Vor einem Jahr erschien auf Kobuk ein Artikel über die menschenverachtende und pietätlose Berichterstattung von „Österreich“ über den Mord an Stefanie P. Der Artikel hatte immerhin eine Verurteilung durch den Medienrat zur Folge.
Nun findet der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter statt. Hat „Österreich“ dazugelernt? Nein, im Gegenteil: Auch andere Medien unterlassen den gesetzlich vorgeschriebenen Schutz von Persönlichkeit, Identität und Intimssphäre von Opfer und Tatverdächtigem zugunsten reißerischer Berichterstattung über Sex & Crime.
Das Medienrecht sieht in § 7a den Schutz vor identifizierender Berichterstattung vor, um Opfer und ihre Angehörigen nicht ein zweites, öffentliches Mal zum Opfer werden zu lassen und um zu verhindern, dass Verdächtige oder Verurteilte in Form eines ‘Medienprangers’ anstelle oder neben einer gerichtlichen Bestrafung eine soziale Ersatz- oder Zusatzbestrafung erfahren. (Korn, 2010)
Da die Dokumentation der Verstöße gegen diese Bestimmung diesen Blogeintrag sprengen würde (siehe Collage oben), gibt es hier alle Zeitungsausschnitte zum Mordfall Stefanie P. in einem separaten Album (von uns anonymisiert).
Die auffälligsten Verfehlungen der letzten Tage:
- Bilder des Angeklagten und des Opfers werden tagelang unverpixelt in Heute, Krone und Österreich abgedruckt. Dasselbe passiert in Onlineartikeln. Bei „Heute“ gibt man unverfroren zu, dass ein Foto des Opfers schlicht von Facebook stammt (siehe Bildcredit!). Auch der Kurier hält sich bei Philipp K. und Opfer Stefanie P. nicht zurück.
- Wie in den Zeitungsausschnitten ersichtlich, präsentieren „Österreich“ und die Krone (auf der Titelseite) den vollen Namen des Angeklagten und die Krone sogar den vollen Namen des Opfers und seiner Schwester. Der Beitrag ist zwar schon etwas älter, doch auch die Oberösterreichischen Nachrichten bringen ein unverpixeltes Foto und den vollen Namen des Opfers. Überraschenderweise reihte sich sogar die „Presse“ in diese Riege ein, wie man im Google-Cache eines Berichts noch sehen kann, hier wurde aber mittlerweile (vergleichsweise vorbildlich) schon korrigert.
- Allem Anschein nach herrscht in den Redaktionen Verwirrung darüber, wann und wie die Identität der Beteiligten geschützt werden muss. Beispiel Oe24.at: Online wird der Angeklagte verpixelt (das Foto kommt schließlich von der APA), aber trotzdem mit vollem Namen genannt. An anderer Stelle jedoch wieder abgekürzt. Auch die Krone gibt sich ungeschickt: Beim Video-Beitrag zum Prozess ist der Angeklagte zunächst unverpixelt und klar erkennbar, im Video selbst jedoch unkenntlich gemacht.
- „Österreich“ nimmt in der Ausgabe vom 5. Mai gleich das Urteil vorweg, denn „Lebenslang ist beinahe fix!“ Die in Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgeschriebene Unschuldsvermutung scheint nicht zu gelten.
- „Österreich“ und der Kurier finden es darüberhinaus angebracht, den Angeklagten plakativ mit dem Spitznamen „Milchgesicht“ zu betiteln, was sich über mehrere Artikel hinzieht.
- Ebenso unverschont bleibt das Privatleben der Beiden. Die Krone präsentiert, im öffentlichen Interesse natürlich, deren „Liebes-Collage“, das Magazin News zeigt in einer Online-Bilderstrecke Privatfotos und sogar intime Liebesbriefe.
Aus ihrem Interview in „Österreich“ schließen wir, dass die Mutter des Angeklagten ihr Gesicht bewusst in der Öffentlichkeit zeigen will. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass ihr Sohn, der mutmaßliche Täter, diese Ansicht teilt. Dass ein explizites Einverständnis vorliegt, ist zu bezweifeln, schließlich haben andere Medien brav verpixelt.
Wenn Philipp K. anonym bleiben wollte (was der Berichterstattung der APA nach durchaus denkbar ist), stellt sich die Frage, ob es zulässig ist, den Namen eines Verdächtigen abzukürzen, aber dann dennoch jedermann mittels des vollen Namens der Mutter über seine Identität zu informieren. Immerhin, rein rechtlich zählen sowohl Name als auch familiäre Beziehungen zu jenen Identifizierungsmerkmalen, die vom Identitätsschutzparagraphen (§ 7a MedienG) erfasst werden.
Der Ehrenpreis für den sinnfreiesten Versuch, die Persönlichkeitsrechte zu schützen, geht an Oe24.at: Sowohl Angeklagter als auch Opfer werden innerhalb der selben Seite je einmal verpixelt und einmal nicht:
Vielen Dank an Patrick, Alex, Petra, Tanja und Hannes, die alle an diesem Artikel mitgearbeitet haben!
10 Kommentar(e)
Ihr habt in einem Bericht von oe24 vergessen den Nachnamen des Täters zu schwärzen.
Man würde den eigenen Maßstäben gerecht werden, würde man nicht, reißerisch und nach Effekten haschend?, direkt zu den unverpixelten Bildern verlinken, und sich stattdessen auf Faksimile beschränken.
Bis auf dieses #fail habt ihr aber natürlich Recht.
da habts ihr aber selbst mindestens einmal vergessen, den namen zu verändern:
https://imgur.com/a/FYg4H#QlVKP
das gesicht hat ein „K!“, aber der name steht voll zu lesen
@Michael: Das ist eine bewusste Entscheidung: Die (durch Leser nachvollziehbare) Dokumentation wiegt hier schwerer. Und dazu gehören Links.
Ich würde in einem Artikel, in dem ich eine rechtsradikale Website kritisiere, auch auf sie verlinken, wenn das notwendig ist, um meine Kritik nachvollziehbar zu machen. Das ist eben eine Abwägung, und da gewinnt die Transparenz.
@elisabeth und gnah: Sorry, aber ich wette fast, dass wir seinen vollen Namen leider noch oft genug zu sehen bekommen und das ist auch der tiefere Sinn vom Artikel (auch wenn die Fehler natürlich leider den perfekten Eindruck trüben): Wenn jemand beim Durchblättern von Krone, Österreich und co. auf den nächsten Artikel über den Fall stößt, sieht er die derzeitige Vorverurteilung und Rücksichtslosigkeit der Boulevardpresse vielleicht ja etwas differenzierter.
@Michael Neumayr: Das ist das Problem der Gratwanderung zwischen Belegen für die eigenen Aussagen zu bringen und ein Fehlverhalten aufzuzeigen. Es hat finde ich schon einen anderen Effekt, einen zensurierten Screenshot zu sehen, oder wirklich eine Seite zu besuchen von der man weiß, dass ganz Österreich sie genau so zu Gesicht bekommt. Ich denk wenn man von dem Artikel mit dem Wissen weggeht, wie man’s richtig machen soll haben wir unseren Job im Endeffekt nicht so schlecht gemacht.
Reißerisch wollten wir dabei aber wirklich nicht sein, ich denke da ist einfach ein bisschen Ärger über den medialen Umgang mt dem Fall durchgesickert. 🙂
Gratuliere zum Artikel, wirklich gute Arbeit.
Zwei Anmerkungen: Die Fotos des Opfers sind (zumindest einigen) Zeitungen von der Familie des Opfers selbst zur Verfügung gestellt worden; die Mutter des Opfers gab auch Interviews und ließ sich dabei auch fotografieren (z.B. Krone am Wochenende vor dem Prozess). Dass auf manchen Websites, die den Angeklagten herzeigen, die Videobeiträge verpixelt sind, liegt wohl daran, dass die meisten ö. Websites ihre Videonews von der APA beziehen, die den Angeklagten grundsätzlich unkenntlich macht.
Jeder weiss doch, dass Personen die im öffentlichen Interesse stehen (und Psycho-Phillipp tut das!) im Falle von Fotos kein Persönlichkeitsrecht haben! Wurde mir von einem Anwalt gesagt…
@UlliR: Da hat dein Anwalt recht. Aber Sensationslust ist was ganz anderes als öffentliches Interesse.
Es ist schockierend, wie wenig sich der Boulevard um Ethikrichtlinien kümmert, und zum Zweck der Reichweite Details aus dem Leben von Menschen in die Öffentlichkeit zerrt, die dort bestimmt nichts verloren haben.
Aber fast noch schockierender empfinde ich die Tatsache, dass die Folgen für Übertretungen dieser Art eigentlich wirkungslos sind.
Presserat und freiwillige Selbstkontrolle – wir pfeifen drauf! Verurteilung durch den Presserat – und doch egal, wir haben uns nicht unterworfen, deshalb sind die auch gar nicht für uns zuständig, ergo können sie von uns aus einbeinig im Dreieck springen, wir sehen keinen Äußerungs-, geschweige denn Handlungsbedarf! So lange die Reichweiten, und somit unsere wirtschaftlichen Interessen nicht betroffen sind…..
Und genau hier liegt der Hund begraben – es ändert sich weder etwas an der Auflage dieser Blätter (auch wenn ein nicht unerheblicher Teil gratis an den Mann/die Frau gebracht werden muss), noch an der Art und Weise ihrer Berichterstattung. Als „Unterhosenschnüffler“ hat ein renommierter Journalist solche „Kollegen“ bezeichnet, die unter dem Deckmantel „die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information“ alles schreiben und abdrucken, unabhängig davon, ob Persönlichkeitsrechte verletzt werden – frei nach dem Motto „je persönlicher die Information, desto exklusiver die Story“.
Dieser Arbeitsweise ist meiner Meinung nach nur auf eine Art beizukommen – man muss diese Blätter da treffen, wo es weh tut – und das ist nun einmal das liebe Geld.