„Österreich wird immer gefährlicher“ titelt die Gratiszeitung „Österreich“ am 7. Mai. Die Kriminalität sei „stark gestiegen“. Dieses Cover ist der vorläufige Höhepunkt einer verantwortungslosen Panikmache, die seit Jahren andauert.
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Kriminalität nimmt leicht ab. Zahlen für 2016 gibt es noch nicht, in den letzten zehn Jahren wurden aber noch nie so wenige Anzeigen erstattet wie im Jahr 2015. Das scheint „Österreich“ allerdings nicht zu interessieren, denn egal was die Statistik sagt: In „Österreich“ wird Österreich immer gefährlicher.
Eine Chronologie der Kriminalberichterstattung:
13. Mai
„Österreich“ schließt von einzelnen Fällen wie einer Vergewaltigung oder einem Angriff mit einer Eisenstange auf angeblich „explodierende“ Gewalt. Eine Formulierung, die im Gratisblatt sehr beliebt zu sein scheint.
1. Mai
Die Zahl der schwersten Delikte, so schreibt „Österreich“ wörtlich, „schnellt alarmierend nach oben“. Nun, ganz so alarmierend ist es nicht: Im vergangenen Jahr stiegen sogenannte „Schwerstdelikte“ ganz leicht, sie nahmen um 0,4 Prozent zu (pdf, S. 56).
29. April
Massenschlägereien heißen in „Österreich“ prinzipiell Bandenkriege. Diese seien „außer Kontrolle“. Zwischen Tirol und Wien soll ein „täglicher Horror“ spuken. Wieder ist von steigender Kriminalität die Rede.
28. April
Das Zentrum dieser „Kriege“ ist offenbar Wien, wo die Bürger „in Angst und Schrecken“ leben. Was ein echter Krieg ist, weiß hoffentlich jeder, der in den vergangenen Jahren etwas aus Syrien gehört hat.
20. April
72 Prozent der Österreicher fürchten sich vor Verbrechen, in den Öffis habe jeder Fünfte Angst. Ob ein Zusammenhang zwischen „Österreich“-Lesern und verängstigten Menschen besteht, wäre allerdings zu untersuchen.
12. April
Bahnhöfe, Ausgehmeilen oder ganze Stadtteile sind angeblich so gefährlich, dass „Österreich“ seine Leser rechtzeitig davor warnt. Die Leute dort „schlagen, erpressen, morden“. Außerdem werden die Hauptstädter „immer brutaler“ und wieder ist von irgendwelchen „Bandenkriegen“ die Rede.
1. April
Die Nachrichten werden schlimmer. Nun behauptet das Blatt: „Einbrecher werden immer brutaler“. Wieder nimmt „Österreich“ zwei Einzelfällen und macht daraus einen allgemeinen Trend. Die Zahl der Wohnraumeinbrüche ist übrigens deutlich rückläufig (pdf, S. 56).
18. März
Pünktlich zur neuen Kriminalstatistik beschwört das Blatt eine gesellschaftliche Katastrophe herauf. Da die Kriminalität in Wien sinkt, pickt sich „Österreich“ einen Wert heraus, der im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist (Gewaltdelikte) und behauptet, er sei „explodiert“. Tatsächlich gab es bei Gewaltdelikten einen Anstieg von sechs (!) Prozent, von 14.996 auf 15.928 Anzeigen.
16. Februar
Und wieder eine „Explosion“. Damit niemand auf die Idee kommt, sich in den virtuellen Raum zurückzuziehen, erinnert „Österreich“ vorsorglich daran, dass Kriminelle ihr Treiben ins Netz verlagern würden. Tatsächlich stieg die Internet-Kriminalität im letzten Jahr, jedoch war sie in den Jahren 2012 und 2013 bereits höher – von „Explosionen“ sind wir also weit entfernt.
27. Jänner
Eigentlich ist im Artikel von „Diebstählen, Sachschäden und Körperverletzungen“ die Rede – aber im Titel muss schon das reißerische Wort „Terror“ stehen, damit die Aussage richtig Feuer bekommt.
Diese Artikel sind alle in diesem Jahr erschienen. Die Jahre davor sieht die Berichterstattung aber auch nicht anders aus:
2015 berichtet „Österreich“ über minütliche Verbrechen. 2014 „explodiert“ der Fahrrad-Klau, 2013 gerät der Praterstern „völlig außer Kontrolle“.
Auch 2012 „explodieren“ Gewalt, Kriminalität und Internet-Kriminalität.
2011 liest man von einer „Explosion“ von Handtaschenraub. Interessant dabei: Vor allem montags und donnerstags solle man ganz besonders auf seine Tasche aufpassen. Und da das offenbar nicht angsteinflößend genug ist, zählt „Österreich“ zwei Monate später noch die größten Geiselnahmen der vergangenen zwei Jahrzehnte auf. Wir sagen danke, die hätten wir sonst fast vergessen.
Schon 2010 pickte das Blatt einen steigenden Wert der Kriminalstatistik heraus und verbreitete mit einem vermeintlichen „dramatischen Anstieg an Mordfällen“ Angst unter seinen Lesern. Dass fast alle anderen Delikte rückläufig waren, wäre ja langweilig zu erwähnen.
Und erinnern wir uns – so sieht die Kriminalstatistik für die vergangenen zehn Jahre aus:
Co-Autorin: Gabriele Scherndl
7 Kommentar(e)
Kann man gegen diese Blätter nicht irgendwie Gerichtlich vorgehen?
Man kann nicht gerichtlich dagegen vorgehen, weil die Pressefreiheit sonst in Gefahr wäre. So lange die eigentlichen Fakten im Artikel nicht falsch sind, wird auch keine Gegendarstellung veröffentlicht.
Das Problem wäre nämlich sonst, dass nur mehr eine Interpretation der Ereignisse zulässig wäre (nämlich jene die der aktuellen Regierung recht ist). Deswegen akzeptieren fast alle Staaten der Welt lieber ein paar Schundblätter.
Kurz gesagt: Es gibt kein Gesetz, das Medien verbietet, die Unwahrheit zu verbreiten. (Es gibt Gesetze gegen Dinge wie üble Nachrede oder unlauteren Wettbewerb, aber das liegt hier nicht vor.)
Da schmiert die Regierung diese Kasblattln schon mit Millionen Euro an Inseraten im Jahr, und die sind noch immer nicht auf Linie! Da müssen härtere Maßnahmen her.
Ergänzend dazu die „Österreich“-Lügenmeldungen
über die Kriminalstatistik 2011
und die Kriminalstatistik 2013
(Auf dem gleichen „Angst vor Kriminalität in Österreich wächst“-Loch pfeift übrigens auch die Kronen Zeitung.)
Wenn schon nicht auf gerichtlichem Wege, wie wär es, den Pressekodex anzupassen um den Raum wichtigem Journalismus zu überlassen? Diese Schundblätter sind in gewisser Weise der Motor für die schleichende Verdummung in unserem Land…
[…] Hier geht’s zum Kobuk-Eintrag: „Österreich“ hat eine kriminelle Dauerexplosion […]