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Wie die Kronen Zeitung Leserbriefe missbraucht, um Tassilo Wallentin zu pushen

Leserbriefe haben einen unschlagbaren Vorteil: Man kann sie als Meinungselemente der eigenen Leserschaft verkaufen – und gleichzeitig bieten sie die Möglichkeit, subtil Stimmung zu machen, indem man nur die “richtigen” Meinungen abgedruckt.

Die Kronen Zeitung ist für ihre Kampagnen berüchtigt. Als am 11. August ihr langjähriger Kolumnist Tassilo Wallentin angekündigt, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, ist die Zeitung offenbar in einem Dilemma: Eine offene Kampagne in der regulären Berichterstattung war wohl keine Option, weil zu offensichtlich. Einzelne Versuche dazu sind relativ schnell entlarvt worden.

Also musste ein anderes Instrument her: Leserbriefe.

Wir haben alle Leserbriefe in der Krone seit dem 11. August analysiert. 62 solcher Briefe im Format „Das Freie Wort“ wurden seither zur Bundespräsidentenwahl gedruckt. Tassilo Wallentin wird dabei in 27 Fällen (43,55%) positiv erwähnt. Ganz schön beeindruckend für einen Kandidaten, der in keinen Umfragen 10 Prozent der Bevölkerung überzeugen kann. Kritische Leserbriefe gab es gerade einmal drei.

Die Leser:innen hielten sich dabei mit Lobeshymnen nicht zurück. Die Krone schenkte Wallentin gleich zum Wahlkampfauftakt einen Korb voller Leser-Liebesbriefe: “Bravo, Dr. Wallentin” schreibt da ein Leser, “Der beste Mann” ein anderer. “Bravo!” ist ein Dritter erleichtert: “Jetzt habe ich einen Kandidaten, den ich wähle!!!” An diesem Tag schafft es nur ein einziges Feigenblatt einziger Brief ins Blatt, in dem sich jemand kritisch über Wallentin geäußert.  

Die Krone schafft es im “Freien Wort” auch, den Wahlkampf geschickt mit Angriffen auf einen Lieblingsfeind zu kombinieren: den ORF. Der ORF sei parteiisch, rechte Kandidaten würden unfair kritisiert, während linke eine Sonderbehandlung bekommen. Man kennt das ja. 

Logisch, dass sich das Boulevardblatt am 21. September nicht die Chance entgehen ließ, Armin Wolf eins auszuwischen. Der ORF-Moderator hatte Wallentin zwei Tage zuvor in der ZIB2 interviewt und nachgewiesen, dass Wallentin in seinen Büchern Falschinformationen verbreitet. Daraufhin gab es reichlich medialen Gegenwind für Wallentin. Die Krone rückte zur Rettung aus – und schickte Leser:innen zur Verteidigung des Ex-Kollegen vor. 

Bei Durchsicht aller Leserbriefe seit August entsteht der falsche Eindruck, die Wahl wäre ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Wallentin und Van der Bellen. Von den 62 Leserbriefen behandeln neben den insgesamt 20 Wallentin-Briefen ebenfalls 20 den amtierenden Bundespräsidenten. Dieser dürfte – jedenfalls laut den Umfragen – eine absolute Mehrheit der Stimmen bekommen. In der Krone merkt man davon aber nichts. 

 

Beinahe alle Leserstimmen über Van der Bellen sind kritisch. Ein Würstelstand-Besuch des Präsidenten regt auf: “Das ist reiner Wahlkampf, um sich volksnah zu zeigen.” Aber nicht nur das. Der Präsident wird “arrogant”, “überheblich” und “amtsmüde” genannt, weil er nicht an den TV-Diskussionen teilgenommen hat. Zuspruch erhält Van der Bellen lediglich vier Mal.

An dieser Stelle vielleicht noch einmal zum auf der Zunge zergehen lassen: Die Zeitung mit der größten Leserschaft Österreichs (immerhin 1,7 Mio. Leser:innen täglich) tut so, als wäre ein 10%-Kandidat bei eben dieser Leserschaft super beliebt, und der 50+%-Kandidat super unbeliebt. Und die anderen 5 Kandidaten kommen fast gar nicht vor.

Nun mag Wallentin unter den Krone-Leser:innen tatsächlich überdurchschnittlich beliebt sein, aber wer ernsthaft glaubt, dass dieses Verhältnis die Realität abbildet, muss schon sehr naiv sein.

Übrigens: “Das Freie Wort” als Instrument, um die Blattlinie zu pushen hat beim Boulevard-Blatt auch Tradition. Dessen verstorbener Herausgeber Hans Dichand bezeichnete das Format einst als “Zeitung in der Zeitung”. Dichand soll auch höchstpersönlich für die Auswahl der Einsendungen zuständig gewesen sein.

 

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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.

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3 Kommentar(e)

Arnold - Am 09. October 2022 um 10:59

Grossartige Recherche. Und so einfach.
Gibt es den Vergleich auch zu anderen printmedien?

Gerhard Rößler - Am 09. October 2022 um 15:27

Auch wenn die schwachsinnige Mehrheit der Kronenzeitung folgt wird der Tassi baden gehen

franz gans - Am 13. October 2022 um 13:22

nicht nur das es eine ungeheuerliche arroganz darstellt, wenn der boulevard sein eigenes kanditaten-game inszeniert, nein es ist diese unverfrorenheit einfach irgendwelche kalauer zu erfinden.

dem boulevard gehören die förderungen gestutzt! jetzt!