Kriminalität und Asylmissbrauch sind einer wissenschaftlichen Untersuchung zufolge das nahezu ausschließliche Umfeld, in dem die Kronen Zeitung über Asylwerber berichtet. Dazu passt das falsche Mordgeständnis eines Afghanen, das die „Krone“ am 31. Juli aufs Titelblatt setzte, noch bevor es die bereits zweifelnden Behörden überprüft oder auch nur eine offizielle Stellungnahme abgegeben hatten. Und der Österreichische Presserat, der findet nichts dabei.
Rückblende
Es war der am öftesten geteilte Beitrag, den wir dieses Jahr auf Facebook veröffentlicht haben. Die Schlagzeile der Kronen Zeitung und ihre Gegenüberstellung mit der kleinen Randnotiz am Tag danach, wonach alles nur erfunden war:
Überraschende Wende … Wie „Krone“-Recherchen ergaben, leidet der Afghane unter einer Psychose — er hat die Morde erfunden.
Wie „überraschend“ diese „Wende“ tatsächlich war, darauf deutet die offizielle Stellungnahme der Polizei hin. Diese äußert sich — noch am Tag der Mörderschlagzeile — nämlich weitaus vorsichtiger als die Kronen Zeitung:
Seitens der Polizei konnte man auf APA-Anfrage keine Details bekanntgeben bzw. bestätigen. Nur so viel: „Ja, der Mann wurde aufgegriffen, die Staatsanwaltschaft hat sich bereits eingeschaltet“, so ein Beamter.
Diese Zurückhaltung erklärt die Sicherheitsdirektion einen Tag später gegenüber dem ORF so:
Es könnte sich auch um eine Schutzbehauptung handeln, denn so umgehe der Mann eine Abschiebung, weil ihm in seiner Heimat die Todesstrafe drohe – so die Erklärung. Es sei nicht das erste Mal, dass Asylwerber derartige Behauptungen anstellen.
Und sogar die „Krone“ selbst schrieb ja bereits vor der „überraschenden Wende“:
Die Polizei überprüft nun das Geständnis.
Was die geneigten Leser in diesem Kontext vermutlich aber weniger als Zweifel am Geständnis, denn als reine Formsache auffassten.
Alles, was die „Krone“ also hatte, bevor sie den scheinbar mordenden Asylwerber zur Schlagzeile des Tages machte, war ein strategisch nützliches Geständnis, an dem die Polizei daher stark zweifelte. Und für dessen Wahrheitsgehalt es zu keinem Zeitpunkt eine offizielle Bestätigung der Behörden gab.
Dennoch glaubte die Kronen Zeitung, wie es halt so ihre Art ist, vorbehaltlos den Angaben des Asylwerbers und titelte auf Seite 1:
Fünffach-Mörder als Asylwerber!
Ohne auch nur ein rhetorisches Fragezeichen zu bemühen.
Der Österreichische Presserat
Aufgrund einer Leserbeschwerde musste sich auch der österreichische Presserat mit dieser Geschichte befassen. Und diesen Mittwoch, also schlappe vier Monate später, hat er seine zumindest erstaunliche Entscheidung dazu veröffentlicht:
Der Senat vertritt die Ansicht, dass hier kein medienethischer Verstoß vorliegt. Der Mann hatte die Morde von sich aus gestanden, wobei im ersten Artikel auch darauf hingewiesen wurde, dass die Polizei dieses Geständnis noch überprüfe. Vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung als „Fünffach-Mörder“ nicht zu beanstanden, der „Kronen Zeitung“ ist somit aus medienethischer Sicht kein Vorwurf zu machen.
Das ist verwegen: Der Presserat befindet die falsche „Krone“-Schlagzeile u.a. auch deshalb für in Ordnung, weil im Artikel selbst darauf hingewiesen wurde, dass die Polizei das Geständnis ja noch prüfe. Dass die „Krone“ bereits vor Abschluss dieser Prüfung und vor jeder offiziellen Stellungnahme der Behörden für ihre Leser vollendete Tatsachen geschaffen hat, stört den Presserat nicht. Auch den über Jahre gepflegten kampagnenartigen Kontext und damit die möglicherweise stärkere Versuchung, „nützliche“ Geschichten ohne sorgfältige journalistische Prüfung zu lancieren, blendet der Presserat völlig aus.
Stattdessen heißt es weiter:
Darüber hinaus erfolgte am darauffolgenden Tag, nachdem sich die Angelegenheit aufgeklärt hatte, ohnedies eine Klarstellung, die in dieser Form jedenfalls ausreichend war, zumal von vorneherein kein journalistischer Fehler vorgelegen war. Der Journalist durfte nämlich auf die Richtigkeit der Angaben vertrauen, da diese von der Polizei stammten bzw. auf Aussagen des Betroffenen beruhten. Journalisten sind zur Wahrhaftigkeit verpflichtet, nicht aber dazu, die absolute Wahrheit zu erforschen.
Schöner hätte es der „Krone“-Hausjurist in seiner Stellungnahme an den Presserat auch nicht formulieren können.
Um zu verdeutlichen, wie fatal die Sichtweise des Presserats ist, stellen wir uns kurz vor, ein Österreicher wäre gestern zur Polizei gegangen und hätte dort ohne Not gestanden, er habe im Ausland fünf Menschen getötet. Was ihm aber die Ermittler ohne weitere Prüfung nicht so recht glauben wollen.
Was würde darüber heute auf der „Krone“-Titelseite stehen?
Und wäre nicht eine der drängendsten Fragen jedes Journalisten: Warum? — Warum hat der Mann das gestanden? Was war seine Motivation? Käme hier tatsächlich ein Journalist auf die Idee, dieses „Geständnis“ als Tatsache zu drucken? Ohne zu hinterfragen, ohne vorher eine Einschätzung von Kriminalisten oder Psychologen einzuholen? Wäre das dann „kein journalistischer Fehler“? Und wäre das aus medienethischer Sicht ein unbedenkliches Vorgehen?
Laut Österreichischem Presserat offenbar ja.
5 Kommentar(e)
Man muss nicht alles für bare Münze nehmen, was auf der Krone-Titelseite steht.
Sorry, Leute, das ist zwar der in der Krone übliche reißerische Stil und sicherlich kein guter Journalismus, aber aufgrund von was hätte der Presserat hier anders entscheiden sollen? Welche der Regeln wurde denn gebrochen? Er kann es ja nicht nur auf die Vermutung hin Rassismus nennen, dass der Artikel bei einem Österreicher anders geschrieben worden wäre.
Gegen welche Regel, die „Krone“ hier verstoßen hat? Vielleicht, dass man als Journalist die Fakten checkt und alle verfügbaren Informationen einholt und bewertet, bevor man eine Geschichte druckt? Gerade bei einer Titelgeschichte der größten Tageszeitung des Landes wäre ein bisschen Recherche nicht zuviel verlangt, oder?
Natürlich sehr reißerisch, aber verständlich, man will ja gekauft werden.
Würde alles gut recherchiert werden hätten wir kaum mehr was zu lesen 😉
lg
Reißerische Medien gibt’s wohl überall, allerdings darf man sich in zivilisieren Ländern wohl auf die diversen Kontrollmechanismen (oder zumindest gesellschaftlichen Gegengewichte) verlassen. Bei uns dagegen herrscht gleich dreifaches Elend: Eine katastrophale Medienlandschaft. Ein Presserat, der seinen Namen nicht verdient. Und zu guter Letzt dann noch Kobukleser, die das Problem nicht sehen oder einem mit pseudo-ironischem Bla-bla die Zeit stehlen.