Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kronen Zeitung verwechselt Fahndung mit Menschenhetze

Kronen Zeitung, Post von Jeannée, 10.01.2014, S. 18

Identifizierende Berichterstattung über Tatverdächtige ist prinzipiell unzulässig. Ausnahme: wenn zum Beispiel die Verfolgungsbehörden um Veröffentlichung bitten.

Da dies aber einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von möglicherweise unschuldigen — jedenfalls aber nicht verurteilten — Menschen darstellt, ist besondere Behutsamkeit und Zurückhaltung in der Berichterstattung angebracht.

Für derart sensible Themen hat die Kronen Zeitung ihren eigenen Experten:

Elendes, niederträchtiges Pack,
… He, Ihr [sic!] Dreckskerle, wie fühlt man sich, wenn einem die eigene Gangstervisage aus der Zeitung anspringt? … Verzerrt Panik Eure [sic!] widerwärtigen Gesichter?

Der Starkolumnist, der hier hemmungslos den Mob aufhetzt, fand übrigens auch, dass ein 14-Jähriger „alt genug zum Sterben“ ist, wenn er in einen Supermarkt einbricht.

Die Verantwortung, dass eine Fahndung nach Verdächtigen (!) nicht zur Menschenhetze wird, liegt allerdings auch bei den Behörden. Sie sollten nicht zu bequem zum Mittel der Öffentlichkeitsfahndung greifen — meint man zumindest in Deutschland.


Dort sollen klare Verwaltungsvorschriften für Ermittler und Staatsanwälte Auswüchse wie in Österreich vermeiden helfen. Problembewusst heißt es darin:

durch die … Namensnennung des Tatverdächtigen [entsteht] die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung … Die spätere Resozialisierung des Täters kann … erschwert werden … Eine Bloßstellung oder Schädigung des Tatverdächtigen oder anderer Betroffener, muss nicht nur in deren Interesse, sondern auch im Interesse der Strafrechtspflege möglichst vermieden werden.

Daher sei stets auch zu prüfen:

ob der … Fahndungserfolg nicht auch … erreicht werden kann, [indem] nur Medien von geringerer Breitenwirkung in Anspruch genommen werden, andere Formen … wie Plakate, Handzettel … gewählt werden … oder … auf die Verbreitung der Abbildung [verzichtet] wird.

Der Schweizer Presserat meint sogar, dass auch eine Öffentlichkeitsfahndung noch keinen Freibrief für die Medien darstellt:

Redaktionen sollten nicht reflexartig publizieren, wenn Behörden den Namen und das Bild eines Tatverdächtigen freigeben, sondern eigenständige berufsethische Überlegungen anstellen.

Leider zielt der Verweis auf die berufliche Ethik bei manchen ins Leere.

 

Update:
Die vier Männer haben sich der Polizei gestellt und ihre Unschuld beteuert. Und sie werden laut oe24.at den Krone-Kolumnisten verklagen – auf 60.000 Euro. Wir wünschen viel Erfolg.

NEWS schafft die Rechtschreibung ab
ProSieben-Magazin "taff" kriminalisiert Bettler

5 Kommentar(e)

belgma - Am 11. January 2014 um 13:19

Zehn Tage musste das neue Jahr nur alt werden, damit ich wieder einmal eine Beschwerde an den Presserat bezüglich Jeannée schicke!

Rudi - Am 11. January 2014 um 20:19

Selbst wenn die vier wirklich die Täter waren, gibt es Herrn Jeannée noch lange nicht das Recht, so über Menschen zu schreiben. Und wenn sie es nicht waren erst recht nicht. Dann ist es Rufmord. Aber das ist dieser Zeitung alles egal. Ethik? Ein Fremdwort. Hauptsache die Auflage stimmt. Die Wahrheit interessiert doch niemanden. Vielleicht Unschuldige werden automatisch zu Verbrechern umgepolt, Popsänger werden von Fans bejubelt, obwohl sie tatsächlich schwerkrank im AKH liegen (Anm: Konzert George Michael 2011 in Stadthalle Wien abgesagt, Krone berichtet von den kreischenden Fans). Die Liste der Berichte aus Fantasia ließe sich bei diesem Blatt vermutlich noch lange fortsetzen.

Jetzt kann man lange über diese Zeitung lästern. Tatsache ist, dass sie erfolgreich ist. Und dazu 2 Anmerkungen:
1.
Darf der wirtschaftliche Erfolg über allem stehen, über jeder Ethik und Moral? Zählt wirklich nur mehr der Euro oder Dollar?
2.
Warum ist das Blatt so erfolgreich? Antwort: Weil 3 Millionen Österreicher diese Märchengeschichten lesen. Fazit: Wir bekommen die Zeitung, die wir verdienen. Gute Nacht Österreich!

Bernieee - Am 13. January 2014 um 19:34

Ich hab in diesem Land aber dennoch lieber rücksichtslose Journalisten, die sich an den einen oder anderen Ethikkodex nicht halten, als junge Verbrecher. In Kufstein wurde gerade erst jemand ermordet, da ist mir der MJ wesentlich lieber.

Schweng - Am 14. January 2014 um 11:26

2. Warum ist das Blatt so erfolgreich?

Antwort: Weil man 100 Euro bar auf die Kralle bekommt, wenn man zu einem Mitbewerber wechseln will.

Rudi - Am 23. January 2014 um 00:08

Dem muss ich widersprechen. Es kann doch nicht sein, dass man ein paar unschuldig Verurteilte in Kauf nimmt. Wir leben immer noch in einem Rechtsstaat. Im Zweifel für den Angeklagten.
So lange es einen selbst nicht betrifft, lässt sich darüber trefflich richten. Wenn man dann aber vielleicht selbst einmal betroffen ist, dann wird das weniger lustig.
ABER: Selbstverständlich bin ich für harte Strafen, wenn zweifelsfrei die Täter feststehen.
So aber ist das leider wieder einmal ein aufmerksamkeitsheischendes Schriftstück eines Schreibers, der genau zu seiner Zeitung passt: Niveau von beiden sind ebenso niedrig wie die Auflage dieses Blattes hoch ist.