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Der Exxpress deckt einen EU-Skandal auf, der keiner ist.

Anfang Oktober tut der Exxpress so, als hätte er einen Eklat aufgedeckt: „So lässt sich die EU von Erdogan reinlegen: 4,7 Millionen für jeden Asylwerber bezahlt!“, titelt das Medium. Im ersten Satz des Artikels wird von einem ungeheuerlichen Skandal gesprochen. Der Exxpress rechnet vor: 10 Milliarden Euro überwies die EU seit 2016 an die Türkei, im Gegenzug wurden 2140 Flüchtlinge aus der EU von der Türkei aufgenommen. 4,7 Millionen Euro zahlt der Steuerzahler also für jede Abschiebung. Klingt tatsächlich skandalös, und in rechten Kreisen hat sich der Artikel seither entsprechend stark verbreitet – so teilte ihn auch beispielsweise FPÖ-Politiker Harald Vilimsky.

Das Problem daran: Die Rechnung des Exxpress ist grob irreführend.

Denn die Onlinezeitung verschweigt entscheidende Details: Zwar hat die EU seit dem Flüchtlingsdeal mit der Türkei 2016 tatsächlich rund 10 Milliarden Euro an die Türkei bezahlt, und auch die Zahl der Flüchtlinge, die von der EU übernommen wurden ist korrekt. Aber:

Das Geld ist weder direkt an eine Zahl an Rückführungen in die Türkei gekoppelt, noch wird es dafür verwendet. Die EU-Gelder sind weder für Abschiebungen und auch nicht ausschließlich für jene, die abgeschoben worden.

Laut einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission decken die Mittel Grundbedürfnisse der Menschen, Bildung, Gesundheitsversorgung, kommunale Infrastruktur, Berufsausbildung und Grenzverwaltung. Konkret wurden unter anderem mehr als 2 Millionen Flüchtlinge mit einer monatlichen Bargeldunterstützung versorgt, rund 747 000 syrische Kinder nahmen an formaler Bildung teil und zwei Krankenhäuser und 187 Gesundheitszentren für Migranten können betrieben werden.

Das verschweigt der Exxpress.

Die Höhe der an die Türkei gezahlten Gelder mit der Zahl der zurückgeschickten Migranten in Beziehung zu setzen sei nicht korrekt, so ein Sprecher der EU-Kommission auf unsere Anfrage:

„Die Kommission erinnert daran, dass sie im Rahmen der Fazilität etwa 2 Millionen Flüchtlingen, die vorübergehenden Schutz genießen, Unterstützung gewährt hat, insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Grundversorgung.“

Dies bestätigt uns auch der deutsche Historiker und Migrationsforscher Jochen Oltmer:

„Das Abkommen der EU mit der Türkei sieht Mittel für eine ganze Reihe von Dienstleistungen vor, einschließlich der Versorgung von Millionen von Flüchtlingen in der Türkei. Es ist in keiner Weise angemessen, die an die Türkei gezahlten EU-Mittel ausschließlich auf die Kosten der Abschiebung zu beziehen.“

Wie viel kostet eine Abschiebung wirklich?

Diese Frage ist sehr schwierig eindeutig zu beantworten. Aber es gibt einige Zahlen, die einen Einblick geben können. In Deutschland ist es zum Beispiel die Aufgabe der Bundesländer, Abschiebungen durchzuführen. Im Jahr 2018 gab es eine parlamentarische Anfrage im Land Nordrhein-Westfalen, die von der Landesregierung beantwortet wurde. In diesem Jahr wurden in diesem Bundesland 6603 Abschiebungen durchgeführt. Im selben Jahr wurden unter dem Verwendungszweck „Rückführung und Rückführungsbegleitung“ 6.666.681,28 Euro an Haushaltsausgaben verbucht. Die Kosten der zentralen Ausländerbehörden beliefen sich außerdem auf rund 20 Millionen Euro. Darin enthalten sind unter anderem die Kosten für Aufgaben im Bereich Abschiebungen. Ausgehend von diesen Zahlen dürfte eine Abschiebung aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 im Durchschnitt zwischen 1009,64 Euro und 4134,28 Euro gekostet haben. Natürlich können diese Zahlen von Bundesland zu Bundesland und von Jahr zu Jahr stark schwanken, aber sie sind immer noch weit entfernt von den 4,7 Millionen Euro pro Flüchtling, die der „Exxpress“ angibt.


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