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Wie käuflich ist positive Berichterstattung in Wien?

„Eingenistet im Enddarm der Kronen Zeitung lebt es sich als Politiker leichter.“ schreibt der grüne Landtagsabgeordnete Martin Margulies in seinem Blog und listet das Inseratenvolumen zur Wiener Volksbefragung nach Zeitung auf. Mit großem Abstand Nummer eins: Hans Dichands „Kronen Zeitung“, mit brutto fast €350.000 Anzeigevolumen, gefolgt von der von Dichands Schwiegertochter Eva geführten Gratiszeitung „Heute“.

Margulies vermutet: „Die Anfütterung zwecks positiver Berichterstattung hat System.“

Der Blogger Oliver Ritter hat zudem das Inseratenaufkommen der Stadt Wien in „Heute“ beobachtet und unabhängig von der Volksbefragungskampagne in den ersten zehn Februarausgaben an fünf Tagen bis zu zwei weitere Inserate der Stadt Wien gefunden. In Summe zählt Oliver 18 Inserate der Stadt Wien in diesen 10 Ausgaben von „Heute“.

Ob und wie sich das Anzeigenaufkommen auf die journalistische Arbeit auswirkt, ist jedenfalls schwer objektivierbar. Gibt nicht irgendwo eine Institution oder ein Watchblog, die sich kritischem Monitoring politischer Werbung verschrieben haben?

(Grafik: Martin Margulies.)

Retten wir die Zeitungen!
Wiener Volksabstimmung 2.0

9 Kommentar(e)

Mathias - Am 16. February 2010 um 10:40

Naja, ich finde nicht, dass diese Statistik ein geeignetes Mittel zur Kritik ist. Wie bereits in den Kommentaren auf Margulies‘ Blog angemerkt wurde, ist es ganz allgemein wenig verwunderlich, wenn die reichweitenstärksten Zeitungen auch am meisten Inserate und damit Werbezahlungen erhalten. Sicherlich ist das Bild recht dubios, wenn es die „Krone“ und „heute“ nahestehende SPÖ ist, die hier inseriert. Ich bezweifle allerdings, dass die Verteilung anders aussehen würde, hätte etwa die ÖVP die Volksbefragung gestartet. Blöd wären sie, würden sie vor allem in reichweitenschwachen Publikationen wie „Presse“ oder „Falter“ inserieren.

Helge Fahrnberger
Helge Fahrnberger (Autor) - Am 16. February 2010 um 10:51

@Mathias: Durchaus möglich. Aber schließt du aus, dass die Befragung (auch) ein Mittel war, um diese Medien für den kommenden Wahlkampf an eine Leine zu legen? Das ist es, was Margulies m.E. zur Diskussion stellt.

Markus Reiter - Am 16. February 2010 um 10:53

Interessante Statistik bzw. Beitrag!
Wir selbst haben uns im Rahmen des Landtagswahlkampfes in OÖ ua. mit politischen Anzeigen-Monitoring beschäftigt.
Nachzulesen unter https://www.media-essentials.at/downloads/MedienMonitor_DermedialeLTWahlkampf1.pdf

Grüße aus Linz

Oliver - Am 16. February 2010 um 11:16

Vielen Dank für die Verlinkung auf mein kl. Monitoring. Ich werde die Gesamtanzahl der Parteien- und „Stadt Wien“-Inserate in der Gratiszeitung „Heute“ unter diesem Link weiterführen:

https://www.thinkoutsideyourbox.net/?p=10101

Mathias - Am 16. February 2010 um 12:25

@Helge: Überhaupt nicht. Ich glaube jedoch, dass die drei hervorstechenden Medien längst an der „Leine“ der SPÖ liegen, da sie auffallend oft und auffallende viele Inserate von rot-dominierten öffentlichen Stellen erhalten.
Ich glaube vielmehr, dass die Volksbefragung weniger ein Mittel für mehr Inserate zur Akkumulierung von Häupl-freundlichen Medienberichten war, sondern als Wahlwerbung insgesamt – vor allem den Bürgern gegenüber – dient. Keine neue Erkenntnis, aber dass „der Michel“ sich plötzlich als großer Demokrat aufspielt, wird durchaus den einen oder anderen Sympathiebonus innerhalb der Bevölkerung bringen – was letztendlich vielleicht mehr zählt als die Gunst bei „heute“ und „Krone“, die der Bürgermeister ohnehin schon inne hat.

Helge Fahrnberger
Helge Fahrnberger (Autor) - Am 16. February 2010 um 15:18

@Oliver: Anregung für deine Medienbeobachtung: Inserate auch in Seitenzahl (1 Seite, 1/2 Seite, etc.) messen – dann kann man nachher die Budgets nach Preisliste schätzen.

Andreas - Am 16. February 2010 um 15:28

Leider fehlt für eine seriöse Auseinandersetzung mit der obigen Statistik die Gewichtung nach Reichweite und zusätzlich der Vergleich zu vergleichbaren Mobilisierungskampagnen (Streuung, Preise und dergleichen).

Martin Hof - Am 16. February 2010 um 15:44

Was Margulies beschreibt ist für alle, die mit klassischen Medien arbeiten, eine Binsenweisheit: Selbstverständlich wirken sich Inserate und Werbeeinschaltungen auch auf die redaktionelle Arbeit aus. Das gibt es übrigens auch außerhalb von Wahlkämpfen, in Tirol zB gerade im Zusammenhang mit den Olympischen Jugendspielen in Innsbruck 2012.

Bis vor zwei Wochen hat der große Platzhirsch Tiroler Tageszeitung durchaus auch kritisch von den Planungen und dem explodierenden Budgetdefizit der Spiele berichtet. Dann kam eine Verhandlungsrunde von Politik und ÖOC, als deren Ergebnis erklärt wurde, man wolle bei den Spielen und ihrem Budget nicht kleinlich sein. Seither ist bei diesem Thema Sendepause für Kritik.

Der Grund dafür wurde 4 Tage später auch noch öffentlich in der TT gefeiert: Eine „Medienkooperation“ zwischen TT und Stadt bzw Land wurde gefeiert. Ein Tag später war das erste Inserat zu den Jugendspielen in der TT, Listenpreis 18.000 Euro.

Markus Reiter - Am 16. February 2010 um 17:50

Nachdem wir uns wie oben erwähnt mit einer derartigen politischen Anzeigenanalyse ja im OÖ-Wahlkampf schon intensiv auseinandergestezt haben, kann ich den Anmerkungen zu Reichweite, Auflage, Anzeigenformat, … aber auch zur Unschärfe der reinen „Anzeigenzählung“ nur zustimmen.

In unser Monitoring in diesem Bereich fließen neben dem Format der Anzeigen, der Positionierung im Medium, … auch diverse externe Beurteilungsfaktoren wie Auflagen, Reichweiten, Zielgruppen, Anzeigenpreise, … ein – was zu umfangreichen Auswertungsmöglichkeiten führt.

Im Rahmen der Vorbereitungen für eine umfangreiche Beobachtung des Wiener Wahlkampfes ist natürlich auch eine Studie zur medialen Wahlkampf-Werbung geplant.