Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Die Kronen Zeitung im Genderwahn-Wahn

Das mit dem Gendern ist so eine Sache. Sachlich zu diskutieren ist fast unmöglich. Zu sehr erhitzt das Thema die Gemüter. Denn es geht schon lange nicht mehr nur um inklusive Sprache, wie sie an Universitäten üblich ist, in den Medien für Kopfzerbrechen sorgt und für die niederösterreichische Landesregierung verboten gehört. Hinter diesem zweisilbigen Wort machen sich ganze Welten auf. Für die eine Seite ist Gendern Ausdruck einer inklusiven Gesellschaft. Die andere Seite fürchtet hingegen einen „Genderwahn“ der Begriff bezeichnet eine „als übertrieben empfundene und an der Realität vorbeigehende Beschäftigung mit Genderthemen“, liest man auf Wiktionary. Als Kampfbegriff der extremen Rechten, um die traditionelle Geschlechterordnung zu verteidigen, bezeichnet ihn die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung.

Zu jenen, die „Genderthemen“ traditionell ablehnend gegenüberstehen, gehört die größte Tageszeitung Österreichs, die Kronen Zeitung. Interessanterweise heißt das aber nicht, dass diese Themen, mit denen sich andere „übertrieben“ beschäftigen, in der Krone nicht vorkommen. Im Gegenteil, die Krone bringt die Genderdebatte sogar regelmäßig auf ihr Titelblatt. Zwischen Jänner 2021 und August 2024 genau gesagt 25-mal.

Viele dieser Artikel sind voller künstlicher Aufregung und unsachlich. Fast schon krampfhaft versucht die Krone wieder und wieder einen Genderwahn herbeizuschreiben.

Gewissermaßen könnte man der Krone also eine „übertriebene und an der Realität vorbeigehende Beschäftigung mit dem Thema Genderwahn“ attestieren. Oder kurz gesagt: Willkommen im Genderwahn-Wahn der Krone.

Das Boulevardblatt folgt dabei vor allem vier Regeln:

Regel 1: Es gibt kein „zu weit hergeholt“

Titelseite Kronen Zeitung am 19. August: „Genderwahn um Schönheitswettbewerbe: Jetzt trifft es sogar die Miss-Wahlen!“

Kronen Zeitung, 19.08.2024, Seite 1

„Genderwahn um Schönheitswettbewerbe: Jetzt trifft es sogar die Miss-Wahlen!“ titelt die Krone am 19. August. Wer den Bericht im Blattinneren liest, wundert sich: Denn es geht dort gar nicht ums Gendern, sondern um die Frage, ob Misswahlen noch zeitgemäß sind. Eine Frau aus Südtirol sagt Nein, eine Frau aus Niederösterreich sagt Ja.

Was das alles mit dem auf der Titelseite versprochenem Genderwahn zu tun hat, bleibt unklar. Der einzige Hinweis im Artikel ist ein ziemlich willkürlich beigefügter Absatz (Zitat: „Egal, apropos Vielfalt“), in dem die Krone zu einem anderen „Genderwahn“-Thema überleitet. Zwei Tage zuvor ging es in der Krone nämlich darum, ob auch Männer oder diverse Personen Weinbotschafter werden können.

Auch dieser „Gender-Wahnsinn“ war der Kronen Zeitung eine Titelseite wert. Der Anlass: In der Pfalz in Deutschland wurde der Wein-Wettbewerb tatsächlich geöffnet. Statt einer Weinkönigin gibt es dort künftig entweder eine Weinbotschafterin oder einen Weinbotschafter.

Kronen Zeitung Genderwahn

Für die Krone ist die Frage, ob es zukünftig vielleicht auch Weinkönige gibt, also „Gender-Wahnsinn“. Nachgefragt hat die Zeitung beim österreichischen Weinbaupräsidenten, für den eine Änderung der Regeln nicht in Frage kommt, denn bei den Weinköniginnen handle es sich um eine Auszeichnung „top ausgebildeter Winzerinnen“. Auf krone.at werden ehemalige Gewinnerinnen des Wettbewerbs übrigens als „hübsche Aushängeschilder“ bezeichnet. Dass in Österreich alles bleibt, wie es ist, ist für die Krone an diesem Tag also die Titelseite wert.

An anderer Stelle berichtet die Krone: „Genderwahn befällt auch das Alphabet“. Die Überschrift im Print-Artikel vom 19. August 2021: „Abc-Irrsinn: G wie Genderwahn“. Worum geht es? Das Deutsche Institut für Normung (DIN) schlägt vor, die Buchstabiertafel zu ändern. Aus A wie Anton soll etwa A wie Augsburg werden. Der Vorschlag hat den Hintergrund, Änderungen, die die Nazis umgesetzt haben, loszuwerden. Damals wurden jüdische Namen gestrichen. Aus D wie David wurde D wie Dora, aus N wie Nathan wurde Nordpol. Der neue Vorschlag daher: Städtenamen. Potsdam statt Paula. Warum ist das „Gender-Wahnsinn“? Naja: In einer Aussendung fügt das DIN hinzu, dass damit auch das Geschlechter-Ungleichgewicht (mit 16 männlichen, aber nur sechs weiblichen Vornamen) gelöst sei.

Trotz dem fast schon obsessiven Umgang mit dem Thema vermutet die Kronen Zeitung den wahren „Genderwahn“ aber freilich woanders. Zum Beispiel im ORF:

„Erste Schritte im ORF gegen den Genderwahn“, so der Teaser. Im Artikel geht es einmal mehr nicht um „Genderwahn“, sondern ganz allgemein um das neue ORF-Gesetz.

Zum Hintergrund: Der ORF hat in internen Empfehlungen vom Binnen-I und dem Glottisschlag abgeraten. Ein Schritt gegen den Genderwahn im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Naja. Der ORF empfiehlt abwechselnd männliche und weibliche Formen zu verwenden gegendert wird also dennoch. Dies auch deshalb, weil 77 Prozent von 1.000 Befragten einer repräsentativen Integral-Umfrage die Gleichstellung aller Geschlechter wichtig finden und 59 Prozent meinen, der ORF solle als Teil seiner Vorbildfunktion geschlechtergerecht formulieren.

Dem hält die Kronen Zeitung ernsthaft das Ergebnis eines Krone.at-Votings entgegen, das selbstverständlich nicht repräsentativ ist: 93 Prozent antworteten dort auf die Frage „Soll der ORF gendern?“ mit „Nein“.

Regel 2: Keinen Anti-Gender-Leserbrief ablehnen

Dass viele Krone Leserinnen und Leser ein Problem mit dem Gendern haben, ist kein Geheimnis: Eine Suche im Zeitraum Jänner 2021 bis August 2024 spuckt 66 Leserbriefe zum „Gender-Wahnsinn“ aus. Dabei lässt die Kronen Zeitung kaum eine Gelegenheit aus, „Anti-Gender“-Meinungen zu veröffentlichen. Beispielsweise diese Zuschrift: „Ich möchte kundtun, dass für mich Sonntag der 14. Mai kompromisslos der ‘Muttertag‘ und nicht der ‘Tag der gebärenden Personen‘ ist.“ Ein anderer Leser will einfach nur klarstellen, dass er als Mann nichts, aber auch wirklich gar nichts mit dem Gendern zu tun hat: „Heimat bist du großer Töchter, die uns das eingebrockt haben. Wir Männer waren es nicht!“

Besonders viel Empörung über den Genderwahn gibt es wenig überraschend immer dann, wenn er zuvor selbst in der Krone beklagt wird. Oder wenn eine Leserin Michael Jeannée zu seiner Kolumne „Gendern ist eine Geisteskrankheit“ gratuliert.

Vertraut man der Aussage eines Lesers, hat die Krone mit ihrer Anti-Genderwahn-Kampagne vor drei Jahren begonnen: „Mit Verwunderung und noch größerer Freude ‚musste‘ ich feststellen, dass die ‚Kronen Zeitung‘ seit ein paar Tagen dem überall herrschenden Genderwahn anscheinend abgeschworen hat. Vielen herzlichen Dank dafür!“ (4. August 2021).

Das Bemühen, Gendern als Wahn zu framen, geht aber weiter zurück. Schon 2014 startete die Krone eine Leser-Aktion unter dem Titel „Genderwahn: Die besten sprachlichen Leckerbissen“. Die damals eingesandten Beispiele darunter „Kann mir jemand die Pfefferstreuerin reichen?“ oder „Der Sündenbock wird dann wohl zur Sündengeiß!“ kann man nur bedingt ernst nehmen.

Regel 3: Wenn es etwas mit „Gender“ zu tun hat, ist es schon Wahnsinn

Vergangenen Juli gaben in einer IMAS-Umfrage 52 Prozent an, nie geschlechterneutral zu formulieren. Ein Krone-Redakteur bezeichnet die Ergebnisse in einem Kommentar als „Watsch’n für alle besonders laut schreienden Ideologen, die meinen, mit Gender-Sternchen und Binnen-I wäre der ‚Gender Pay Gap‘ (ungleiche Bezahlung) abgeschafft“. Wer das je behauptet haben soll, verrät der Autor nicht.

Auch anderswo vertritt die Krone die Meinung, dass Gendern „von den eigentlichen Ungleichheiten im Land“ ablenke. Doch selbst wenn es um „echte“ Chancengleichheit geht, stößt sie sich daran, sobald das Gender-Thema vorkommt. Ein Beispiel: Anfang 2024 fragt Verkehrsministerin Leonore Gewessler im Rahmen der EU-Initiative „Women in Transport“ bei österreichischen Verkehrsbetrieben nach, wie es derzeit mit der Geschlechterverteilung im Betrieb aussieht. Ziel der Initiative: „Steigerung der Beschäftigungszahlen von Frauen und zum anderen die Erhöhung der Chancengleichheit im Verkehrssektor“.

Das Schreiben Gewesslers kritisiert Ex-AK-Präsident Rudolf Kaske in der Krone, weil eine Geschlechtsabfrage den Schutz der Privatsphäre von Mitarbeitenden verletze. In einer zweiten Version aus dem Klimaministerium wurde dann hervorgehoben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Geschlecht nur freiwillig bekannt geben müssen. So berichtet es die Krone. Und trotzdem handelt es sich für sie nicht um eine Datenschutz-, sondern um eine „Gender-Groteske“, die nun „abgesagt wurde“.

Kronen Zeitung Genderwahn

Dass die Geschlechterverteilung in bestimmten Branchen erhoben wird, ist allerdings nichts Ungewöhnliches. Frauen verdienen ja auch deswegen weniger, weil sie häufiger in Berufen mit niedrigerem Einkommen arbeiten. Nur dank Erhebungen wissen wir zum Beispiel, dass der Frauenanteil bei Pflege- und Betreuungsberufen im Schnitt bei 78 Prozent liegt.

Die finale Regel 4: Der „Genderwahn“ ist eine Tatsache

Dass sich niemand so große Sorgen um den Genderwahn macht wie die Kronen Zeitung, lässt sich auch quantitativ belegen: Zwischen Jänner 2021 und August 2024 verwendete die Krone die Begriffe „Gender-Wahnsinn“ oder „Genderwahn“ ganze 22-mal, wobei direkte Zitate nicht mitgezählt wurden. 22-mal befand die Tageszeitung also selbst, dass „Genderwahn“ die Debatte am besten beschreibt.

Zum Vergleich: In der Presse wird im gleichen Zeitraum einmal in einem Kommentar vom „Genderwahn“ gesprochen, sonst kommt der Begriff lediglich als Zitat vor. Die Gratiszeitung Heute schreibt bis auf einmal ebenfalls nur darüber, wenn aus anderen Quellen (ÖVP, FPÖ, ein Laufhausmanager oder Til Schweiger) zitiert wird.

Zuletzt spricht die Krone vermehrt vom Genderwahn, um ihre eigene Kampagne zur Wahlkampfzeit anzukurbeln. Mit „Die Stimme Österreichs“ wolle man ein „Weckruf für die Politik“ sein. Der „Genderwahn“ wird dabei neben Migration, Umwelt und Gesundheit als Schwerpunktthema genannt. Der Genderwahn für die Krone also ein zentrales Problem in Österreich.

„Summa summarum bestätigen die Umfrageergebnisse sehr eindeutig den geradlinigen Weg und die richtige Themenwahl der ‚Krone‘“, liest man am 25. August 2024 zur hauseigenen Erkenntnis. Und hier schließt sich der Kreis: Was in der Kronen Zeitung seit Jahren angeprangert wird, findet auch bei den Leserinnen und Lesern Widerhall. Man fragt sich, ob hier die „Stimme Österreichs“ erhört, oder nicht eher geformt wurde.


Kobuk finanziert sich ausschließlich durch viele kleine Spenden unserer Mitglieder. Wer uns ebenfalls helfen möchte, unser Projekt am Leben zu erhalten: www.kobuk.at/support/


Wer nie mehr einen Kobuk verpassen will, kann sich gratis für unseren Newsletter anmelden. Einfach hier clicken

Österreichs Medien haben ein Glücksspiel-Problem
Hamas mit Hermès? Eine Luxushandtasche im Propagandafeuer