“ oder „Raus mit den Versagern“ sind nur einige der vielen Beispiele.
Von „Kickl ätzt über Austro-‚Verliererampel’“ bis zur „ordentlichen Ampel-Abrechnung“ machte Heute zwischen 31. Oktober und 31. Dezember ganze 16 Mal Kickls Kritik an einer möglichen Ampel-Koalition zur Geschichte. Was staatsmännisch klingt – „jetzt sprach er in einer Videobotschaft zu den Bürgern“ – ist eine Verschriftlichung von Kickls Social-Media-Posting, ohne jegliche journalistische Einordnung.
FPÖ-Presseaussendungen und Social Media Postings werden bei Heute regelmäßig zu Artikeln. Ein Verb scheint dabei besonders beliebt: toben. 15 Mal tobte die FPÖ, neunmal Herbert Kickl, viele weitere Male die Kollegen Hafenecker, Kraus oder Dominik Nepp.
Das Problem an diesem fleißigen Abschreiben: Immer wieder landet dadurch Unsinn in der Zeitung. Im Artikel „FPÖ tobt über Ausländerkriminalität“ berichtet Heute von einem „FPÖ Factsheet“ zum Thema Ausländerkriminalität. Die Zahlen stammen aus parlamentarischen Anfragen. In diesem Factsheet, und demnach auch auf Heute, heißt es, die stärkste Tätergruppe stamme „aus der Türkei (37.396 Tatverdächtige), gefolgt von Afghanen (26.956 Tatverdächtige) und Syrern mit 26.652 Tatverdächtigen“.
Das ist falsch. Wir haben uns die Anfragebeantwortung von Innenminister Karner genauer angesehen. Die Zahl der Tatverdächtigen stimmt zwar, die drei größten Tätergruppen haben allerdings die Nationalitäten Rumänien (69.553), Deutschland (60.511) und Serbien (51.849). Auch Ungarn (33.594) und die Slowakei (28.363) kommen in der Rangliste vor Syrien und Afghanistan.
Die „vergessenen“ Nationalitäten haben eines gemeinsam: Sie sind keine typischen Asylländer. Den falschen Zahlen ist übrigens nicht nur Heute, sondern auch der Kurier aufgesessen.
Dass Heute FPÖ-Stimmen mag, wird auch klar, als am 7. August Anschlagspläne auf die Taylor-Swift-Konzerte in Wien publik werden. Die erste Politikerstimme auf Heute.at, stammt allerdings nicht aus Wien, sondern aus Niederösterreich: „FPÖ-Landesrat und Landeshauptfrau Stellvertreter Udo Landbauer meldete sich nun entsetzt zu Wort. Auch Niederösterreich sei demnach vor Terror nicht mehr sicher.“
Dieser direkte Draht zu Landbauer könnte übrigens auf den Pressesprecher der FPÖ Niederösterreich zurückgehen. Er war bis Februar 2024 Redaktionsleiter von „Heute Niederösterreich“. Mit den Artikeln „Kickl: ‚Österreich ist kein sicheres Land mehr'“ und „’Terroristen unter uns‘ – Kickl warnt jetzt Bevölkerung“ werden auch gleich die Facebook-Postings von FPÖ-Chef Kickl zur Lage verwertet.
Bei so viel FPÖ-Einschätzung kann es schon passieren, dass auch die Redaktion beginnt, die Welt aus ihren Augen zu sehen.
Drittens: Berichte aus der FPÖ-Perspektive
Wenn die FPÖ einstecken muss, ist Heute sofort zur Stelle, um über diesen „Skandal“ zu berichten. Der „ORF legt sich frontal mit Kickl-FPÖ an“ schreibt Heute.at beispielsweise, als sich eine Ö1-Sendung den FPÖ-nahen und -eigenen Kanälen widmet. Dass Kickl als einziger Spitzenkandidat ein Interview mit dem Ö1 Morgenjournal absagt, ist für Heute dafür „knallhart“ und weil er auch bei Puls4 nicht auftaucht, ist „Kickl unantastbar“.
Es ist auch die Gratiszeitung Heute, die den niederösterreichischen Fall zweier Brüder aufgreift, die mit blauem „Kickl auf die 1“-Trikot in die Schule gingen. Dass sie aufgefordert wurden, die Kleidung aufgrund der politischen Aufschrift zu wechseln, ist für FPÖ-Bildungssprecher Michael Sommer eine Nötigung „von Wokeness-Lehrern“. Sommer fordert ironischerweise eine Entpolitisierung. Was daran entpolitisierend sein soll, wenn Kinder in der Schule politische Botschaften tragen dürfen, hinterfragt Heute nicht.
Am 25. September konstatiert Heute: „Alle Parteien gehen auf Kickl los.“ Ein Video der SPÖ, in dem ein freiheitlicher Wahlsieg als Albtraum dargestellt wird, kommentiert die Redaktion so: „Die Strategie der Parteien und (Partei-)Organisationen ist klar. Man möchte so viele Wähler wie möglich noch kurz vor dem Urnengang überzeugen und auf die eigene Seite holen.“
Ein schwieriges Unterfangen, resümiert Heute, immerhin habe die FPÖ alles richtig gemacht:
Außerdem gibt die Wahlkampfstrategie der FPÖ kaum Angriffspunkte her. Die Plakate setzen auf positive Botschaften, um generell einen weiteren Wählerkreis anzusprechen. Herbert Kickl präsentierte sich in den TV-Duellen und Elefantenrunden staatsmännisch, wirkte verantwortungsbewusst, seine Tonart war ruhig. Warnungen können bei diesem Auftreten schnell ins Leere schießen.
Zudem erstellte die FPÖ auch ein Wahlprogramm – mit ganzen 114 Seiten – und zeigte damit, dass weder Ernst noch konkrete Pläne fehlen.
„Der FPÖ gelang bisher ein fehlerloser Wahlkampf“, hieß es auch an anderer Stelle. Nicht nur die Heute-Redaktion, sondern auch die Sterne waren dabei ganz auf Kickl-Kurs. Einen Tag vor der Wahl prophezeite nämlich ein Astrologe in Heute das Wahlergebnis, und der kam zu dem Schluss: Es werde ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben, „wobei das Horoskop Kickls eine Spur bessere Konstellationen aufweist als das von Herrn Nehammer“. Wer braucht da noch Politikbeobachter*innen?
Bekanntlich wollten nach der Wahl weder ÖVP, SPÖ, Neos noch Grüne mit Kickl Koalitionsgespräche führen. Heute wurde in dieser Zeit nicht müde zu betonen, dass der FPÖ damit Unrecht getan wird:
Als Bundespräsident Van der Bellen am 22. Oktober Karl Nehammer mit der Regierungsbildung beauftragt, schreibt Heute-Chefredakteur Oistric einen Kommentar mit dem Titel „Geht das Recht wirklich vom Volk aus?“. In dem Online-Artikel ist eine Umfrage eingebettet. Van der Bellens Entscheidung kann man als „schlecht“, „Frechheit“ oder mit „gemischten Gefühlen“ bewerten. Ist man anderer Meinung als der Chefredakteur, bleibt einem nur, ÖVP und SPÖ als „den stabilsten Weg“ zu sehen. Wenig überraschend wählen 48 Prozent die Frechheit-Option, berichtet Heute tags darauf selbst.
Apropos Umfragen: Heute bettet in vielen ihrer Online-Artikel solche Abstimmungen ein. In einem Artikel Anfang Jänner wird beispielsweise berichtet, dass Kickl nun den Regierungsauftrag erhält. Dazu stellt die Seite skurrilerweise die Frage, ob er das denn soll. Es stehen fünf Antwortmöglichkeiten zur Auswahl. Drei davon lauten: „Ja, das hätte von Anfang an passieren sollen!“; „Ja unbedingt.“; „Wer sonst?“ .
In einem euphorischen Bericht zu den steirischen FPÖ-ÖVP-Verhandlungen („Steiermark-Kracher!“) fragt man die Leserschaft, wie sie zur Blau-Schwarzen-Koalition im Land steht: „Super“, „So gehört sich das“ oder doch „Super“?
Außerdem fällt das Medium mit interessanten Interpretationen von Wahl-Umfragen auf. Schon im Juli berichtete Kobuk von dem von Heute kolportierten „Umfrage-Hammer: 59 Prozent für FPÖ in der Regierung!“ Diese Frage wurde allerdings nie gestellt. Gefragt wurde stattdessen – leicht suggestiv – ob die FPÖ in die Regierung kommen darf, wenn sie einen Partner findet.
Bei jenen Umfrageergebnissen, die die FPÖ schlechter dastehen lassen, lauten die Titel dann nicht „47 Prozent gegen Kickl-FPÖ“, sondern werden etwas vorsichtiger formuliert: „So viele sehnen sich wirklich nach Kickl in Regierung“.
Viertens: Sprich ihre Sprache
In den vergangenen Monaten hat man bei Heute auch begonnen, sich den FPÖ-Sprech zu eigen zu machen. So ist es zumindest mit der ORF-Haushaltsabgabe passiert, die die FPÖ als „Zwangssteuer“ bezeichnet. Irgendwann lässt Heute die Anführungszeichen weg, die Haushaltsabgabe ist eine Zwangssteuer. In der Print-Ausgabe vom 30. August 2024 wird aus dem ORF außerdem der „Staatsfunk“ – ebenfalls ohne Anführungszeichen:
Bei einem anderen Begriff ist der Urheber nicht ganz so klar. Herbert Kickl bezeichnete die mögliche schwarz-rot-pinke Koalition stets als „Verlierer-Koalition“. So nannte sie auch Heute-Chefredakteur Oistric in einem Kommentar – und das schon am Abend des Wahltags. Er lässt darin anklingen, dass er kein Fan eines möglichen „Wagnis Ampel“ sei. Die ÖVP solle sich stattdessen überlegen, mit Kickl zu „blau-dern“, so die Meinung des Chefredakteurs. So wie im FPÖ-Sprech spricht auch Oistric von einem „Machtwort der Österreicher“.
Heute erfand auch den aus FPÖ-Blickwinkel sinnvollen Begriff „Anti-Kickl-Ampel“, mit dem sie Anfang November 2024 in acht Artikeln über den Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS berichtet. Bei den Koalitionsgesprächen zwischen FPÖ und ÖVP spricht Heute dann konsequent vom „Kickl-Pakt“.
Anbiederung abgeschlossen
Berichtet wird also aus der FPÖ-Brille, in FPÖ-Worten, meistens ohne Gegendarstellungen. Heute und Heute.at sind immer noch meilenweit entfernt von der FPÖ-gesteuerten Berichterstattung auf Kanälen wie Auf1, Report24 oder Info Direkt. Man findet immer noch FPÖ-kritische Berichterstattung sowie lange Interviews mit Vertretern anderer Parteien auf ihren Seiten. Die Kobuk-Analyse der letzten Monate zeigt aber deutlich, dass die dem Boulevard eigene Gier nach Aufreger-Geschichten und polarisierenden Persönlichkeiten auch schnell in eine Anbiederung kippen kann. Wie sonst lassen sich die zig unkritischen Artikel erklären, in denen ausschließlich FPÖ-Positionen vorkommen? Das wollten wir von Chefredakteur Clemens Oistric wissen. Bis Redaktionsschluss hat er auf unsere Anfrage nicht reagiert.
Herausgeberin Eva Dichand hat den 33-Jährigen im Oktober 2023 vom Online-Chef zum Chefredakteur für Print und Online befördert. Die Zusammenlegung sollte die Gratiszeitung digitaler machen, es gilt: Online First. In der Praxis beobachtet man seitdem immer reißerischere Schlagzeilen und billige Clickbaits. Oistric ist seit 2013 bei Heute, seine Rolle als Chefredakteur legt er aktiv an, er schreibt selbst viel. Was er nicht wolle, sei „nur noch durch die Stadt zu tingeln – von einem Fernsehkanal zum nächsten – und danach ins Schwarze Kameel“, sagte er vor einem Jahr im Branchenmagazin Horizont.
Trotz des Fokus auf Online wird auch die gedruckte Ausgabe am Leben erhalten. Inserate helfen bei der Finanzierung. Und hier fällt auf: Am meisten Wahlwerbung kommt zuletzt von ÖVP und FPÖ. Am 10. September blitzt zwar SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Babler von einer Viertelseite hervor, danach blättert man bis zum Wahltag aber nur über schwarze (fünf Mal) oder blaue (vier Mal) Wahlsujets. Vier Tage vor der Wahl leistete sich die FPÖ sogar ein vierspaltiges Inserat auf der Titelseite im Wert von € 17.291.
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Die Recherche erscheint parallel auch im Falter.
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